Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Mit Hitster und ähnlichen Titeln sind Partyspiele mit Musik in das Brettspiel-Regal eingezogen. Wird es Zeit, dass auch ein Eurogame mit musikalischem Hintergrund einen Platz im heimischen Schrank ergattern kann? Lacrimosa entführt die Spielenden in die Welt eines weltberühmten Komponisten, geprägt von seinen letzten Atemzügen und einem unvollendeten Stück Musikgeschichte.

Das Wort Lacrimosa lässt sich immer mit Musik in Verbindung bringen. Sei es mit der Metalband oder direkt mit Wolfgang Amadeus Mozart, der am 5. Dezember 1791 verstorben ist. Um letztgenannten geht es auch bei dem vorliegenden Brettspiel Lacrimosa. Auf seinem Sterbebett hat er noch an einer Auftragsarbeit komponiert. Sein letztes Werk ist ein kirchliches Requiem in d-Moll und wird im Köchelverzeichnis mit der Nummer KV626 geführt. Das Werk ist unvollständig geblieben und der letzte Satz der Sequenz, das Lacrimosa, endete nach acht Takten.

Die nun verwitwete Constanze Mozart war auf das Geld der Auftragsarbeit angewiesen, da unter anderem die erste Hälfte bereits ausgezahlt wurde. Sie beauftragte Mozarts Schüler mit der Fertigstellung der Partitur. Maßgeblich haben die beiden Komponisten Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr dazu beigetragen, dass die Arbeit abgeschlossen wurde. Beide Personen werden auch im Spiel auftauchen.

Fälschlicherweise wurde ebenfalls Franz Jakob Freystädtler als Autor vermutet. Mittlerweile konnte seine Mitwirkung durch handschriftliche Proben ausgeschlossen werden. Im folgenden Spiel kann er immer noch als einer der Komponisten ausgewählt werden.

Der langen Einleitung ist bereits zu entnehmen: Mit Lacrimosa kommt ein thematisches Spiel auf den Tisch. Was hinsichtlich der Spielmechanik zu erwarten ist, verraten wir im Artikel.

Triggerwarnungen

Tod, Trauerbegleitung

[Einklappen]

 

Spielablauf

Das Spielfeld macht bereits einiges her.

Musik ist in unserem fantastischen Hobby kaum wegzudenken. Seien es die Barden im LARP, Hilfswerkzeuge für die Atmosphäre im Rollenspiel oder natürlich die Untermalung unserer liebsten Videospiele. In Crowdfunding-Kampagnen zu Brettspielen wird mittlerweile ebenfalls gern als zigtausendstes Add-on noch mit einem Soundtrack gelockt. Diese können beispielsweise, wie bei Septima gehört, ebenfalls gut in das Thema einführen. In Lacrimosa ist die Musik das Thema des Spiels.

Die Spielenden buhlen um die Gunst von Constanze Mozart und versuchen Komponisten anzuheuern, die die Auftragsarbeit des jüngst verstorbenen Wolfgang Amadeus Mozart vollenden sollen. Außerdem wird die Witwe mit Aufführungen ihres Mannes und dem Schwelgen in Erinnerungen durch die Spielenden in ihrer Trauer begleitet.

Das Spiel wird über fünf zeitliche Epochen von Mozarts Leben gespielt. In jeder Epoche haben die Spielenden vier Züge zur Verfügung, wobei die einzelnen Züge abwechselnd nacheinander durchgeführt werden. Gerade im Spiel mit zwei oder drei Personen reduziert dies die Wartezeit zwischen den eigenen Zügen. Im Spiel zu viert fällt die Downtime naturgemäß länger aus, wirkt aber trotzdem nicht als zu lang. Das Spielgeschehen spielt sich zum einen auf dem großen Spielbrett ab und zum anderen auf dem jeweiligen Tableau.

Das Spieltableau ist haptisch und optisch ein Hingucker.

Das Tableau dient in erster Linie zur Planung der Aktionen. Den Spielenden steht ein Kartendeck aus neun Aktionskarten zur Verfügung. Dieses Deck lässt sich im Rahmen des Spiels ausbauen, aber die Anzahl an Karten bleibt dabei identisch. In dem eigenen Zug wählt man von den Handkarten zwei aus und steckt diese in die erste freie Spalte des zweilagigen Tableaus. Für jeden Zug stehen vier Spalten mit je einem Slot oben und unten zur Verfügung. In den oberen Schacht wird die Karte eingesteckt, deren Aktion man ausführen möchte. In den unteren Schacht wird eine Karte eingesteckt, deren Ressource man am Rundenende erhalten will. Die Schächte sind so gestaltet, dass man von den Karten nur noch den entsprechenden Teil sehen kann. Am Rundenende stecken also acht Karten im eigenen Tableau. Die vier oberen hat man bereits abgehandelt, während die vier unteren das Einkommen darstellen und damit die Ressourcen für die nächste Epoche sichern.

Wer hier am besten im Voraus planen kann, hat genügend Ressourcen für das große Spielbrett übrig. Dieses unterteilt sich in drei Zonen, auf denen die Aktionen ausgeführt werden.

Das Startdeck in seiner vollen Pracht: oben Aktionen und unten Ressourcen.

Im oberen Bereich liegen Erinnerungs- und Opus-Karten aus. Mit den dazugehörigen Aktionskarten lässt sich die entsprechende Karte erwerben. Erinnerungskarten kommen in das Spieltableau und ersetzen dort die untere Karte des momentanen Zuges. Die neue Karte erhält man zur nächsten Epoche auf die Hand zurück. Sie bietet in der Regel deutlich stärkere Aktionen oder mehrere Aktionen auf einmal an. Das Opus wird als offene Karte vor dem Spielenden ausgelegt. Dank zwei weiterer Aktionskarten lässt sich das Opus später entweder verkaufen, und generiert damit meist ein verbessertes Einkommen zur nächsten Epoche, oder aufführen, was sofort Bargeld generiert. Thematisch sind die Opera tatsächlich mit der zeitlichen Epoche des Spielgeschehens verbunden.

Startort aller Reiseaktivitäten ist Mozarts Geburtsstadt Salzburg.

Im mittleren Bereich kann man die Städte und Wirkungsstätten des Künstlers besuchen. Mit der entsprechenden Aktionskarte, ausreichend Geld und den notwendigen Ressourcen lässt es sich quer durch Europa reisen. Als Ziele lassen sich Städte mit kleinen oder großen Plättchen ansteuern. Die kleinen Plättchen geben sofortige Boni im Sinne von Ressourcen, Siegpunkten oder die Durchführung einer bestimmten Aktion. Die großen Plättchen geben eher kleine Boni und dienen zusätzlich für die aktive Person als Siegendbedingung. Diese gilt es im Laufe der Partie noch zu erfüllen. Die Bedingungen können unter anderem das Sammeln von unterschiedlichen Opera oder die Komposition von verschiedenen Sätzen in dem Requiem beinhalten.

Ausschnitte des Requiems mit der passenden Aktionskarte oben links.

Die Vervollständigung des Requiems ist der letzte Abschnitt des Spielbretts. Von dem eigenen Spieltableau wählt man eines der Instrumente (Spielstein mit einer Note) aus und platziert diesen auf ein entsprechend freies Feld. Dabei muss einer der beiden Komponisten gewählt und der Preis in Geld und/oder Ressourcen bezahlt werden. Als kleine Belohnung gibt es entweder einen Soforteffekt oder einen dauerhaften Bonus. Am Spielende wird eine kleine Mehrheitenberechnung durchgeführt und entsprechende Siegpunkte je Requiem-Abschnitt verteilt.

Mechanisch hat Lacrimosa damit einiges zu bieten, ohne dabei überladen zu wirken. In jeder der fünf Spielepochen versucht man das eigene Deck für die nächste Runde zu optimieren. Auf der Reise durch Europa fühlt es sich wie ein Renn-Spiel an, wenn jemand Mozart bewegt und damit eines der gewünschten Stadtplättchen wegschnappt. Bei der Komposition des Requiems kommt es zu kleinen Machtkämpfen wie bei einem Area-Control. Die Palette an Aktionsmöglichkeiten ist so ausbalanciert, dass es stets genügend Auswahl gibt und in der Regel keine unnötigen Züge gemacht werden müssen. Auch wird sich bei mehreren Spielenden nicht auf eine Person eingeschossen. Damit ist der Konfliktanteil grundsätzlich gegeben, aber weit davon entfernt ein konfrontatives Spiel wie in etwa Bloodrage oder Black Rose Wars zu sein. In Partien zu zweit hat man so viel Möglichkeiten, dass es sogar solitär wirkt.

Solist*innen

Die Stimmgabel zeigt die Startperson an (die echte ist aus dem eigenen Haushalt).

Das Spiel bringt ein eigenes Deck für Emanuel Schikaneder mit – den Gegenspieler bei der Solo-Variante. Auch wenn für ihn kein Ressourcen-Management notwendig ist, funktioniert das Management des Aktionsmechanismus wie im Einzelspiel. Dies wird mittels des Kartendecks ähnlich wie bei dem Mehrpersonen-Spiel abgehandelt. Es gibt einzig ein paar neue Symbole für die untere Tableauleiste. Diese geben an, wie genau die oben angelegte Aktion ausgeführt werden soll.

Der Pflegeaufwand ist stark reduziert, sodass man sich weiterhin gut auf die eigenen Züge fokussieren und konzentrieren kann. Allerdings kam in einer einzelnen Testrunde kaum Spielspaß auf, da das Spiel im Solo-Modus zu solitär ist. Diese Erfahrungen haben wir daher nicht in die eigentliche Bewertung des Spiels einfließen lassen. Da gibt es deutlich bessere Solo-Spiele.

Ausstattung

Materialschlacht nach dem Entpöppeln – eine Sortierhilfe wäre schön gewesen.

Artwork ist immer Geschmacksache. Als ich aber das erste Mal auf Lacrimosa aufmerksam geworden bin, dachte ich, was für ein bluttriefendes Titelbild. Am Ende passte das Titelbild dann irgendwie nicht zu der gelesenen Spielbeschreibung und erst recht nicht zu dem freundlich hellen und aufgeräumten Spielbrett. Tatsächlich konnte ich eine ähnlich irritierende Wahrnehmung auch in diversen Spielrunden ausmachen.

Der Schockmoment endete leider nicht nach dem Öffnen des Kartons und Entpöppeln des Spielmaterials. Ein Haufen Material ohne Sortierung und mit zu wenig Tüten. Chaos im Karton. Der Ursprungsverlag Devir Games investiert bedauerlicherweise wenig in die Ordnung im Karton selbst und gerade bei Spielen mit viel Material verzögert dies den Aufbau enorm und am Ende geht kostbare Spielzeit verloren. Schade eigentlich.

Die Materialien sind klasse.

Ins Stottern oder besser gesagt ins Stakkato versetzt auch das Lesen des Regelheftes. Eigentlich sind die Regeln sehr einfach am Tisch zu erklären. Die Ikonographie auf Karten und Spielbrett gibt einen Hinweis, in welcher Region des Brettes eine Aktion nutzbar ist. Selbst die Anordnung der Ressourcen auf dem Spielbrett sind den drei Regionen auf dem Spielbrett nach aufgereiht. Umso so schlechter ist das Heft geschrieben. Die erste Hälfte wird man mit Begriffen und Grundmechaniken überhäuft, die erst im letzten Teil erklärt werden. Mit dem Wissen muss man nun aber noch einmal alles lesen, weil die Erläuterungen erst jetzt einen Sinn ergeben. Zudem sind auch nicht alle Stadtplättchen in ihrer Bedeutung beschrieben.

Das Spielmaterial ist durchweg hochwertig produziert. Hier werden auch Vielspielende lange Spaß haben und kaum Verschleiß erkennen können. Besonders hervorzuheben sind die Spieltableaus, die die Aktionskarten aufnehmen. Die Double-Layer-Boards fassen zum einen die erwähnten Karten tadellos als auch die Marker für die unterschiedlichen Einkommens- wie auch Ressourcenleisten. Alle Pappmarker und -plättchen sind aus wirklich dickem Material. Haptisch passt hier alles ausgezeichnet zusammen.

 

Die harten Fakten:

  • Verlag: Kosmos (Devir Games)
  • Autor*in(nen): Gerard Ascensi, Ferran Renalias
  • Illustrator*in(nen): Jared Blando, Enrique Corominas
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 90 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Preis: ca. 50 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Homepage von Devir Games befindet sich ein sehr stimmungsvoller Video-Trailer zu dem Spiel.

Mit dem selbst gedruckten Inlay ist gleich viel mehr Ordnung im Karton.

Der Kosmos Verlag hat leider Abstand davon genommen, die Regeln online zur Verfügung zu stellen. Wer aber trotzdem einen Einblick in das Regelwerk genießen möchte, wird auf der entsprechenden Seite von Boardgamegeek fündig. Für Solist*innen findet sich hier darüber hinaus eine kleine Spielhilfe zum Download.

Bei wem das Spiel im Regal verweilen darf, wird man sich sicherlich über kurz oder lang für ein Inlay interessieren. Auf Amazon finden sich verschiedene Varianten aus Plastik oder Holz. Wer über einen 3D-Drucker verfügt, kann selbstverständlich selbst zu einem Organizer kommen. Mit diesem ist das Spiel deutlich schneller auf-/abgebaut und verstaut.

 

Fazit

Lacrimosa spaltet die Geister in meinen Testrunden. Da gab es viele Personen, die durch das Titelbild angefixt waren und bei der Vorstellung des Themas enttäuscht abgewunken haben. Dann gab es diejenigen, die schon aufgrund des Titelbildes keine Lust hatten und erst durch das Thema überzeugt wurden. Ein holpriger Start, um meine Spielgemeinschaften für das Eurogame an den Tisch zu locken.

Lacrimosa bringt ein schönes, verspieltes Artwork mit.

Irgendwann landet dann das Material auf dem Tisch. Die Personen, die bereits vom Karton angelockt wurden, schauten dann auf die hellen und freundlichen Farben des Spielbretts und blickten mich verwirrt an. Zweiter Fehlstart. Und dass, obwohl alle dem Spiel erst einmal extrem hochwertiges und tolles Material bescheinigen. Insbesondere die Spieltableaus machen einiges her.

Die erste positive Reaktion kommt meist nach der recht schnellen Regelerklärung. Ikonographie ist einleuchtend und sehr stringent eingehalten, Ressourcen sind klar zugeordnet und die Aktionen sind schnell verständlich – und das für ein Eurogame im Bereich für Vielspielende. Lacrimosa mutet trotz des ähnlichen Aktionsmechanismus wie bei Skymines nicht wie ein Spiel auf diesem fortgeschrittenen Niveau an. Aufgrund des leicht solitären Charakters und des einfachen Einstiegs ist es eher an der Grenze zwischen Familienspiel und Spiel auf Kenner*innenniveau anzusiedeln.

Mit Lacrimosa können zwei bis vier Spielende ein schönes Stück Musikgeschichte schreiben. Im Spiel zu dritt ist die Balance zwischen Interaktion und Downtime am besten – in anderer Personenanzahl aber auch immer noch einwandfrei spielbar. Hier muss die entsprechende Spielgruppe für sich bewerten, welche der genannten Faktoren wichtiger sind.

Die stimmige Thematik und die Umsetzung von Mozarts Leben hat uns gut gefallen. Da lassen wir gern vier von fünf Noten auf der Bewertungs-Klaviatur erklingen.

  • Thema sehr gut umgesetzt
  • Gute Ikonographie
  • Hochwertige Komponenten
 

  • Chaos im Karton
  • Schlecht strukturiertes Regelheft
  • Titelbild passt nicht zum Thema

Artikelbilder: © Kosmos
Layout und Satz: Andreas Hübner
Lektorat: Denise Hollas
Fotografien: Horst Brückner

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel enthält Affiliate-Links. Durch einen Einkauf bei unseren Partnern unterstützt ihr Teilzeithelden, euer Preis steigt dadurch nicht.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein