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Wenn im Herbst die Nächte länger und die Tage kürzer werden, ist es wieder einmal Zeit für gepflegten Grusel. Schaurige Wesen wie Geister, Zombies und natürlich auch Werwölfe, im Fokus des Sets, wollen im ältesten und besten Sammelkartenspiel der Welt erkundet werden. Das Lesen dieser Zeilen erfolgt auf eigene Gefahr.

Mit dem Mitte September erschienenen Set Innistrad Mitternachtsjagd von Wizards of the Coast kehren wir ähnlich wie bei Ravnica und Theros in den letzten Jahren wieder in eine bekannte Welt des Multiversums von Magic the Gathering zurück. Es scheint, die Küstenmagier von WotC haben einen Sinn für den Manawert von Nostalgie. Die Rückkehr nach Innistrad war von begeisterten Spieler*innen lang erwartet. Anders als im ersten Ausflug nach Innistrad würde es heutzutage allerdings eine Teilung des Sets in seine zwei populärsten Stämme geben. Den Beginn machen die Werwölfe, während sich später im Winter die Vampire die Ehre geben. Mit Innistrad Mitternachtsjagd haben wir nun ein Set, das sich insbesondere um die felligen Vertreter von Gewalt und Wut dreht. Besonders die Freund*innen von Werwolf: die Apokalypse aus der Welt der Dunkelheit durften sich auf neue Garou freuen. Wurden die Erwartungen erfüllt? Wie spielt sich das Set im Format Limited? Und hatte Innistrad Mitternachtsjagd einen dauernden Einfluss auf die Eternalformate?

Mechaniken

Grundsätzlich kehren in diesem Set zwei altbekannte Mechaniken wieder: beidseitige Karten in Gestalt der Werwölfe und das Friedhofsthema mit den Zombies. Letztere haben in diesem Set einen neuen Twist bekommen. Mehr dazu gleich bei den Schlüsselwörtern unter „Verwesung“.

Innistrad Mitternachtsjagd brachte uns einen neuen globalen Status sowie zwei komplett neue Schlüsselwörter. Dazu wurde ein etwas älteres Schlüsselwort wieder vermehrt eingesetzt.

Tag und Nacht

Der Zyklus von Tag und Nacht ist kein neuer in den Multiversen von Magic: the Gathering. Schon im originalen Innistrad gab es doppelseitige Karten, die man umdrehen durfte, gewisse Bedingungen vorausgesetzt.

In der Mitternachtsjagd wurde dieser Prozess jedoch als globaler Effekt vereinheitlicht. Sobald eine tagaktive Kreatur das Spielfeld betritt, wird es automatisch Tag. Das bleibt so, solange alle Spieler*innen in ihren Zügen Sprüche spielen. Sobald eine*r damit aussetzt, wird es Nacht, und zwar für alle Spieler*innen und all ihre Kreaturen auf dem Spielfeld, die somit auf ihre Nachtseite gedreht werden müssen. Ab diesem Moment kommen auch alle tagaktiven Kreaturen mit ihrer Nachtseite ins Spiel. Dieser Status endet, beziehungsweise wird es ein neuer Tag, sobald ein*e Spieler*in zwei oder mehr Sprüche in einem Zug gewirkt hat. Somit wird es im nächsten Zug wieder Tag.

Dieser Zyklus von Tag und Nacht ist einerseits irrsinnig atmosphärisch, aber auch etwas lästig im Spiel mit echten Karten. Magic the Gatherings beliebte Online-Variante MtG: Arena denkt da netterweise für einen mit und hat einen optisch sehr ansprechenden Tag- und Nachtwechsel. Zwar kann man mit den Fähigkeiten von Artefakten wie dem Celestus (dieser erlaubt das bewusste Wechseln zu Tag oder Nacht) diesen Zyklus etwas steuern , dennoch fühlt sich Tag und Nacht nicht besonders steuerbar an. Noch dazu müssen bei einem Wechsel von Tag zu Nacht und wieder zurück alle Spieler*innen ihre Kreaturen umdrehen. Das Umdrehen an sich wäre kein Problem. Da man aber heutzutage fast immer Kartenhüllen mit blickdichtem Rücken verwendet, muss man die einzelnen Karten auch alle heraus nehmen und wieder in die Hüllen eintüten. Bei mehreren Spieler*innen, etlichen Kreaturen und benutzten Hüllen wird das rasch umständlich.

Positiv ist aber, dass dieser Prozess vereinheitlicht wurde. Es ist nun endlich für alle Kreaturen entweder Tag oder Nacht. Und es ist definitiv zu begrüßen, dass die Bedingung, wann die Kreaturen transformiert werden, ebenfalls vereinheitlicht wurde.

Aufstören

Die Archetypen White Weenie und blaue Flieger erleben in diesem Set eine neue Auflage. Passend zum Grundthema, dass viele aggressive Werwölfe ein paar ordentliche (oder kleinere, dafür umso mehr) Blocker notwendig machen, bieten die Geister eine solide Mauer aus kleineren Kreaturen, welche nach und nach stärker und vielseitiger wieder kommen. Das einzige Manko ist leider, dass aufgestörte Kreaturen, wenn sie wieder sterben, gleich ins Exil gehen und ein nochmaliges Beschwören nicht möglich ist. Aber das sollte im Idealfall erstens nicht notwendig sein und ist zweitens sowieso mehr eine Domäne der Zombies.

Zunächst mit vielen kleinen Kreaturen zu blocken, welche dann im Laufe des Spieles stärker zurückschlagen, war schon immer spielbar. Genauso verhält es sich auch in diesem Set. Mit dem Geist des Patriziers bekommt dieser Stamm sogar einen Lord, der ihr Schlüsselwort zusätzlich noch billiger macht. Was möchte man mehr haben?

Hexenzirkel

„Hexenzirkel“ ist das erste völlig neue Schlüsselwort, das wir mit Innistrad Mitternachtsjagd erhalten. Die Menschen von Kessig vertrauen auf ihre Zirkel und werden stärker, je mehr und diverser sie werden. Deswegen erhalten alle Kreaturen mit dem Schlüsselwort Hexenzirkel Boni, sobald sich zumindest drei verbündete Kreaturen mit jeweils unterschiedlicher Stärke auf dem Spielfeld befinden.

Ich bin mir nicht ganz sicher, womit die Küstenmagier mit diesem Schlüsselwort hin wollten. Einerseits wollten sie sicherlich die Wichtigkeit der Diversität unter den eigenen Truppen bekräftigen. Das ist ja gut und schön, aber es fühlt sich nicht wirklich wie etwas an, dass ein Hexenzirkel tun würde. Die Fähigkeit ist sehr statisch und zieht Aufmerksamkeit dort weg, wo ich sie eigentlich brauche. Und die verliehenen Boni sind zwar ganz nett, aber nicht mehr. Damit bleibt ein „Meh“ übrig, obwohl Hexen und ums Überleben kämpfende Menschen viel Potenzial für Drama bieten. Schade, hier wäre definitiv mehr drin gewesen.

Auf der anderen Seite wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass drei Hexen ein sehr häufiges Motiv sind und unvollständige Hexenzirkel (also weniger als drei Hexen) häufig nicht so mächtig oder sogar komplett handlungsunfähig sind. Damit erscheint dieses Schlüsselword doch irgendwie logisch.

Verwesung

Unsere geschätzten Experten für Wiederverwertung haben in diesem Set ein eigenes neues Schlüsselwort erhalten, welches leider ziemlich einschränkend ist. Verwesende Kreaturen können nicht blocken. Auch die Frage, ob mit ihnen sofort angegriffen oder lieber erst abgewartet werden soll, ist gar nicht so einfach. Da sie nach dem Kampf automatisch zerstört werden, sofern sie in dieser Runde angegriffen haben, muss sich ihr*e Spieler*in immer fragen, ob man sofort mit allem, was man hat, angreifen soll, oder sich die Kreaturen lieber für eine größere Attacke später aufheben sollte. Und alles, was die Spieler*innen zu mehr Überlegungen in der Kampfphase zwingt, macht das Spiel interessanter.

Zusammen mit dem relativ hohen Anteil an guten Blockern in diesem Set kann man nur vermuten, dass Wizards of the Coast Bedenken hatte, dass zu viele gute Zombies ohne eine nachteilige Eigenschaft eine zu starke aggressive Strategie ermöglichen würden. Schade, gerade in diesem Set wäre eine ewige, alles überschlurfende untote Horde wie in Falkovnia ein spannender Antagonist geworden. Muss ja nicht immer das Gute gewinnen. Nichtsdestotrotz gesellen sich die Zombies als vollwertiger Stamm neben die Werwölfe, Geister und Menschen Innistrads. Es geht doch nichts über ein Familientreffen (auch, wenn manche der Gäste schon etwas untot sind).

„Pringels“ und Foils

Leider hat es Wizards of the Coast mit der Glanzbeschichtung ihrer Karten wieder einmal zu gut gemeint. Gerade bei einem Setting mit eher düsterem und schaurigem Hintergrund wirken die Foil-Karten weniger wie ein Premiumprodukt als vielmehr nervig, vor allem bei direktem Licht auf diese.

Dazu kommt die durch die Glanzfolie entstehende Krümmung der Karten, die der Professor vom Tolarian Community College gern liebevoll als Pringels-Biegung bezeichnet. Diese unerwünschte Krümmung der Karten kommt durch die Spezialbeschichtung zustande, welche die Karten glänzen lassen soll. Leider ist diese Beschichtung feuchtigkeitsempfindlich und zieht sich (und den Rest der Karte) zusammen, wenn sie mit Luftfeuchtigkeit in Berührung kommt. Diese lässt sich bei Spielkarten leider nicht wirklich vermeiden und ist teilweise so stark, dass man sie allein schon wegen der Spielbarkeit und der daraus resultierenden Markierung einzelner Karten glatt pressen muss.

Artworks und Full Art Länder

Auf der positiven Seite hat Wizards of the Coast wieder eine ganze Reihe an sehr schönen alternativen Artworks in einem neuen Zeichenstil für dieses Set aufgelegt.

Dabei haben wir sogar zwei Zeichenstile bekommen – einmal einen sehr bunt-satten Comicstil, andererseits einen schwarz-weißen Stil. Beide sind auf ihre Weise toll anzusehen. Absolut übertroffen hat sich Wizards aber mit seinen Full Art Ländern.

Die Premium-Länder sind dieses Mal richtige Kunstwerke geworden. Für Spieler*innen mit einem Herz für die Illustrationen der Sword-and-Sorcery Literatur der Siebziger und Achtziger sind diese Länder eine kleine Erinnerung (womit wir den Bogen zur Nostalgie geschlagen hätten).

Auswirkungen von Innistrad Mitternachtsjagd

Im Format Standard dürften von dem Ergänzungsset Mitternachtsjagd vor allem die Archetypen White Weenie und Dimir Kontrolle von den Karten aus dem Set profitiert haben. Andere Deckarchetypen machen von diesem neuen Set leider keinen allzu großen Gebrauch, vielleicht mit Ausnahme von Zombiespieler*innen.

Im Format Modern hätte ich lediglich noch Consider und Memory Deluge gesehen. Man merkt schon deutlich, dass das Set als nicht besonders kompetitiv in den verschiedenen Eternalformaten angesehen wird. Allein schon daran, dass es kaum Karten mit einem Einzelpreis bei lokalen Händler*innen von mehr als 20 EUR gibt. Was ja eigentlich eine absolut positive Nachricht ist – ein Set, dass mal nicht absolut zu stark ist und alle Sets danach in den Schatten stellt. Magic the Gathering (beziehungsweise die nach Powercreep hungernde Spieler*innenschaft) schafft es, gute Nachrichten mittelmäßig klingen zu lassen.

Alles in allem dürfte das Set ein wenig unter seinen direkten Vorgängern leiden: Während Modern Horizons 2 uns sehr viele sehr starke Karten brachte, konnten die Abenteuer in den Forgotten Realms mit der sehr bekannten Marke von Dungeons & Dragons aufwarten. Innistrad Mitternachtsjagd dürften da mehrerlei Probleme plagen: Erstens ist es kein übermächtiges Set, zweitens ist es durchaus möglich, dass Werwölfe nicht so stark ziehen wie Dungeons & Dragons davor oder die Vampire aus dem Blutroten Bund direkt danach. Ich mag mich aber natürlich irren.

Letzten Endes bleibt Innistrad Mitternachtsjagd ein Set für die Freund*innen von gepflegtem Folk Horror, einem moderat starken Kartenpool und einem schönen Draft an einem gemütlichen Herbst- und Winterabend unter Freund*innen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch und Englisch
  • Spieldauer: 15 Minuten bis zu mehreren Stunden, je nach Format
  • Spieler*innenanzahl: Ab zwei
  • Alter: Ab 13 Jahren empfohlen
  • Preis: um die 4 EUR für einzelne Draft Booster, etwa 5 EUR für einzelne Set Booster und circa 23 EUR für Sammler Booster.
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Innistrad Mitternachtsjagd ist ein tolles Set, wenn man weiß, worauf man sich einlässt. Es erwarten einen hier keine hunderte Euros teuren Premiumkarten, keine übermächtigen Kombos für Legacy und Vintage. Stattdessen ein schön schauriges Setting in einer beliebten Welt des Magic the Gathering-Universums, ein klassischer Konflikt Mensch gegen Natur und Hell gegen Dunkel. Unterschiedliche Archetypen wie beispielsweise White Weenie, Werwölfe, Zombies und blauweiße Geister sind gut spielbar.

Am meisten auf ihre Kosten werden Draftrunden kommen, die am simplen Aufreißen von Boostern und Drauf-los-Spielen ihren Spaß haben. Aber auch die Sammler von Full Art Ländern werden ihre Freude haben. Alles in allem ist Innistrad Mitternachtsjagd ein Set für Genießer. Viel Spaß im Horror!

 

  • Es ist Magic the Gathering, das beste Kartenspiel der Welt.
  • Mehrere Archetypen wie Werwölfe, Geister, Menschen und Zombies sind spielbar.
  • Rückkehr zu einem klassischen MtG-Setting.
 

  • Es ist Magic the Gathering, das frustrierendste Kartenspiel der Welt.
  • Die glänzende Schicht auf den Foils ist zu stark reflektierend.
  • Teilweise etwas umständliche Mechaniken.

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat:  Susanne Stark
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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