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Die Vorstellung, den Lauf des Schicksals beeinflussen und ein tragisches Ereignis durch vorheriges Eingreifen verhindern zu können, ist verführerisch. Und bietet vielseitige Möglichkeiten für spannendes Storytelling. Das Kartenspiel Undo setzt hier an: Es verspricht uns, Schicksal zu spielen und den Lauf der Dinge zu verändern. Kann es diesem Versprechen nachkommen?

Die Begeisterung für Detektivgeschichten ist ungebrochen. Wo viele Geschichten meist chronologisch verlaufen, erzählen Detektivgeschichten oftmals anachronistisch – sie fangen in der Mitte oder am Ende an und lenken dann die Aufmerksamkeit zurück auf den noch nicht bekannten Anfang. Wie konnte es zu diesem schrecklichen Ereignis kommen? Was waren die Gründe dafür? Wie lassen sich die Spuren sinnvoll zusammenfügen, um die Wahrheit zu finden? Kaum ein Erzählgenre gibt dem Leser mehr das Gefühl, interaktiv am Verlauf der Story teilzunehmen, indem man selbst in die Rolle des Ermittlers schlüpft und versucht, einzelne Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen.

Anders als etwa ein Roman will Undo hier ein interaktives Spielerlebnis schaffen, das den Handlungsverlauf einer Geschichte nicht nur aufklärt, sondern ermöglicht, diesen eigenhändig zu steuern und eine Tat gänzlich zu verhindern. Uns wird versprochen, Schicksalsweber zu sein. Am Anfang des Spiels steht ein tragisches Ereignis, etwa ein Todesfall im Japan der Neuzeit, und wir haben die Aufgabe, den Tod des Verstorbenen zu verhindern. Hierzu kann man in die Vergangenheit springen und Entscheidungen treffen, um laut Verlag Pegasus Spiele die „Schicksalsfäden neu zu verknüpfen“. Wir haben für euch getestet, ob sich das nach allmächtigem Schicksalsgott, Zeitreisen oder gewöhnlicher Detektivarbeit anfühlt.

© Pegasus Spiele
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Spielablauf

Undo ist eine Reihe von erzählerischen Kartenspielen mit unterschiedlichen Settings und Storys, aber jeweils dem gleichen Spielprinzip: Man springt von einem Ausgangsereignis aus in der Zeit zurück an relevante Punkte, die zu diesem Ausgang geführt haben, und entdeckt nach und nach, was genau passiert ist. Hierbei wird ausschließlich gelesen, wie in einem interaktiven Kriminalroman. Angeschaut haben wir uns die beiden Teile Das Kirschblütenfest (angesetzt im Japan der Neuzeit) und Blut im Rinnstein (angesetzt im Amerika der 1920er-Jahre).

© Pegasus Spiele
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Anders als bei den meisten Spielen, lesen wir nicht vorab die Spielanleitung. Undo wirft uns direkt ins Spiel. Die Regeln werden während des Spielaufbaus erklärt, sind sehr simpel und schnell erläutert. Dies bietet einen schnellen Spieleinstieg, auch für Einsteiger oder regelfaule Spieler – ein definitives Plus. Wir bekommen einen Ausgangspunkt, etwa eine verstorbene Person an einem Tatort, und müssen verhindern, dass es dazu kommt. Dies tun wir mithilfe von Zeitsprüngen an vordefinierte Punkte und Orte in der Vergangenheit des Verstorbenen. Diese werden symbolisiert durch die sogenannten „Geschichtekarten“, zu Beginn verdeckt platziert, so dass man nur Zeit (wie lange vor der Tat spielt dieses Ereignis?) und Ort des Ereignisses sehen kann. Erst auf der Rückseite wird die dazugehörige Geschichte erklärt.

Insgesamt dreizehn verschiedene Zeitpunkte, inklusive des Ausgangspunkts, gibt es, wir dürfen jedoch nur neun Zeitsprünge in unserem Spiel durchführen. Außerdem können wir insgesamt viermal Gebrauch von Hinweisen machen, die in Form von kleinen Karten mit je einem Wort, etwa „Fenster“, unter die zugehörigen großen Geschichtekarten gelegt werden. Auf ihrer Rückseite geben diese Karten zusätzliche Informationen – mal sehr relevant, mal eher unwichtig. Anschließend werden wir auf jeder Geschichtekarte vor die Wahl gestellt, eine von drei möglichen Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise klopft es an der Tür und wir haben die Möglichkeit, die Tür zu öffnen, mit dem Besucher von drinnen zu interagieren oder die Tür nicht zu öffnen. Haben wir uns entschieden, ziehen wir die dazugehörige Schicksalskarte: Entscheidung C von Geschichtekarte 11 wäre also Karte 11c. Auf deren Rückseite gibt es immer eine Punktewertung, wie etwa +1 oder –1, oder auch 0 oder +2. Und so geht es weiter zur nächsten Geschichtekarte und zur nächsten Entscheidung.

© Pegasus Spiele
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Am Ende des Spiels, nach neun Zeitsprüngen, werden die gesammelten Punkte zusammengerechnet und der Durchlauf bewertet. Dazu werden einige Lösungskarten zur Hand genommen. Hat man genügend Punkte zusammen, gibt es eine gute Bewertung und man hat mit seinen Entscheidungen dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen. Anschließend wird auf den Lösungskarten erklärt, was ohne Veränderung der Ereignisse passiert war, falls sich die Spieler das bis hierhin noch nicht ganz zusammenreimen konnten.

Zusammengefasst müssen wir in Undo also zwei Aufgaben parallel leisten: Einerseits herausfinden, was passiert ist. Unter welchen Umständen ist das Opfer verstorben? Was bedeuten die Spuren am Tatort? Was führte zu der Tat? Und andererseits verhindern, dass dies passiert, mit den bereits erwähnten Entscheidungen, die uns anhand der positiven, negativen oder neutralen Punktewertung für die folgenden Runden einen Hinweis geben, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder nicht. Die Handlung auf den dreizehn Karten plus Hinweisen wird episodenhaft mit einigen bewussten Lücken erzählt, aus denen man sich die Geschehnisse zusammenreimen muss. Als hätte man dreizehn Seiten aus einem Buch gerissen, die man nach und nach zu einem Gesamtbild zusammenfügt. Die Fälle an sich sind zwar spannend geschrieben, wobei dreizehn Geschichtekarten mit jeweils ebenso vielen Hinweisen eigentlich zu kurz sind und durchaus erzählerische Lücken aufweisen.

Bereits am Ende der Anleitungskarten weist Undo darauf hin, dass unsere Entscheidungen „selbstverständlich keinen Einfluss auf die anderen Karten haben“, sondern alle Auflösungen erst gemeinsam bei Spielende in Kraft treten. Dieses Prinzip ist nicht nur unlogisch, sondern auch spielmechanisch einfallslos, so dass es die prinzipiell komplexen Stories sehr lieblos stehen lässt. Genau die Art von Interaktion, die Undo implizit verspricht, ist beim Spielen nicht spürbar. Es spielt sich nicht viel anders, als einen linearen Kriminalroman zu lesen. Realistisch betrachtet wären manche getroffene Entscheidungen ohnehin so schwerwiegend, dass eine einzige komplett ausreichen würde, den Handlungsverlauf zu verändern. Außerdem erfährt man genau den interessanten Part in Undo nicht: WAS verändert sich? Wie wirken die getroffenen Entscheidungen sich aus?

Der Wiederspielwert ist gering. Dadurch, dass man inklusive des Ausgangspunkts nur zehn Karten aufdeckt, bleiben drei unbekannt. Selbst wenn man gemeinsam nicht genug Punkte erreicht, um das Schicksal zu verändern, bleibt wenig Lust, das Ganze noch mal zu spielen, da man den Großteil der Entscheidungen schon kennt. Schon bei Time Stories macht es eher wenig Spaß, alles bereits Bekannte noch einmal durchzuspielen, wenn man in einem Durchlauf kurz vor dem Ende gescheitert ist. Es wird auch explizit in den Lösungskarten von Undo empfohlen, den nächsten Versuch „nicht sofort zu starten“.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Skalierbarkeit der Spieleranzahl, mit zwei bis sechs Spielern angegeben, die eigentlich keinen Unterschied auf die Mechanik macht. Zwar darf der Spieler am Zug die definitive Entscheidung auf einer Geschichtekarte treffen, aber da der Kern des Spiels das gemeinsame Knobeln ist, trifft man die Entscheidung ohnehin meist gemeinsam. Ob man das Spiel ganz allein oder mit zehn weiteren Spielern spielt, ändert am Prinzip nichts. Tatsächlich macht das Spinnen der Theorien, was passiert sein könnte, den meisten Spaß in Undo. Die Kommunikation und das Durchspielen möglicher Szenarien ist spannend und sehr unterhaltsam. Vermutlich hat das Spiel dadurch auch das Label „Familienspiel“ erhalten. Umso schlimmer, dass man nicht erfährt, was verschiedene Entscheidungen am Handlungsverlauf genau verändern würden. Ansatzpunkte dafür gäbe es nämlich zur Genüge, wo man sich fragt: „Was passiert, wenn ich diese Entscheidung treffe?“

Undo weckt Erwartungen an spielerische Freiheiten, die es nicht erfüllen kann: Die Freiheit, die Vergangenheit ungeschehen zu machen, sowie die Freiheit, durch die Zeit zu reisen. Beides hält es nicht ein. Letzteres ist begrenzt, da die Zeitpunkte und -orte schon vordefiniert sind, und für Ersteres bietet es wie erwähnt gar keine fühlbaren Möglichkeiten. Das ist besonders schade, weil die Spielidee an sich außerordentlich gut ist. Man kann nur hoffen, dass das Prinzip mit einer umfangreicheren und passenderen Spielmechanik weitergedacht wird.

Ausstattung

Undo ist ein reines Kartenspiel, bestehend aus 25 großen und 60 kleinen Karten. Die großen Karten erklären die Regeln, erläutern auf den Geschichtekarten die Story (das Herz des Spiels) und präsentieren schlussendlich Punktewertung und Lösung des Falls. Die kleinen Karten bestehen aus Zeitkarten, die die Anzahl der Runden vorgeben, Lupenkarten, mit denen man Hinweise nehmen kann, Schicksalskarten, die die Entscheidungen in Punkten bewerten und Hinweiskarten zu den jeweils passenden großen Geschichtekarten.

Beide Kartenstapel sind vorsortiert und dürfen nicht gemischt werden. Falls doch mal etwas durcheinandergerät, sind die verschiedenen Karten nummeriert. Man öffnet die Packung, dreht die erste Karte um und folgt den Anweisungen auf den Anleitungskarten, die vorgeben, wie man die kleinen und großen Karten zum Spielaufbau hinzulegen hat. Die Spielanleitung ist kurz, aber gut beschrieben, und bietet einen schnellen Spieleinstieg.

Gelobt werden müssen Kartenqualität und grafisches Spieldesign. Die Gestaltung ist nicht nur hübsch, sondern auch jeweils passend zum Setting und in jedem Teil der Reihe unterschiedlich, etwa mit Lampions und japanisch anmutenden Verzierungen beim Teil Das Kirschblütenfest. Bis auf diese Dekorationen der Kartenrückseiten und das Titelbild der Packung gibt es allerdings keine weiteren Illustrationen. Man muss wie beim Lesen eines Buches von der leistungsfähigen Grafikkarte im eigenen Kopf Gebrauch machen, um die Bilder zur Handlung entstehen zu lassen, was durch die lebendig geschriebenen Texte durchaus gelingt.

Der Preis von etwa 10 Euro für etwa eine Stunde Spielzeit mit wenig Wiederspielwert ist eher hoch, wird aber vom schönen Spielmaterial gerechtfertigt.

© Pegasus Spiele

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor(en): Lukas Zach & Michael Palm
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 45–90 Minuten
  • Spieleranzahl: 2–6
  • Alter: Ab 10 Jahren
  • Preis: etwa 10 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

„Macht es ungeschehen“, so der Slogan der Undo-Spiele. Ein fesselnder Gedanke. Doch leider ist Undo ein klassisches Beispiel für eine gute Idee, aber eine schlechte Umsetzung. Dem Versprechen, dass die Spieler Schicksalsweber sein können, kommt es nicht nach. Vielmehr sind wir Detektive und ermitteln, was war und was hätte geändert werden müssen, um eine schreckliche Tat nie geschehen zu lassen. So können wir lediglich Einfluss darauf nehmen, ob die Tat geschieht oder nicht. Es fühlt sich jedoch nicht danach an, da es keinen Einblick in alternative Zeitlinien gibt oder irgendeine direkt spürbare Konsequenz der getroffenen Entscheidungen. Das hinterlässt ein unbefriedigendes Spielerlebnis mit „Da wäre mehr gegangen“-Nachgeschmack bei einer prinzipiell sehr interessanten Spielidee. Hinzu kommt ein geringer bis nicht vorhandener Wiederspielwert. Positiv hervorzuheben sind der schnelle Spieleinstieg, das schöne Design und die prinzipiell interessanten Geschichten.

Storytelling-Freunde können einen Blick riskieren, leider ist dieser jedoch eher nicht empfehlenswert. Das Geld investiert man lieber in eine andere Detektivgeschichte.

 

 

Artikelbild: Pegasus Spiele, Fotografien: Thekla Barck, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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