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Wolf, Wombat, Wildgans – in Lost Ember können wir in die Rolle jedes Tieres schlüpfen, das uns über den Weg läuft. Das atmosphärische Indie-Abenteuer soll bald auch als VR-Edition verfügbar sein. Wir haben das Spiel für euch getestet und auch einen Blick auf das VR-Potenzial geworfen.

Das auf Erkundung und Erzählung basierende Spiel Lost Ember erschien im November 2019. Es wurde von den deutschen Mooneye Studios entwickelt und durch eine Kickstarter-Kampagne finanziert. Das Setting und der Fokus des Spiels erinnern an Titel wie Everybody‘s Gone To The Rapture oder Journey. Ergänzt wird dies durch das Seelenwandeln, wobei die Körper von anderen Tieren übernommen werden können, um neue Fortbewegungsmöglichkeiten und Bereiche der vielfältig dargestellten Natur zu erschließen. Dabei führt die Reise über weite Wiesen, durch tropische Dschungel, trockene Wüsten und karge Berglandschaften. Überall kann man hier auf die Ruinen einer alten Kultur stoßen.

Seit Januar ist nun bei Steam zu sehen, dass bald eine Virtual-Reality-Edition des Spiels erscheinen soll. Ein konkretes Veröffentlichungsdatum steht noch nicht fest. Ein storybasiertes Third-Person-Spiel in VR? Um das beurteilen zu können, wollen wir Lost Ember für euch unter die Lupe nehmen.

Setting: Eine Reise in die Vergangenheit der Zivilisation der Yanrana

Zu Beginn finden wir uns im Körper eines Wolfes wieder, der von einem roten, schwebenden Licht um Hilfe gebeten wird. Bei diesem Licht handelt es sich um eine Art Astralwesen, welches in die Stadt des Lichts gelangen möchte. Dieser Ort ist in der Kultur der Yanrana, dem Volk der Menschen in diesem Spiel, das Äquivalent zum Jenseits, ein Ort, an dem die verstorbenen Seelen zur Ruhe finden. Bisher hält jedoch eine kuppelartige Barriere das kugelförmige rote Licht davon ab, seinen Weg dorthin zu finden. Wir sollen nun dabei behilflich sein, diese Barriere zu durchbrechen. Relativ schnell nachdem wir mit unserem neuen Begleiter aufgebrochen sind, stellt sich heraus, dass wir selbst einst eine Yanranerin waren, unserer Seele aber der Zugang zur Stadt des Lichts aus irgendeinem Grund verwehrt worden ist. Diesen gilt es nun ebenfalls herauszufinden.

Unser Begleiter erinnert vom Erscheinungsbild her ein wenig an Navi aus The Legend of Zelda.

Wir stellen ebenfalls schnell fest, dass wir kein normaler Wolf sind, der anscheinend mit Astralwesen kommunizieren kann, sondern eine Seelenwandlerin. Wir können unsere Seele aus dem Körper des Wolfes heraus bewegen und in den Körper eines anderen Tieres schlüpfen. Auf diese Art und Weise können wir uns als Wombat durch enge Durchgänge zwängen, als Fisch durch tiefe Gewässer schwimmen oder als Kolibri Abhänge überwinden.

Ein Kolibri ist nur eine der Möglichkeiten, die Umgebung aus der Luft auszukundschaften.

Auf diesem Wege erkunden wir verschiedenste Landschaften wie Wiesen, Wälder, Dschungel, Wüsten und Berge, wo wir überall Überreste und Ruinen der Yanrana finden. Die Umwelt ist dabei jedes Mal sehr liebevoll gestaltet und zeigt uns die schönsten Seiten der Natur.

Die Landschaften bieten einen grandiosen Ausblick.

Nach und nach decken wir immer mehr Erinnerungen an unser früheres Leben auf und kommen damit den Ereignissen auf die Spur, welche dazu geführt haben, dass unsere Seele nun im Körper eines Wolfes verweilt und von unserem Volk nur noch Ruinen übrig sind. Wir werden dabei mit Liebe, Verlust, Verrat, Rebellion und Vergebung konfrontiert. Der Verlauf der Handlung ist dabei nicht komplett vorhersehbar und überrascht das ein oder andere Mal.

Die Silhouetten in den Erinnerungen zeigen uns die Vergangenheit.

Offene Erkundung, lineare Geschichte, packende Atmosphäre

Für die Handlung folgen wir den Markierungen, an denen wir Erinnerungen aufdecken können. Nur so machen wir Fortschritt in der Geschichte. Wir entscheiden allerdings selbst, wann wir dies tun und können uns ansonsten ausführlich umschauen. Die Spielwelt beziehungsweise der jeweilige Bereich bis zur nächsten Erinnerung steht uns offen und lädt zum Erkunden ein. Mit einem harmonischen Soundtrack und fantastischen Landschaftsbildern kreiert das Spiel dabei eine mitreißende Atmosphäre, die die Stimmung der Spielgeschehnisse oder auch einfach der jeweiligen Landschaft sehr gut transportiert. Mehr als ein Mal haben wir das Bedürfnis, einfach stehen zu bleiben und Musik und Bilder auf uns wirken zu lassen. Der wunderschöne Grafikstil trägt dazu noch sein Übriges bei. Insgesamt ist das Spiel sehr harmonisch und hat auf der einen Seite fast schon eine meditative, auf jeden Fall eine immersive Wirkung. Auf der anderen bleiben wir mit offen stehendem Mund vor dem Bildschirm sitzen, wenn wir beispielsweise als Fisch nach einer turbulenten Reise flussabwärts über den Rand eines Wasserfalls springen und nach einem Moment der Schwerelosigkeit in den See eintauchen.

Nur Fliegen ist schöner.

Wie werden besonders solche Momente, in welchen sich die Magie des Spiels zeigt, in VR ankommen? Man könnte behaupten, in einer Third-Person-Perspektive würde VR weniger immersiv wirken. Auch wenn wir in Lost Ember nicht in der Egoperspektive unterwegs sind, kann man sich sehr gut in das Spiel hinein fühlen. Die Sicht über die Schulter des Wolfes oder jeweils anderen Tieres ist essentiell dafür. Auch im VR-Modus würde mit Sicherheit der Zauber des Spiels nicht verloren gehen, vielmehr wäre das Erlebnis der Stimmung und der Naturabbildungen intensiver.

Features: Relikte, Pilze und Tier-Hopping

Neben dem Enthüllen der Vergangenheit und Erkunden der Landschaft regen zusätzlich mehrere Sammelgegenstände dazu an, sich genauer umzuschauen. Relikte, die durch eine leuchtende Markierung angezeigt werden, verraten uns mehr über die Geschichte und Kultur der Yanrana. Außerdem können wir Pilze verschiedener Arten in der Welt finden, die häufig sehr versteckt und, wie auch teilweise die Relikte, nur mit einer bestimmten Tierart zugängig sind. So lohnt es sich, ein Gebiet mehrmals in verschiedenen Tiergestalten abzusuchen, um nichts zu verpassen. Selbst wenn man sich sehr gründlich umsieht, bleibt am Ende eines Kapitels trotzdem meist ein Relikt oder Pilz unentdeckt. Dies regt dazu an, im nächsten Kapitel noch gründlicher zu sein. Die Erinnerungen sind durch rote Rauchsäulen markiert und dementsprechend einfach zu finden. Nachdem ein Teil der Vergangenheit aufgedeckt wurde, kann die kuppelartige Barriere durchbrochen und ein neuer Spielbereich erschlossen werden. Es gibt dabei keine Ladebildschirme zwischen einzelnen Biotopen, gelegentlich muss das Spiel aber Teile der Landschaft nachladen. Die Barriere verschiebt sich immer weiter mit jeder Erinnerung, die wir finden, wodurch wir uns Stück für Stück in der Geschichte vorarbeiten.

Die Rauchsäulen der Erinnerungen und die Barriere sind meist schon von Weitem sichtbar.

Das Seelenwandeln beziehungsweise Wechseln zwischen verschiedenen Tierarten ist letztendlich das innovative Merkmal, welches Lost Ember kennzeichnet und einzigartig macht. Nähern wir uns einem Tier, taucht ein Symbol über ihm auf. Wenn wir die entsprechende Taste dann gedrückt halten, lösen wir uns in leuchtende Partikel auf, die auf das Tier übergehen und mit ihm verschmelzen. Der Übergang ist fließend: Haben wir in einem Moment noch die wölfische Gestalt gesteuert, befinden wir uns im nächsten in dem kleinen, drolligen Körper eines Wombats. Diese Spielmechanik ist sehr gut ausgereift und umgesetzt. Reibungslos können wir munter die Gestalt wechseln, auch innerhalb einer Tierart. Dafür müssen wir nur nah genug heran kommen, was vor allem bei fliegenden Tieren nicht so einfach ist. Sind mehrere Tiere auf einem Fleck vorhanden, kann es passieren, dass man zunächst nicht in das gewünschte schlüpft. Wir können durch einen einfachen Tastendruck jederzeit aber wieder in unsere Wolfsgestalt wechseln. Wie mühelos diese Wechsel in VR ablaufen, dürfte interessant werden. Bei einigen der spielbaren Tierarten gibt es zudem sogenannte Legendaries. Sie sind leuchtende Silhouetten, die sich zusammen mit ein paar Artgenossen an eher abgelegeneren Orten aufhalten. Sie zu finden ist – ebenso wie die Relikte- und Pilzsammlung – eine optionale Nebenquest, die für Spielende mit einem Hang zur hundertprozentigen Komplettierung aber unumgänglich ist.

Als legendärer Papagei unter Artgenossen unterwegs.

Immersiv, aber leider nicht ohne Bugs

Eigentlich kommentiert unser rot leuchtender Begleiter die Geschehnisse, vor allem die aufgedeckten Erinnerungen. Wir können ihn außerdem um Rat fragen, wenn uns nicht klar ist, wo es als nächstes hin geht oder ob in diesem Spielbereich noch etwas zu erledigen ist. Für ein immersiveres Spielerlebnis ohne Kommentare können wir diese Funktion auf Wunsch vor Beginn des Spiels auch deaktivieren. Wir werden jedoch darauf hingewiesen, dass man die Geschichte dann möglicherweise nicht (oder zumindest weniger gut) versteht.

Eine weitere derartige Funktion ist der Slow-Motion-Modus, in dem sich alles verlangsamt abspielt. Dies eignet sich hervorragend, um tolle Momente in Form von Screenshots oder Aufzeichnung festzuhalten. Interessant anzusehen sind außerdem die Reaktionen der Tiere, wenn wir uns ihnen als Wolf nähern. Gänse fliegen hoch, Wombats ergreifen die Flucht, Gürteltiere dagegen bleiben entspannt sitzen. Hierbei reagiert die KI teilweise aber sehr merkwürdig: Gänse fliegen gegen Wände oder Wombats stürzen sich kopflos einen Wasserfall hinunter. Das, was das Spiel an Immersion durch die Atmosphäre, die Bilder und den Soundtrack aufgebaut hat, wird hierdurch etwas gestört. Das passiert manchmal ebenso, wenn man sich sehr nah an Wänden entlang bewegt und sich dann mit der Kamera außerhalb der eigentlichen Karte befindet. Dies bietet vielleicht einen netten Blick hinter die Kulissen, reißt allerdings vor allem aus der Welt raus. Zum Teil kann es passieren, dass man durch diesen Glitch an gewissen Stellen durch die Levelbegrenzung läuft und ins Nichts stürzt. Das ist nicht nur ärgerlich, weil der immersive Effekt gestört wird, sondern noch viel mehr, da man den letzten Speicherpunkt laden muss, wenn kein anderes Tier in Reichweite ist. Besonders, weil das Spiel eigentlich auf eine sehr charmante Art und Weise aus der Realität entführt und zum Träumen anregt, sind diese Bugs ärgerlich. Bei der technischen Umsetzung im VR-Modus bleibt die Frage, welche der Fehler sich dort wiederfinden lassen.

Der Wechsel von Lichtverhältnissen verläuft leider vereinzelt etwas stockend und abrupt, was nicht zur sonstigen Atmosphäre passt. Ebenso kommt das Spiel beim Nachladen der Gebiete manchmal etwas ins Ruckeln. Kein Bug, aber irritierend ist zudem ein Fenster, welches relativ zu Beginn erscheint und uns mitteilt, dass wir mit unterschiedlichen Tieren verschiedene „sinnlose“ Aktionen machen können, wie schlafen legen oder Früchte essen. An keinem anderen Punkt im Spiel werden Hinweise über ein solches Fenster vermittelt, vielleicht hätte man es hier also auch anders kommunizieren können.

Beim Beeren „mampfen“ bekommen wir gerne mal Gesellschaft.

Simpler und kurzer Spielspaß

Lost Ember ist sehr zugänglich und hat einen einfachen Schwierigkeitsgrad. Man kann quasi nichts falsch machen, lediglich wenn man aus zu großer Höhe fällt, wird man zurückgesetzt. Gelegenheitsspielende werden hiermit also ebenfalls ihren Spaß haben. Die Entwickler*innen selbst geben den Umfang mit 5 Stunden für die Handlung an, mit ausführlichem Erkunden und dem Suchen aller Sammelstücke können das aber gut 15 Stunden werden. Der Wiederspielfaktor begrenzt sich lediglich auf das Finden aller sammelbaren Gegenstände, da die Geschichte nach einem Mal Durchspielen bereits komplett bekannt ist. Womöglich könnte der unkommentierte Modus noch ausprobiert werden. Ein komplett anderes Spielerlebnis dürfte das jedoch nicht sein.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Mooneye Studios
  • Publisher: Mooneye Studios
  • Plattform: PC, PS4, Xbox One, Nintendo Switch
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch
  • Mindestanforderungen: Windows 10, 3.0GHz CPU Dual Core, 4 GB RAM, GTX 550 Ti 1GB/Radeon 6950 1GB, DirectX: Version 10, 13 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Indie-Abenteuer
  • Releasedatum: 22.11.2019
  • Spielstunden: 5 bis 15
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: USK 6
  • Preis: 29,99 EUR
  • Bezugsquelle: Steam, Nintendo eshop, Microsoft Store, Playstation Store

 

Magisch: Wenn wir über diese Wiese rennen, hinterlassen wir eine Spur aus Glühwürmchen.

Fazit

Lost Ember ist ein optisch und spielerisch großartiges Indie-Abenteuer, welches mit seinem umwerfenden Stil, seiner magischen Atmosphäre und innovativen Spielmechanik überzeugt. Das Seelenwandeln ist sehr gut umgesetzt, spielt sich flüssig und macht viel Spaß. Wir können als Wombat durch die Gegend rollen, als Gürteltier durch die Erde graben oder als Papagei durch tiefe Schluchten fliegen. In der Geschichte gehen wir nicht nur unserer eigenen Vergangenheit, sondern der einer ganzen Zivilisation auf den Grund. Dabei bleibt es spannend und abwechslungsreich durch verschiedene Tierarten, die ihre eigenen Biotope und Fähigkeiten mit sich bringen. Das Spiel baut viel auf Erkundung und Atmosphäre und lässt Spielende in ihrem eigenen Tempo Fortschritt machen. Das relativ kurze Spielerlebnis von 5 Stunden kann durch das Suchen aller Sammelstücke um ein paar Stunden erweitert werden. Für ein Spiel mit dieser Länge und ohne hohen Wiederspielwert ist der Preis von knapp 30 EUR für viele wahrscheinlich etwas hoch. Wie viel die VR-Version kosten wird, ist noch unklar. Die Umsetzung in Virtual Reality birgt viel Potenzial, das immersive Erlebnis des Spiels noch stärker zu transportieren. Durch die Mechanik des Seelenwandelns sticht das Spiel bereits aus der Masse heraus. Fans von atmosphärischer Erkundung, verträumten Soundtracks und bildhübscher Naturdarstellung, die ein paar kleinere Bugs verzeihen können, kommen hier aber auf jeden Fall auf ihre Kosten.

  • Innovative, gut umgesetzte Spielmechanik
  • Mitreißende Atmosphäre
  • Grandioser Soundtrack, liebevoller Grafikstil
 

  • Preis-Leistungs-Verhältnis
  • Kleinere Bugs

 

Atikelbilder: © Mooneye Studios
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Saskia Harendt
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

Über die Autorin

Lisa ist in Niedersachsen aufgewachsen, treibt sich jedoch am liebsten in anderen Welten jenseits der heimischen Bildschirme rum. Videospiele begeistern sie seit der ersten Playstation und dem Gameboy Advance, mittlerweile ist sie aber überwiegend vor dem PC zu finden, wo sie am liebsten kooperativ mit Freunden zockt. Auch in den Bereichen Brettspiele und Pen-and-Paper ist sie kein unbeschriebenes Blatt und freut sich über jede Gelegenheit, um ein neues Regelwerk oder Gesellschaftsspiel ausprobieren zu können.

 

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