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In einer Zwergenfabrik entsenden die „großen Vorarbeiter*innen“ ihre Arbeitskräfte, damit sie die vielen verschiedenen Dinge für den Heldenalltag herstellen. Hier arbeiten alle zusammen für das Gemeinwohl. Doch Zwerge sind ein eigensinniges Völkchen! Wer „Verdiente*r Vorarbeiter*in des Zwergenvolkes“ in der Factory 42 werden will, muss daher der Konkurrenz ein Bein stellen!

In der Factory 42 geht es hoch her. Während alle gemeinsam an verschiedenen Regierungsaufträgen arbeiten, geht es am Ende darum, die meisten Belobigungen und Orden einzusammeln, um den Sieg davonzutragen. Dabei ist es nötig, alle Register zu ziehen und mit Intrigen und Verrat die anderen Vorarbeiter*innen auszustechen. Aber wehe, die Aufträge werden nicht erfüllt! Dann werden alle im Kollektiv abgestraft. Wie das alles unter einen Zwergenhelm passt, fragt ihr euch? Seht selbst!

Triggerwarnungen

keine Trigger

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Spielablauf

Bei Factory 42 handelt es sich um ein semikooperatives und kompetitives Worker-Placement-Spiel, bei dem zwar viel miteinander gearbeitet wird, die Spielenden jedoch versuchen müssen, ihre eigenen Vorteile nicht aus den Augen zu lassen. Und das um jeden Preis!

Das Spiel ist in sechs Spielrunden unterteilt, jede Runde besteht wiederum aus mehreren Spielphasen, die immer nach dem gleichen Ablauf abgehandelt werden.

Zu Beginn jeder Runde wird eine Eventkarte aufgedeckt. Vom Streik, der die Produktion lahmlegt oder Sonderrationen die selbige massiv erleichtern kann viel passieren. Zudem werden die Regierungsaufträge auf die Anzahl der Spielenden aufgestockt und ab der zweiten Runde eine neue Marktkarte aufgedeckt. Durch die Eventkarten und die sich ändernden Marktwerte erhöht sich der Wiederspielwert im Übrigen enorm.

Nun setzen alle ihre Meeple auf die unterschiedlichen Aktionen ein. Dabei spielt es eine große Rolle, an welcher Stelle der eigene Meeple steht, da dies beim Abhandeln die Reihenfolge der Spieler*innen festlegt. Auch können Worker als Kommissare eingesetzt werden. Diese Kommissare ermöglichen es, besondere, zum Teil sehr gemeine, Aktionen auszuführen oder spezielle Boni zu erhalten. Das Spiel verzeiht hierbei kaum einen Fehler, wer die falschen Aktionen wählt gerät schnell ins Hintertreffen. So muss zum Beispiel gut abgewogen werden, in welcher Reihenfolge einzelne Phasen stattfinden. Zudem sind nicht nur die Ressourcen knapp, sondern auch die Arbeitskräfte.

Während der Phase Anforderung wird festgelegt, welche Materialien durch die Regierung zur Verfügung gestellt werden. Dabei wandern einige Materialien direkt in das begrenzte eigene Lager und in den gemeinsamen Produktionspool.

Der Bürokratieturm
Der Bürokratieturm

Was wäre Planwirtschaft ohne anständige Bürokratie? Hier kommt eine gehörige Portion Chaos ins Spiel, denn jetzt werden alle zuvor beschafften Ressourcen aus dem Produktionspool in den sogenannten Bürokratieturm geworfen. Dieser ist so designt, dass nicht alle Materialien, die hineingeworfen werden, wieder unten herauskommen. Wer also vorher geplant hat, welche Ressourcen zur Fertigstellung der Regierungsaufträge benötigt werden, schaut schonmal belämmert aus der Zwergenrüstung, wenn nicht das unten herauskommt, was diese Runde benötigt wird. Ebenso kommt häufig zum Vorschein, was eigentlich in den letzten Runden dringend gebraucht wurde.

Dieses chaotische Element verlangt den Spielenden, ähnlich wie bei Galaxy Truckers oder Frostpunk, einiges an Frustrationstoleranz ab. Die zum Teil schwer zu planenden Spielzüge sorgen oft für Paralyse-Analyse. Bei dem Versuch das Chaos etwas zu organisieren, zugleich aber die Absichten der anderen Mitspielenden zu durchschauen und zu durchkreuzen, müssen mitunter ein paar Hirnwendungen mehr angeworfen werden. Je nach Personenanzahl verlängert sich so die Spielzeit.

Apropos Anzahl der Spieler*innen: Das Spiel soll zu zweit spielbar sein, da das Spiel jedoch von der Kommunikation der Mitspielenden lebt, leidet der Spielspaß deutlich. Mit drei Mitspielenden ist das Spiel recht gut. Wer eine längere Spielzeit nicht scheut, sollte Factory 42 unbedingt zu viert oder fünft spielen, denn gerade die semikooperativen Anteile werden deutlich interessanter, je mehr Spieler*innen am Tisch sitzen.

Die Materialien werden nun in die Loren verfrachtet und durch weitere Ressourcen aufgestockt und danach in die Docks der Manufakturen der Spielenden geliefert.

Die Loren sind beladen und warten auf die Lieferung in die Docks der Manufakturen
Die Loren sind beladen und warten auf die Lieferung in die Docks der Manufakturen

Besonders in den Phasen Verladen, Aufstocken und Lieferung muss gefeilscht werden, in welche Loren die Materialien kommen, beziehungsweise wer welche Lore bekommt. Dabei kann das eine oder andere schmutzige Geschäfte gemacht werden.

Factory 42 ist ein knallhartes kompetitives Spiel, bei dem man ab einem gewissen Punkt hemmungslos über Leichen gehen muss, um zu gewinnen. Das Spiel lebt von gebrochenen Deals und falschen Versprechungen. Dabei müssen alle abwägen, wie sehr man sich am Ende durch solche Tiefschläge selbst schadet. Wer hier nicht geschickt verhandelt oder nicht skrupellos genug ist, hat schon so gut wie verloren. Besonders die eingesetzten Kommissare können den anderen Spielenden mit ihren Aktionen einen Strich durch die Rechnung machen.

Ein echter Zwerg würde im Übrigen niemals zugeben, wenn er für Elfen etwas herstellen würde. Man kann sich jedoch zur Elfenbotschaft begeben und einen geheimen Auftrag abholen. Diese Aufträge werden, da die Handwerkskunst der Zwerge in Elfenkreisen anscheinend ein hohes Ansehen genießt, sehr gut entlohnt.

Außerdem können durch einen Besuch bei der Erfindergilde Gadgets und zusätzliche Maschinen erforscht werden, die bei Nutzung Boni geben.

In der Grundform des Spieles werden die Elfenbotschaft und die Erfindergilde noch ausgelassen, daher sind die Spielbretter doppelseitig bedruckt.

Für die erste Partie sollte die Grundversion des Spieles ohne die beiden Elemente gespielt werden, damit der Einstieg leichter fällt. Ab der zweiten Partie empfiehlt es sich die beiden Phasen dazu zu nehmen, denn die Komplexität, die insgesamt im oberen Kennerspiel-Bereich angesiedelt ist, steigt dadurch nur geringfügig an. Durch die versteckte Agenda und die absolut durchgeknallten Erfindungen gewinnt Factory 42 massiv an Spieltiefen und Spaß.

Factory 42 beinhaltet eine große Portion Humor. So kann beispielsweise eine Metallpresse für Orden erforscht werden, die dann als Siegpunkte dienen. Dem Autor ist es sehr gut gelungen, immer wieder kleine Seitenhiebe auf die sozialistische Gesellschaft einzustreuen und so den Spielenden den einen oder anderen Schmunzler zu entlocken. Diese satirischen Anspielungen sind gelungen und behandeln das Thema nie auf respektlose Weise.

Im weiteren Verlauf des Spielzuges können Ressourcen auf dem Markt gehandelt oder in der Buchhaltung der Fabrik Vorteile, in Form von Siegpunkten, erzielt werden.

Auf den Tableaus der Spieler*innen befinden sich die zwei Manufakturen, deren dazugehörigen Docks und die Forschungsabteilung. Vor allem die Forschungsabteilung hat es in sich. Hier kann zum Beispiel eine private Dampfmaschine erforscht werden, in der dann eigener Dampf erzeugt werden kann. Ein ungeheurer Vorteil! Ebenso der Kran, mit dem man Materialien zwischen den Docks der Manufakturen hin- und herbewegen kann, ist Gold wert. Zudem können die privaten Lager erweitert werden, damit zusätzliche Materialien aufgenommen werden können.

Am Ende der Runde werden in den Manufakturen die Regierungsaufträge abgearbeitet. Dazu werden die Materialien aus den Loren und dem Lager verwendet. Jede Ware kann in drei Qualitätsstufen produziert werden. Je besser die Qualität der produzierten Güter ist, desto mehr Belobigungen in Form von Rosetten bekommt man. Diese wiederrum sind potenzielle Siegpunkte. Wurden jedoch Aufträge nicht erfüllt hagelt es Minuspunkte. Von diesen können sich Spielenden im Übrigen durch das Abgeben von Orden freikaufen.

Am Spielende bekommen die Spielenden noch Extrasiegpunkte für jede einzelne Kategorie, wer danach die meisten Siegpunkte ergattern konnte, gewinnt bei Factory 42.

Ausstattung

Die Illustration des Spieles trifft genau das Thema. Die etwas triste Aufmachung, die sich in Braun- und Grautönen widerspiegelt, ist eine Anlehnung an die dystopische Tristesse der sozialistischen Gesellschaft. Alles ist zwar optisch nicht schön, aber dennoch passend umgesetzt.

Der Bürokratieturm, der aus Pappe besteht, ist ähnlich wie der Evertree von Everdell, ein zentrales Element des Spieles. Wie häufig dieser den Auf- und Abbau überlebt, bleibt abzuwarten. Hier würde ich mir eine langlebigere Alternative aus Holz wünschen. Die Auffangschale aus Pappe, die man vor den Turm legen kann, ist jedoch eine gute Ergänzung.

Standart- vs. Deluxe-Material
Standart- vs. Deluxe-Material

Die hölzernen Meeple, stilecht mit Hammer in der Hand, sind sehr passend umgesetzt und die Loren, die dem Spiel im Original aus Pappe beiliegen, erfüllen zwar ihren Dienst für das Gemeinwohl, hier hätte die Qualität jedoch besser sein können. Wer dem Spiel etwas abgewinnen kann, dem lege ich wärmstens die Deluxe-Variante der Loren aus Kunststoff ans Herz. Diese Anschaffung lohnt sich definitiv! Auch der Startmarker in Form eines hölzernen Zahnrades ist zwar kein Must-have, aber schön ist er allemal.

Ikonographie und „Pseudo-Kyrillisch“
Ikonographie und „Pseudo-Kyrillisch“

Der einzige echte Wermutstropfen ist die Ikonografie des Spiels. Hier wird zwischen Abbildungen der Spielsteine und Abbildungen des Materials hin und her gewechselt, was besonders anfangs für viel Verwirrung sorgt. Auch lassen sich die Farben der einzelnen Spielsteine schwer auseinanderhalten, vor allem auf Abbildungen. Für Spieler*innen die unter Farbfehlsichtigkeit leiden, wären Spielsteine in Form der Materialien sicher eine bessere Alternative gewesen. Zu Anfang fällt es außerdem etwas schwer, das „pseudo-Kyrillisch“ auf dem Spielplan zu lesen. Das Spielbrett ist ohnehin mit Text überladen, nach einigen Runden ist es durch den sich wiederholenden Spielablauf jedoch kaum noch nötig nachzulesen. Auch die verschiedenen Abbildungen für die Rosetten und die Siegpunkte sind zu Beginn etwas unübersichtlich.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Dragon Dawn Production
  • Autor*in(nen): Timo Multamäki
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 90 – 120 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: (2) 3 4 5
  • Alter: 12 +
  • Preis: ca. 50 Euro
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Neben einigen Karten hat der Verlag die Promo-Erweiterung Für die Ukraine herausgebracht. Alle durch den Verkauf dieser Erweiterung erzielten Umsätze werden an das finnische Rote Kreuz gespendet, um damit die notleidenden Menschen in der Ukraine zu unterstützen.

Dem Spiel liegt die optionale Mini-Erweiterung Schwarzmarkt bei.

Außerdem erhält man das deutsche Regelwerk auf der Internetseite des Verlages zum Download.

Fazit

Bei Factory 42 treffen viele verschiedene Mechanismen aufeinander. Wer gern verhandelt und damit leben kann, dass trotzdem alles schief geht, der ist bei Factory 42 genau richtig. Viele dürfte es abschrecken, dass sich die Spieldauer bei einer höheren Personenzahl verlängert, man wird aber mit einer besseren Spielerfahrung belohnt. Alles in allem lebt das Spiel nämlich vom ständigen Hin und Her zwischen kooperativer Zusammenarbeit bei gleichzeitigem beinhartem Wettbewerb. Dieser Spagat gelingt sehr gut und ist zudem ein perfektes Abbild der thematischen Spielwelt. Nur wenigen Spielen gelingt es das Thema so gut mit den Spielabläufen zu verbinden. Wer ein Spiel sucht, dessen Thema nicht nur aufgesetzt ist, dem wird Factory 42 gefallen.

Mit seinem spannenden Mix aus kooperativem Zusammenspiel und halsabschneiderischem Intrigantentum liefert Factory 42 ein ungewöhnliches Spielgefühl, das seinesgleichen sucht.

  • Ungewöhnliche Gesamtspielmechanik
  • Thema nicht nur aufgesetzt
  • Gut strukturierter Spielablauf
 

  • Material / Farbgestaltung
  • Mehr Downtime bei höherer Personenanzahl

 

Artikelbilder: © Dragon Dawn Productions
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Andreas Memmert
Dieses Produkt wurde privat finanziert.
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