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In diesem Jahr brachen die Skargen als neue Plage über die Siedler Mitrasperas herein. Zu Hunderten überschwemmten sie die Schlachtwiesen und brachten selbst kampferprobte Spieler mit chaotischer Taktik aus dem Konzept. Und auch weit hinter den Kampflinien wartete das 16. ConQuest of Mythodea mit Neuerungen und Veränderungen auf.

Mehr Miniplots sollten den Einstieg in Mythodeas Universum erleichtern. Wermutstropfen waren in diesem Jahr weder Wüstenwinde noch Stürme: Wegen unsicherer Pfeile wurden am Samstag Kämpfe abgesagt.

Willkommen in der letzten Stadt. Akt 3, Szene 16

„Die militärischen Aktivitäten und der Zugriff der Verfemten auf uralte, heilige Tempel der Elemente führen die Armeen der Spieler nach Methraton Thul, der letzten Stadt der Alten Herrscher, wo heute nur noch brüchige Ruinen und ein verborgenes Höhlensystem von der Glorie einer untergegangenen Zivilisation künden. Dort ist es dem Untoten Fleisch gelungen, die Tempel von Feuer, Luft, Wasser und Erde in seine kalten Klauen zu bekommen und sie mit verfemter Macht in Form von „Siegeln der Episcorpa” zu schänden. Zentrale Aufgabe der Spieler ist es, an den elementaren Schreinen in ihren Bannern und auf dem Schlachtfeld gegen die Bedrohung durch das Untote Fleisch vorzugehen, dessen Siegel zu brechen und schließlich die Episcorpa, die Endgegnerin des diesjährigen ConQuest, endgültig zu vernichten.“ (Auszug aus dem Plotbuch zum ConQuest 2019)

Dumpfes Dröhnen aus zahllosen Signalhörnern kündigt sie an. Wo der Untod mit seinen Schwergerüsteten geräuschvoll und begleitet von Trommeln auf die Wiese bricht, fließen die blaugrau gewandeten Figuren in einem steten Strom und vor allem leise auf die Reihen ihrer Gegner zu. Erst Meter vorher zerplatzt der Strom in zahllose Grüppchen, die scheinbar willkürlich auf die SiedlerInnen lospreschen und brüllend Äxte, Speere und Schwerter schwingen. (Beobachtungen einer SL)

© Live Adventure
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FLODENS BØRN…

… BØRN AF HAVET! Mit diesem Schlachtruf (bzw. zwei weiteren Versionen) kündigte sich die in diesem Jahr neu eingeführte NSC-Fraktion der Skargen an. Dazu hatte jedes der neun „Schiffe“ zu je rund 30 „Flutgeborenen“ seinen eigenen Schlachtruf. Vergleichbar mit den Lairdoms des Untoten Fleisches ist die Einteilung in drei Sippen: Bodranor, Hadragar und Turamer. Jede Sippe hat einen Schlachtruf. Die kleinen Schiffseinheiten ähneln dagegen wieder den Schwärmen des Schwarzen Eises. Zu den Flutgeborenen kommen die Magiewirker der Weißberührten, Nebelsänger, BannerträgerInnen, einen Flottenfürsten und schließlich der Weiße Hof um die Tochter der Goldenen. Den Gewandungsstil sollten von allen getragene Krägen, Arm- und Beinwickel sowie ein Farbcode vereinheitlichen, der nur innerhalb der drei Sippen leicht variierte.

© Live Adventure
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Abgesehen vom Ansinnen Live Adventures, mit einer neuen Fraktion das dritte Kapitel Mythodeas voranzutreiben sowie frischen Wind auf die Schlachtwiesen zu bringen, sollte mit den Skargen verstärkt die internationale Larpgemeinde nach Brokeloh gelockt werden. Die Sippe der Bodranor war denn auch rein englischsprachig unterwegs: Ihr gehören überwiegend dänische SpielerInnen an, dazu LarperInnen aus Italien, Schweden, Österreich. Der dänische Schlachtruf ist denn auch ein OT-Tribut an den Einsatz der dänischen Larper.

Bis Freitagvormittag traten die Skargen nur in kleineren Gruppen auf. In Portalmissionen erfuhren einige Siedler bereits vor der eigentlichen Landung der Rhînländer, was es heißt, ihnen auf dem Schlachtfeld zu begegnen: Am Rande der Letzten Stadt befand sich ein Aeris-Portal, über das man in alle Gebiete Mythodeas reisen konnte. Bis zu 500 Siedler auf einmal konnten so auf Missionen geschickt werden – und den Skargen gegenübertreten.

Kampfstil oder Kampfchaos?

Erst am Freitag landete das Volk der Skargen „offiziell“ auf Mythodea bzw. einer vorgelagerten Insel. Zum Auftakt am Mittwochabend lieferten sich zwei Sippen der Skargen Scharmützel mit den SpielerInnen auf oben erwähnten Portalmissionen.

Am Freitag dann konnten die ConQuest-TeilnehmerInnen (wie auch das Team aus Koordination und SL) die große Zahl der neuen Fraktion in ihrer Gesamtheit bestaunen. Oder beobachten. Oder missgelaunt begucken. Die rund 350 Skargen liefen im neuen Bündnis gemeinsam mit Lairdoms des Untoten Fleisches und Schwarzen Eises auf der nördlichsten Wiese auf, um Palisaden zu schleifen und Siedler zurückzudrängen.

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Egal ob auf großer Wiese oder kleiner Portalszene: Der Kampfstil der Skargen hat mit den Linienkämpfen der übrigen NSC nicht viel gemein. Splittergruppen, die Siedlerreihen in die Zange nehmen, Linien durchbrechen oder große Gruppen trennen sollen: Der vermeintlich chaotische Kampfstil stieß nicht bei allen auf Gegenliebe.

Wo die einen das Konzept begrüßten, das starre Fronten und unbewegliche Linien lockern sollte, beschwerten sich andere über zu ruppige Kämpfe und unübersichtliche Situationen. Sowohl in- wie offgame sorgte die Tatsache, dass nicht jeder Skarge auch sofort als solcher zu erkennen war, für Gesprächsstoff.

Schwarz zu blau

© Live Adventure
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Auch wenn es mit der neuen Fraktion gelang, absolute Mythodea-Neulinge anzusprechen, rekrutierte sich doch ein Großteil der Skargen aus den bereits bekannten Verfemten Fraktionen und SC. Mitunter zahlreich. Durchaus ein Erfolg für das Skargenkonzept, doch bleibt abzuwarten, ob die überwiegend positiven Töne der alten Hasen bis ins nächste Jahr hallen oder ob die „Schiffe“ wieder zu Schwärmen und Rotten werden.

Unter den Neulingen fiel das Fazit gemischt aus. So manch einer sehnt sich nach mehr Zugang zum Plot, also werden die Spielerlager wohl Zuwachs bekommen. Als NSC zu wissen, weshalb man nun auf Wiese x steht und Palisade y niederreißen soll, ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit.

Im Dungeon schmilzt das Eis

© Live Adventure
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Auch Neulinge jenseits der NSC-Wiese sollten sich auf Mythodea willkommen fühlen. So legte Live Adventure verstärkt Fokus darauf, durch zahllose „Miniplots“ Spiel zu ermöglichen. Der Schwarze Prinz sollte hier erweckt werden. Dazu brauchte es Zusammenarbeit aller verfemten Fraktionen: Das Triumvirat, ein in diesem Jahr neu gegründeter Zusammenschluss der NSC-Fraktionen, hatte u. a. das Ziel, den Prinzen aus den Höhlen zu befreien.

Das Höhlensystem (im Orga-Funkverkehr zuverlässig „Dungeon“ genannt) befand sich auf der südlichen Wiese unterhalb der Stadt. Live Adventure hatte hier ein komplett abgedunkeltes System aus Gängen errichtet, in welchem das Schwarze Eis Dienst tat. Und auch wenn die Brokeloher Lasersonne in diesem Jahr nicht ganz so unbarmherzig strahlte: Der Dungeon wurde zum Schwitzkasten. Was dem Spiel allerdings keinen Abbruch tat.

Aufgabe der Spieler war es hier, dafür zu sorgen, dass der Schwarze Prinz nicht in seiner alten Macht erstrahlte. Heißt: Ihn mit Emotionen zu „infizieren“. Was ihnen gelang, unter anderem mit Gefühlen wie Freundschaft und Selbstzweifel.

300 Seiten für dreieinhalb Tage

Aus gegebenem Anlass werde ich auch in meinem vierten Jahr der ConQuest-Berichterstattung davon absehen, eine vollständige Zusammenfassung(!) aufzuschreiben. Allen Interessierten empfehle ich das Studium des Mitrasperanischen Herolds sowie der zahllosen Facebook-Posts, die über Dankesworte, Lost & Founds und Fotothreads hinaus gehen.

Das Plotbuch umfasst rund 300 Seiten. Diesen Satz möchte ich so stehen lassen und stattdessen lobenswert erwähnen, was mir von SpielerInnen bestätigt wurde: Wer wollte, konnte Zugang zum Plot erlangen. Auch Neulinge (ob im LARP oder auf Mythodea) konnten sich zum einen durch diverse Miniplots, die nicht alle auf einmalige Durchführung ausgelegt waren, zum anderen durch Boten, Diplomaten, Bibliotheken u. v. m. am Großevent beteiligen.

© Live Adventure
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Um den Festivalcharakter im Tross zu minimieren, waren hier nicht nur die Stadtwache und Diebe fleißig unterwegs, um die Händlergassen und den Roten Stern nicht zum Ballermann verkommen zu lassen. (Das Spielkonzept „Bezahle Kupper für kurze Schattenpause oder hau ab“ stieß allerdings auf Unverständnis.)

Beispielsweise war das Atelier am Rand des Trosses aufgebaut. Im Prinzip ein fließender Übergang vom Gang zur Waffenkammer (Verkaufsstand von Larpwaffenanbietern) hin zu einem der dichtesten Plotorte.

Ein schlechter Pfeil kommt selten allein

Eine Großveranstaltung wie das ConQuest hat mit den alljährlich auftauchenden Problemen zu kämpfen. Mitunter wird der Betrieb hinter den Kulissen allerdings auf eine besonders harte Probe gestellt. Am Freitagabend wurden Teile des Teams zu Eilsitzungen einberufen, weil bei Waffenchecks LARP-Pfeile von schlechter Qualität gefunden wurden. Live Adventure reagierte zügig und vorbildlich. Zunächst wurden die für Samstagvormittag anberaumten Kämpfe auf den Wiesen abgesagt, deren Zugänge nicht kontrollierbar waren. Grund: JedeR BogenschützIn, die auf die Wiese kam, wurde von geschulten SL auf die betreffenden Pfeile kontrolliert. Da es sich um eine bestimmte Sorte von Pfeilen handelte, deren Verarbeitung mangelhaft war, musste nicht jeder Pfeil einzeln überprüft werden. Das war zum Beispiel auf der Kampfwiese in der Nähe des Dungeon nicht möglich.

© Live Adventure
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„Wir haben den NSC-Anführern am Samstag unsere Maßnahmen erläutert und den NSCs freigestellt, ob sie raus wollen, oder nicht“, hieß es dazu aus dem LA-Büro. Bis zum Nachmittag konnten die Situation entschärft werden und die geplanten Schlachten stattfinden.

Anmerkung: Weder musste LA wegen der Pfeile die Polizei rufen, noch gab es Jagdpfeile oder Pfeile mit scharfer Spitze. Es gab auch keine „Stichverletzungen“ durch Pfeile. Es waren also nicht mit voller Absicht untaugliche Pfeile in Umlauf gebracht worden. Wie zu erwarten, köchelte die Gerüchteküche schon ab Freitagnachmittag fleißig vor sich hin; auch nach dem ConQuest waren die Pfeile Anlass zu dunkelsten Befürchtungen über „Entwicklungen in der Larpszene“.

Ausge-ixt

Ein weiteres unschönes Moment ergab sich in diesem Jahr aus dem Zusammentreffen von Mitgliedern einer SC-Gruppe und Skargen. Es gibt in jedem Jahr Verletzungen; Prellungen sind NSC gewohnt, SC ebenso. Nichts soll hier relativiert oder aufgerechnet werden. Aufgrund der Häufung von Verletzungen auf Seiten der NSC, die (in kurzer Zeit, nicht verteilt auf das gesamte CQ) von ein und derselben Spielerfraktion verursacht wurden, erklärten allerdings zwei Drittel der Skargen, gegen besagte Spielergruppe nicht mehr zu kämpfen, und sich gegebenenfalls auch per OT-Gang aus dem Spiel zu nehmen.

Betont sei, dass hier nicht die gesamte SC-Gruppe im Fokus stand. Aber es braucht schon einiges, um eine derart große Gruppe gestandener NSC vom Feld zu „treiben“. Auch ist der Autorin bekannt, dass Teile der Gruppe vom Handeln ihrer Mitspieler wissen und intern um Aufklärung bzw. Aufarbeitung bemüht sind. Bleibt zu hoffen, dass sich derlei im kommenden Jahr nicht wiederholt.

Und jährlich duscht das Murmeltier

Zu klein, zu wenig, zu kaltes Wasser, zu heißes Wasser, zu viel nackte Haut, zu schlecht verteilt: Das Lied über die Sanitäranlagen auf dem ConQuest wird jedes Jahr gesungen und jedes Jahr in allen Tonlagen. In diesem Jahr reagierte Live Adventure auf Kritik an den Gruppenduschen, die es in der Vergangenheit gab, und baute zwei Duschdörfer aus Einzelkabinen auf. Im Vorfeld angekündigt und teilweise mit Begeisterung begrüßt, stießen die Kabinen dennoch auf verwirrtes Schulterzucken: Wer duschen wollte, musste sich trotz Einzelkabine nackig machen und im Vorzelt vor anderen TeilnehmerInnen die Hüllen fallen lassen. In den Kabinen gab es zwar Vorhänge, die es ermöglichten, den Meter vom Vorzelt in die Dusche mit umgewickeltem Handtuch zurück zu legen: diese waren allerdings schon am zweiten Tag nicht mehr überall vorhanden.

Die WC-Kabinen leuchteten nachts mit den bereits bekannten roten bzw. grünen LED-Leisten ins Dunkel, wurden verlässlich regelmäßig geputzt – und mit Abschminktüchern gefüttert. Zumindest Unterhosen tauchten in diesem Jahr nicht im Filtersystem auf. (Zumindest ist der Autorin nichts dergleichen zugetragen worden.) Zusätzlich zu den Sanitärdörfern wurden die üblichen Reihen von Dixies aufgebaut, teilweise zum Leidwesen unmittelbar in der Nähe zeltender Spieler.

© Live Adventure
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Zahlen und Zustände

Rund 6000 SC zählte LA in diesem Jahr auf den Lagerwiesen. Hinzu kamen 1600 NSC (inklusive Tavernen, Händlern, Gilden/Tribes und Künstlern). Das Team hatte 2019 rund 1500 Mitglieder (Johanniter, Feuerwehr, Kidstown und VMs mitgerechnet). Auf einem Gelände so groß wie 84 Fußballfelder errichteten Teilnehmer wie zahllose Helfer ihre Zelte, schütteten Sand zur Palmenstraße auf, errichteten meterweise Palisaden und gruben Gräben für Kabel und Wasserleitungen.

© Live Adventure
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1500 ist eine große Zahl, und doch braucht das Team Nachwuchs. Im Flurfunk war es oft zu hören, dass LA dringend Verstärkung braucht, wenn das ConQuest nicht implodieren soll.

Vom vor einigen Monaten bekannt gewordenen Zusammenschluss von Burgschneider und Live Adventure war auf dem Event selbst nicht viel zu merken; sieht man davon ab, dass in den Verkaufszelten von dein-larp-shop quasi ausnahmslos Kleidungsstücke der Marke Burgschneider angeboten wurden.

Fazit

Im 16. Jahr beweist Live Adventure, dass die geölte Maschinerie ConQuest immer noch läuft. Mit den Skargen kam definitiv frischer Wind auf, und der Hype ist da, bei SC wie NSC. Wie weit LA gehen möchte, um künftig für Larper mit anderen Gewohnheiten (wie beispielsweise Vertretern des Nordic Larp) attraktiv(er) zu sein, wird sich in den kommenden Monaten zeigen, wenn auch ein Einfluss von Burgschneider deutlicher wird.

Eine stabile Infrastruktur kann LA mittlerweile aus dem Effeff, mit relativ unvorhersehbaren Problemen umgehen ebenfalls. Eher kränkelt das ConQuest wohl an zunächst unsichtbaren Stellen. Das riesige ehrenamtliche Engagement, welches das ConQuest erst möglich macht, muss auch am Leben erhalten werden. Ob es daran liegt, dass die jungen Leute von vor zehn Jahren heute in anderen Verhältnissen leben und die Leidenschaft LARP nur noch an zweiter und nicht mehr an erster Stelle steht, mag jede für sich diskutieren und jeder kommentieren, der möchte.

 

Artikelbilder: © Live Adventure

 

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