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Im Marvel Monthly rezensieren wir für euch die neusten deutschen Marvel-Comics. Diesmal schwingt Nostalgie mit. In Dead Man Logan nimmt der alte Wolverine Abschied, Avengers: No Road Home erinnert an Avengers: letzter Kampf von 2018, und Marvel Knights zelebriert das Label, das Daredevil und Punisher neu belebt hat.

Wenn Marvel nichts Neues mehr einfällt, wärmen sie alte Ideen auf. Doch das muss nicht heißen, dass dabei schlechte Geschichten herauskommen. Als Jeff Lemire und Andrea Sorrentino vor drei Jahren Old Man Logan in das Hauptuniversum geholt haben, spürte man den Einfluss von Mark Millars modernen Klassiker, während gleichzeitig das ganze Szenario frisch und unverbraucht wirkte. Da nun der originale Wolverine zurückkehrt, ist für den alten Logan kein Platz mehr. In Dead Man Logan gibt er seine Abschiedstournee. Bei den Avengers gibt es derweil eine indirekte Fortsetzung von Avengers: letzter Kampf, der uns Ende letzten Jahres durch die Hefte begleitet hat. Hier treffen Voyager, Vision und Hercules wieder aufeinander und bringen noch einige neue Leute wie Rocket Raccoon oder Hawkeye mit. Marvel Knights dagegen ist ein Jubiläumsband, der 20 Jahre nach dem gleichnamigen Imprint herausgekommen ist. Dort wurden unter anderen die Titelhelden Black Panther, Daredevil, Punisher und Elektra wiederbelebt, aber auch Figuren wie Sentry oder Marvel Boy neu eingeführt. Das Imprint richtete sich mehr an ein erwachseneres Publikum und war offener für Experimente. Auch im neuen Band ist der Geist dieser Ära zu erkennen. Hat es Marvel diesmal geschafft, gleichzeitig originell und nostalgisch zu sein?

Dead Man Logan #1 (von 2): Zeit zu gehen

Old Man Logan gehört zu den Comics, die jeder einmal gelesen haben sollte. Es geht um einen alten Superhelden, der in einer Zukunft lebt, in der die Bösen gewonnen haben. Er hat sich zurückgezogen und versucht mit seiner Familie ein bäuerliches Leben zu führen. Doch dann verliert er alles, was er hat, und zieht mit einem anderen Überlebenden in alter Westernmanier los, quer durchs Land, um ein Paket zu überbringen. Darum soll es hier nicht gehen.

Der besagte alte Superheld ist Logan und inzwischen in der Hauptkontinuität gestrandet. Er leidet aktuell an einer Adamantiumvergiftung. Seine Zeit läuft ab, und obwohl Forge in der Lage ist, ihn in seine Zeit zurückzubringen, hat er noch eine Mission: Er will verhindern, dass seine Zukunft in dieser Welt Realität werden kann. Dazu muss er zu Mysterio, der ihn damals durch Illusionen dazu gebracht hat, all seine Freunde zu töten. Also macht er sich zusammen mit Hawkeye auf, nach diesem zu suchen. Doch er gerät an die falschen Leute, die durch seine Mission auf die Idee kommen, eben diese Zukunft herbeizuführen. Ein Wettrennen beginnt, in dem nicht immer alles so ist, wie es scheint.

Wer die ersten Comics mit Old Man Logan im Hauptuniversum gelesen hat, wird sich fragen, warum diese Mission so überhaupt nötig ist. Dort wollte er bereits einmal Mysterio töten, hat aber davon abgelassen, als er erkannte, dass die Zukunft nicht vorherbestimmt ist und Rache kein guter Antrieb ist. Letztendlich muss man die Prämisse des Comics aber einfach annehmen, und wenn man das tut, dann hat man ein unterhaltsames Werk vor sich liegen.

Wenn man weder Millar noch Lemire erwartet, wird man nicht enttäuscht

Die Konstellation aus Logan und Hawkeye soll an den alten Klassiker erinnern. Die Dynamik zwischen den Figuren ist okay. Besser harmoniert der alte Zyniker aber mit den Sidekicks Jubilee und Glob Herman, die auch beide dabei sind. Ganz gelungen finde ich auch die Antagonisten. Mysterio erinnert hier an Logan selbst, indem er nur noch wenig Interesse am Schurkentum zeigt. Red Skulls Tochter Sin und Miss Sinister dagegen versuchen, ihn für ihre Zwecke zu missbrauchen. So entsteht ein Durcheinander, das zwar selten originell ist, aber wenigstens unterhalten kann. Garniert wird die Ausgabe mit ein paar Zeitungsartikeln aus der Zeit von Old Man Logan, die aber wenig zur Handlung beitragen.

So ganz will der Comic aber nicht an die Werke von Mark Millar/Steve McNiven oder Jeff Lemire/Andrea Sorrentino herankommen. Weder scheint sich die Geschichte in eine bestimmte Richtung zu bewegen, noch können die Zeichnungen mithalten. Am ehesten kann man die Bilder als funktional bezeichnen. Die Figuren sehen gut aus, werden aber meistens uninspiriert frontal in der Halbnahen oder Halbtotalen gezeigt. Die Kolorierung ist eintönig und die Hintergründe detailarm. Hier findet man nur wenig, das wirklich begeistert.

© Panini Comics
© Panini Comics

Zu gerne würde ich sagen, dass der Band ein gelungener Abschluss für eine Figur ist, die ich über die letzten Jahre lieben gelernt habe, doch das ist er nicht. Gelungen ist, dass der Band für sich allein funktioniert. Auch wenn ein zweiter Band angekündigt ist, wird die Handlung um Logan und Mysterio hier zufriedenstellend abgeschlossen. Das ist dabei nichts, das irgendwie an die Genialität früherer Old Man Logan-Bände herankommt, doch solide Marvel-Kost. Handlung, Charaktere und Zeichnungen liefern das, was nötig ist, um die Geschichte zu Ende zu erzählen. Ich hätte mir aber einfach ein wenig mehr gewünscht. Weder Logan noch die anderen Figuren kommen in ihrer Charakterentwicklung irgendwo an. Die kleineren Wendungen und interessanten Figurenkonstellationen ermöglichen trotzdem ein unterhaltsames Leseerlebnis. Vielleicht schafft man im Folgeband dennoch einen würdigeren Abschied.

Die harten Fakten

  • Autor: Ed Brisson
  • Zeichner: Mike Henderson
  • Seitenanzahl: 156
  • Preis: 16,99 EUR
  • Bezugsquelle: Panini-Comics, Amazon

 

Avengers: No Road Home – Kein Weg zurück

In Avengers: letzter Kampf erschien Voyager und machte den Avengers vor, ein längst vergessenes Gründungsmitglied zu sein. Sie stellte sich als Tochter des Grandmasters heraus, der sie für sein Duell gegen den Challenger einsetzte. Letztendlich verbündete sie sich aber mit den Helden, um die Welt vor der Vernichtung zu bewahren. Nun ist sie zurück und erfährt von einer neuen Gefahr: Nyx, die griechische Göttin der Nacht, konnte sich aus ihrem von Zeus erschaffenen Gefängnis befreien und plant, das Universum in ewige Nacht zu hüllen. Voyager sammelt so viele Helden, wie sie kriegen kann, um der Bedrohung Einhalt zu gebieten.

Dabei kann sie vor allem auf die Unterstützung von Hercules hoffen, der natürlich ein wenig Ahnung von griechischer Mythologie hat. Da zuerst der Olymp vernichtet wird, ist er auch persönlich getroffen und sinnt auf Rache. Er ist die meiste Zeit mit Vision und Scarlet Witch unterwegs, die später von Monica Rambeau und Conan, dem Barbaren, unterstützt werden. Das andere Team besteht aus Hulk, Rocket Raccoon und Hawkeye. Diese Konstellation ist daher interessant, da Hulk die erste bekannte Person war, die Rocket Raccoon damals in den 80ern auf seinem sonderbaren Planeten aus Tierwesen und Spielzeugen getroffen hat. Dazu ist Hawkeye die Person, die Bruce Banner im Civil War II getötet hat, bevor der Hulk vor kurzem aus seinem Grab auferstanden ist. Die Zusammenstellung der Figuren verspricht Potenzial und ist gerade an der Grenze der Belastbarkeit. Bei Avengers: letzter Kampf war die Anzahl der Protagonisten etwas zu hoch.

Ein Ende auf der Meta-Ebene

Der Band wird hier nicht gespoilert. Doch es sollte erwähnt werden, dass die Auflösung nicht jedem gefallen wird. Das Finale ist sehr meta und wirkt daher wie ein Deus-Ex-Machina. Doch diese Geschichte soll lauter unterhaltsame Action-Szenen aneinanderreihen, daher ist ein Ende, das sich nicht aus der Handlung heraus entwickelt, verkraftbar. Die Actionszenen sind stets spannend und schaffen es immer wieder zu überraschen. Auch ist positiv herauszustellen, dass jedes Kapitel aus der Sicht eines Charakters geschrieben ist. Die Erzählerstimme gibt, wie schon in Avengers: letzter Kampf, Einblick in die Gedanken der Figuren. Durch die Perspektivwechsel bleibt die Handlung stets abwechslungsreich.

Die Bilder sind grell, bunt und actiongeladen. Das passt hervorragend zur Geschichte. Es knallt und blitzt förmlich auf jeder Seite. Charaktere springen aus den Panels auf den Leser zu. Das ist es, was man bei so überdrehten Szenarios sehen möchte. Es gibt auch genug ruhige Stellen, damit sich die Dynamik entfalten kann. Dadurch wird dieser Comic zwar zu keiner anspruchsvollen Lektüre, aber zu einem leicht zu konsumierenden Abenteuer.

© Panini Comics
© Panini Comics

Wer ein actionreiches Spektakel möchte, bei dem die Charaktere im Vordergrund stehen, macht hier wenig falsch. Große Kunst muss man nicht erwarten. Das Ende versucht durch seine Metaebene herauszustechen, ist dabei aber nur mäßig gelungen. Es bleibt ein Kampf Gut gegen Böse, bei dem man davon ausgehen kann, dass das Marvel-Universum hier nicht enden wird. Herausstechend ist die umfangreiche Kenntnis dieser Welt, die hier offenbart wird. Viele kleine Details aus vergangenen Geschichten werden am Rande erwähnt, ohne dass sie der unbedarfte Leser kennen muss. Wer genau so etwas sucht, kann hier ohne Weiteres zugreifen. Wer weder mir Prügeleien noch mit den Charakteren etwas anfangen kann, sollte besser die Finger hiervon lassen.

  • Die harten Fakten
  • Autoren: Al Ewing, Jim Zub, Mark Waid
  • Zeichner: Paco Medina, Sean Izaakse, Carlo Barberi
  • Seitenanzahl: 260
  • Preis: 26 EUR
  • Bezugsquelle: Panini-Comics, Amazon

 

Marvel Knights: Vergessene Helden

In diesem Einzelband geht es um wahrlich vergessene Helden. Niemand erinnert sich mehr an sie – nicht einmal sie selbst. Es beginnt mit Daredevil, der vor Karen Pages Grab steht, aber nicht mehr weiß, warum ihm das so viel bedeutet. Blind und orientierungslos trifft er im Regen auf einen Polizeioffizier namens Frank Castle, der mehr zu wissen scheint. Doch seine Informationen hat er von Bruce Banner, der anscheinend jemanden kennt, der sich als Einziger erinnern kann, was früher war. So begeben sich die Helden auf die Suche nach der Wahrheit und treffen auf immer mehr Figuren ihrer Welt, die alle höchstens einen Bruchteil von dem wissen, was eigentlich bekannt sein müsste.

Da man Mystery-Thriller am besten ohne großes Vorwissen genießt, lasse ich weiteres nun offen. Dieser Band ist aber kein Comic, den man lesen sollte, wenn man gar kein Vorwissen besitzt. Spannung zieht er aus einer Mischung aus Suspense und dem Mysterium. Die wichtigsten Figuren sind hier Matt Murdock und Frank Castle, die beide auf eigene Faust agieren, bis sie sich gegen Ende zusammentun. Sie treffen dabei auf passende Antagonisten und andere Cameos, die für die ein oder andere Überraschung gut sind. Vieles erinnert hier an ein Waswärewenn-Szenario einer Welt ohne Superhelden oder Superschurken.

Die Zeichnerwechsel irritieren

An diesem Comicband sind für sechs US-Hefte insgesamt fünf verschiedene Zeichner aktiv gewesen. Jeder mit seinem ganz eigenen individuellen Stil. Es ist schwer zu sagen, warum diese Entscheidung getroffen wurde. Doch ist es ein wenig irritierend, dass man ohne erkennbaren Grund in jedem Kapitel einen anderen Stil haben muss. Dabei ist nicht einmal ein Zeichner dabei, der nicht treffend ist. Überall wird Hells Kitchen dreckig und düster dargestellt, wie es sich für so eine Geschichte gehört. Gerade für einen in sich geschlossenen Einzelband wäre ein einheitliches Gesamtbild aber schöner gewesen.

© Panini Comics
© Panini Comics

Was soll ich sagen? Mir hat dieser Comic gefallen! Zwar haben mich die vielen Zeichnerwechsel irritiert, doch bin ich mit dem Noir-Stil grundsätzlich zufrieden. Der Thriller ist in sich logisch und alles wird zum Ende hin sinnvoll aufgeklärt. Auch wenn man dieses Finale erwarten kann, kommt man anfangs nicht direkt darauf. Man tappt wie Matt Murdock im Dunkeln und begleitet ihn auf seiner Reise. Als Jubiläum für das schmutzige Imprint Marvel Knights ist dieser Band gelungen. Wer mit den Helden auf dem Titelbild etwas anfangen kann, sollte hier zugreifen. Zur Höchstwertung fehlt nur ein kleines Quäntchen Originalität.

Die harten Fakten

  • Autoren: Donny Cates, Matthew Rosenberg, Vito Ayala, Tini Howard
  • Zeichner: Joshua Cassara, Damian Couceiro, Kim Jacinto, Niko Henrichon, Travel Foreman
  • Seitenanzahl: 164
  • Preis: 17,99 EUR
  • Bezugsquelle: Panini-Comics, Amazon

 

Artikelbild: © Panini Comics
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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