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Waldläufer Talion lebt mit seiner Familie am Schwarzen Tor, an dem eine kleine Garnison aus Gondor die Orks von Mordor zurückhält. Doch dann kehrt der dunkle Lord Sauron in das Land zurück und die Festung wird überrannt. Talion muss mitansehen, wie seine Familie in einem Blutritual grausam ermordet wird. Auch er stirbt – doch mit Hilfe eines geisterhaften Elben kehrt der Waldläufer zurück, um Rache zu nehmen.

Das Action-Spiel Middle-earth: Shadow of Mordor vereint Spielelemente von Assassin’s Creed und der beliebten Arkham-Reihe, fügt ein innovatives Nemesis-System dazu und verortet seine Handlung in Tolkiens Legendarium. Oder zumindest in einer alternativen Version davon. Wir haben das Werk von Monolith Productions ausgiebig getestet.

Freerunning und Ork-Gemetzel

Was die Spielwelt angeht, so wurde Monolith eindeutig von den offenen Landschaften von Assassin’s Creed inspiriert. Talion kann zwei größere Karten besuchen, die in kleinere Unterabschnitte aufgeteilt sind. In jedem dieser Unterabschnitte wartet ein alter Turm darauf, aktiviert zu werden. Danach werden die verfügbaren Quests angezeigt.

Diese erfordern meist eine Mischung aus Schleichgeschick und Kampftalent. Talion klettert wie ein Eichhörnchen und kann auch aus größeren Höhen problemlos abspringen, denn der Elbengeist hat sich mit Talions Körper vereint und verleiht diesem übernatürliche Fähigkeiten. Dazu gehört auch, geisterhafte Pfeile abzuschießen oder nach einer Niederlage ins Leben zurückzukehren.

Mit der Magie des Elben ist es Talion auch möglich, in den Geist der Orks einzudringen und so Informationen zu erhalten.
Mit der Magie des Elben ist es Talion auch möglich, in den Geist der Orks einzudringen und so Informationen zu erhalten.

Kommt es zum Kampf, so werden hingegen Ähnlichkeiten zu den Arkham-Spielen offensichtlich. Talion kämpft ähnlich wie Batman mit einem Free-Flow-System, schlägt sich in Sekunden von Ork zu Ork und erhöht so sein Combo-Meter. Ist dieses hoch genug, kann der Waldläufer brutale Finisher einsetzen oder Brandpfeile schießen.

Das alles ist nicht innovativ, aber Monolith bleibt dem Motto „Besser gut geklaut, als schlecht erfunden“ treu. Die Mechaniken sind einfach zu erlernen. Auch wenn Talion im Spielverlauf mächtigere Fähigkeiten erwirbt, ist das Grundprinzip dahinter simpel genug, um ohne große Mühe die Uruk-Horden zu dezimieren. Tatsächlich wird der Schwierigkeitsgrad für Arkham-Veteranen wohl sogar etwas zu niedrig sein.

Die harten Fakten:

  • Produzent: Monolith Productions
  • Plattform: PC/Playstation 4/Xbox One
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Mindestanforderungen: Vista, Win 7, Win 8 / Intel Core i5-750, 2.67 GHz oder AMD Phenom II X4 965, 3.4 GHz / 4 Gigabyte Arbeitsspeicher / NVIDIA GeForce GTX 560 oder AMD Radeon HD 6950 / DirectX Version 11 / Breitband-Internetanschluss / 25 Gigabyte freier Festplattenspeicher
  • Preis: 49,99 EUR
  • Bezugsquelle: Steam, Amazon

 

„Du schon wieder“ – Das Nemesis-System

Die große Neuerung des Spiels ist das Nemesis-System: Unter den Orks gibt es Anführer mit verschiedenen Rängen, auf die Talion immer wieder im Verlauf seiner Abenteuer trifft – und welche er auf Wunsch auch aktiv aufsuchen kann. Wenn einer dieser Anführer das Aufeinandertreffen überlebt oder Talion sogar niederstreckt, so erinnert er sich daran bei der nächsten Begegnung.

So kann es vorkommen, dass man einen Uruk-Hauptmann in die Flammen eines Lagerfeuers stößt und dieser dann die Flucht ergreift. Später durchschleicht man eine Festung, um Sklaven zu befreien und steht dem nun im Gesicht verbrannten Ork gegenüber, der einem sogleich versichert, sich nun für die Verstümmelung rächen zu wollen.

In der zweiten Hälfte des Spiels erwirbt Talion zudem die Fähigkeit, die Orks per Gedankenkontrolle in seinen Dienst zu zwingen. Ist ein Anführer genügend geschwächt, so kann Talion ihm seine geisterhaft leuchtende Hand aufpressen und so dessen Geist übernehmen. Auf diese Weise baut sich der Waldläufer eine eigene Armee von Ork-Anführern auf.

Im Nemesis-System kann Talion jederzeit Details zu den Ork-Anführern sowie deren Position in der Welt einsehen.
Im Nemesis-System kann Talion jederzeit Details zu den Ork-Anführern sowie deren Position in der Welt einsehen.

In generischen, aber gut inszenierten Nebenquests kann der Waldläufer seinen Untergebenen dann helfen, weiter in den Rängen der Ork-Gesellschaft aufzusteigen, bis sie schließlich die Häuptlinge von Mordor herausfordern und mit Talions Hilfe auch ersetzen können. Dazu kommt, dass jeder dieser Orks eigene Stärken und Schwächen hat, die Talion ausnutzen kann, ein eigenes Aussehen mitbringt und einen passenden Titel wie etwa „der Fleischer“ oder „der Jäger“ trägt.

Auf diese Weise entstehen wirkliche Beziehungen zwischen Spieler und Widersachern. Wer will, kann sich von einem normalen Ork umbringen lassen, was diesem eine Beförderung zum Hauptmann einbringt, ihm dann durch die Ränge nach oben helfen und ihm, wenn er endlich Häuptling ist, hinterrücks den Todesstoß verpassen. Rache ist süß!

Mit dem Nemesis-System ist Monolith wirklich ein Geniestreich gelungen. Selten gelingt es Spielen, zufällig generierte Charaktere so interessant zu machen, wie es bei den Uruk-Anführern in Shadow of Mordor der Fall ist. Es ist dieses System, welches das Spiel von seinen Vorbildern abhebt und deutlich aufwertet.

Ist das noch Tolkiens Werk?

Shadow of Mordor verhält sich sich zu Tolkiens Büchern wie eine American-Style-Pizza zur italienischen Küche: Die Grundelemente sind irgendwie identisch, aber Puristen schlagen dennoch beim Anblick des Ergebnisses die Hände über dem Kopf zusammen.

Monolith hat sich großzügig bei allem bedient, was Bücher und Filme zu bieten hatten – und damit sind wirklich alle Bücher gemeint, vom Herrn der Ringe über das Silmarillion bis hin zu den Unfinished Tales. Allerdings sind Gollum und Sauron die einzigen Charaktere aus den Filmen, welche einen größeren Auftritt haben. Denn Talion erkundet die Hinterlande von Mordor, zum Beispiel das Nurnen-Meer, dessen fruchtbare Ufer Saurons Armeen ernähren.

Dabei kann man getrost bezweifeln, dass Tolkien die überdrehte Geschichte um Magie, Elbengeister und konstantes Ork-Gemetzel gutgeheißen hätte. Hier geht es nicht um Freundschaft und Mut, hier geht es um Rache und Action. Da die Missionen wie bei Assassin’s Creed immer nur Story-Häppchen liefern, ist die Erzählung zudem wenig packend inszeniert, von einigen intensiven Zwischensequenzen einmal abgesehen.

Talion kann auf den Wildtieren Mordors reiten, die aber seltsamerweise keine Warge, sondern so genannte Caragor sind.
Talion kann auf den Wildtieren Mordors reiten, die aber seltsamerweise keine Warge, sondern so genannte Caragor sind.

Interessanter ist da schon die Vergangenheit von Talions geisterhaftem Begleiter. Der Elb ist eine sehr wichtige Figur in Tolkiens Legendarium, deren Identität hier natürlich nicht verraten werden soll. Im Spiel wird seine Geschichte allerdings so albern weitergeführt, dass man nicht anders kann, als sich mit einem ungläubigen Grinsen zurückzulehnen und es zu genießen. Oder wie es die Engländer sagen: „So bad, it’s good“.

Das Finale des Spiels setzt der Tolkien-Verwurstung dann die Krone auf, weniger wegen des unbefriedigenden Cliffhangers, sondern wegen des letzten Satzes der Hauptfigur. Zu diesem Zeitpunkt wird endgültig klar, warum das Spiel in einem alternativen Universum angesiedelt ist, denn sonst wären die Fans wohl mit Fackeln und Mistgabeln vor dem Firmensitz von Monolith aufmarschiert.

Um fair zu sein, muss man allerdings erwähnen, dass sich die Macher von Monolith trotz aller Albernheiten sehr gut mit dem Werk Tolkiens auskennen: Im Spiel finden sich Hinweise auf die zwei Bäume, die blauen Zauberer, die Verwüstung Eregions und andere eher weniger bekannte Elemente aus den Büchern, welche den Fan dann wieder einigermaßen mit dem Spiel versöhnen.

Mordor ist ein schöner Ort

Da Sauron gerade erst nach Mordor zurückgekehrt ist, ist der Verfall des Landes noch ganz im Anfang begriffen – und das nutzen die Programmierer des Spiels hervorragend aus. Zwischen grünen Wiesen erheben sich alte gondorische Ruinen, dunkle Höhlen laden zum Erkunden ein und im Hintergrund sieht man Berge bedrohlich in den Himmel ragen.

Am Nurnenmeer findet Talion eine idyllische Küstenlandschaft vor. Leider ist auch hier das Böse bereits auf dem Vormarsch.
Am Nurnenmeer findet Talion eine idyllische Küstenlandschaft vor. Leider ist auch hier das Böse bereits auf dem Vormarsch.

Auch die Animationen der Spielfigur und der Orks sind gut gelungen. Die Kämpfe geraten zu wahren Grafik-Festen, wenn schwarzes Orkblut spritzt und Köpfe mit einem verdutzten Gesichtsausdruck durch die Gegend fliegen.

Die Stimmen der Hauptdarsteller in der getesteten deutschen Sprachausgabe passen zu den Charakteren. Talion wirkt ernst und verschlossen, der Elben-Geist spricht mit dem ruhigen Ton des Mentors und die Orks variieren zwischen schrillen Gequieke und tiefem Gegrunze. Die englische Sprachausgabe soll sogar noch besser sein, wurde aber von uns nicht angespielt.

Das Spiel zeigte sich außerdem angenehm fehlerfrei. Nur manchmal, wenn Talion zu schnell über die Karte rannte, kam es auf dem Testrechner ins Stocken. Ansonsten gab es keine Bugs oder Probleme beim Spielen – und das in der Version des Erscheinungstages, was heute keineswegs mehr üblich ist. Hier hat Monolith gute Arbeit geleistet!

Fazit: Fan-Hirn ausschalten, Spaß haben

Ich selbst bin ein begeisterter Anhänger von Tolkiens Werk und war daher zunächst skeptisch: Würde Shadow of Mordor dem Stil der Bücher treu bleiben, oder würde es zu einem geistlosen Actionfest werden? Jetzt, nach dem Spielen, ist klar: Es ist ein Actionfest, aber nicht geistlos. Die Macher wissen genau, was sie haben, nämlich eine Möglichkeit, einmal ganz anders an Tolkien heranzugehen.

Wer schon immer eine Kombination aus Assassin’s Creed und Herr der Ringe wollte oder wer bei Legolas‘ Olifanten-Mord im Kino geklatscht hat, der sollte bedenkenlos zuschlagen. Auch für Fans fantastischer Action, die mit Tolkien bisher wenig am Hut hatten, ist der Titel durchaus geeignet.

Tolkien-Puristen müssen sich hingegen eine einzige Frage stellen: Ist man bereit, das Spiel als alternative Realität und puren Spaß zu akzeptieren? Oder kann man sich nicht vom Gedanken lösen, dass in einem Werk mit „Mittelerde“ im Titel auch Tolkiens Werte und Vorstellungen berücksichtigt werden sollten? Je nach Antwort wird der Kaufentscheid ausfallen.

Insgesamt gesehen ist Middle-earth: Shadow of Mordor jedenfalls das Äquivalent zu einem besseren Kino-Blockbuster: Es inszeniert sich im großen Stil, folgt dabei bekannten Schemata, bietet aber genügend neue Ideen für viele Stunden Spaß.

Daumen4Maennlich

 

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Artikelbilder: Monolith Productions

 

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