Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Erinnert sich noch jemand an den Film, in dem Nicolas Cage die Unabhängigkeitserklärung klaut? Disney+ bringt dazu jetzt eine Nachfolgeserie mit mehr Schätzen, mehr Einbrüchen, mehr Hauptcharakteren und heiklen Themen. Funktioniert das, fast 20 Jahre nach dem ersten Film?

Die erste spannende Frage ist dabei natürlich: Kann man diese Formel updaten? Wo National Treasure im Jahre 2004, als wir alle noch jung und naiv waren, mit pathetischem Fetischismus für US-Geschichte punkten konnte, hat selbst die amerikanische Zielgruppe nach Trump, Rechtsruck und Black Lives Matter andere Ansprüche. National Treasure: Edge of History trägt dem Rechnung, oder versucht es zumindest.

Das Vermächtnis der Tempelritter, im Original (wesentlich passender) genannt National Treasure, ist ein Abenteuerfilm aus dem Jahre 2004. Nicolas Cage – in einem seiner weniger wilden Momente – spielt einen Schatzjäger mit absurden Theorien, die sich natürlich alle als wahr erweisen. Er versucht, einen von den Gründervätern der Vereinigten Staaten versteckten Schatz ausfindig zu machen. Dabei gerät er in die Verlegenheit, die Unabhängigkeitserklärung zu stehlen, natürlich nur, um sie vor Schaden zu bewahren. Auf der Flucht tourt er mit seinen Verbündeten durch wesentliche Schauplätze der US-Revolutionsgeschichte und folgt Rätseln und Hinweisen der großen amerikanischen Helden wie Benjamin Franklin und Paul Revere. Typisch kitschiger Ami-Patriotismus trieft aus allen Poren.

Aber ich mochte Heist Movies und ich hatte einen Fetisch für politisch-patriotischen Idealismus. Und dass Diane Kruger, die es mir als Teenagerin besonders angetan hatte, den obligatorischen Love Interest spielt, schadet dem Film auch nicht. Bis heute ist National Treasure immer wieder ein gemütlicher Komfort-Film für mich.

Trotzdem war mir nicht bewusst, dass Disney+ eine Serie als Nachfolger für National Treasure und den 2007 erschienenen, absolut banalen zweiten Teil National Treasure: Book of Secrets (Das Vermächtnis des Geheimen Buches) in der Mache hatte, bis mir National Treasure: Edge of History (Das Vermächtnis von Montezuma) vorgeschlagen wurde. Der Algorithmus musste mich nicht lang drängen und habe mir die Serie angeschaut. Bisher sind acht Episoden der zehnteiligen Staffel erschienen. Ich habe die Serie auf Englisch geschaut. Zur Synchro kann ich also nichts sagen.

Triggerwarnungen

Rassismus, Diskriminierung von Migranten

[Einklappen]

Story

In Edge of History geht es nicht um US-Geschichte, sondern um die Geschichte Lateinamerikas. Die Held*innen müssen einen vereinten Wissensschatz der Völker der Inka, Maya und Azteken vor profitgierigem, geschichtsvergessenem Missbrauch bewahren und folgen darin einer langen Reihe geheimer, indigener Schatzwächterinnen, die direkt mit der Familie der Protagonistin verwoben ist. Dramatische Wendungen – meist eher wenig überraschend – führen sie und ihre Gruppe zu verschiedensten geschichtsträchtigen Orten, die allerdings weniger mit dem Patriotismus der USA assoziiert sind und mehr mit ihrem Umgang mit Indigenen, mit Lateinamerika oder mit Kulturgeschichte. Die gewählten Orte, besonders Graceland und Fort Alamo, sind dabei sehr erfrischend und interessant und bietet abwechslungsreiche Kulissen und Herausforderungen für die einbruchsaffinen Charaktere.

Hauptfigur ist Jess Valenzuela, die als Baby illegal in die USA gebracht wurde, dort geschützt von den sogenannten DACA-Regeln aufwuchs, und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Gerade arbeitet sie in einer Lagerraum-Vermietung und will den Mieter eines Raumes ausfindig machen, bevor seine Besitztümer verkauft werden. Ebenjener Besitzer ist FBI-Agent im Ruhestand, was sich gut trifft, denn Jess träumt davon, eines Tages als Codeknackerin für das FBI zu arbeiten. Indem sie den alternden Herren ausfindig macht, beweist sie nicht nur ihm, sondern auch den Zuschauer*innen, dass sie den brillanten Verstand für eine solche Karriere hat, aber eben nicht die Staatsbürgerschaft. Bei ihrer Begegnung führt besagter FBI-Agent Jess dann auf die Spur eines nie gelösten Rätsels, das mit einem Erbstück ihrer kürzlich verstorbenen Mutter und dem gesammelten Wissen der Imperien und Kulturen Lateinamerikas zusammenhängt.

© Disney Corporation
© Disney Corporation

Währenddessen lernen wir auch Jess’ Freunde kennen, die sich mit den üblichen Job- und Beziehungsproblemen herumschlagen, während sie Jess zu realistischen Karriereträumen raten. Besonders ihre Mitbewohnerin, die staatskritische Streamerin und Hackerin Tasha, tut sich mit scharfzüngigen Kommentaren gegen die Behörden hervor. Ergänzt wird das Duo Jess und Tasha von Ethan, Jess‘ Kindheitsfreund, und seinem Mitbewohner Oren. Schnell stößt im Laufe der Serie Musiker Liam zur Gruppe. Gleichzeitig folgen wir Zuschauer der separaten Story einer jungen, frisch an Jess’ Wohnort versetzten FBI-Agentin namens Ross. Im Gegensatz zu Ross, deren Story eher vor sich hin dümpelt, involviert sich Bösewicht Billie schnell und vehement in das Leben der Protagonisten und ist dazu ebenfalls mit eigenen Szenen ausgestattet.

Darsteller*innen

Newcomerin Lisette Olivera liefert solide Arbeit als Jess. Ihr Stil ist ruhig, sie hat Spaß am Bild der Abenteuerheldin. Und sie sucht immer wieder die richtigen Töne zwischen Jess‘ schwieriger Lebenssituation und dem störrischen, leicht realitätsblinden Heroismus, den eine Abenteuerserie wie diese braucht. Die Charaktere in ihrem Freundeskreis sind weniger komplex angelegt, leiden aber nicht darunter. Zuri Reed und Jordan Rodriguez als Tasha und Ethan können sich gut als kritische Stimme in der Gruppe abwechseln und Antonio Cipriano macht Orens Job als Comic Relief, so gut er kann. Seine Figur wird nicht unglaubwürdig, wenn es einmal ernst sein muss. Jake Austin Walker beeindruckt nicht sonderlich als Liam, muss aber auch mit besonders vielen Twists und Wendungen arbeiten, ohne dass sein Charakter daran gewinnen kann. Lyndon Smith spielt ihre Agentin Ross mit Herz und Menschlichkeit. Auch hier ist es weniger die Schauspielerin, die schwächelt, als die Funktion, die sie hat.

© Disney Corporation
© Disney Corporation

Edge of History fährt daneben durchaus Starpower auf. Ein Teil des Heldentrios aus den Filmen ist als Gastauftritt einfach notwendig. Das übernimmt hier Justin Bartha als Computernerd Riley Poole. Man bekommt zwar das Gefühl, die Drehbuchautoren hätten lang auf einen Auftritt von Nicolas Cage gehofft, doch Rileys Imitation von Ben Gates‘ Attitüde ist für Freunde des Films ein absolutes Highlight.

Wesentlich wichtiger für das Herz der Serie ist jedoch Catherine Zeta-Jones als Antagonistin Billie. Zeta-Jones hat offensichtlich viel Freude an der Rolle und legt als gnadenlose und zutiefst unsympathische Heldin mit gerade dem richtigen Hauch nachvollziehbarer Motivation wunderbares Melodrama hin.

Ähnlich engagiert ist auch Harvey Keitel, dessen FBI-Agent und Freimaurer Peter Sadusky schon 2004 als gutwilliger Verfolger der Filmfiguren herhielt. Sein Tod zu Beginn der Serie bringt die Ereignisse ins Rollen und vorher zeigt er nicht nur noch einmal sein eigenes Können, sondern bietet auch Lisette Olivera eine Bühne.

Inszenierung

Alle weiteren Rollen sind nicht sonderlich prägend oder wären unnötige Spoiler. Das Casting der Serie ist allgemein solide. Schwächen tun sich eher bei Story und Cinematographie auf. Edge of History versucht einiges. Es will eine heldenhafte Abenteuergeschichte sein und eine tiefgehende Hauptfigur darstellen, sozialkritische Kommentare einwerfen, aber trotzdem positiv auftreten und in der Tradition der Filme stehen.

© Disney Corporation
© Disney Corporation

Funktioniert das? Nicht wirklich. Gerade der Kontrast zwischen Abenteuerheldin und Sozialkommentar tut Protagonistin Jess nicht gut. Zu plötzlich wechselt die Stimmung, zu augenfällig ist der Kontrast zwischen realem Leid illegaler Einwanderer und wilden Geschichten heldenhafter Aztekinnen. Die Serie versucht, Jess‘ moderne Queste als Selbstermächtigung einer benachteiligten Minderheit zu verkaufen. Und Lisette Olivera legt sich ins Zeug, um das zu verkaufen. Doch am Ende bräuchte es mehr, damit die dissonanten Töne gut klingen. Zu oft steht Jess in einer recht banalen Szenerie und muss über die allzu realistischen Folgen ihres Handelns nachdenken, während ein langsamer Kameraschwenk versucht, sie in Heldenpose einzufangen. Tasha und Ethan erinnern sie daran, dass sie ihr ganzes Leben riskiert, wenn sie ihre Familiengeschichte weiterverfolgt, und Jess antwortet mit der Verpflichtung, die ihr ein Medaillon auferlegt, das aussieht wie ein verworfenes Design für die Goldmünzen aus Fluch der Karibik.

Erzählstil

Einige Twists und Enthüllungen fühlen sich ebenfalls sehr klischeehaft oder erzwungen an. Die Behauptung, jemand in Jess‘ Freundeskreis habe sie verraten, kann man zum Beispiel kaum ernst nehmen, wenn es eigentlich keine validen Verdächtigen gibt, die auch wirklich eine Motivation haben oder sich irgendwie verdächtig verhalten. Und einige der plötzlich notwendigen Einbrüche, um die Heists der Filmvorlagen nachzuahmen, wirken sowohl erzwungen als auch zu schnell und zu problemlos abgehakt. Besonders leidet unter den schlechten Drehbüchern mal wieder Jess, die zwar an vielen Stellen ihre besondere Beobachtungsgabe und ihren scharfen Verstand herausstellen kann, in anderen Szenen dann aber mit ihren Freund*innen zusammen auf dem Schlauch stehen muss, weil es der Plot so braucht.

Sauer stößt auch der Umgang mit Generation Z auf, der die Hauptcharaktere unbestreitbar angehören. Die Serie ist sicherlich für ein jüngeres Publikum gemacht (unter anderem), doch der Umgang mit Social Media und Technologie ebenso wie mit dem Leben in einer Reihe prekärer Jobs wirkt unsicher und gezwungen. Mehr als einmal hat man das Gefühl, die Szene mache einen Moment Pause, weil das Drehbuch für die Erwähnung von Instagram Applaus erwartet oder weil außerhalb des Frames eine*r der Schauspielenden angesichts eines ausgelutschten Witzes mit den Augen rollen musste. Hier merkt man, dass das Schöpferpaar der Serie um die 60 ist. Etwas mehr junges Blut im Autorenteam hätte sicherlich geholfen.

© Disney Corporation
© Disney Corporation

Letztendlich scheitert an der zu selbstgefälligen und etwas konservativen Mentalität auch der Versuch von Sozialkritik. Es ist durchaus handlich für den Plot, dass die Held*innen dem FBI und den Behörden misstrauen, weil sie illegal im Land sind oder nicht weiß. Doch wenn Jess und Tasha nach viel Händeringen beim FBI vorstellig werden, nur um dort ein offensichtliches Lügengemenge aufzutischen und berechtigterweise wieder weggeschickt zu werden, wirkt das lächerlich und ist das beste Beispiel für Jess‘ flexiblen IQ. Die Serie kann noch so oft die problematische Seite der US-Geschichte und die Probleme des Polizeiapparats ansprechen. Wenn in der nächsten Szene eine idealistische FBI-Agentin versucht, mithilfe ihres wohlmeinenden Chefs die Sache zum Guten zu wenden, hebelt das jede echte Kritik an realen Missständen aus. Agentin Ross hat sogar eine eigene Liebesgeschichte und ihr Chef einen extrem humorigen, aber völlig unwichtigen Rückbezug zum ersten Film. Ross’ wesentlicher Beitrag in der Serie sind aber nur Kommentare zum Verhalten der Held*innen und mütterliche Enttäuschung, weil die Kids ihr nicht vertrauen wollen.

Die harten Fakten:

  • Regie: Nathan Hope, Sherwin Shilati, Kevin Alejandro u.a.
  • Darsteller*in(nen): Lisette Olivera, Catherine Zeta-Jones, Jake Austin Walker u.a.
  • Erscheinungsjahr: 2022/2023
  • Sprache: Englisch
  • Format: Streaming, ca. 45 Minuten pro Episode
  • Preis: im Abo enthalten
  • Bezugsquelle: Disney+

 

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

PGlmcmFtZSBsb2FkaW5nPSJsYXp5IiBjbGFzcz0ieW91dHViZS1wbGF5ZXIiIHdpZHRoPSI2OTYiIGhlaWdodD0iMzkyIiBzcmM9Imh0dHBzOi8vd3d3LnlvdXR1YmUtbm9jb29raWUuY29tL2VtYmVkL1FPVEtXdUlsbWg4P3ZlcnNpb249MyYjMDM4O3JlbD0xJiMwMzg7c2hvd3NlYXJjaD0wJiMwMzg7c2hvd2luZm89MSYjMDM4O2l2X2xvYWRfcG9saWN5PTEmIzAzODtmcz0xJiMwMzg7aGw9ZGUtREUmIzAzODthdXRvaGlkZT0yJiMwMzg7d21vZGU9dHJhbnNwYXJlbnQiIGFsbG93ZnVsbHNjcmVlbj0idHJ1ZSIgc3R5bGU9ImJvcmRlcjowOyIgc2FuZGJveD0iYWxsb3ctc2NyaXB0cyBhbGxvdy1zYW1lLW9yaWdpbiBhbGxvdy1wb3B1cHMgYWxsb3ctcHJlc2VudGF0aW9uIGFsbG93LXBvcHVwcy10by1lc2NhcGUtc2FuZGJveCI+PC9pZnJhbWU+

 

Fazit

National Treasure: Edge of History hat viele Probleme. Und doch habe ich persönlich Spaß daran. Ich werde die erste Staffel zu Ende schauen und dann hoffen, dass die Serie mit einem neuen, jüngeren Team hinter den Kameras erneuert wird. Die Leistungen der Schauspieler*innen hier werden vermutlich niemanden zu internationalem Ruhm katapultieren. Doch Können mischt sich mit Freude an der Sache und sie haben größtenteils eine sympathische Dynamik miteinander. Viele der einzelnen Versatzstücke sind spaßig und teils auch schön geschrieben. Sie lassen zeitweise nicht nur das Feeling der Filme wieder aufleben, sondern frischen es auch dezent auf.

Und doch, zwischen den coolen Momenten wirkt das Füllmaterial spröde. Die Schwächen des Plots und die halbgare Modernisierung idealistischer bis kolonialistischer Abenteuerfilm-Tropen hinterlassen gerade angesichts der gewählten Themen einen sauren Beigeschmack. Oder sie langweilen einfach. Wer handwerklich nicht die höchsten Ansprüche hat und solide Abenteuerkost oder gute Vibes sucht (und Disney+ eh schon abonniert hat), kann aber Spaß haben.

  • Kreative Situationen

  • Sympathische Dynamik der Figuren

  • Starke Gastauftritte

 

  • Ideen passen nicht zueinander

  • Unnötige Twists und Plotlinien

  • Verstaubter und jugendfeindlicher Humor

 

Artikelbilder: © Disney Corporation
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein