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Qualmend schleppt sich der Konvoi durch eine mit Schnee bedeckte Landschaft. Von einem provisorischen Geschützturm aus beobachtet eine Scharfschützin die umliegenden Hügel. Ihr Atem bildet einen feinen Nebel. Plötzlich brechen die Wolfsreiter mit ihren schweren Motorrädern unter der Deckung einer kleinen Anhöhe hervor. Es wird Zeit, die Aurora zu erreichen.

Wer wird die Aurora rechtzeitig erreichen?

Inmitten der eisigen Landschaft des Nordens kämpfen bis zu vier Spielende um das nackte Überleben. Dabei steht eine wilde Hetzjagd mit aufgemotzten Kisten im Vordergrund der Handlung. Wer jetzt an Mad Max: Fury Road im Eis denkt, ist fast auf dem richtigen Dampfer. In dem Brettspiel Last Aurora hat ein radioaktiver Staub den Norden in eine Eiswüste verwandelt. Einige Konvois machen sich mit Überlebenden auf den Weg zu dem Eisbrecher Aurora: Die letzte Chance, Banditen und anderen Gefahren des ewigen Winters zu entkommen.

Last Aurora ist in erster Linie ein Optimierungsspiel mit leichten Deck-Building-Komponenten und einem Racing-Mechanismus. Aufgrund der Spiel-Mechaniken und der vorausschauenden Planung ist es von leichter bis mittlerer Komplexität und richtet sich primär an Spielende mit erster Erfahrung von komplexeren Titeln.

Triggerwarnungen

Tod

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Spielablauf

Die Spielenden übernehmen jeweils die Führung eines Konvois mit anfangs zwei Überlebenden. Ziel ist es, innerhalb von sechs Runden die sich immer weiter entfernende Aurora zu erreichen. Auf dem Weg dahin gilt es neue Überlebende aufzusammeln, sich gegen Banditen zu wehren und sowohl den eigenen Konvoi aufzurüsten als auch genügend Rohstoffe einzusammeln.

Das eigene Spieltableau gilt es in Last Aurora auszubauen.

Neben dem großen Spielbrett mit einer Landkarte haben die Spielenden ein eigenes Tableau vor sich liegen. Auf der rechten Seite wird oben der Konvoi mit Anhängern und Aufbauten aus- und aufgebaut wie auch mit Rohstoffen und Personal gefüllt. Unten rechts befinden sich die aktiven Besatzungsmitglieder, deren Sondereffekte genutzt werden können oder die in der ersten Runden-Phase zum Erwerb von neuen Karten genutzt werden können. Die Mitglieder, die für den Erwerb neuer Karten genutzt wurden, werden links oben vom Tableau in den „Erschöpft“-Bereich abgelegt.

Das Bergwerkslager kann für zwei Punkte erworben werden und gibt wichtige Rohstoffe.

Jede Runde beginnt mit der Erkunden-Phase und damit mit der Möglichkeit, Karten aus der Auslage zu erwerben. Aus fünf Slots lassen sich fünf verfügbare Karten erwerben. Der Slot ganz links weist immer Kosten von eins auf, während der ganz rechte Bereich drei Punkte kostet. Die übrigen Slots kosten stets zwei Punkte. Als zusätzliche Belohnung kann man darüber hinaus noch die über dem Slot abgedruckten Sofortboni und/oder -strafen in Anspruch nehmen. Wird eine Karte erworben, rutschen die Karten rechts davon auf und es wird sofort eine neue Karte gezogen. Bereits beim Kauf gibt es die ersten weitreichenden taktischen Überlegungen durchzuführen. Besatzungsmitglieder mit guten Sonderfähigkeiten wird man versuchen zu halten und statt mit ihnen neue Karten zu kaufen. Neue Karten sind aber essenziell, um sich besser auszurüsten, genügend Ressourcen für einen Kampf oder einfach nur für die Bewegung zu haben. Bereits in dieser Phase wird einem der Mangel an Ressourcen und Möglichkeiten vor Augen geführt und eine gute Priorisierung und notwendiges Taktieren entscheiden über Stillstand oder Voranschreiten. Trotz allen Taktierens kann es leider vorkommen, dass man dringend benötigte Karten kaum bis gar nicht bekommt, wenn die anderen Spielenden diese vor der Nase wegkaufen. Das ist selten böse Absicht, sondern oft bitterere Unvermeidbarkeit.

Die Spielfläche wird von der Landkarte dominiert.

In der darauffolgenden Ruhen-Phase werden ruhende Mitglieder wieder in den aktiven Bereich des Spieltableaus geschoben, während die erschöpften Mitglieder in den ruhenden Bereich wandern. Zu Beginn dieser Phase lassen sich mit Nahrung Mitglieder vorher in den ruhenden Bereich schieben. Damit spart man sich eine Runde warten auf den Charakter.

Als Nächstes folgt die Bewegungsphase. Hat man in den Runden gut gewirtschaftet oder sich die Ressource Treibstoff besorgt, darf man den Konvoi auf der Karte weiterbewegen. Die Anzahl der Felder ist unter anderem vom vorhandenen Zugfahrzeug und Treibstoff-Vorrat abhängig. Auf einigen Feldern der Landkarte sind Belohnungen oder Bestrafungen ausgelegt, die man erhält, sofern der Zug auf diesem Feld endet. Zudem gibt es Abkürzungen, die allerdings nur von bestimmten Zugfahrzeugen befahren werden dürfen. Am Ende dieser Phase wird die Reihenfolge der Spielenden neu sortiert. Der Konvoi, der der Aurora am nächsten ist, kommt in der folgenden Kampfphase als Erstes dran, wird aber in der nächsten Runde als letzter von der Kartenauslage kaufen dürfen.

Der Kampf wird mit Karten simuliert, bleibt aber ein Zufallselement.

In der vierten Phase kann es zum Kampf kommen. Allerdings kämpfen die Spielenden nicht gegenseitig, sondern mehr oder weniger gemeinsam gegen die Angreifenden. Es kommt allerdings nur zum Kampf, wenn mindestens eine Banditenkarte in der Kartenauslage ausliegt. Diese werden nun aus der Auslage entfernt und in bestimmte Landkartenabschnitte abgelegt. Ein Kampf läuft in drei Schritten ab. Zunächst werden alle Konvois, die sich in demselben Bereich wie die Banditen befinden, überfallen. In dieser Runde bekommen alle einen Schaden, an einer bestimmten Stelle im eigenen Konvoi. Ist dieser Teil – insbesondere Anhänger oder Aufbauten – nicht vorhanden, erhält man auch keinen Schaden. Nach diesem Schritt greifen die Spielenden in Reihenfolge an. Dies können sie wiederum nur machen, wenn sie eine funktionierende Waffe und entsprechende Munition gesammelt haben. Statt Würfel wird zum Abhandeln eine Kampfkarte gezogen, die dann per Zufall die Schadenspunkte angibt. In der Regel sind mehrere Schüsse auf die Banditen notwendig, um sie zu eliminieren. Hat man selbst keine Munition mehr, ist die nächste Person am Drücker. Für jeden Treffer platziert man neben den Schadenspunkten noch einen eigenen Marker auf den Angreifenden. Sobald die Banditen besiegt wurden, wird ebenfalls per Kartenglück ermittelt, wer die Beute erhält. Das kann leider dazu führen, dass eine Person die meisten Schadenspunkte und sogar Marker auf einem Banditen platzieren konnte, aber eine andere Person mit gerade mal einem Trefferchen die Beute bekommt. In der ersten Testrunde wollte jede Person den Regelabschnitt zur Sicherheit selbst lesen. Es wirkt ziemlich ungerecht, gerade wenn man ordentlich Material in Form von Munition benutzt hat und eventuell durch besonderes Kartenpech sogar die eigene Waffe beim Schießen zerstört wurde. Im letzten Schritt greifen die übrigen Banditen die Konvois der Spielenden zeitgleich an. Unabhängig von dem Ausgang endet nach dem Angriff die vierte Phase. Sind noch Banditen übrig und ist man in der nächsten Runde in dem Gebiet geblieben, muss man sich den Angreifenden erneut in einer Kampfrunde stellen.

Der aufgeladene Turbotruck sieht schon ganz gut ausgestattet aus.

In der fünften und letzten Phase wird die Aurora weitergezogen und die Kartenauslage aktualisiert. In der sechsten Runde entfällt diese Phase zugunsten der Ermittlung von Siegpunkten. Ob jemand die Aurora erreicht hat oder nicht, ist fast nebensächlich. Die Personen, die am weitesten vorn auf der Strecke sind, bekommen einen Punkt je Vorsprung zum letzten Konvoi. Zusätzlich werden Ruhmpunkte, die man für das Bekämpfen von Banditen erhalten kann, hinzuaddiert, wie auch unbenutzte Ausrüstungskarten und Siegpunkte auf den unterschiedlichen Karten in der eigenen Auslage.

Sofern das Schiff erreicht wurde, werden außerdem noch gesunde Besatzungsmitglieder dazu gezählt. Andernfalls bekommt man für jede vollständig intakte Konvoi-Karte einen Punkt.

Tatsächlich offenbart sich bei der Punkteabrechnung, dass es meist viel effizienter ist, seinen eigenen Konvoi in Schuss zu halten, die Besatzung zu pflegen und lieber etwas langsamer zu reisen als die Aurora zu erreichen. In den Testspielrunden stieß die Abrechnung oft auf Unverständnis. Schließlich wirkt das ganze Spiel, der Flavourtext und das Setting wie ein Racing-Game.

Ausstattung

Last Aurora lässt spätestens nach dem Entfalten des Spielplans die Augen aufleuchten. Eine detaillierte gezeichnete Eislandschaft, an deren Ende die kleine Holzfigur der Aurora Platz findet, breitet sich vor den Spielenden aus. Auf dem deutschen Cover prangt das namensgebende Schiff dominant auf dem Karton. In der ursprünglichen Variante wird eine wilde Hetzjagd auf einen brennenden und aufgemotzten Konvoi gezeigt. Persönlich empfinde ich diese Originalpackung deutlich passender zu dem Setting. Gleichwohl zeigen die internationale und die deutsche Version, dass es sich um ein actionlastiges Spiel handelt.

Das englische (links) und deutsche (rechts) Cover unterscheiden sich.

Die Aurora ist als kleine Holzfigur gefertigt beigelegt und präsentiert sich entsprechend schön auf dem Spielplan. Die eigenen Konvois werden leider nur durch dünne Holzscheiben dargestellt. Das ist zwar Nörgeln auf hohem Niveau, aber optisch und haptisch hätten sich kleine Holzautos deutlich besser auf dem Spielplan gemacht.

Dystopische Anklänge an eine harte Welt.
Ressourcen, Schaden und Verstrahlung – das Material ist von guter Qualität.

Die Karten sind allesamt wunderbar illustriert und in einem sehr realitätsnahen Stil gezeichnet. In einigen frühen Spielrezensionen von Kolleg*innen wird oft das mangelnde Gendern des Spiels bemängelt. In der Anleitung und bei den Banditen ist dies sicherlich immer noch so, aber die Charaktere im Spiel sind durchaus divers gestaltet. Hier wurde vielleicht aufgrund der Kritik noch einmal Hand an das Spiel gelegt. Es konnte nicht nachvollzogen werden, ob gegebenenfalls die englischen Neuauflagen angepasst wurde. In der deutschen Version sind die Rollen zumindest gleich verteilt. Das Regelheft ist im Übrigen mit zahlreichen Beispielboxen (25 Stück) versehen. Das ist auch nötig, da der reine Regeltext manchmal unnötig kompliziert erschien.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Grimspire (Pendragon Game Studio)
  • Autor*in(nen): Mauro Chiabotto
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60 bis 90 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Preis: ca. 38 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon (englisch), idealo (englisch), KuTaMi

 

Bonus/Downloadcontent

Der Verlag hinter Last Aurora ist Grimspire, die unter anderem durch so gewaltige Titel wie Destinies und Dice Throne für viele Stunden Spielspaß gesorgt haben. Auf der Verlagswebseite lässt sich als zusätzliches Material neben den bereits erhältlichen Erweiterungen noch eine schön gestaltete Spielmatte statt Landkarte käuflich erwerben.

Auf der Seite vom Pendragon Game Studio lassen sich sowohl die englischen als auch deutschen Regeln herunterladen. Auch lohnt sich ein Blick auf die Seite von Boardgamegeek zu dem Spiel. In der Datei-Abteilung gibt es eine Vielzahl an englischsprachigen Spielhilfen.

Zudem ist mittlerweile die Erweiterung Project Athena erhältlich. Wir haben diese nicht angespielt und können daher keine weiteren Aussagen dazu treffen. Laut Beschreibung ist eine neue Landkarte enthalten, die für mehr Abwechslung sorgen kann.

Fazit

Mittels Karten baut man sich seinen Wunschkonvoi zusammen.

Es ist noch nicht lange her, da hat uns Frosted Games mit Frostpunk ordentlich zum Bibbern und Optimieren gebracht. In arktische Stimmung versetzt auch das Artwork von Last Aurora. Die Luft schmeckt nach Benzin und es riecht nach Schwarzpulver. Der immersive Charakter des Brettspiels kommt ausgezeichnet durch die Grafiken und Illustrationen zum Vorschein. Kleine Truck-Miniaturen statt langweiliger Holzscheiben hätten sich optisch besser neben dem kleinen Schiff aus Holz auf dem Tisch präsentiert, aber das ist mehr Jammern als Kritik.

Das reine Spielgefühl ist differenzierter. Das Spiel lädt förmlich dazu ein, am schnellsten bei dem Eisbrecher Aurora ankommen zu wollen. Bereits nach der ersten Partie merkt man, dass das nicht so wichtig ist, wie möglichst voll aufgerüstet und repariert hinterher zu tuckern. Der gefühlte Racing-Mechanismus entpuppt sich zu sehr als Tableau-Optimierung. Gerade diese ist leider viel zu abhängig von der Kartenauslage.

Die Aurora zu erreichen ist nur ein vorgeschobenes Ziel. Tatsächlich steht die Ressourcen-Optimierung im Vordergrund.

Die zu kaufenden Karten und die Kämpfe sind stark durch Fortuna dominiert. Ist das bei der Kartenauslage noch halbwegs zu verkraften, fühlt man sich beim Kampf hintergangen, wenn man mit einem wahren Feuerwerk und durch hohen Ressourceneinsatz den Banditen heftigen Schaden zugefügt hat. Nur damit der nächste Konvoi mit einem einzigen Treffer den Banditen besiegt und dann mit Glück auch noch die Beute abkassiert.

Unbestritten dicht wirkt die Atmosphäre durch den stetigen Mangel an Nahrung, Benzin und Munition. Die Mangelverwaltung ist hervorragend in das Spiel integriert. Jeder Schaden durch die Banditen wirkt sich auf dem raren Platz des Konvois aus. Und manchmal wird man bei der Entscheidung zwischen den genannten Ressourcen und einem (unwichtigen) Charakter in eine moralische Zwickmühle geführt.

Am Ende landete Last Aurora doch nicht so gern auf dem Spieltisch, wie erhofft. Gerade die Wiederholungstäter*innen in den Testrunden waren gefrustet von dem glückslastigen Kampfsystem. Damit bleibt die Fahrt durch die Eislandschaft im Mittelmaß stecken und bekommt von uns solide drei von fünf eisigen Daumen.

 

  • Tolles Artwork
  • Immersiver Wettlauf zum rettenden Schiff
  • Kaum Downtime

 

  • Wettlauf ist nicht relevant für den Sieg
  • Mechaniken eher langweilig
  • Glückslastige Kartenauslage und Kämpfe

 

Artikelbilder: © Grimspire
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Giovanna Pirillo
Fotografien: Horst Brückner
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