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Auf dem Planeten York wurden wertvolle Kristalle gefunden. Menschen, Pilger und Maschinen wollen diese ernten. Dummerweise wird der Planet aber von den primitiven Trogs bewohnt, die ihre schönen Kristalle nicht einfach so hergeben wollen. Und so streiten sich vier sehr unterschiedliche Fraktionen in diesem taktischen Brettspiel um die Kontrolle.

Konfliktspiele gibt es eine ganze Menge. Und die meisten davon tendieren dazu, ziemlich lang zu sein. Als ich auf der SPIEL 2016 ein derartiges Spiel fand, das in knapp unter zwei Stunden spielbar sein soll, noch dazu recht ansehnliche Figuren hat und im Kampf komplett ohne Zufallselemente auskommt, war ich sofort interessiert. Der Umstand, dass das Spiel vom polnischen Verlag Portal Games ist, die schon mit 51st State und Neuroshima Hex bewiesen haben, dass sie Spiele dieser Art zu produzieren verstehen, war dann der eigentlich gar nicht mehr nötige letzte Punkt, der mich dazu brachte, mir das Spiel einmal genauer anzuschauen.

Spielablauf

Eine Partie Cry Havoc dauert maximal fünf Runden, wobei jede Runde unterteilt ist in sechs Phasen:

Ereignisse und Verwaltung

In der ersten Phase wird das aktuelle Ereignis (oder alle aktuellen Ereignisse, falls es mehr als eines geben sollte) aufgedeckt und abgehandelt. Danach wird die Initiativreihenfolge angepasst – was nur dann eine Veränderung bringt, wenn mindestens ein Spieler in der Runde davor eine entsprechende Karte gespielt hat. Danach werden die Fertigkeitskarten, die in der Runde zuvor eventuell verbraucht wurden, wieder bereitgemacht.

Karten ziehen

Phase 2 besteht darin, dass jeder Spieler vier Karten von seinem Deck zieht. Warum dies nicht auch in Phase 1 gepackt wurde, entzieht sich meinem Verständnis. Aber es ändert auch nichts, denn die Nummerierung der Phasen ist nicht weiter von Bedeutung.

Aktionen durchführen

Phase 3 ist die Phase, die üblicherweise die meiste Zeit in Anspruch nimmt. In dieser sind die Spieler immer entsprechend der aktuellen Initiativreihenfolge an der Reihe, eine Aktion durchzuführen. Dies passiert drei Mal, danach ist diese Phase beendet.

Die möglichen Aktionen hängen dabei maßgeblich von den Handkarten des Spielers ab. Jede Karte zeigt in der oberen linken Ecke bis zu drei Zeilen an Symbolen, die für die drei grundlegenden Aktionen stehen: Bewegung, Rekrutierung und Gebäude. Wer an der Reihe ist, kann beliebig viele seiner Karten auf einmal spielen und eine dieser drei Aktionen wählen. Alle entsprechenden Symbole werden zusammengezählt und geben an, wie viele Punkte der gewählten Art dem Spieler zur Verfügung stehen. Auch etwaige Sondersymbole, wie Karte ziehen oder Initiative verändern, werden aktiviert, niemals jedoch andere Eigenschaften der Karten oder Symbole aus anderen Reihen.

Mit der Aktion Bewegung werden eigene Figuren auf der Karte bewegt. Für jedes entsprechende Symbol darf eine eigene Figur um ein Feld bewegt werden. Eine Figur darf durchaus auch mehrere Fehler weit bewegt werden. Sobald sie jedoch ein Feld betritt, auf dem sich feindliche Figuren oder Trog-Höhlen oder -Nester befinden, muss sie in diesem Feld verbleiben. Sobald alle Bewegungspunkte ausgegeben wurden, werden Entdeckungs- und Trog-Marker aufgedeckt und abgehandelt. Jede Region, in der sich danach Figuren von mehr als einer Fraktion befinden, wird zur Kampfregion. Der Spieler, der sich in die Region bewegt hat, ist Angreifer und stellt eine seiner Figuren auf das Kampfplättchen, um dies zu markieren. Eine Kampfregion ist für die meisten weiteren Aktionen blockiert. Es können keine weiteren Figuren hineingezogen werden. Auch darf keine Figur herausbewegt werden. Ausnahme ist hier, wenn der Verteidiger mehr als doppelt so viele Figuren hat wie der Angreifer. In diesem Fall dürfen die überzähligen Figuren die Region verlassen. Ansonsten gibt es diverse Gebäude und Fähigkeiten, die explizit sagen, dass Kampfregionen betroffen werden können. Für alle anderen Dinge gilt, dass sie dort nicht mehr eingesetzt werden dürfen.

Figuren muss man aber natürlich erst einmal haben, um sie bewegen zu können. Dazu ist die Rekrutierung da. Mit dieser Aktion nimmt man je entsprechendem Symbol eine Figur aus seiner Reserve und stellt sie ins eigene Hauptquartier.

Die dritte Möglichkeit, die Gebäude-Aktion, erlaubt es dem Spieler die zu seiner Fraktion gehörigen Gebäude zu errichten und zu aktivieren. Dabei können auch in derselben Aktion gebaute Gebäude sofort aktiviert werden. Die Kosten für Bau und Aktivierung sind jeweils vom Gebäude abhängig. Gebäude können dabei alle möglichen Effekte haben. Das Ausheben weiterer Kristalle in einer Region, die Vernichtung feindlicher Einheiten oder die Übernahme der Kontrolle über eine neutrale Region sind dabei nur ein Teil dessen, was möglich ist.

Hier ist auch einer der zentralen Punkte, an denen sich die Fraktionen unterscheiden. Denn jede Fraktion hat hier einzigartige Gebäude, die jeweils völlig unterschiedliche Dinge erlauben.

Zusätzlich zu diesen drei grundlegenden Aktionen verfügt jeder Spieler über genau eine Karte, die die Wertung in dieser Runde aktiviert. Diese zu spielen ist eine eigene Aktion, verleiht dem Spieler aber auch den Vorteil, dass er nicht nur für Kristalle in seinen Regionen Punkte erhält, sondern jede Region selbst auch einen Punkt wert ist.

Als letzte Aktionsmöglichkeit, kann ein Spieler auch zwei Karten ziehen und eine von diesen behalten. Dazu kann er von einem eigenen Stapel ziehen, aber auch von einem der vier Terrainkartenstapel. Diese bieten, neben einer je nach Terrain fest vorgegebenen Art und Anzahl von Symbolen, Taktikvorteile für Kämpfe in entsprechenden Regionen. Dabei gehören die meisten Regionen zu zwei Terrainarten, sodass wohl überlegt sein muss, welche Taktiken kurz- und langfristig die sinnvollsten sind.

Neben all diesen Aktionen gibt es Fertigkeitskarten. Im einfachsten Fall hat hier jeder Spieler genau eine, aber wenn man das Spiel besser kennt und in der erweiterten Variante spielt, können es auch mehr sein. Diese Karten einzusetzen ist keine eigene Aktion, aber es muss auch in einer der eigenen Aktionen in dieser Phase geschehen. Die Fertigkeiten sind der zweite große Unterschied zwischen den Fraktionen, denn diese sind genauso divers, wie die bereits erwähnten Gebäude.

Kämpfe abhandeln

Nachdem jeder Spieler drei Aktionen durchgeführt hat, werden die dadurch entstandenen Konflikte abgehandelt. Dabei wird in der Reihenfolge vorgegangen, in der die Konflikte entstanden sind. Im Spiel zu zwei oder zu dritt, in dem die Trogs eine nicht gespielte Fraktion sind, werden diese durch den Spieler zur Linken des Angreifers gesteuert. Dieser erhält zwar keine Punkte oder sonstige Belohnungen für einen Sieg der Trogs, aber dennoch kann es sinnvoll sein, seine eigenen Taktikkarten zu verwenden, um dem Angreifer wichtige Siege zu vermasseln.

Sobald der Konflikt in einer Region beginnt, wird erst einmal ein weiterer Kristall in die Region gelegt. Eine Ausgrabung kann offenbar auch durch Waffenfeuer geschehen.

Danach stellen die Spieler alle ihre Figuren auf das Schlachtenbrett. Und zwar nicht abwechselnd, sondern zuerst stellt der Angreifer alle, dann der Verteidiger alle.

Danach dürfen noch Taktikkarten gespielt werden, wieder angefangen mit dem Angreifer. Es werden dabei so lange Karten gespielt, bis beide Spieler gepasst haben. Taktikkarten können verschiedene Dinge erlauben: das Verschieben eigener Einheiten auf dem Schlachtenbrett, das Hinzufügen einer Figur aus der Reserve, das Hinzuziehen von Figuren aus benachbarten Regionen, die Umkehrung der Reihenfolge der drei Sektionen, etc.

Das Schlachtenbrett ist unterteilt in drei Sektionen, die jeweils unterschiedliche Ziele darstellen. Die oberste Region, Kontrolle, bestimmt, wer nach dem Kampf die Kontrolle über das Gebiet hat. Der Angreifer braucht hier eine Mehrheit, um die Kontrolle zu übernehmen. Bei Gleichstand oder Mehrheit des Verteidigers bleibt die Kontrolle bei diesem. Wer auch immer die Mehrheit in dieser Sektion hat, erhält außerdem zwei Siegpunkte.

Die zweite Sektion steht für Gefangennahme. Wenn ein Spieler hier die Mehrheit hat, egal wie hoch diese ist, darf er eine Figur des Gegners gefangen nehmen. Da dies vor der Abhandlung der dritten Sektion stattfindet, kann auch eine Figur von dort entfernt werden, bevor sie einen Effekt hatte. Gefangene bringen in der nächsten Phase des Spiels Punkte ein und reduzieren den möglichen Nachschub des Gegners, sind also eine sinnvolle Sache.

Die dritte Sektion ist die Vernichtung. Für jede eigene Figur in dieser Sektion darf eine Figur des Gegners getötet werden, die sich in der Schlacht befindet. Jede so getötete Figur bringt einen Siegpunkt ein.

Nachdem all dies abgehandelt ist, kommen alle verbliebenden Figuren des Angreifers in die umkämpfte Region. Die Figuren des Verteidigers dürfen sich in benachbarte eigene Regionen zurückziehen, sofern in diesen nicht später noch Kämpfe stattfinden. Gibt es keine solche Region, wandern die Figuren in den Vorrat zurück.

Wenn die Trogs keine gespielte Fraktion sind, verbleiben ihre Figuren dabei nie auf dem Feld. Stattdessen wird ein Trog-Nest an eine entsprechende Stelle gelegt, sodass für weitere Angriffe unklar ist, wie viele Trogs sich dort befinden.

Gefangene

Sind alle Konflikte abgehandelt, werden die Gefangenen ausgewertet. Jede gefangene Figur eines Gegners bringt dem Spieler einen Siegpunkt ein. Danach hat der entsprechende Spieler die Möglichkeit zwei Siegpunkte auszugeben, um die Figur in seine Reserve zurückzuholen. So wird die Figur wieder verfügbar und der Gegner erhält in späteren Runden keine weiteren Punkte mehr für den Gefangenen.

Wertung (falls aktiviert)

Diese Phase findet nur statt, wenn ein Spieler dies über das Spielen der entsprechenden Karte aktiviert hat. Ausnahme ist hierbei die letzte Runde, in der auf jeden Fall eine Wertung stattfindet, bei der jedoch niemand Punkte für Gebiete erhält.

Bei der Wertung erhalten alle Spieler Punkte in Höhe der Anzahl der Kristalle, die sich in von ihnen kontrollierten Gebieten befinden.

Der Spieler, der die Wertung aktiviert hat, erhält zusätzlich noch einen Punkt je kontrollierter Region.

Sollte hier, oder zu einem anderen Zeitpunkt in der Runde, ein Spieler eines der Ereignisplättchen auf der Wertungsleiste passieren, so wird dieses unter das jeweils nächste Ereignisplättchen gelegt. Dies führt dazu, dass in der kommenden Runde zwei (oder mehr) Ereignisse abgehandelt werden und verkürzt das Spiel, da die Ereignismarker gleichzeitig auch Rundenmarker darstellen.

Generelle Betrachtungen

Spielbar ist Cry Havoc mit zwei bis vier Spielern. Für zwei Spieler gibt es dabei eine eigene Karte, drei und vier Spieler verwenden die gleiche Karte. Die Trogs sind nur dann als Spielerfraktion dabei, wenn vier Spieler am Spiel teilnehmen, ansonsten sind sie eine Fraktion, die jedem gleichermaßen im Weg steht.

Der Glücksfaktor ist insgesamt höher, als man erwarten würde. Denn obwohl der Kampf selbst komplett ohne Glück auskommt, ist die Anzahl der Trogs, denen man begegnet, ebenso zufällig wie die Boni, die man durch Entdeckungsmarker erhält, die Taktiken auf gezogenen Karten oder einfach auch nur die eigenen Karten, die man in der Runde zur Verfügung hat.

Das Schlachtenbrett ist eine sehr interessante Idee und sicherlich das einzigartigste Element des Spiels. Und manchmal sorgt es in Verbindung mit den Taktikkarten auch für wirklich spannende und interessante Gefechte. Aber wenn keine Taktikkarten eingesetzt werden – was aufgrund der geringen Kartenanzahl, die die Spieler zur Verfügung haben, erstaunlich oft der Fall ist – ist der Kampf relativ langweilig. Anhand der vorhandenen Figuren kann der Angreifer exakt entscheiden, welche Dinge er bekommt und was für Optionen er dem Verteidiger lässt. Durch die bloße Existenz bestimmter Taktikkarten kommt ein gewisser Bluff-Faktor hinzu, aber dieser ist im Normalfall auch nicht besonders groß.

Ausstattung

Das Spielmaterial ist ein echter Hingucker. Nicht nur die Miniaturen, sondern auch das Spielfeld und alle anderen Komponenten, wirken hochwertig und sind ansehnlich gestaltet. Einzig die Karten könnten etwas stabiler sein.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Portal Games
  • Autor(en): Grant Rodiek, Michał Oracz, Michał Walczak
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Englisch
  • Format: 7,2 x 29,2 x 29,2 cm
  • ISBN/EAN: B01JHH0W36
  • Preis: 62,48 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Homepage von Portal Games gibt es zwar einen Download-Link für die deutsche Ausgabe der Regeln, dieser führt aber aktuell leider ins Leere. Aber das englische Regelheft sowie eine FAQ zu den Regeln sind dort zu finden.

Fazit

Cry Havoc ist ein Konfliktspiel, bei dem es darum geht, die Kontrolle über möglichst wertvolle Regionen zu übernehmen. Je härter eine Region dabei umkämpft ist, desto wertvoller wird sie mit der Zeit. Die zwei bis vier Spieler treten dabei als je eine von vier grundlegend unterschiedlichen Fraktionen an. Und hier liegt auch eines der Probleme des Spiels: Die Fraktionen sind so unterschiedlich, dass es mitunter vorkommt, dass man auf eine Art spielen muss, die einem selbst nicht gefällt, für diese Fraktion aber sinnvoller ist, als der eigene Stil. Auch ist das Balancing der Fraktionen nicht besonders gut gelungen. Sind die Menschen mit im Spiel, ist es das Ziel aller anderen, deren übernommene neutrale Regionen nicht ausufern zu lassen. Besonders der Mech‑Spieler kann hier mit seinen Vernichtungs-Gebäuden die Ausbreitung gut eindämmen. Konzentriert er sich dabei aber zu stark auf den Menschen, ist der Pilger schnell in der Lage sich so sehr einzugraben, dass er massive Punkte aus wenigen Regionen ziehen kann.

Dies wird etwas relativiert, wenn die erweiterten Fertigkeitskarten der Fraktionen dazukommen. Diese werden jedoch gemäß Regelwerk zufällig verteilt, was einen weiteren Zufallsfaktor ins Spiel bringt. Von denen gibt es ohnehin bereits ein paar zu viele für ein Spiel, das damit wirbt im Kampf keinen Zufall zu haben. Das stimmt zwar, aber dadurch werden die Kämpfe auch etwas zu berechenbar oder besser gesagt steuerbar für den Angreifer. Und die Taktikkarten, die dies aufbrechen können, sind zu selten und damit zu wertvoll, um in der Mehrzahl der Kämpfe zum Einsatz zu kommen. Hier wäre eine Variante sinnvoll, bei der man vor jedem Kampf ein bis zwei Karten zieht und diese dann einsetzen darf. Das würde dem Spiel zwar einen weiteren Zufallsfaktor hinzufügen, aber immerhin wären die Kämpfe dann spannender.

Positiv ist hierbei das Spielmaterial zu sehen. Sowohl die Figuren als auch alle anderen Spielelemente sind hochwertige und optische Leckerbissen. Und da die Figuren alle grau sind, mit farbigen, ansteckbaren Basen, besteht für Liebhaber hervorragend die Möglichkeit, diese selbst zu bemalen.

Insgesamt ist Cry Havoc kein schlechtes Spiel, aber es schöpft an vielen Stellen sein Potenzial nicht komplett aus und landet so leider nur im Mittelmaß.

Artikelbild: Portal Games
Fotografien: Holger Christiansen
Dieses Produkt wurde vergünstigt zur Verfügung gestellt.

 

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