Ökoterrorist*innen treffen auf Gestaltwandler. Wer die World of Darkness kennt, dem ist Werewolf: The Apocalypse ein Begriff. Mit Earthblood erhalten wir endlich eine Videospielumsetzung des beliebten Hintergrundes. Aber kann ein Action-Spiel tatsächlich die vielschichtige Erzählung einfangen und auch für Fans spannend aufbereiten? Oder handelt es sich um einen austauschbaren Brawler-Titel?
Werewolf: The Apocalypse – Earthblood wurde im Januar 2017 angekündigt, verschwand dann aber erstmal in der Versenkung. Erst seit 2019 wurden verschiedene Hintergrundschnipsel und Storytrailer veröffentlicht, vom Gameplay war bis 2020 nichts zu sehen. Bei den Fans regten sich Ungeduld und Zweifel. Es wirkte nicht, als wäre handfestes Material greifbar. Ein Release schien für Pessimist*innen in weite Ferne zu rücken. Im Februar 2021 war es dann endlich so weit, und Spieler*innen durften die World of Darkness endlich mal wieder betreten. Wer nun auf ein neues Vampire: The Masquerade – Bloodlines hofft, den müssen wir direkt enttäuschen, denn die große rollenspielerische Tiefe des Klassikers ist hier nicht zu finden. Aber ist Earthblood deswegen ein schlechtes Spiel?
Inhaltsverzeichnis
Bepelzte Ökoterroristen!
Earthblood spielt in der bekannten World of Darkness, wo sich von Steinzeit bis Moderne verschiedene Sagengestalten in einer überzeichnet-düsteren Version unserer Welt die Klinke in die Hand geben. Das Werwolf-Setting zeichnet hierbei ein Bild der gestaltwandelnden Monster, das in dieser Form weniger geläufig ist. Anstatt dass wir es mit Bestien zu tun haben, die mit Lykanthropie infiziert sind, ist man hier ein Werwolf seit seiner Geburt. Werwölfe, die sich selbst Garou nennen, sind Teil einer langen Ahnenreihe von Kämpfern für die Muttergöttin Gaia und haben eine besondere Verbindung zu den Geistern dieser Welt.
Unter welcher Mondphase sie geboren sind, bestimmt den Weg eines Garou, je voller der Mond, desto kriegerischer seine Berufung. Die Garou-Nation, die ihren Kampf im Untergrund führt, teilt sich dabei in verschiedene Stämme, von noblen Silberfängen bis zu heruntergekommenen Knochenbeißern. Im Zeichen fortschreitender Industrialisierung, Umweltverschmutzung und schrumpfender Wälder führen die Werwölfe einen verlorenen Kampf, die Endzeit – oder die titelgebende Apokalypse – steht fast vor der Tür. Eigentlich tiefspirituelle Kämpfer mit einer engen Verbindung zur Geisterwelt, mögen sie für Außenstehende wie Ökoterroristen aussehen.
Gute Umsetzung?
Die Frage, die sich gerade für Veteran*innen des Pen-and-Paper-Rollenspiels hier aufdrängt und für uns Teilzeitheld*innen wichtig ist: Schafft es das Spiel, diese Welt gut einzufangen? Die Antwort darauf ist nicht so leicht, wie man vielleicht denkt. Die World of Darkness ist ein riesiger Hintergrund, mit Informationen, die sich oft widersprechen oder ganzen Absätzen, die nicht aus neutraler Perspektive, sondern aus der Sicht der Protagonist*innen der Spielwelt geschrieben sind. Jede*r Spieler*in und jede*r Spielleiter*in interpretieren die Welt ein wenig anders. Es ist also schwer, hier eine Welt zu zeichnen, die sich für alle Spielenden richtig anfühlt.
Earthblood nimmt an dieser Stelle den sicheren Weg und geht schlichtweg nie wahnsinnig weit in die Tiefe. Das sorgt dafür, dass erfahrenen Spieler*innen sicherlich die eine oder andere subjektive Unstimmigkeit auffallen wird, der überwiegende Teil das Spiel aber genießen kann. Die Geisterwelt wird nur oberflächlich angeschnitten, die sogenannte Umbra ist nur ein kleiner Teil des Spielgeschehens. Die tiefgreifenden Stammeskonflikte und Philosophien der Garou kommen kaum zur Sprache, genauso wenig wie die komplexen politischen Vorgänge der Garou-Nation, und auch die tiefen Mysterien der Geister fehlen in der Geschichte weitgehend.
Gute Stimmung mit Mängeln
Der Held ebendieser recht linearen Geschichte ist Cahal, ein unter dem Vollmond geborener Garou und Krieger des Stammes der Fianna. Der Stamm der Fianna stammt ursprünglich aus Irland und ist keltisch geprägt, bekannt für seine ausgelassenen Gelage und sein Temperament. Dennoch wirkt Cahal etwas trist und grau. Er zeichnet das Bild des stoischen Kriegers, viel von seinem Stamm scheint er nicht mitbekommen zu haben. Aufhänger für sein Abenteuer ist ein tragischer Wendepunkt in Cahals Leben und ein Angriff auf seine Heimat. Die Geschichte, die Cahal durchlebt, ist in ihrer Tragik und Heldenhaftigkeit nicht unbedingt ein Meisterwerk an Kreativität, aber dafür grundsolide.
Getragen wird sie von guten Synchronsprecher*innen, die uns allerdings nur auf Englisch beglücken. Die Stimmung der Spielwelt wird unter dem Strich gut eingefangen. Die Musik passt wie die Faust aufs Auge, ob nun bei getragener Pianomusik in der entrückten Geisterwelt oder Metal-Soundtracks in den angemessen blutigen Kämpfen. Die Charaktere, die uns durch das Spiel begleiten, machen uns dabei durchaus Freude, auch wenn der Hauptantagonist des Spiels oftmals recht profillos bleibt. Die Figuren leiden allerdings unter den technischen Unzulänglichkeiten des Spiels, die an einigen Stellen die eigentlich passende Stimmung etwas trüben.
Grafik direkt von der PS3
Diese technischen Mängel sind teils derartig gravierend, dass es große Auswirkungen auf den Spielspaß hat. Man merkt dem Spiel leider seine Funkstille zwischen 2017 und 2020 an, denn viel passiert ist in dieser Zeit offensichtlich nicht. Die Grafik ist dabei eine Katastrophe, anders kann man es kaum ausdrücken. Das Spiel hätte in dieser Form auch ein später PlayStation 3-Titel sein können. Das eigentlich Tragische ist, dass es sich hierbei offensichtlich nicht um eine Designentscheidung handelt, sondern Ressourcen – ob es hier um Zeit oder Geld geht, sei dahingestellt – in der Entwicklung fehlten.
Partikeleffekte und Beleuchtung sind hier die einzige Ehrrettung und schaffen es tatsächlich immer wieder, Szenen trotz offensichtlicher Mängel zu retten. Ausnahmen sind Unterhaltungen und Nahaufnahmen. Diese sind trotz ernstem Inhalt und oft spannender Charaktere meist unfreiwillig komisch. Der einzige Grund, aus dem es nichts an den Gesichtsanimationen auszusetzen gibt, ist, dass sie gar nicht erst vorhanden sind. Entscheidende Storymomente, Augenblicke, in denen man als Spieler*in eigentlich fassungslos mitfiebern sollte, verkommen so oft zu Fremdscham. Es wird dadurch nicht besser, dass die Umgebungen oft kein Stück abwechslungsreich sind.
Die Frage des Gameplays
Leider muss man an dieser Stelle sagen, dass sich die mangelnde Abwechslung so auch im Spielgeschehen niederschlägt. Es zeichnet das Spiel zwar einerseits aus, dass die wichtigen Mechaniken innerhalb einer halben Stunde erklärt und allesamt intuitiv zugänglich sind. Andererseits hat man nach den ersten zwei Stunden auch das Gefühl, dass nichts Relevantes mehr dazukommt. Die Schleichpassagen und sonstigen Mechaniken sind allerdings alle gut designt und machen auch als Spieler*in, der*die Schleichen eigentlich vermeidet, absolut Laune. Abwechslung sollen Nebenaufgaben und optionale Miniaufträge bieten, die allerdings meist konsequenzlos bis banal bleiben und zu reinen Such-Aufgaben verkommen.
Über das Finden von Geistern und das Erfüllen von Aufträgen erhalten wir Erfahrungspunkte, die wir in eine Art Talentbaum investieren dürfen. Diese Fortschritte sind praktisch, gut ausbalanciert und fühlen sich angemessen wirkungsvoll an. Dieses System ist in Sachen Spielspaß aber schnell ausgereizt, und man hätte sich mehr Möglichkeiten der Charakterprogression gewünscht. Mächtige Geisterpakte, Fetische – so nennen sich die „magischen Gegenstände“ der Spielwelt – oder vielleicht Ausrüstung oder diversere Charakterattribute und Fähigkeiten hätten dem Spiel notwendige Tiefe und Vielfalt verschafft. Der Charakter investiert nämlich de facto nur in kampfrelevante Fähigkeiten, Soziales oder Wissenstalente spielen keine Rolle. Es fühlt sich unter dem Strich eher wie ein Actionspiel an, dem ein Paar obligatorische Rollenspiel-Elemente angefügt wurden.
Eine blutige Angelegenheit
Diese Action-Sequenzen machen das Spiel allerdings sehr gut, so viel muss man ihm zugutehalten. Jedes Mal, wenn wir beim Schleichen versagen oder Heimlichkeit keine Option ist, bricht ein brutaler Kampf aus. Dieser ist meist ziemlich blutig, und Cahal in seiner monströsen Kriegsgestalt zu steuern, fühlt sich so an, wie man es sich wünscht. Wir können zwischen zwei Haltungen wechseln, eine agil und schnell, die andere schwerfällig, aber mit gewaltiger Durchschlagskraft. Die Steuerung funktioniert absolut einwandfrei und die Punkte, die wir vorher investieren, geben uns zusätzliche Optionen, die wir gegen die verschiedenen Gegner einsetzen können und die sich bemerkbar machen.
Die verschiedenen Gegnertypen sind dabei aber bald erschöpft und man hat nicht wirklich das Gefühl, großartig seine Spielweise anpassen zu müssen. Zwar nehmen wir uns vor Silber in Acht, da es unseren Lebenspunktepool verkleinert und wir Silberschaden im Gegensatz zu anderen Wunden nicht einfach heilen können, aber selbst das lässt sich mit der Investition einiger Erfahrungspunkte einfacher handhaben. Hier hätte mehr Vielfalt gut getan, die uns die World of Darkness durchaus bietet, was gewissermaßen symptomatisch für das Spiel als Gesamtes ist.
Die harten Fakten:
- Entwicklerstudio: Cyanide Studios
- Publisher: Nacon
- Plattformen: Windows, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X/S
- Mindestanforderungen: Windows 10, Intel Core i5-3470 | AMD FX-8370, 4 GB RAM, Nvidia GeForce GTX 650, 1 GB | AMD Radeon HD 7790, 1 GB
- Sprache: Sprache: Englisch, Schrift: Englisch, Französisch, Italienisch, Deutsch, Spanisch (Spanien), Spanisch (Südamerika), Polnisch, Russisch, Vereinfachtes Chinesisch, Traditionelles Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Portugiesisch (Brasilien)
- Genre: Action
- Releasedatum: 04.02.2021
- Spielstunden: 10-15
- Spieler*innen-Anzahl: Einzelspieler
- Altersfreigabe: USK 18
- Preis: 39,99 EUR
- Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo
Fazit
Am Ende steht wie immer die nicht ganz einfache Frage: Ist das Spiel gelungen? In dem Fall ist die Antwort schwer, denn unterschiedliche Spieler*innen werden mit völlig anderen Erwartungshaltungen ans Spiel herangehen. Ohne Fanbrille betrachtet, muss man leider sagen, dass das Spiel handwerklich weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Die Schwächen des Spiels sind offensichtlich, gerade da es mit 10 bis 15 Stunden Einzelspieler*innenkampagne und ohne Mehrspieler*innen-Modus nicht gerade umfangreich ist. Die Story weiß weitgehend mitzureißen und hat ihre Höhen, die von solider Musik und guten Synchronsprecher*innen angemessen transportiert werden. Die technischen Mängel zehren aber trotz relativer Bugfreiheit sehr am Gesamtbild des Spiels. Wer Fan des Pen-and-Paper-Vorbilds ist, wird hier vielleicht seinen Spaß haben, gerade da die Kämpfe ordentlich gelungen sind. Wer hier allerdings einen neuen Klassiker wie Bloodlines sucht, die Welt von Werwolf: Die Apokalypse für sich entdecken will oder einfach nur nach einem guten Action-RPG sucht, der wird anderswo besser beraten sein.
Artikelbilder: © Cyanide
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Saskia Harendt
Screenshots: Stephan Köhli
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.