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Magic the Gathering und Dungeons & Dragons in einem gemeinsamen Set? Funktioniert das überhaupt? Endlich ist es möglich, auch in diesem Kartenspiel in Dungeons einzudringen (und zwar nicht in Munchkin-Manier). Wie gut WotC der Spagat zwischen Pen&Paper und Sammelkartenspiel gelungen ist, erfährst du hier. Aber Achtung: Hier lauern Drachen!

Hintergrund

Mit der reichen Hintergrundgeschichte der Forgotten Realms ist es für Wizards of the Coast nicht notwendig, eine eigene Hintergrundgeschichte für eines ihrer Universen zu entwerfen. Vielmehr haben sie eine gewaltige Bandbreite an Charakteren, Themen, Geschichten und Monstern zur Auswahl, die nur darauf warten, in eine Karte übersetzt zu werden. Nebenbei erzählen die Charaktere selbst immer noch die besten Geschichten in einem Abenteuer.

Wir finden eine Unzahl an klassischen Dungeons&Dragons-typischen Artefakten, Monstern und Held*innen. Das Set ist verständlicherweise stark an Spieler*innen orientiert, welche schon einmal einen W20 gewürfelt haben. Aber auch komplette Pen&Paper-Neulinge, welche noch nie etwas anderes als Magic the Gathering gespielt haben, finden genug Neues, um ihre Decks zu ergänzen.

Mechaniken

Wizards of the Coast hat sich bemüht, gängige und bekannte Mechaniken und Topoi aus Dungeons & Dragons vom Rollen- in ein Sammelkartenspiel zu übertragen. Das ist mal mehr, mal weniger gut gelungen. Mit Dungeons, Würfelwürfen und vielen möglichen Entscheidungen auf einer Karte sind sie auf alle Fälle in die richtige Richtung gegangen, um das Spielgefühl zu übertragen. Natürlich müssen bei einer „Übersetzung“ immer Abstriche gemacht werden, deswegen sind meine Kritikpunkte auch aus einer Perspektive mit sehr hohen Erwartungen zu verstehen.

Die Mechanik „Gehe in den Kerker“ lässt uns, wie der Name schon vermuten lässt, einen Dungeon erkunden. Dieser besteht aus einer separaten Leiste, die neben dem eigentlichen Spielfeld ausliegt und mit Bedingungen gefüllt werden kann. Bedingungen kann man sich auf dem Schlachtfeld erspielen. Für den Fortschritt auf der Leiste gibt es dann Boni. Diese Mechanik fügt sich einerseits schön in das Thema des Sets ein, ist allerdings etwas langweilig, da sie vom Spiel auf dem Tisch abgeschnitten ist und nicht die Erfahrung eines klassischen Dungeoncrawls vermittelt. Weder kann man Monster vermöbeln noch großartige Entdeckungen machen. Ja, man kann sich Boni für das Spiel einsammeln, und seine Strategie darauf aufbauen, möglichst oft den Dungeon zu absolvieren. Aber dennoch fühlt es sich an, als ob hier Potenzial liegengelassen wurde. Und es kommt kein Party-Gefühl auf. Schade, hier wäre mehr möglich. Vielleicht wäre mit dieser Mechanik ein neuer Spielmodus für Magic machbar gewesen, der sich eben genau auf das Erkunden eines Dungeons konzentriert. Mit den Eventdecks wie den Minotauren oder der Hydra aus Theros hat Wizards schließlich bewiesen, dass sie mehr als nur Decks für das kompetitive Turnierspiel gegeneinander schaffen können. Gemeinsam gegen ein vorgefertigtes Deck ist doch auch interessant.

Passend zu dieser Mechanik gibt es einen speziellen Themenbooster, der das Thema „Gewölbe“ vertieften soll. Zwar finden sich darin einige interessante Karten, die auch zum Thema Dungeon passen, aber der Text auf dem Booster „füge 25 Länder hinzu, um ein Deck mit 60 Karten zu haben“ ist wirklich nur mit großer Vorsicht und einer großzügigen Definition des Wortes „Deck“ zu genießen. Das ist auch der einzige Themenbooster, der nicht einer bestimmten Farbe zugeordnet ist.

Themenbooster

Wesentlich unvorhersehbarer ist die nächste Neuerung des Sets: Magic the Gathering darf ab nun auch auf den W20 würfeln! Magicspieler*innen waren zufällige Würfelwürfe bis dahin nichts Neues, waren aber eher den W6 gewohnt. Mit der Erweiterung Abenteuer in den Forgotten Realms kam der W20 und mit ihm ganze Decks ins Spiel, die darauf basieren, zufällige Ereignisse mit möglichst vielen Würfelwürfen zu erzielen. In der Idee zwar lustig, aber nicht etwas, was man auf Dauer auf Turnieren sehen möchte. Dafür sind die Würfelchancen zu zufallsabhängig. Nehmen wir die Karte „Ausschwärmende Goblins“. Ich habe einen Würfelwurf, um eines von drei Ergebnissen zu erzielen. Das schwächste Ergebnis bedeutet, dass ich eine viel zu teure Karte gespielt habe, das beste Ergebnis, dass ich halbwegs mit den Spruchkosten zufrieden sein kann. Das ist nicht wirklich aufregendes Design.

Ausschwärmende Goblins

Weniger eine neue Mechanik als vielmehr ein Nicken Richtung D&D-Abenteuer sind mehrere neue Karten, die dem*der Spieler*in eine Entscheidung gewähren, wie sich das Abenteuer entwickeln soll. Bei „Ihr kommt an einen Fluss“ können wir uns beispielsweise entscheiden, entweder „Gegen die Strömung anzukämpfen“ oder „eine Furt zu suchen“, haben also die Wahl zwischen zwei Optionen. Beide Entscheidungen geben uns einen anderen Bonus, sind aber schön in das Thema eines Rollenspielabenteuers eingebaut. Eine gelungene Mischung. Diese Art Karten sind schon fast so alt wie das Spiel selbst, trotzdem sind sie eine nette Erinnerung an Dungeons & Dragons als Pen&Paper-Spiel.

Ihr kommt an einen Fluss

Zu meinem großen Bedauern hat es die Mechanik „Trupp“ aus der Erweiterung Zendikars Erneuerung nicht in dieses Set geschafft. Diese Mechanik verstärkt deine Heldengruppe mit unterschiedlichen Boni, wenn du Krieger*innen, Dieb*innen, Kleriker*innen und Zauberer*innen ausgespielt hast. Deswegen ist es für mich so unverständlich, warum diese Mechanik es nicht in das Set geschafft hat, es hätte so gut in diese Erweiterung gepasst. Schade, hier wurde definitiv eine schöne Chance vergeben, dieser unterdurchschnittlich genutzten Fertigkeit eine zweite Chance zu gewähren.

Pringels und Foils

Hier gibt es gute Nachrichten – Wizards dürfte sich die Kritik zu Herzen genommen haben, die von vielen Seiten getätigt wurde, wie auch in unserem letzten Artikel. Das Glänzen der Foilbeschichtung ist wesentlich weniger aufdringlich als noch im Set Modern Horizons 2. Sie irritiert immer noch ein wenig bei zu direktem Lichteinfall, ist aber angenehmer zu bespielen.

Die Krümmung der Karten ist auch nach mehreren Wochen kaum merkbar beziehungsweise nicht vorhanden. Auch das spricht sehr für die insgesamt gute Qualität der gedruckten Karten.

Die Guten, die Bösen und die Hässlichen… Charaktere und Abenteuer aus den Forgotten Realms in Magic the Gathering

Bei der Riege an bekannten und beliebten Charakteren, die nun als Karten spielbar sind, hat Wizards sich nicht lumpen lassen. Mit diesem Set sind etliche namhafte Charaktere aus mehreren Jahrzehnten Dungeons & Dragons als Karten erschienen. Leider hat es Strahd von Zarovich nicht zu einer eigenen Karte geschafft, dafür aber so große Namen wie Mordenkainen, Drizzt Do’Urden oder Bahamut. Gut, bei Strahd könnte man argumentieren, dass Magic bereits eine Fülle an klassischen Vampircharakteren aufweisen kann. Man kann natürlich unken, warum eine Göttin wie Lolth eigentlich nicht unzerstörbar ist (wie ihre Gegenstücke aus Theros), oder dass der Unheilvolle Betrachter nicht fliegen kann und langweilige Fertigkeiten hat. Dennoch ist es faszinierend zu sehen, wie Charaktere aus dem einen in das andere Genre übertragen werden konnten. Überdies hätte es das Set vermutlich gesprengt, wenn man alle namhaften Charaktere aus mehreren Jahrzehnten Dungeons &Dragons genommen hätte.

Unbedingt zu erwähnen ist – neben den mittlerweile obligatorischen randlosen Premiumkarten – ein neuer alter Zeichenstil, der zum ersten Mal in Magic the Gathering versucht wurde. Einige Karten wurden alternativ auch in einem Kunststil gedruckt, der sehr stark an Illustrationen aus Pen&Paper-Werken aus den mittleren bis späten Achtzigern angelehnt ist. Die Illustrationen erinnern stark an die Abbildungen aus den Regelbüchern und Hintergrundbänden jener Zeit und sind gleichzeitig einfach gehalten, fügen sich aber dennoch schön in eine Sammlung ein. Besonders gefällt mir, dass sowohl klassische bekannte Helden als auch generische Monster für die Illustrationen Verwendung gefunden haben.

Der wohl schönste Verweis auf das klassische Dungeons&Dragons sind die Länder mit alternativen Illustrationen. Diese Karten erinnern an alte Abenteuer aus den Urzeiten des Rollenspiels. Sie sind in ihrem Zeichenstil ein deutlicher Bruch mit sonstigem MtG-Artwork, passen aber dafür in diesem Set umso mehr. Gleichzeitig bin ich froh, dass dieser alternative Zeichenstil nur ein paar Karten betroffen hat – zu viel des Guten wäre hier überwältigend gewesen.

Zwei Decks aus den Forgotten Realms – Land Prison und Volo

Mit dem Deck „Land Prison“ sehen wir das Ende von Magic the Gathering. Zumindest als einer Idee eines Spiels. Das Prinzip des Decks ist simpel: mit „Zufluchtsort der Gesichtslosen“ erschaffen wir uns einen Engel, der mit dem „Buch der überschwänglichen Taten“ eine Marke erhält, die besagt, dass wir das Spiel nicht verlieren und der*die Gegner*in das Spiel nicht gewinnen kann. Der Zufluchtsort wird dann wieder zu einem Land, welches wir nie wieder zu einer Kreatur machen, um es vor Zerstörungseffekten zu schützen.

Land Prison

Um es klar auszudrücken: Jede andere Siegbedingung wird dadurch annulliert. Wir haben keine Verpflichtung mehr, das Spiel überhaupt noch gewinnen respektive spielen zu müssen. Mangels einer Möglichkeit im derzeitigen Meta, Länder zu beseitigen, ist das Spiel leider langweilig, sobald diese Kombination gespielt wurde (was wiederum deutlich zeigt, dass jedes vernünftige Meta Landzerstörung unbedingt notwendig hat – immerhin ist der Archetyp sogar in Pauper spielbar).

Selbstverständlich ist es das Ziel jeder Strategie, das Spiel zu gewinnen. Aber es ist von Wizards of the Coast nicht notwendig, den Spielspaß verhindernde Strategien auch noch aktiv zu fördern.

Eine andere Strategie verfolgt ein grünblaues Deck, dass um den wohl bekanntesten Tierforscher der Forgotten Realms aufgebaut ist (immerhin hat er mit Volo’s Guide to Monsters den bestimmenden Band zur Monsterforschung verfasst). Auch hier ist die Strategie eher simpel: Volo kopiert, sobald er selbst im Spiel ist, jede weitere nach ihm beschworene Kreatur, sofern sie einen Kreaturentyp besitzt, der sich noch nicht im Spiel befindet. Questentiere und Gargaroth-Älteste bereiten so schon etlichen Spieler*innen Kopfzerbrechen, wenn sie keine Antworten auf große Kreaturen haben – zwei zum Preis von einem sind da natürlich umso willkommener.

Volo

Das Deck spielt sich ab und an sehr spannend. Leider bleibt es ein reines Spaßdeck, da in den meisten Decks genügend Antworten auf Kreaturen vorhanden sind und somit den armen Volo auf die Rolle eines Nischendecks verweisen, das man nur spielt, wenn man unbedingt Kreaturen beschwören möchte und es einem egal ist, wie oft man gewinnt. Trotzdem eine nette Idee.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 15 Minuten bis zu mehreren Stunden, je nach Format
  • Spieler*innenanzahl: Ab zwei
  • Alter: Ab 13 Jahren empfohlen
  • Preis: um die 4 EUR für einzelne Draft-Booster, etwa 5 EUR für einzelne Set-Booster und etwa 20 EUR für einzelne Sammler-Booster
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Wenn du nur einen Wunsch frei hättest, welcher wäre das? Gold oder Engelsgesang? Eine verlorene Liebe zu finden oder den Weg zurück nach Hause? Lass mich dir ein Lied von einem Wunsch vorsingen, der wahr wurde…“ – Ellywick Purzelklimper, „Wunsch“

Ist die Kombination aus Magic the Gathering und Dungeons & Dragons gelungen? Trotz aller Kritikpunkte, die sich im Laufe der letzten Wochen angehäuft haben, muss ich feststellen, dass Wizards of the Coast hier ein grundsolides Produkt abgeliefert haben. Ja, es ist schade, dass so manche Kleinigkeit nicht berücksichtigt wurde. Dafür merkt man, dass sich die Küstenmagier mit Kreativität und Hingabe daran gemacht haben, die Stimmung von Dungeons & Dragons so gut es geht in ein anderes Medium zu übertragen. Dies ist ihnen gelungen, allen kleineren Fehlern zum Trotz.

Alles in allem ist die Erweiterung Abenteuer in den Forgotten Realms eine schöne runde Ergänzung zu Magic the Gathering. Während die Gemeinschaft an Turnierspieler*innen wohl am wenigsten aus diesem Set ziehen werden (das zeigt allein schon die Übersicht über die Preise der Einzelkarten, von denen die wenigsten über 20 EUR erreicht haben), können sich Dungeons&Dragons-Veteran*innen und neugierige MtG-Spieler*innen zusammen an zwei der schönsten Spiele überhaupt in einer gemeinsamen Gestalt freuen.

Möge es eine schöne Zusammenkunft sein.

  • Es ist Magic the Gathering, das beste Kartenspiel der Welt
  • Viele neue Zeichenstile
  • Keine dominanten Archetypen
 

  • Es ist Magic the Gathering, das frustrierendste Kartenspiel der Welt
  • Die ein oder andere langweilige Kombo ist möglich
  • Leider kein Deck ausschließlich aus den alternativen Zeichenstilen spielbar

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids

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