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Wie lässt sich ein interaktives Science-Fiction-Epos erleben, wenn man Erfahrungen jenseits von Videospielen und Escape Rooms sucht? Gen7 entführt uns in die unendlichen Weiten des Weltraums auf eine zunächst unspektakuläre Mission … bis sich die Ereignisse zu überschlagen beginnen! Kann das Experiment „ALIEN trifft auf Brettspiel“ überzeugen?

Das war’s mit Mutter Erde. Auf nach Epsilon Eridani! Im erzählorientierten Brettspiel Gen7 von Asmodee (im Original von Plaid Hat Games) sind wir kommandierende Offiziere einer interstellaren Arche, die den ausgelaugten Heimatplaneten Erde verlassen hat und ein entferntes Sternensystem zur Kolonialisierung ansteuert. Dies braucht Zeit, genau gesagt 210 Jahre, und mehrere Generationen Kolonisten. Wir sind die verflixte siebte Generation, die ihr gesamtes Leben an Bord des Schiffes verbracht hat und weder die Heimat kennt noch das Ziel der Mission kennenlernen wird.

Trostlose Aussichten? Glücklicherweise gibt es genug an Bord zu tun, mit dem Oberziel, das Schiff stets in gutem Zustand zu halten und die Mission nicht zu gefährden. Doch Kenner von Science-Fiction-Filmen werden schon ganz richtig vermuten, dass nicht lange alles nach Plan verlaufen wird. Wir haben uns angeschaut, wie sich das aus Winter der Toten bereits bewährte Prinzip der „Crossroads“ mit futuristischem Science-Fiction-Setting macht.

Spielablauf

In Gen7 steht die Story im Vordergrund. Es wird in Episoden gespielt, insgesamt natürlich sieben an der Zahl, und die Spieler treffen immer wieder Entscheidungen, die den Spielverlauf beeinflussen. Die Episoden gliedern sich in mehrere Einzelpartien auf, in denen verschiedene Aufgaben erfüllt werden müssen, um den Zustand des Raumschiffes stabil zu halten, aber auch die „Haupthandlung“ vorangetrieben werden muss. Durch diese führt uns das dicke Episodenbuch, im Prinzip ähnlich zum „Abenteuerbuch“, was etwa schon aus Der Herr der Träume von Plaid Hat Games bekannt ist.

Das Episodenbuch zu Gen7 © Asmodee

Die drei bis vier Mitspieler arbeiten kooperativ zusammen, verfolgen aber auch geheime Ziele und haben dadurch Möglichkeiten zum persönlichen Vorankommen sowie sogar eigene Nebenhandlungsstränge. So muss man als Spieler die Balance halten zwischen dem Voranbringen der Gruppe und der eigenen Weiterentwicklung. Im Vordergrund steht aber, bedingt auch durch die Story, die Zusammenarbeit, sodass diese persönlichen Ambitionen sich nicht zu destruktiv auswirken.

Eine weitere Besonderheit ist außerdem, dass, ähnlich wie bei Legacy-Spielen, im Spielverlauf weiteres Spielmaterial hinzukommt. Welches genau hängt vom Spielverlauf ab. Apropos Spielmaterial: Dieses ist reichlich vorhanden und erfordert sowohl jede Menge Platz als auch einiges an Aufbauzeit.

Grundsätzlich beginnt eine Spielrunde nach dem Aufbau sowie dem Vorlesen des Handlungsteils mit dem Auslegen der Prioritätsaufträge und dem Würfeln der Arbeiterwürfel, geht dann über in die Spielphase, in der die Spieler nacheinander im Uhrzeigersinn ihre Spielzüge durchführen, bis keiner mehr Würfel zur Verfügung hat und die Runde am Ende ausgewertet wird. Gegebenenfalls werden noch weitere Runden gespielt oder man schreitet in der Haupthandlung weiter voran, dies gibt jeweils das Episodenbuch vor.

 

Das Spielfeld symbolisiert unser Raumschiff, es gibt neben Lager und Kommandozentrale eine Computerabteilung, eine Energieabteilung und eine Biosphärenabteilung mit jeweils untergeordneten Stationen und eigenen Ressourcen. Jeder Spieler übernimmt außerdem einen von vier Wohnbereichen – Wissenschaft, Ingenieurwesen, Biotechnologie und Kybernetik – mit eigenen Räumlichkeiten und Arbeitern. Letztere werden von verschiedenen Arten von Würfeln dargestellt. Hierbei gibt es sechsseitige Würfel (normale Kolonisten), achtseitige Würfel (Offiziere, quasi unser Alter Ego im Spiel) und zwölfseitige Würfel (Roboter). Ebendiese Arbeiter tragen den entscheidenden Teil der Spielmechanik: Gen7 ist ein Worker-Placement-, oder präziser ein Dice-Placement-Spiel. Die Spieler bewegen sich im Prinzip nicht selbst durchs Schiff, sondern platzieren ihre Arbeiterwürfel, um die Stationen des Schiffes zu besetzen, damit Aktionen durchzuführen und verschiedene Aufgaben zu erfüllen.

Aktionen können hierbei sein, Ressourcen oder Karten einzusammeln, einen Arbeitsauftrag zu erledigen, neue Arbeitsaufträge zu nehmen oder Spezialaktionen durchzuführen, die durch die Haupthandlung vorgegeben werden. Dabei hat die Zahl der gewürfelten Augen viel Einfluss auf die Aktionen, etwa wie viele Ressourcen mit einer Aktion genommen werden dürfen.

Hierbei haben die sogenannten Prioritätsaufträge, wie der Name schon vermuten lässt, hohe Wichtigkeit. Bei Nichterfüllung droht die Verschlechterung der Schiffssysteme, was zukünftige Spielrunden erschwert. Die Spieler müssen hier zusammenarbeiten und gemeinsam den Einsatz ihrer Würfel planen. Denn man kann nicht irgendwelche Würfel einsetzen. Die zur Erfüllung der Aufgabe erforderlichen Augenzahlen unterscheiden sich je nach Auftrag. Dabei spielen die Roboter-Würfel eine wichtige Rolle, da sie durch die hohe Augenzahl von maximal zwölf auch zwei Teilstationen eines Auftrages besetzen können (etwa bei einer gewürfelten Elf kann man sie für eine geforderte Sechs und Fünf gleichzeitig benutzen).

Dieses Knobeln und Planen der gemeinsamen und auch eigenen Arbeitsaufträge, denn jeder Spieler hat auch private Arbeitsaufträge, die es zu erfüllen gilt, ist immer wieder erfrischend und meist von angemessenem Schwierigkeitsgrad. Die durch Würfeleinsatz sammelbaren Ressourcen – Computerchips, Chemikalien und Bauteile – müssen außerdem sowohl für Prioritätsaufträge als auch eigene Arbeitsaufträge zur Erfüllung eingesetzt werden. Gemeinsam ist man stark, bei ersterem dürfen und sollen die Spieler gemeinsam Ressourcen beisteuern. Wenn das Würfelpuzzeln doch mal zu schwierig ist, gibt es auch sogenannte „Datenkarten“ im Spiel, die helfen können und etwa einen Teil eines Auftrages erfüllen, ohne dass Würfel ausgegeben werden müssen.

Neben dem kooperativen Zusammenarbeiten verfolgt jeder Spieler wie erwähnt eigene, vor den Mitspielern verborgene Ziele. Auch hierfür müssen Würfel eingesetzt werden, mit denen verschiedene Aktionen, etwa das Sammeln von Ressourcen, durchgeführt werden. Hierdurch kann man Punkte erwerben und am Ende einer Episode auch einen Offiziersrang aufsteigen, was die Möglichkeit zum Erwerb neuer Spiel-Fähigkeiten eröffnet. Diese Weiterentwicklung des gespielten Charakters gibt Gen7 neben des Storytellingprinzips fast ein wenig klassischen Rollenspielbezug. Das Gefühl, seinen Spielcharakter mit eigenen Persönlichkeitszügen zu spielen, kommt außerdem in dem von Plaid Hat Games schon bekannten „Crossroads“-Prinzip zum Tragen. Immer wieder werden Schicksalskarten gezogen, die Handlungsstränge parallel zur Haupthandlung einbringen.

Die Stationen © Asmodee

Manchmal haben sie praktischen Einfluss auf das Schiff und die gewarteten Systeme oder sie betreffen einen Spieler und seine sogenannte Beziehungskarte, Besatzungsmitglieder, um die sie sich in ihrer Funktion als Offizier kümmern müssen. Wie etwa um die Labortechnikerin, die im internen Schiffs-Onlinechatsystem jemanden kennengelernt hat, von dem sie aber nicht weiß, ob er vielleicht etwas zu verbergen hat. In Form von Versetzungen oder auch Ratschlägen treffen wir Entscheidungen für jene Nebencharaktere, mal knallhart in unserer Funktion als Vorgesetzter, mal menschlich und verständnisvoll, wie es uns eben beliebt. Dadurch kommen wiederum neue Schicksalskarten hinzu, die an diese Entscheidung anknüpfen. Mit fortschreitendem Spielverlauf kommen außerdem weitere Komplett-Decks in diesem Schicksalskartenstapel hinzu oder werden herausgenommen, abhängig von getroffenen Entscheidungen.

Wie fügen sich die Story und die Dice-Placement-Spielmechanik zusammen? Hierbei fühlt sich die Handlung immer ein wenig an wie die Zwischensequenz in einem Videospiel. Vor und nach einer Spielrunde wird die Handlung entsprechend weiter vorgelesen, mal mit, mal ohne gemeinsame Entscheidungen, bis eine neue Runde beginnt. Außerdem werden so neue Regeln und neues Spielmaterial eingeführt, die sich in Teilen auch auf die Spielmechanik auswirken und beispielsweise Handicaps einbringen. Das funktioniert meist gut und passt zu den Ereignissen der fortschreitenden Handlung. Allzu große Varianz haben die einzelnen Episoden von der Spielmechanik her allerdings nicht. Außerdem fühlt man sich manchmal wie im sprichwörtlichen Paralleluniversum, wenn einerseits die Haupthandlung gerade einen kritischen Punkt erreicht hat und man andererseits beim Spielen selbst brav seine Arbeitsaufträge abarbeitet oder sich um die nicht immer dringlichen Belange seiner Kolonisten in den Schicksalskarten kümmert.

Die Haupthandlung ist bemerkenswert gut geschrieben und verläuft sehr dynamisch. Was als vermeintlich eintönige Mission beginnt, kippt schnell um. Schon bald müssen wir herausfinden, dass ebendiese Mission, ein fernes Sternensystem zu kolonialisieren, längst nicht so ist, wie wir gedacht haben. Unsere fliegende Weltraumheimat steht plötzlich in einem ganz anderen Licht da. Ein Spielverlauf, der vom grundsätzlichen Spannungsbogen in der Tat ein wenig an den Klassiker ALIEN erinnert. Doch mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Gerade Fans von etwas düsteren Szenarios und moralischen Zwickmühlen werden hier auf ihre Kosten kommen. Immer wieder gilt es, wichtige Entscheidungen zu treffen, deren Konsequenzen man zu diesem Zeitpunkt nicht absehen kann. So sind tatsächlich auch komplett verschiedene Spielverläufe möglich, abhängig von den gefällten Entscheidungen, was auch die Möglichkeit zum mehrmaligen Durchspielen eröffnet, um sämtliche Storyzweige zu erforschen. 

Das Spielmaterial zu Gen7 © Asmode

Der Schwierigkeitsgrad fordert, ist aber fair und nicht nur etwas für Kenner, sondern auch für Einsteiger. Etwas gestört wird diese prinzipiell sehr gute Zugänglichkeit von Gen7 durch die Spielanleitung. Diese ist zwar ausführlich geschrieben, reich bebildert und enthält auch ein Glossar für die Begriffe. Gerade Neuspieler überfordert sie jedoch zunächst mit Details. Man hätte so einige Regeln deutlich einfacher formulieren können. Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass bestimmte Elemente erst später ins Spiel kommen und man als Spieler „geduldig“ sein soll. Da teilweise aber die Begriffe schon auftauchen, noch bevor sie im Spiel irgendwo erklärt werden, verwirrt dies an einigen Stellen. Eine gute Möglichkeit wäre zudem eine Legende für die zahlreich vorkommenden Symbole abzudrucken, statt sie sich einzeln zusammensuchen zu müssen. Dies macht den durchaus komplexen Spieleinstieg leider unnötig kompliziert. Man kann dem oder den Spielleitern hierbei nur raten, sich auf die erste Runde Gen7 wirklich gut vorzubereiten.

Nach dieser Einstiegshürde ist das Spielerlebnis aber positiv hervorzuheben. Das Balancing insgesamt ist gut abgestimmt, das Crossroadsprinzip im Vergleich zu Winter der Toten angepasst und die fesselnde Handlung fügt sich gut mit den Brettspielanteilen zusammen.

Ausstattung

Unsere Weltraummission bringt reichlich Spielmaterial mit – einiges davon ist zu Beginn noch in verschlossenen, weißen Umschlägen verpackt und kommt erst im weiteren Verlauf ins Spiel. Das Herzstück in Gen7 ist das dicke Episodenbuch, das die Handlung mit all seinen verschiedenen Auswahlmöglichkeiten enthält und durch das gesamte Spiel führt. Hier überzeugen wie erwähnt nicht nur die gut geschriebene Handlung, sondern einige schöne, stimmungsvolle Illustrationen. Insgesamt ist das Design passend futuristisch, wenn auch beinahe etwas zu unstrukturiert bunt umgesetzt.

Noch verschlossene Umschläge © Asmodee

Neben mehreren bunt bedruckten Spieltableaus für die Punktetabelle, die Kartenstapelablagen und die verschiedenen Abteilungen des Schiffes sind jede Menge Spielkarten zu verschiedenen Kategorien enthalten. Hier sind Aufwertungen für Schiffsabteilungen und Charaktere sowie weitere Handlungsteile und zusätzliche Regeln zu finden, die erst mit fortschreitendem Spielverlauf hinzukommen.

Ein nettes Feature zur besseren Übersichtlichkeit: Im Spielumfang sind Trenner, wie von Karteikarten bekannt, enthalten, um in der Spielpackung die Karten nicht nur aufzubewahren, sondern Decks abzutrennen und mit einem gezielten Griff entsprechend finden zu können, wenn sie benötigt werden. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Markern für Ressourcen, Spielanzeigenplättchen und sogar ein Lesezeichen für das Episodenbuch. Ebenfalls in großer Zahl vorhanden sind mehrere Sätze verschiedenfarbiger Würfel, die die Arbeiter der Abteilungen von Gen7 symbolisieren.

Die Qualität des Materials macht einen guten und hochwertigen Eindruck. Preislich liegt Gen7 trotzdem deutlich am oberen Rand. Trotz der langen Spieldauer wäre ein geringerer Preis, gemessen an ähnlichen Spielen, eher gerechtfertigt gewesen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Asmodee Deutschland/Plaid Hat Games
  • Autor(en): Steve Nix
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60-90 Minuten (pro Episode)
  • Spieleranzahl: 3-4
  • Alter: Ab 12 Jahren
  • Preis: etwa 95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Vorab kann man HIER einen Blick in die vollständigen Spielregeln werfen. Außerdem gibt es einen Leitfaden zum Spielmaterial mit Hinweis auf den Ersatzteilservice des Verlages.

Fazit

Wer schon immer einen epischen Science-Fiction-Roman als interaktives Brettspiel erleben wollte, der ist mit Gen7 genau richtig bedient. Die Story ist so spannend erzählt, dass man problemlos ohne Langeweile das ganze Wochenende binge-spielen kann. Außerdem vermittelt es den Spielern in der Tat das Gefühl, „ihr Schicksal“ zu erleben, Entscheidungen zu treffen, die den Spielverlauf nicht nur leicht alternieren, sondern komplett verändern. Die Worker-Placement-Spielmechanik mit kooperativen sowie Einzelspieler-Elementen ist gut ausbalanciert und macht auch nach mehreren Runden noch Spaß.

Mängel bestehen in der Spielanleitung und ihrer Einführung in die Spielregeln. Diese ist teilweise verwirrend und unnötig kompliziert aufgebaut, was gerade am Anfang die Hürde des Spieleinstiegs recht hoch legt. Das zwar hübsche aber an einigen Stellen unübersichtlich bunte Spieldesign hilft dabei ebenfalls nicht. Trotz des großen Materialumfangs ist der Preis mit etwa 95 Euro, gemessen an ähnlichen Spielen, zu hoch angesetzt.

Insgesamt wurde das Erzählerlebnis einer eskalierenden Weltraumreise aber gelungen statt gezwungen in die Brettspielmechanik eingebettet. Science-Fiction-Fans mit Freude am Erzählen können sich hiermit eine schöne Abwechslung zu ALIEN-Filmabenden ins Haus holen.

Artikelbilder: © Asmodee, Bearbeitung: Roger Lewin
Fotografien: Thekla Barck
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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