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Über 4 Millionen USD hat Rising Sun auf Kickstarter eingebracht. Vor allem die vielen hochwertigen Miniaturen sind das Erfolgsrezept von CMON (ehem. CoolMiniOrNot). Jetzt, da die Retail-Version auf Deutsch erscheint, wollen wir doch mal schauen, was das Spiel jenseits der Schönheit so zu bieten hat.

Wer schon einmal eine Teezeremonie in asiatischen Landen erleben durfte (und, anders als der Autor, das Glück hatte, dabei nicht auf Touristenfänger hereinzufallen), der weiß, dafür muss man sich ein wenig Zeit nehmen – ähnlich wie bei diesem Spiel.

Aber das dürften die meisten ja auch erwarten von einem komplexen Schwergewicht des Spieleautors Eric M. Lang. Der Name steht spätestens seit Chaos in der alten Welt und Blood Rage für Strategie erster Güte, mit Rassen/Klassen, die sich sehr unterschiedlich spielen.

Mit über vier Millionen Dollar, von über 30.000 Backern, ist Rising Sun aktuell noch in den Top 10 der erfolgreichsten Brettspiele bei Kickstarter. Ende Juni 2018 bringt Asmodee nun eine deutsche Übersetzung des Grundspiels heraus.

Spielablauf

Ähnlich wie sein geistiger Vorgänger Blood Rage, ist Rising Sun ein Spiel der Gattung Area Control/Dominance. Ein großer Teil der Siegpunkte wird durch die jeweils am Ende der drei Jahreszeiten (Spielphasen) abgehaltenen Kriege in den acht Provinzen gesammelt.

Jeder Spieler verkörpert einen Klan, der die Startmünzen vorgibt und über eine recht grundlegend unterschiedliche Sonderfähigkeit verfügt sowie jeweils über normale Kampfeinheiten (Bushi), Mönche, die man als Kämpfer oder für Vorteile in Tempeln einsetzen kann (Shinto) und einen gegen negative Effekte immunen Warlord (Daimyo). Außerdem kann man im Verlauf des Spiels auch noch Monster erwerben, die fortan fest zu einem gehören. Falls eigene Figuren im Kampf sterben, landen sie wieder in der eigenen Reserve, um später erneut zum Einsatz kommen zu können.

Typische Startaufstellung eines Spiels zu viert. Jeder Spieler hat eine Festung, seinen Daimyo und einen Bushi in seiner Startregion. Unten rechts sieht man in welcher Reihenfolge am Ende der Jahreszeit wo die sechs Kriege abgehalten werden.

Die Politikphase

Aufs Spielfeld gelangen die Figuren durch eine der fünf verschiedenen Aktionen, die man reihum aus einem Stapel wählt, in dem jede Aktion zweimal enthalten ist. Hiervon zieht der aktive Spieler jeweils vier Karten und wählt eine davon aus. Bei den Aktionen gibt es zumeist einen Teil, den alle ausführen (meist reihum, angefangen mit dem Spieler links vom aktiven Spieler) und dann noch etwas, das nur der aktive Spieler machen darf – und sein ggf. existenter Bündnispartner. Denn bevor reihum sieben Aktionsrunden pro Jahreszeit gespielt werden, gibt es zunächst einmal die bereits angekündigte Teezeremonie. Hier darf frei verhandelt werden, wer mit wem eine Partnerschaft eingeht für diese Jahreszeit, auch mit Versprechungen oder Bestechungen. Der größte Vorteil liegt dabei darin, dass man die mächtigen Sonderaktionen seines Verbündeten mitnutzen darf und somit verdoppelt.

Die fünf möglichen Aktionen der Politikphase sind:

  1. Rekrutierung: Jeder Spieler kann für jede Festung, die er aktuell besitzt, eine Figur einsetzen; entweder als Kämpfer in der Festung oder die Shintos auch auf einem der vier Tempelfelder. Der aktive Spieler und sein Bündnispartner dürfen eine Figur extra einsetzen.
  2. Marsch: Jeder Spieler darf jede Einheit um ein Feld versetzen, angrenzend oder entlang der eingezeichneten Schiffsrouten. Der aktive Spieler und sein Bündnispartner dürfen einmalig für drei Münzen eine Festung bauen.
  3. Aufrüstung: Jeder Spieler darf sich eine Ausbaukarte kaufen; nur hier beginnt der aktive Spieler. Er und sein Bündnispartner zahlen jeweils eine Münze weniger.
  4. Ernte: Jeder Spieler erhält eine Münze. Der aktive Spieler und sein Bündnispartner erhalten zusätzlich Münzen, Siegpunkte und/oder Ronins (die zur Kampfstärke zählen können) in allen Provinzen, in denen sie die höchste Kampfstärke besitzen.
  5. Verrat: Nur der aktive Spieler darf jeweils eine Einheit zwei beliebiger Spieler durch eigene gleichen Typs ersetzen. Damit bricht er jedoch sein Bündnis für den Rest der Jahreszeit, selbst wenn er nur Einheiten anderer Spieler gewählt hat.

Oben sind die vier fürs erste Spiel empfohlenen Tempel zu sehen, die den unterschiedlichen Kami gewidmet sind und Ehre, Bewegungen, Ronins oder Geld geben. Darunter die Aktionsleiste. Nach der Teezeremonie (Yin-Yang) wurden drei Aktionen gespielt, nach der ersten Tempelauswertung war offenbar der Lotus-Klan dran, denn er darf sich die Aktion immer frei aussuchen und dafür eine beliebige Aktionskarte verkehrtherum platzieren.
Aktuell ist der blaue Libellen-Klan auf der Ehre-Leiste ganz oben. Er gewinnt also alle Gleichstände gegen alle Spieler, die sich unter ihm befinden. Wenn der violette Lotus-Klan einen Ehrepunkt hinzugewänne, würden beide die Plätze tauschen.

Nach den ersten drei Aktionsrunden sowie nach der fünften und siebten (also direkt vor den Kriegen) gibt es eine Schreinphase. Wer die meisten Shinto in einem Tempel besitzt, erhält vom entsprechenden Kami (Gottheit) dann jeweils einen Bonus, wie Extramünzen oder Zusatzbewegungen. Gleichstände werden hier wie auch in jeder anderen Situation, vor allem in den Kriegen, durch das interessante Ehre-System aufgelöst. Wer auf der Ehre-Leiste weiter oben steht, gewinnt Gleichstände. Verrat zum Beispiel führt zu Ehrverlust, insbesondere Sepukku (ritueller Selbstmord im Angesicht des Krieges) ist eine der wenigen Möglichkeiten, mehr Ehre zu generieren. Erhält man Ehre, tauscht man seinen Platz mit dem Spieler, der eine Stufe über einem gewesen ist.

Die Kriegsphase

Zu Beginn des Spiels wurde zufällig die Reihenfolge bestimmt, in welcher Spieleranzahl+zwei von den acht Regionen (bei vier Spielern also sechs) Schlachten geschlagen werden. Ist ein Klan allein oder nur mit seinem schwächeren Bündnispartner vertreten, so erhält er sofort das entsprechende Regionsplättchen, das ein bis drei Siegpunkte gibt (in Höhe der Jahreszeit) – zusätzlich erhalten Spieler durch das Sammeln einer Anzahl unterschiedlicher Plättchen 10, 20 oder 30 Sonderpunkte, die stark spielentscheidend sein können. Sobald sich nicht-verbündete Einheiten gemeinsam in einer Region aufhalten, kommt es zum Kampf um diese Plättchen.

Zu Beginn offenbart jeder beteiligte Spieler noch einmal die Anzahl seiner Münzen und Ronin-Marker. Danach wird gleichzeitig hinter dem Sichtschirm auf vier der fünf unterschiedlichen Kampfphasen geboten. Nur der Spieler mit den meisten Münzen auf einem der weiter unten erklärten Felder 1-3 sowie 5, darf die dort angegebene Aktion durchführen, unter Beachtung der Gleichstandsregel (Ehre). Gleichzeitig werden die Sichtschirme entfernt und danach die Phasen abgehandelt.

  1. Als erstes darf der Gewinner von Sepukku alle eigenen Einheiten in den ehrenvollen Freitod führen, um dadurch einen Siegpunkt und eine Ehre für jede geopferte Figur zu erhalten.
  2. Als nächstes darf eine Geisel genommen werden, die damit nicht mehr am Kampf teilnimmt und sofort einen Siegpunkt des entsprechenden Spielers klaut sowie eine Münze Lösegeld am Anfang der nächsten Jahreszeit, um ihm die Figur wiederzugeben.
  3. Der Gewinner dieser Phase darf alle eigenen Ronins, die er zuvor angesammelt hat, seiner Kampfstärke hinzuzählen. Die Ronins werden dadurch auch nicht verbraucht und können bei jedem Kampf genutzt werden, bei dem man das Gebot gewinnt.
  4. Dann kommt es zur eigentlichen Schlacht und der Spieler mit der höchsten Kampfstärke gewinnt. Alle nicht verbündeten Einheiten werden besiegt und entfernt. Der Sieger erhält das Gebietsplättchen. Hierbei wird nicht geboten.
  5. Zum Schluss gewinnt der Höchstbietende mit der Aktion Kaiserliche Dichter einen Siegpunkt für jede in diesem Kampf besiegte Figur.

 

Viel los in Kansai. Der grüne Schildkrötenklan meint es offenbar ernst, neben seinen drei Bushi-Kriegern, zählen bei ihm auch die Festungen (Schildkröten) mit jeweils eins zur Kampfstärke und der Flussdrache allein hat noch mal eine Kampfstärke von 5, so dass er insgesamt auf 10 kommt. Um dagegen anzukommen, müssten die anderen schon jede Menge Ronis besitzen; eine Geiselnahme des Flussdrachen würde die Kampfstärke von grün auch schon mal halbieren.

Nach dem Krieg werden alle Münzen der Verlierer zurück in den allgemeinen Vorrat gelegt; nur die des Gewinners werden als Reparationszahlungen möglichst gleichmäßig unter den Verlierern aufgeteilt und stehen somit als Kapital für die folgenden Kämpfe der Jahreszeit zur Verfügung. So kann es auch Sinn machen, an früheren Kämpfen teilnehmen zu wollen, um damit anderen das Geld aus der Tasche zu ziehen und für die relevanten Schlachten mehr Münzen zur Verfügung zu haben. Nicht unbedingt intuitiv, aber umso wichtiger gerade fürs Balancing: Nachdem alle Regionen ausgewertet wurden, kommen alle Münzen und Ronin zurück in den Vorrat und beim Start der nächsten Jahreszeit erhält man wieder sein klanspezifisches Startkapital und es geht wieder los mit einer erneuten Teezeremonie. Insgesamt dreimal wird das wiederholt, bis im Winter die Endwertung geschieht, bei der insbesondere die Regionsplättchen-Sets und bestimmte siegpunkteerbringende Ausbaukarten (vor allem des Herbstes) gewertet werden.

Die Ausbaukarten, von denen jede Jahreszeit ein neues Set ausgelegt wird, beeinflussten das Spiel auf mannigfaltige Weise, indem sie bestimmte Einheiten verstärken oder neue Wege zu Münzen, Ronins oder schlicht Siegpunkten mit sich bringen. Auch zwei oder drei Monster sind stets dabei, die mächtige Sondereigenschaften haben. Einige Karten bilden interessante Synergien miteinander, andere bringen mächtige Vorteile, wenn man viel Ehre hat oder sogar wenig.

Die Klansvorteile sind ähnlich divers. So kann beispielsweise der ehrenvolle Koi-Klan seine Ronins als Geld verwenden und andersherum, während der Libellen-Klan fliegen kann, das heißt, dass er sich bei jedem Platzieren und jeder Bewegung komplett neupositionieren kann.

Die Start-Ausbaukarten des ersten Frühlings. Tugenden, die Ehre oder Siegpunkte geben; Aufwertungen für die unterschiedlichen Einheiten; Kriegskunst-Karten, die vor der Kampfphase Münzen geben und zwei Monster.

Ausstattung

Die Start-Ausbaukarten des ersten Frühlings. Tugenden, die Ehre oder Siegpunkte geben; Aufwertungen für die unterschiedlichen Einheiten; Kriegskunst-Karten, die vor der Kampfphase Münzen geben und zwei Monster.

Die Miniaturen sind phantastisch. Los, angemalte Monster zu Rising Sun googlen! Wer sich jetzt die deutsche Retail-Version holt, erhält natürlich ein wenig Spielmaterial weniger, als im deutlich teureren Kickstarter Allround-Pack – wobei diverse Erweiterungen angekündigt sind. Das vorhandene Material ist auch teilweise etwas sparsamer ausgefallen. Die Yin-/Yang-Symbole in Hausfarben, mit denen man seine Partnerschaft darstellt, sind beispielsweise aus Karton und nicht aus abgerundetem Plastik. Insgesamt sind alle Bestandteile dieser schon im Grundspiel stattlichen Box jedoch wie von CMON/Asmodee gewohnt hochwertig verarbeitet und schlicht schön, vor allem wenn man klassische fernöstliche Kunst mag.

Allein die Angewohnheit von CMON in der Spieleschachtel normale unbedruckte Pappkartons zur Aufbewahrung der Miniaturen zu verwenden, ist eher pragmatisch und schützt durchaus auch die Miniaturen. Es ersetzt allerdings kein aufgeräumtes Insert und man fragt sich, ob bei den Preisen nicht auch noch hübscher bedruckte Innenkartons drin sein dürften? Wer das Spiel allerdings häufiger spielen will oder auch seine Figuren bemalt, der sollte vermutlich sowieso über eine der vielfältigen Insert-Optionen nachdenken.

Die harten Fakten:

  • Verlag: CMON, Asmodee
  • Autor(en): Eric M. Lang
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Spieleranzahl: 3, 4 oder 5 (6 mit Erweiterung)
  • Spielzeit: 3-5 Stunden (Verpackung sagt 90-120 Minuten)
  • Alter: 14+
  • Sprache: Deutsch
  • Preis: ca. 85 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Die Spielregeln auf Deutsch finden sich bei Asmodee.

Eine praktische und hübsch designte deutsche Schnellspielanleitung, neben vielen anderen, vor allem englischsprachigen, Spielehilfen gibt es bei BoardGameGeek.

Fazit

Oft verglichen mit dem geistigen Vorgänger Blood Rage, spielt sich Rising Sun doch schon grundlegend anders. Besonders das Ehre-Konzept und die Teezeremonien sind sehr stimmungsvoll, das Kampfsystem innovativ und die unterschiedlichen strategischen Möglichkeiten durch die Klansvorteile und Ausbaukarten halten die Wiederspielbarkeit hoch. Das Balancing scheint recht gut gelungen, auch wenn es zum Beispiel Monster gibt, die es erfordern, dass man entsprechend auf sie reagiert, damit sie nicht übermächtig werden – ja, ich schaue dich an, Oni der Arglist.

Wer hier ein reines Area-Control-Spiel erwartet, wird jedoch vielleicht enttäuscht. Zu viel passiert nebenbei und mit einer geschickten Kombination aus Tugendkarten, Suizid und Balladendichtung kann man eben auch viele Punkte erreichen. Bisweilen geht es oft mehr ums Versteigern und Aushandeln, als um wirkliches Kämpfen, was nur als Unterphase einer Unterphase nebenbei abgehandelt wird – dafür jedoch ohne Würfel, wodurch manchen die Spannung fehlen mag, andere den taktischeren Ansatz darin sicher schätzen werden.

Ein Wermutstropfen liegt sicher im Spiel mit ungerader Spieleranzahl. Keinen Bündnispartner zu haben ist schon ein deutlicher Nachteil. So ist es zu fünft möglich, dass die ersten beiden Spieler sich verbünden und in den sieben Phasen jeweils 4 Sonderaktionen (Zug 1, 2, 6 und 7) bekommen, während einer der verbleibenden drei nur eine einzige erhält. Sicherlich auch eine Möglichkeit im weiteren Verlauf, führenden Spielern das Wasser abzugraben, aber verbunden mit dem Ziehglück der Aktionskarten, ist es möglich, dass ein Spieler oder ein Bündnis an manche Aktionen nur selten oder gar nicht kommt.

Generell zeigt CMON mal wieder, dass es möglich ist, nicht nur viele tolle Miniaturen zu verkaufen, sondern eben auch ein gutes Spiel. Dafür zahlt man jedoch auch einen stolzen Preis, insbesondere wenn man sich noch mit den angekündigten Erweiterungen eindecken möchte. In Summe dessen, was man an Material und Spiel geboten kriegt, ist es jedoch sicherlich seinen Preis wert. Der Tee für die Zeremonien ist jedoch nicht im Spielumfang inbegriffen und müsste separat erworben werden.

 

Artikelbilder: © 2018 CMON Productions Limited, Fotografie: © Daniel Hoffmann, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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