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Das im Jahr 2018 bei Pegasus erschienene Expertenspiel Spirit Island dreht den Spieß anderer Strategiespiele um. Anstatt ein Territorium zu besetzen und möglichst viel Land dazuzugewinnen, ist es an uns, die Kolonialist*innen zu vertreiben. Als Geister der Natur und Elemente vereinen wir uns und verteidigen gemeinsam unseren Grund und Boden.

Seit Anbeginn der Zeit lebt das indigene Volk der Dahan im Einklang mit den Geistern der Natur und der Elemente auf einer abgelegenen Insel. Hier ist die Welt noch in Ordnung, Frieden herrscht auf dem kleinen Fleckchen Erde irgendwo im Meer. Doch diese Ruhe wird gestört, als fremde Mächte von der fruchtbaren Insel erfahren und ihre Truppen ausschicken, diese zu erobern. Ohne Rücksicht auf die Natur oder die Ureinwohner*innen bauen sie ihre Städte und Dörfer, zerstören die Böden und Wälder und veröden das Land. Wenn wir sie nicht aufhalten, wird es diese Insel, wie wir sie kennen, sowie die Dahan bald nicht mehr geben.

Wir müssen uns vereinen, müssen unsere Kräfte nutzen, um die fremden Menschen vernichtend zu schlagen, sodass die übrigen derart voller Angst sind, dass sie weinend und kreischend die Flucht ergreifen und niemals wiederkehren.

Wird uns dies gelingen, sodass wieder Frieden in unser Paradies einkehrt oder werden wir der Übermacht an Feinden nicht standhalten können?

Spielablauf

Spirit Island ist ein kooperatives und komplexes Expert*innenspiel für ein bis vier Spieler*innen. Wir schlüpfen in die Rolle der Geister und verteidigen die Insel vor ankommenden Invasionsmächten.

Bevor wir eine Partie starten, müssen wir uns für eine Variante des Spiels entscheiden. Hier gibt das Grundspiel einige Möglichkeiten sowie Schwierigkeitsgrade vor, zwischen welchen wir wählen können.

Der Einfachheit halber werden wir uns auf die Standardvariante beschränken andere Variationen später aufgreifen.

Alle Spielenden wählen zufällig einen Inselspielplan, woraus die Insel gebildet wird. Diese wird dann mit einzelnen Invasor*innen bestückt. Sie sind also bereits hier.

Dann suchen wir uns einen Geist aus, welchen wir verkörpern wollen, sowie all das dazugehörige Spielmaterial und platzieren unsere Geistpräsenzen entsprechend der Angaben auf der Rückseite des jeweiligen Tableaus. Jeder Geist unterscheidet sich in der Komplexität und in seinen Fähigkeiten. Einige sind deutlich schneller und aggressiver, während andere eher defensiv sind oder sich langsam aufbauen, um mit vernichtenden Schlägen im späteren Spiel zu trumpfen.

Haben wir unsere Präsenzen platziert, bereiten wir nun das Invasor*innen-Tableau entsprechend der gewünschten Schwierigkeit vor und legen die restlichen Spielmaterialien griffbereit beiseite.

Der Rundenverlauf

Jede Partie läuft über mehrere Runden, welche wiederum aus verschiedenen Phasen bestehen.

Es gibt innerhalb der Phasen allerdings keine Spieler*innen-Reihenfolge, alles läuft zeitgleich ab. Hier ergibt es Sinn, trotzdem der Reihe nach vorzugehen, da es sonst zu einem heillosen Durcheinander kommen kann, bei dem wir am Ende vergessen, wer was genau gemacht hat und welche Feinde bereits aktiviert wurden.

Die erste Phase ist die Geister-Phase. Hier sammeln wir unsere Kräfte, werden stärker und breiten unsere Präsenz auf der Insel aus, indem wir unsere Plättchen entsprechend der individuellen Bewegungsregeln platzieren. Auch entscheiden wir uns hier, welche Fähigkeiten wir in dieser Runde nutzen möchten. Dies ist die wohl wichtigste Phase, da wir hiermit den gesamten Ablauf der Runde beeinflussen. Wir müssen strategisch denken und beachten, wie sich die Feinde in ihrer Phase verhalten, um präventiv das Bauen neuer Gebäude und Schaden an der Region zu verhindern.

Ein ganz wichtiger Punkt dieser Phase ist deswegen die Absprache untereinander. Gibt es Synergien unserer Effekte oder sorgen sie womöglich dafür, dass andere umsonst waren?

In der zweiten Phase dürfen alle Geister ihre vorher gespielten Sofort-Fähigkeiten durchführen, bevor in der dritten Phase die Invasor*innen an der Reihe sind. Diese erkunden neue Gebiete, bauen neue Dörfer und Städte und fügen Teilen des Landes und den Ureinwohner*innen Schaden zu. Hierfür gibt es die Invasor*innenkarten, welche aufzeigen, was in welchem Teil der Insel passiert.

Nachdem die Gegner*innen am Zug waren, dürfen wir in der vierten Phase unsere langsameren Fähigkeiten aktivieren. Haben die Geister all ihre ausgespielten Karten genutzt, werden diese abgelegt und die Schadenspunkte überlebender Dahan und Feinde auf null gesetzt. Eine neue Runde beginnt.

Das Spielende

Um zu gewinnen, müssen wir die Insel von den Invasor*innen befreien. Dies erreichen wir, indem wir die aktuell gültige Siegbedingung erfüllen. Durch Verbreitung von Furcht können wir diese zu unseren Gunsten beeinflussen und uns somit den Sieg erleichtern.

Doch dieses recht simpel klingendes Ziel ist in Wahrheit nicht leicht zu erreichen. Schon bei geringerer Schwierigkeit hat es das Spiel in sich.

Haben wir beispielsweise Teile am einen Ende der Insel bereinigt, wird an einem anderen Teil gebaut. Verhindern wir dies, landen sie an der Küste gegenüber an. Mal eben alle Feinde zu eliminieren, ist quasi unmöglich. Eine solide Mischung aus Furcht, Verteidigung und Aggression sowie eine durchdachte Strategie sind hier gefragt.

Verlieren können wir das Spiel im Gegensatz auf gleich drei verschiedene Weisen.

Zum einen, wenn die Gegner*innen erfolgreich große Teile der Insel verödet haben. Dies geschieht durch Zufügen von Schaden an den Regionen, welchen wir nicht verhindern oder abmildern können.

Zum anderen bedeutet der Tod eines Geistes unser Ende. Ein Geist stirbt, wenn die letzte Präsenz auf der Insel vernichtet wird. Wer kann schon existieren, wenn niemand mehr an einen glaubt?

Können wir erfolgreich die ersten beiden Niederlagebedingungen, also den Tod eines Geistes sowie das Veröden der Insel, abwenden, bleibt immer noch der Kniff mit der Zeit, welche sich einfach nicht anhalten lässt. Sobald alle Invasor*innenkarten auf dem Ablagestapel liegen, verlieren wir das Spiel. Es sind einfach zu viele Gegner*innen, wir kommen nicht mehr dagegen an und sind bezwungen. Die Insel gehört nun den Kolonialist*innen.

Besonderes

Das Grundspiel von Spirit Island hat einen sehr hohen Wiederspielwert und kommt gut ohne Erweiterungen aus, ohne bei Spielspaß oder Spannung Abstriche machen zu müssen.

Es beginnt damit, dass es in der Standardversion bereits zwei verschiedene Schwierigkeitsstufen besitzt: Das Einsteiger*innenspiel und die Fortgeschrittenenvariante.

Die Regeln im Einsteiger*innenspiel sind etwas vereinfacht, um den Einstieg in die komplexe Welt der Geister zu ermöglichen. Haben wir ein paar Partien gespielt, empfiehlt es sich, zur Fortgeschrittenenvariante zu wechseln. Hier ist bereits ein deutlicher Anstieg der Schwierigkeit zu bemerken.

Ist uns dies irgendwann zu eintönig, gibt es weitere Varianten, das Spiel und somit die Schwierigkeit zu verändern.

Die Nationen: Sind die Invasor*innen in der Standardversion noch namenlose Schrecken, so bekommen sie mit den Nationen ein Gesicht. Insgesamt drei Kolonialmächte beeinflussen durch ihre Zusatzeffekte und Änderungen in Regeln und Vorbereitung die Schwierigkeit und bringen so mehr Tiefe sowie eine weitere strategische Ebene. Pro Partie können wir genau eine Nation hinzunehmen. Im Grundspiel finden wir die Königreiche Brandenburg-Preußen, England und Schweden. Jede Nation hat zudem sechs verschiedene Level, welche den Schwierigkeitsgrad einer Partie auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Das Hinzunehmen der Nationen ist die primäre Stellschraube, um den Schwierigkeitsgrad (gerade in den höheren Leveln) deutlich anzuziehen.

Im Grundspiel gibt es vier Szenarien (oben) und drei Nationen (unten). © Pegasus Spiele

Die Szenarien: Die Szenarien verändern die Ausgangssituation der Geister oder ihre Fähigkeiten. Auch können Sie Einfluss auf die Siegbedingungen oder die Regeln haben. Es gibt vier Szenarien, welche wiederum verschiedene Schwierigkeitsgrade haben. Auch lassen sie sich mit Nationen verbinden und bringen so noch mehr Abwechslung in die Partie.

Die thematische Karte: Die Spielpläne von Spirit Island sind alle doppelseitig bedruckt. Die Rückseite stellt eine alternative Kartenversion dar, welche die wahre Insel darstellt und weitaus thematischer ist als die Vorderseite. Hier liegen beispielsweise Sumpfgebiete eher an der dem Wind zugewandten Seite des Berges.  Neben der Thematik bringt diese Variante des Spiels eine höhere Schwierigkeit mit sich. Es gibt mehr Gebiete pro Spielplan, welche besiedelt werden und mehr Invasor*innen zu Beginn des Spiels.

Die thematische Karte bringt Abwechslung ins Spiel und erhöht gleichzeitig die Schwierigkeit. © Pegasus Spiele

Um eine bessere Übersicht zu erhalten, in welchem Schwierigkeitsgrad wir uns gerade bewegen, wie wir uns steigern oder die Komplexität etwas verringern können, gibt es eine Tabelle, in welcher die verschiedenen Schwierigkeitsgrade anhand von Punkten aufgeführt sind. Null stellt dabei die geringste und Zehn die höchste Schwierigkeit dar. Hieran können wir sehen, dass bereits die Verwendung des thematischen Spielplans die Schwierigkeit um drei Punkte erhöht.

Jeder Punkt nach oben ist deutlich spürbar.

In dieser Tabelle sind die verschiedenen Komplexitäten der Geister allerdings nicht mit enthalten.

Die Anleitung

Die Anleitung von Spirit Island hat es in sich und das Spiel empfiehlt selbst, diese mindestens zwei Mal zu lesen, bevor wir die erste Partie beginnen. Insgesamt 30 Seiten umfasst sie, ist gut gegliedert und enthält eine Einleitung, welche einige Hinweise zum Umgang mit dem Regelwerk gibt. Beispielsweise wird darauf hingewiesen, dass es auf Grund der hohen Komplexität des Spiels immer wieder dazu kommen kann, auf Inhalte zu stoßen, die erst später erklärt werden.

Sehr schön finden wir zudem die verschiedenen Farben, welche verschiedene Bereiche der Anleitung anzeigen. Diese sind im Inhaltsverzeichnis bereits aufgeführt und orientieren sich an den Symbolfarben aus dem Spielmaterial.

Auch die Regeln bedienen sich zweier Farben, um diejenigen für das Einsteiger*innen-Spiel von denen der Fortgeschrittenenvariante zu trennen. Eine so gute Gliederung haben wir bisher selten gesehen.

Alle Runden und Phasen sind optimal erklärt und bei kniffligeren Mechaniken zum besseren Verständnis durch gekonnt eingefügte Bilder dargestellt.

Ebenfalls gelungen finden wir die Seiten zur Historie inklusive einer Karte der Region. Diese sind für das Spiel selbst nicht relevant, geben aber einen Einblick in die Geschichte der Welt und sind angelehnt an die tatsächliche Historie Europas.

Das Spielmaterial

Das Spielmaterial besteht hauptsächlich aus Karten. Es empfiehlt sich, diese über Kurz oder Lang mit Hüllen zu versehen, da sie sich mit der Zeit abnutzen. Ansonsten ist das Material hochwertig gestaltet: Entweder bestehen die einzelnen Komponenten aus dicker, stabiler Pappe oder aus Kunststoff. Die Artworks sind allesamt detailreich und schön anzusehen. Wir entdecken immer wieder neue Details und Kleinigkeiten in ihrem liebevollen Design. Beispielsweise sind die Zeichnungen der Geister auf dem thematischen Spielplan in bestimmten Regionen leicht eingedruckt, um darzustellen, wo diese sich am Liebsten aufhalten und auch thematisch gut hinpassen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor*in(en): R. Eric Reuss
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 90+
  • Spieler*innenanzahl: (1) 2 3 (4)
  • Alter: 12+
  • Preis: 50 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

Bonus/Downloadcontent

Auf der Seite von Pegasus Spiele kann die Anleitung als PDF heruntergeladen werden.

Fazit

Spirit Island ist nach wie vor eines meiner liebsten Spiele, trotz der hohen Komplexität und Schwierigkeit. Es ist unglaublich vielseitig, besitzt einen enormen Wiederspielwert und bringt sehr viel Spaß. Jeder Geist spielt sich anders, jede Partie hat kaum Parallelen zur vorherigen. Ich fühle mich eins mit den Geistern der Natur, welche sich gegen die Menschen werfen, die das Land ohne Rücksicht auf Flora und Fauna zerstören und sich ausbreiten wollen.

Wer den Film Vaiana von Disney kennt, wird hier viele Parallelen sehen und sich abgeholt fühlen in eine andere Welt, in der die Elemente und die Natur noch geschätzt werden.

Wenn ich nach Kritikpunkten suche, dauert es sehr lange. Ein kleines Manko, was ich sehe, ist die Spielzeit. Angegeben sind 90+ Minuten. Spirit Island in eineinhalb Stunden zu spielen, ist in meinen Augen nicht möglich. Hier sollte man mindestens zweieinhalb Stunden oder länger einplanen. Zumindest, wenn man gewinnen möchte. Je mehr Spielende, desto länger dauert eine Partie. Dies ist allerdings Nörgeln auf hohem Niveau bei einem Spiel, an dem es sonst nichts auszusetzen gibt. Zudem kann es meiner Erfahrung nach schwierig sein, neue Spieler*innen in das Spiel einzuführen und gleichzeitig eine fordernde Partie zu erleben; entweder sind die Anfänger*innen über- oder die Erfahreneren unterfordert.

Dennoch ist es ein durch und durch gelungenes Spiel, welches bereits in der Grundversion, ohne die Erweiterung Ast & Tatze sowie die Promo-Karten Seele des Flächenbrands und Unter der Erde schlummernden Schlange, Abwechslung und hohen Spielspaß bietet und perfekt zu zweit spielbar ist.

Jeder Person zu empfehlen, die Lust auf ein kooperatives Strategiespiel mit etwas anderem Thema hat, welches um Nachdenken bewegt.

Die oben genannten Erweiterungen sowie die bald erscheinende Zerklüftete Erde werde ich in einem weiteren Artikel näher erläutern.

 

 

Artikelbilder: © Mareike Rathmann
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Lukas Heinen
Fotografien: Mareike Rathmann

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