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Ob on- oder offline, Fantasy oder Sci-Fi: Videospiele beinhalten oftmals mehr als bloß einen primären Handlungsstrang. Es gibt Nebenhandlungen, die zwar mit den zentralen Geschehnissen verknüpft sein können –  aber nicht müssen. Hier aktiv zu werden, kann sich auszahlen. Lohnt es sich für Spieler*innen dennoch, mal eine Quest liegen lassen?

Eine gute Geschichte kann fesseln. Videospiele weisen hier ein besonderes Potenzial auf; sie arbeiten mit bunten, teils schnellen Bildern und Klängen und geben Spieler*innen die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Sie werden involviert. Neben der primären Handlung, die den roten Faden einer Geschichte darstellt, bringen viele Spiele weitere Beschäftigungsmöglichkeiten mit. Neben Minispielen und Sammelaufgaben gibt es Sidequests (auch: Nebenmissionen), die nicht oder nur bedingt mit der zentralen Handlung zusammenhängen. Sie pflichtbewusst zu erledigen kann sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen.

Lebendigkeit, Spieltiefe und gute Unterhaltung

Viele Spieler*innen stellen den Anspruch an sich selbst, jeden Winkel der Karte zu erforschen und alle Missionen erfolgreich abzuschließen. Egal, ob es nun Steam-Errungenschaften oder PlayStation-Trophäen zu ergattern gibt: Ein absolut vollständiger Abschluss eines Spiels ist das Ziel eines jeden sogenannten Completionists. Ein solches Vorgehen bringt nicht wenige Vorteile mit sich, die nachfolgend vorgestellt werden.

Die Liebe für das Detail

Nebenmissionen geben Spieleschmieden die Möglichkeit, der Spielwelt mehr Tiefe zu verleihen. Dadurch, dass beispielsweise die Belange dort lebender Personen oder Kreaturen ins Rampenlicht gerückt werden oder besondere Örtlichkeiten besucht werden können, ohne dass sie für die primäre Handlung relevant sind, lernen Spielende die Welt näher kennen. Dieser Umstand trägt dazu bei, sich besser einzufinden und tut sein Übriges für eine immersive Spielerfahrung.

Darüber hinaus präsentiert sich die Liebe zum Detail in der Gestaltung der Spielwelt. Um in den vollen Genuss aller – oder zumindest möglichst vieler – Details zu kommen, sollten Sightseeing-Fans sich auch außerhalb der Mainquest umsehen. Ein Titel, der durch eine geschickte Kombination von zahlreichen (teils wiederholbaren) Quests und einer eindrucksvollen Spielwelt glänzt, ist Bethesdas The Elder Scrolls V: Skyrim.

Die Vorteile fleißigen Spielens

Wer fleißig Aufträge erledigt, wird im Regelfall auch belohnt – und das nicht nur mit guter Unterhaltung in Form von spaßigen Spielstunden. Erfahrungs- beziehungsweise Skillpunkte oder Level, aber auch nützliche Gegenstände, können den zusätzlichen Aufwand belohnen. Das bedeutet, dass Spieler*innen, die viel nebenbei erledigen, besser ausgerüstet sind und/oder mit weiteren Fähigkeiten durch die späteren Kapitel der Geschichte schreiten. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist CD PROJEKT REDs neuster Titel Cyberpunk 2077. Hier gibt es nämlich neben einer ganzen Menge find- und nutzbarer Gegenstände auch so einige Upgrade-Optionen.

Allerdings sind nicht wenige Spiele, vor allem im Action- beziehungsweise Action-Rollenspiel-Bereich, so konzipiert, dass sie ohne diese Extras ohne großen Aufwand durchspielbar sind. In der Folge erhalten fleißige Quest-Fans Boni, die sie nicht zwangsläufig benötigen – die aber Spaß machen können. Ergänzend kommt hinzu, dass die erworbenen Extras manchmal das Bewältigen weiterer Sidequests ermöglichen. Das gilt primär für besonders schwere Zusatzmissionen.

Ein Charakter, der fleißig Erfahrungs- oder Skillpunkte sammelt, kann überdies auf ein hohes Level steigen und somit weitere Fähigkeiten erlangen. Diese bringen Abwechslung und neue Möglichkeiten beispielsweise im Kampf mit sich.

Der Perfektionswunsch als Spaßkiller?

Das Verlangen, wirklich alles im Spiel zu erledigen – also jede Quest abzuschließen, jede Gegend zu erkunden und massenhaft wertvolle Gegenstände und Geld anzuhäufen – bringt unzählige spaßige Spielstunden mit sich. Es kann jedoch für einige Spieler*innen problematisch werden, wenn die Komplettierung zum Primärziel avanciert.

Pflichtgefühl statt Spielspaß

Gaming ist ein Hobby. Als solches dient es der Unterhaltung und der Zerstreuung. Wenn das Questlog, also der Ort, an dem alle Missionen dokumentiert werden, jedoch eher zur To-Do-Liste wird, entsteht ein Problem: Das eigentliche Entspannen bleibt aus, denn auch das ausgeübte Hobby bringt Arbeit mit sich, genauer gesagt das Abarbeiten von Einträgen einer vielleicht ungeliebten Liste. Hierbei handelt es sich um etwas, das viele Spieler*innen aus ihrem Arbeitsalltag oder aus dem Haushalt kennen. In der Folge kann es passieren, dass das Gefühl, etwas erledigen zu müssen, Stress provoziert. Dies wiederum mindert den Spielspaß. Es ist schließlich schwer genug, Zeit für das geliebte Hobby zu finden.

Das Risiko der sterbenden Motivation

Vor allem dann, wenn die Aufgaben innerhalb eines Spiels entweder langwierig oder aber repetitiv (im schlimmsten Fall sogar beides) sind, leidet die Motivation. In der Folge quälen sich Spieler*innen durch die Quests hindurch und es entsteht das Risiko, dass das Spiel bald schon keine Freude mehr bereitet. Im schlimmsten Fall bleibt das Spiel einfach liegen, weil die spielerseitige Energie schlichtweg aufgebraucht ist. Das ist nicht nur im Hinblick auf die Inhalte des Titels tragisch – auch der Kaufpreis ist schließlich investiert worden.

Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt ist, dass Spielinhalte langweilen können, wenn der eigene Charakter ein zu hohes Level und zu hochwertige Ausrüstung aufweist. Dann nämlich werden die Inhalte der Haupthandlung möglicherweise zu leicht. Auch dies ist für die Motivation nicht förderlich.

Alles versuchen, nichts schaffen

Auch wenn die Hauptquest zeitkritisch sein sollte, ist es in den wenigsten Spielen von Nachteil, wenn Sidequests eingeschoben werden. Hier reagieren die meisten Titel mit Toleranz; sie drücken ein Auge zu und gestatten es Spieler*innen, sich für die Erledigung dieser Extra-Aufgaben Zeit zu nehmen. Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Eine begegnete der Autorin in Form von Torment: Tides of Numenera. Hier existieren dringliche Nebenmissionen: Wird beispielsweise die Ursache von wiederkehrenden Erdbeben nicht erforscht, brechen Teile der derzeit besuchten Stadt ein – ebenso kann eine nicht aufgeklärte Mordserie weitere Todesopfer mit sich bringen.

In Torment: Tides of Numenera (© inXile Entertainment) sind einige Quests zeitkritisch

Das kann motivierend wirken und ist deutlich realistischer als der Gedanke, dass die Welt um die gesteuerten Charaktere herum wartet. Allerdings ist auch Frustration damit verbunden, denn Completionists haben in derartigen Spielen lediglich mit einer Vielzahl von Speicherständen und/oder Guide die Möglichkeit, alle Aufgaben erfolgreich abzuschließen.

Ausbruch aus der Charakterrolle

In Rollenspielen verkörpern Spieler*innen die zentrale Figur oder die zentralen Figuren. Diese Figuren haben oft einen gewissen Handlungsspielraum. Dieser kann sich in verschiedenen Möglichkeiten, eine Quest abzuschließen, zeigen. Doch auch die Frage danach, welche Quests der*die Protagonist*in erledigen, kann den Charakter formen und unter Umständen gewisse Szenen oder sogar Enden provozieren. Vor allem Rollenspielbegeisterte haben möglicherweise Freude daran, ihren digitalen Charakteren einen moralischen Kompass zu verleihen. Ein solcher kann den Wunsch entfachen, Quests auf eine für den Charakter passende Art und Weise – oder überhaupt – zu erledigen. Ein friedlicher Charakter mit grundlegend guter Gesinnung würde einen Auftragsmord vermutlich ablehnen. Existiert eine solche Quest, würde sie in diesem Fall ungelöst im Questlog verbleiben. Dies entspricht dem angestrebten Charakterkonzept, dürfte einem Completionist allerdings missfallen. 

Ein Beispiel für einen Titel, der Rollenspiel-Fans mit mehreren Pfaden zum Ziel versorgt, ist Baldur‘s Gate 3 (Larian Studios). Bereits die im Early Access enthaltenen Aufgaben können auf unterschiedliche Art und Weise erledigt werden.

Ein Plädoyer für das unsaubere Quest-Log

Es hat Vorteile, gewissenhaft alle Sidequest abzuarbeiten. Dieses Vorgehen bringt eine Menge Erfahrungspunkte, Items und Geld mit sich. Darüber hinaus kommen Spieler*innen, die nichts auslassen, in den vollen Genuss der Spielwelt und ihrer Bewohner. Allerdings kann der Wunsch, das Questlog zu leeren, auch zu Frust führen. Die Motivation kann mittendrin verlorengehen und das Spielen verknüpft sich mit einem Pflichtgefühl. Genau das soll aber nicht geschehen, denn Spielen sollte Spaß machen – immerhin ist es ein Hobby. Als solches dient es dem Freizeitvertreib, aber eben auch dem Eskapismus. Negativbelastungen sollten hier weitestgehend rausgehalten werden. Deshalb kann es lohnend sein, einfach mal eine Sidequest liegen zu lassen.

Es ist so, dass nicht jede Sidequest Spaß macht. Und nicht jede Sidequest bringt Vorteile mit sich. Außerdem kann es sich lohnen, ein paar Quests für einen späteren Durchlauf des Spiels aufzubewahren – immerhin kann man ein Spiel auch ein zweites oder drittes Mal angehen. Sich auf die Quests zu konzentrieren, die besonders reizvoll sind, steigert darüber hinaus den Spielspaß. Es entsteht nicht das lästige Gefühl, etwas erledigen zu müssen. Stattdessen jagt ein schöner Spielmoment den nächsten. Dies trägt enorm zum Spielspaß bei. Das Hobby Gaming kann an Mehrwert gewinnen und die Freizeit zur Qualitätszeit aufwerten

Kurzum: Spieler*innen sollten liegen lassen, was ihnen keinen Spaß macht; dauerhaft oder zumindest für den Moment, also für den aktuellen Spieldurchlauf. Nicht immer nämlich ist mit dem Dasein als Completionist Freude verbunden. Ein paar Steam-Trophäen weniger tun schließlich niemandem weh.

 

 

Artikelbilder: © Bethesda Game Studios/Bethesda Softworks, CD PROJEKT RED, inXile Entertainment, Larian Studios
Titelbild: © Bethesda Game Studios/Bethesda Softworks, CD PROJEKT RED, Larian Studios
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Lukas Heinen
Screenshots: Yola Tödt

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