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Der Stapel ungespielter Titel wächst unaufhörlich. Nichtsdestotrotz kreisen die Gedanken immer wieder um dieses eine bereits abgeschlossene Spiel: eine Verlockung, die aus einer bekannten Spielwelt mit bekannten Gesichtern und Missionen besteht. Rasch wird klar, dass ein erneuter Durchlauf ansteht. Videospiele mehrfach durchspielen – lohnt sich das und wenn ja: warum?

Wer gerne Videospiele spielt, der kennt die Mischung aus Freude und Traurigkeit am Ende eines großartigen Titels. Zum einen ist man stolz auf sich, den finalen Boss besiegt oder die letzte Schlacht geschlagen zu haben – zum anderen jedoch geht eine Geschichte zu Ende, von der man selbst bis eben noch ein Teil war. Obwohl unzählige noch ungespielte Titel mit fesselnden Handlungen locken, andere geliebte Hobbies ihre Zeit einklagen oder die Verpflichtungen des Alltags rufen, passiert es: Der Wunsch, dasselbe Spiel noch einmal zu spielen, reift heran. Unabhängig davon, ob dies kurz nach dem ersten Durchspielen oder erst später erfolgt, kann sich das richtig lohnen. Warum das so ist, wird nachstehend erläutert.

Videospiele mehrfach durchspielen: Ein Plädoyer

Vorweggenommen sei, dass die nachfolgenden Punkte nicht auf alle Spiele und Genres anzuwenden sind. Vornehmlich sind die nachfolgenden Betrachtungen für Titel relevant, die eine gewisse Handlungstiefe aufweisen und im Idealfall mit Stilmitteln des Storytellings ausgestattet sind. Spielmodi und Genres, die auf reines kompetitives Miteinander oder sogar auf ständige Wiederholung ausgelegt sind, sind nicht Teil der sich nunmehr anschließenden Betrachtung.

Das Gleiche – aber ganz anders!

Manche Videospiele bieten viele Möglichkeiten, den eigenen Spielstil auszuleben. In Strategiespielen beispielsweise kann ein und dieselbe Ausgangsmission auf unterschiedliche Art und Weise erledigt werden. Gleiches gilt für Adventure– oder Rollenspiele. Andere Handlungs- und Dialogoptionen, aber auch andere Vorgehensweise in kämpferischen Auseinandersetzungen, laden zur Variation ein.

Neue Ideen für alte Probleme? In vielen Videospielen kein Problem!)
Neue Ideen für alte Probleme? In vielen Videospielen kein Problem! © ra2studio

Das bedeutet, dass die eigentlich gleiche Handlung in anderen Facetten erstrahlt und eventuell sogar neue Inhalte wie zusätzliche Szenen oder gar ganz eigene Missionen preisgibt. Ein anderer Ansatzpunkt kann also dabei helfen, die unterschiedlichen Facetten der Spielwelt und/oder der Handlung näher kennenzulernen.

Ein geliebtes Spiel im Wandel der Zeit

Nicht ohne Grund entdecken erwachsene LeserInnen Bücher ihrer Kindheit erneut für sich. Beim Lesen werden Erinnerungen an einen anderen, früheren Lebensabschnitt wach. Ähnlich verhält es sich mit Spielen, die im Kindes- oder Jugendalter gespielt wurden. Sie versetzen die spielende Person zurück in eine andere Zeit.

Auch erkennen SpielerInnen möglicherweise, wie sich die eigenen Ansprüche und Wünsche an Videospiele mit den Jahren verändert haben. Was früher hochgeschätzt war, birgt möglicherweise heute wenig Unterhaltungswert. Gleichzeitig können Aspekte, die das jüngere Ich nicht als wichtig erachtete, heute einen ganz anderen Stellenwert besitzen. Es kann demnach sein, dass eine neue Meinung zu Gameplay, Handlung und Protagonisten entsteht, die konträr zu der ausfällt, die in der eigenen Erinnerung abgelegt ist. Somit werden aus einem alten Titel neue Erkenntnisse und Denkanstöße gewonnen.

Das perfekte Gameplay

Wer zum ersten Mal ein Spiel spielt, der muss viel verstehen. Worum geht es? Wie spiele ich? Was passiert, wenn ich dieses und jenes tue? Bis SpielerInnen sich „warmgespielt“ haben, vergehen einige Spielstunden.

Aller Anfang ist schwer – auch wenn es um Videospiele geht © romankosolapov
Aller Anfang ist schwer – auch wenn es um Videospiele geht © romankosolapov

Dass in der Folge nicht alle Optionen ausprobiert werden und nicht die ideale Verteilung aller Erfahrungs-, Fertigkeits- oder Fähigkeitspunkte gewählt wird, ist da nur selbstverständlich. Ohne Vorkenntnisse von Spielinhalten und Möglichkeiten kann unmöglich ein Optimum angestrebt werden. Dabei ist dies nicht nur für Powergamer interessant. Abhilfe können erweiterte Tutorials und Funktionen zum erneuten Verteilen von oben genannten Punkten schaffen. 

Ausgestattet mit dem Wissen vom ersten Anlauf können SpielerInnen einem zweiten Durchgang sehr viel vorbereiteter begegnen. Gleiches gilt auch für komplexe Handlungsverläufe, denn wenn zu viel passiert, geraten vor allem frühe Kapitel einer Geschichte aufgrund des oben beschriebenen „Warmspielens“ rasch in Vergessenheit. Werden sie noch einmal gespielt und erlebt, frischt das zum einen die Erinnerung auf und präsentiert zum anderen spätere Geschehnisse des Spiels in einem anderen Licht.

Noch einmal mit Gefühl

Nicht immer jedoch besteht der Wunsch nach Variation oder dem perfekten Gameplay – und nicht immer ist der letzte Spieldurchlauf viele Jahre her. Es geschieht, dass SpielerInnen sich von einem Spiel angesprochen fühlen und dieses unverändert noch einmal so erleben wollen wie beim ersten Mal. Zwar ist eine exakte Nachahmung dieser Gefühlslage nicht möglich, weil der- oder diejenige eben zum wiederholten Mal in der Spielwelt unterwegs ist, doch die Erinnerung daran kann reizvoll genug sein. Da SpielerInnen bei einem zweiten (oder dritten) Anlauf mit der Spielwelt und ihren Besonderheiten vertraut sind, gelingt es ihnen zudem möglicherweise, sich noch mehr auf das Geschehen einzulassen. Dies kann eine immersivere Spielerfahrung provozieren.

Auch sorgt möglicherweise das Wissen um spätere Herausforderungen innerhalb des Spiels dafür, frühere Szenen intensiver oder möglicherweise sogar anders wahrzunehmen. Der Blick für Details ist geschärft.

Ein Hoch auf die Technik

Wird ein Titel durchgespielt, der noch nicht allzu viele Jahre gesammelt hat, kommt der Aspekt der verbesserten technischen Möglichkeiten zum Tragen. Neue Hardware oder gleich ein ganzes PC-Upgrade können dafür sorgen, dass ein Spiel mit ganz anderen Grafikeinstellungen als zuvor und ohne technische Einschränkungen wie Ruckler oder Abstürze gestartet werden kann. Musste sich vorher auf eine niedrige Grafikausgabe und eine Vielzahl von Rucklern beschränkt werden, können die Herausforderungen nunmehr auf wesentlich höherem optischem Niveau angegangen werden. Dies wertet einerseits die Spielerfahrung auf und überdeckt andererseits Erinnerungen an grafische Schwachstellen eines Titels. Beides hilft, die gewonnene Spielerfahrung aufzuwerten.

Was spricht dagegen, Videospiele mehrfach durchzuspielen?

Nicht immer lohnt es sich, einen Titel ein zweites Mal anzugehen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So kann es zum Beispiel sein, dass der Titel inhaltlich wenig Freude bereitet hat und ein nochmaliges Spielen deswegen uninteressant ist. Gleiches kann auch dann gelten, wenn ein Spiel zu linear erzählt wird. Zwar kann es, gleich eines Films, noch einmal in der exakt gleichen Art und Weise wie beim ersten Mal genossen werden, überzeugt dabei aber nicht zwangsläufig wiederkehrende SpielerInnen.

Auch technische Unzulänglichkeiten (z. B. Abstürze, Frameeinbrüche, Grafikfehler) können sich störend auswirken. Beim ersten Spielen standen diese möglicherweise hinter Gameplay und Handlung zurück, nun jedoch werden sie vermehrt Störfaktoren. Gleiches gilt für Spiele, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben. Vor allem Grafikenthusiasten werden sich nur schwerlich erneut auf einen veralteten Titel einlassen können.

Verdirbt die Technik einem den Spaß, hilft nur noch eins: Flucht! © Professor25
Verdirbt die Technik einem den Spaß, hilft nur noch eins: Flucht! © Professor25

Zu guter Letzt gibt es eine große Auswahl von Spielen. Nicht nur laden viele Klassiker im neuen Gewand, also als Remake- oder Remastered-Version, zum Kennenlernen ein, auch viele neue Titel sprechen SpielerInnen an. Dabei werden alle Geschmäcker und Genres bedient und Gamer sehen sich oft mit dem Problem konfrontiert, zu wenig Zeit für zu potenziell interessante Titel zur Verfügung zu haben. Videospiele und Alltag lassen sich zwar mithilfe einiger Tricks und Kniffe miteinander verbinden, jedoch ist das nicht immer einfach und kann zu Frustration führen. Da kann es schnell unattraktiv werden, ein und dasselbe Spiel zum wiederholten Male anzugehen – zumindest für einige SpielerInnen.

Fazit

Leider ist es nicht möglich, eine tolle Geschichte noch einmal „zum ersten Mal“ zu erleben. Doch manche Geschichten hinterlassen bleibenden Eindruck. Dies kann mit großartigen Büchern, Filmen/Serien oder eben Videospielen passieren. Alternativ ist es der Unterhaltungswert, also beispielsweise das Gameplay, das SpielerInnen begeistert und sie zum nochmaligen Erleben – in diesem Fall Spielen – verleitet. Schämen muss sich hierfür niemand, denn es kann sich lohnen, ein tolles Spiel mehrfach durchzuspielen:

Aus dem ersten Durchlauf haben SpielerInnen zumeist genug Wissen mitgenommen, um Gameplay und Möglichkeiten ausschöpfen zu können. Hinzu kommen die Variationsmöglichkeiten: Adventure-Spiele bieten vielleicht eine andere Kampftaktik und Strategie-Spiele eine neue Methodik, das Spiel zu schlagen, zum Ausprobieren an. Nicht zu vergessen sind verschiedene Dialog- und Handlungsoptionen in Rollenspielen. Variationsmöglichkeiten und Optionen, das Spiel noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu erleben, sind also gegeben. Doch auch ein und dieselbe Spielweise, wie sie z. B. bei sehr linearen Titeln oder einer stark präferierten Spielweise entsteht, kann für einen zweiten Durchlauf interessant werden. Dies beispielsweise dann, wenn ein Titel nach vielen Jahren noch einmal gespielt wird. Gesammelte Lebens- und Spielerfahrungen können dafür sorgen, dass SpielerInnen einen geliebten Titel beim erneuten Durchspielen anders empfinden als beim ersten Mal. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, sich auf die Handlung einzulassen und diese wahrzunehmen. 

Es bringt jedoch nicht nur Vorteile, sich erneut an einen durchgespielten Titel zu wagen. Das wiederholte Durchspielen kann, zeitweise oder vollumfänglich, langweilig werden. Überdies bringen vor allem ältere Titel technische Probleme mit sich, die für Frust sorgen können. Belastungen, die im Angesicht eines breit gefächerten Angebotes moderner Videospiele nicht hingenommen werden müssen.

Ob die genannten Nachteile ausreichen, dem zweiten (oder dritten) Durchlauf eines geliebten Spiels zu vereiteln, müssen SpielerInnen für sich selbst entscheiden. Fakt ist allerdings, dass vor allem Titel, die bereits beim Kennenlernen für Begeisterung sorgten, auch beim zweiten Durchlauf unterhaltsam sein können. Unter Umständen birgt der wiederholte Kontakt mit der bekannten Spielwelt darüber hinaus noch weitere Vorteile, die die vorherige Spielerfahrung aufwerten. In diesem Sinne: Do it again!

Titelbild: destrosvet@gmail.com | depositphotos.com
Artikelbilder: © romankosolapov, © Professor25, © ra2studio | depositphotos.com

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