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Cthulhu und die Großen Alten sind bis heute Kult, und aus Popkultur und Medien wie auch der Welt der Spiele nicht wegzudenken. Viele Spieleverlage haben ganze Franchises darum aufgebaut. Doch warum ist das so? Wie konnte sich das Werk dieses Mannes in der modernen Popkultur und der Spielewelt festsetzen?

H. P. Lovecraft um 1915 © Wikipedia, gemeinfrei
H. P. Lovecraft um 1915 © Wikipedia, gemeinfrei

Ich liebe die Geschichten von Howard Phillips Lovecraft. Der Meister der gruseligen Kurzgeschichten begeisterte mich schon als Jugendlicher und ist einer der Hauptgründe, warum ich mich dereinst für eine Ausbildung im Verlagswesen entschieden habe. Lovecraft und seine große Schöpfung haben ihn selbst schon lange überdauert. Doch wenn man einmal ehrlich ist, war sein sprachliches Niveau auch für die damalige Zeit nicht das, was man als das Maß aller Dinge bezeichnen konnte. In vielen seiner Geschichten muss man ihn beinahe bezichtigen, nur Umgangssprache zu verwenden.

Für einen Mann, der stets das 18. Jahrhundert als das seinige bezeichnete und oftmals betonte, dass er zur „falschen“ Zeit lebe, war sein Sprachduktus fast schon unpassend. Und in aller Wertschätzung für sein literarisches Lebenswerk, muss fast jeder seiner Texte sich den berechtigten Vorwurf gefallen lassen, im heutigen kulturhistorischen Kontext unpassende, rassistische Passagen zu beinhalten.

Er war starker Befürworter der „White Supremacy“ und vertrat diese Ansichten bis zu seinem Tod. Seine nihilistische Lebenseinstellung und die Nicht-Anerkennung, dass der Mensch der Mittelpunkt des Seins ist, verdeutlichen, warum dieser Mann die Großen Alten erschuf. All dieser Punkte sollten sich die Leser seiner Werke bewusst sein.

Der Erfinder der Fan-Fiction?

Wenn man weiß, wie man diese Passagen im historischen Kontext auslegen muss und die Gesamtwirkung der Texte auf sich einströmen lässt, ergibt sich das Bild eines Mannes, der in den Köpfen seiner Leser Wunder erschaffen wollte. Dunkle, unheimliche Wunder. Selten hat es ein Autor in dieser Zeit seinen Lesern so explizit selbst überlassen, sich die dargestellten Szenen im Kopf selbst zusammenzureimen. Lovecraft hat zumeist nur das Nötigste beschrieben. Man konnte oft den Eindruck gewinnen, dass er nicht die passenden Worte für die Bilder in seinem Kopf fand.

Bis heute gibt es in der Fan-Gemeinde den Running Gag des stets wiederkehrenden „But God! I dare not tell you what I saw!“. Ich wage zu behaupten, dass, wenn es diese Art der „Medienverehrung“ bereits damals so exzessiv gegeben hätte, Lovecraft ein eigenes Reddit für Fan-Fictions betrieben hätte. Kaum ein Werk dieser Zeit hat so viel Interpretationsspielraum geboten, und so zahlreiche Handlungsstränge aufzubieten, die gefühlt nicht zu Ende erzählt wurden. Ein Fest für all diejenigen, die für sich selbst und andere mehr „Gewicht“ in die Lore rund um Cthulhu und Co. legen wollen.

Darum so vielfältig

Das Filmplakat zu einer wirklich gelungenen Lovecraft Umsetzung. Mit Nicolas Cage.
Das Filmplakat zu einer wirklich gelungenen Lovecraft Umsetzung. Mit Nicolas Cage. © SpectreVision

Jeder kann andere Schwerpunkte und Auslegungsweisen in seine persönlichen Gedanken legen und quasi keine davon kann aufgrund von Lovecrafts Erzählweise als „falsch“ gedeutet werden. Daher funktionieren viele Adaptionen in andere Medien so gut. Lediglich Film und Fernsehen taten sich oft schwer, da gerade in den Anfangszeiten die technischen Möglichkeiten, den „unaussprechlichen Horror“ darzustellen, nicht so gegeben waren, wie es heute der Fall ist. Ich selbst erinnere mich dennoch bis heute gerne an eine Folge der Zeichentrickserie The Real Ghostbusters mit dem Namen Eine anstrengende Geisterbeschwörung, die es durchaus geschafft hat, den Mythos zielgruppengerecht umzusetzen. Ansonsten sind die bislang besten Filme diejenigen gewesen, die sich künstlerische Freiheiten genommen und sich eher von Cthulhu und Co. haben inspirieren lassen. Colour out of Space mit Nicolas Cage der Anfang 2020 erschienen ist, war ein erster Schritt in die richtige Richtung, das Ausgangsmaterial filmisch gut umzusetzen.

Computerspiele (wenn auch hier nicht alle positiv hervorstechen) haben da etwas mehr spielerischen Freiraum, ebenso der Bereich der Graphic Novels. Hier muss ich jedoch zugeben, dass ich nicht genug Expertise habe, um eine sachliche Analyse zu bieten.

Das Internet als „Heilsbringer“ für Illustratoren und Autoren?

Dies soll nun kein Loblied auf das Internet werden und auch einige Illustratoren sind in einigen Punkten möglicherweise mit ihren Darstellungen von Szenerien, Charakteren etc. mit der Fangemeinde auf Kriegsfuß. Alles in allem aber hat das neue Jahrtausend dem „unaussprechlichen Grauen“ ein Gesicht gegeben. Durch Foren, Chatrooms oder Showrooms wie z. B. deviantart konnten auch vermeintlich kleinere oder Hobbykünstler sich immer mehr Aufmerksamkeit ergattern.

Gerade schwer zu fassende bzw. fast unmöglich zu klassifizierende Motive wurden immer populärer und haben eine immer größer werdende Zahl an Menschen inspiriert, auch ihre eigenen Elemente einfließen zu lassen. Eben auch in die Schöpfung Lovecrafts und alles rund um Cthulhu. Und dieses Phänomen zog natürlich nicht nur bei den Schöpfern von Bildern oder Gemälden ein. Auch die Spielewelt wurde immer mehr „cthulhufiziert“.

Sandy Petersen und Chaosium legen den Grundstein

Der “Vater” des cthulhoiden Spielens: Sandy Petersen  © PhilHibbs/Wikipedia
Der “Vater” des cthulhoiden Spielens: Sandy Petersen © PhilHibbs/Wikipedia

Als Anfang der 1980er Jahre ein gewisser Sandy Petersen, seines Zeichens Angestellter bei Chaosium Inc. in den USA, zusammen mit seinem Arbeitgeber das Pen&Paper-Rollenspiel Call of Cthulhu auf den Markt brachte, konnten die Beteiligten wohl nicht abschätzen, welche Welle es lostreten würde.

Ein herausragender Erfolg, der sich mittlerweile in der siebten Auflage befindet, nahm seinen Lauf und zeigte eindrucksvoll, dass die Welten, die bei einem Pen&Paper-Rollenspiel in den Köpfen der Spielleiter und Spieler entstehen, nicht nur in den von Natur aus fantastischen Gefilden der Elfen, Zwerge, Orks und Konsorten funktionieren, sondern auch in „unserer“ Welt, die von einem unaussprechlichen, kosmischen Horror heimgesucht wird.

Natürlich gab es in den damaligen Veröffentlichungen schon gewisse „Vorgaben“, wie Schauplätze, Charaktere oder Diener der Großen Alten sich für den Spieler oder Leser „anfühlen“ sollten. Aber wie immer im Lovecraftschen Universum war vieles dem Leser oder in diesem Fall dem Spieler überlassen.

Die mittlerweile siebte Auflage des Pen & Paper Rollenspiels “Call of Cthulhu”. Noch immer von Chaosium Inc. © Chaosium Inc.
Die mittlerweile siebte Auflage des Pen & Paper Rollenspiels “Call of Cthulhu”. Noch immer von Chaosium Inc. © Chaosium Inc.

Was sich hieraus entwickeln sollte, ist seinerzeit nicht absehbar gewesen. Cthulhu entwickelte sich zu einem absoluten Spielephänomen, welches bis heute ungebrochen ist. 1987 erschien das von Richard Launius entwickelte Brettspiel Arkham Horror ebenfalls bei Chaosium Inc. Das Spiel hieß in seiner ursprünglichen Fassung noch Call of Cthulhu: The Board Game. Hiermit wollte Launius eindeutig ausdrücken, woher er seine Inspiration für das Spiel genommen hat. Heute kann man sich nicht mehr vorstellen, dass diese, mittlerweile im Besitz von Fantasy Flight Games liegende, Lizenz Arkham Horror jemals anders hätte heißen können.

Viele Elemente der damaligen Ausgabe finden wir noch heute im Spiel wieder. Die Verderbensleiste, die Charaktere mit ihren Fähigkeiten, die „Anderen Welten“ etc. Doch mit der Neuauflage im Jahr 2005 hat Fantasy Flight Games in Verbindung mit Kevin Wilson dennoch vieles anders gemacht und in das neue Jahrtausend bugsiert. Es wurde nun nicht mehr gewürfelt, wie viele Felder zu laufen sind, und auch der Spielplan ähnelte einem Stadtplan um einiges mehr. Doch vor allem glänzte das Spiel mit einer Neuerung im Vergleich zu seinem Vorgänger: fantastische Illustrationen.

Ein Sturm brach herein

Zwischen der Veröffentlichung der ersten und dann folgenden zweiten Edition von Arkham Horror sollten viele kleinere Veröffentlichungen das Licht der Welt erblicken, die heute nicht mehr ganz der Rede wert sind. Lediglich das in der Spanne zwischen 1987 und 2004 veröffentlichte Call of Cthulhu: Collectible Card Game fand etwas größeren Anklang. Doch was Richard Launius und Kevin Wilson mit der Schöpfung von Arkham Horror 2nd Edition lostreten sollten, ahnte vermutlich keiner von beiden.

© Fantasy Flight Games
Sein Vorgänger entfachte den Sturm: Arkham Horror 3rd Edition! © Fantasy Flight Games © Fantasy Flight Games

Rund um den Cthulhu-Mythos hat sich in der Spielewelt die Büchse der Pandora geöffnet (oder doch eine Beschwörung aus dem Necronomicon?). Es gibt zahlreiche thematische Crossover, die populärsten darunter sind z. B. Munchkin, Pandemie oder Monopoly. Ebenso erblickten zahlreiche Veröffentlichungen das Licht der Welt, die versuchen auch andere Spielelemente und -mechaniken in den Mythos zu bringen wie z. B. Cthulhu Realms, Mythos Tales oder auch Kingsport Festival. Selbst Sandy Petersen wagte sich auf ein neues „Spielfeld“ und kreierte mit seinem Sohn Lincoln das Spiel Cthulhu Wars. Auch an, auf den ersten Blick, eher unpassenden Stellen wird in der aktuellen Spielewelt gerne mal auf den Mythos zurückgegriffen, wie man an der Diskussion um das neue Kemet sehen kann.

Und Fantasy Flight Games wären nicht sie selbst, wenn man nicht zahlreiche Spin-Offs veröffentlicht hätte: Das Ältere Zeichen, als Würfelspielvariante; Villen des Wahnsinns als Dungeon-Crawler, der später in der Neuauflage auch App-Unterstützung erhalten hat, oder Eldritch Horror, als thematische Alternative, für all diejenigen, die nicht nur Arkham, sondern die ganze Welt retten wollen. Ebenso erwähnenswert ist auch die, erneut mit einigen Änderungen versehene, dritte Auflage von Arkham Horror (Arkham Horror: die letzte Stunde lasse ich in künstlerischer Freiheit und aus persönlicher Antipathie einmal unerwähnt).

Ein besonderer Erfolg ist dem Publisher aber mit der Übersetzung ihrer Arkham Horror Files in das Genre der Living Card Games (LCG) geglückt. Das in fast regelmäßigen Perioden veröffentlichte LCG erfreut sich einer großen Beliebtheit in der Community und hat in meiner Wahrnehmung seine geistige Mutter mittlerweile an Popularität übertroffen, sodass der Titel „Spin-Off“ eigentlich einer Schmähung gleichkommt. Herrje, mit Barkham Horror bekommt jetzt sogar der „Abklatsch“ sein eigenes, nicht ganz ernst gemeintes „Spin-Off“, welches aus einem April-Scherz heraus entstanden ist und die Spieler in die Rolle von Hundeermittlern versetzt.

Ein Querschnitt über die schier endlose Menge an Content für Arkham Horror: Das Kartenspiel © Fantasy Flight Games
Ein Querschnitt über die schier endlose Menge an Content für Arkham Horror: Das Kartenspiel © Fantasy Flight Games

Der Publisher und die beiden treibenden Kräfte hinter Arkham Horror: Das Kartenspiel Matthew Newman und Nate French haben erkannt, dass die Geschichten Lovecrafts und der Cthulhu-Mythos etwas sind, das die Fans des Universums mit tiefem Storytelling erkunden wollen (auch wenn nicht jeder Zyklus es gleichbleibend gut hinkriegt). Die Illustrationen des neuen Jahrtausends sind schön und gut und sind auch im Living Card Game weiterhin hervorragend umgesetzt und tragen dazu bei, sich schneller in die tiefe alptraumhafte Thematik einzufühlen. Aber die Spieler wollen mehr und vor allem wollen sie dorthin zurück, wo Howard Phillips Lovecraft seine Leser schon einmal hinführte: in eine dunkle, unheilvolle Welt im eigenen Kopf, mitten rein nach Arkham, Massachusetts. An einen Ort, der einen dazu bringt, den Neugierigen, die es wagen einen nach den eigenen Erlebnissen an diesem furchtbaren Ort zu fragen, nur sagen zu können „God! I dare not tell you what I saw!“

Titelbild: © mppriv | depositphotos
Artikelbilder: © wie gekennzeichnet
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Christin Grigowski

 

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für diesen informativen Überblick über die Spielwelten im Mythos. Mit meiner Rollenspielrunde spielen wir nun schon seit 2 Jahren das Rollenspiel *Achtung! Cthulhu* mit den Savage Worlds-Regeln. Die Verbindung des Mythos mit dem Thema des WK2 und den okkulten Facetten des Dritten Reiches ist recht spannend und überaus anbietend…

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