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Das Rad der Zeit dreht sich ab dem 19. November wieder – auf Amazon Prime. Einen Monat später stellt sich der Hexer auf Netflix dem Erbe der Elfen. Adaptionen boomen und sind aus der heutigen Medienlandschaft nicht wegzudenken. Doch was bedeutet es eigentlich zu adaptieren?

Von Buchreihe und Comic zu Film oder TV-Serie: Die bekannteste Art von Adaption ist vom Papier zum Bildschirm. Das Marvel Cinematic Universe macht beeindruckend vor, was für ein gigantisches Franchise aus dem richtigen Material entstehen kann.

Figurenschöpfer Stan Lee ist das bekannteste Gesicht hinter dem Comic- und Film-Imperium Marvel. Foto © bettorodrigues | depositphotos.com

Doch was reizt uns eigentlich an Adaptionen? Warum scheint neues Material so rar zu sein, vor allem in Film und TV? Um das herauszustellen, bedienen wir uns der Kulturtheorie – eine kleine Auswahl an einschlägiger Literatur findet ihr am Fuß dieses Artikels.

Vom Papier auf den Bildschirm – Einführung in die Adaptionstheorie

Was ist eigentlich eine Adaption? Wikipedia beschreibt den Vorgang als „die Umarbeitung eines […] Werkes von einer Gattung in eine andere [oder in ein anderes Medium]“. Die Kulturtheorie fügt dem noch hinzu, dass eine Adaption – anders als beispielsweise eine Parodie oder ein Plagiat – offen ihr Verhältnis zum Ursprungstext ankündigt, zum Beispiel durch den gleichen Titel oder die Übernahme von Namen und Schauplätzen im Werk.

Erwartungshaltungen

Die kanadische Literaturtheoretikerin Linda Hutcheon etabliert in ihrem Werk A Theory of Adaptation („Adaptionstheorie“) drei Modi, in denen sich ein Medienprodukt bewegen kann: Erzählen, Zeigen und Interaktion. Beispiele hierfür wären in gleicher Reihenfolge das Buch, der Film und das Videospiel.

Wichtig ist, dass jeder dieser Modi bestimmte Merkmale und Mechaniken, aber auch Limitationen hat, die sich unterschiedlich auf das Endprodukt auswirken. Daraus resultiert, dass wir als Konsumierende unterschiedliche Erwartungen an das jeweilige Medium haben.

Ein Beispiel: Die ausführlichen Beschreibungen eines Baumes in Der Herr der Ringe, die die Vorstellungskraft von Lesenden anregen, werden im Film zu einer einzigen Momentaufnahme. Mehrere Minuten Lesen sind so in einer einzigen Sekunde auf dem Bildschirm zusammengefasst. Direktor Peter Jackson setzt damit einen anderen Schwerpunkt als J. R. R. Tolkien in seiner Version der Geschichte. Das muss er auch – denn Zuschauende wollen keine minutenlange Ansicht eines Baumes innerhalb der limitierten Zeit eines Films. Diese Art von praktischen Entscheidungen ziehen sich im Großen wie Kleinen durch das gesamte Produkt. Vom Casting über das Kostüm- und Set-Design bis hin zu Skript und Schnitt; das Medium Film diktiert das Endprodukt.

Manch ein Oscar-prämierter Film entstand aus einer Buchvorlage. Foto © drizzuti | depositphotos.com

So hat jedes Format seinen eigenen Fokus: Der Vorteil eines literarischen Werkes ist es, innere Vorgänge der Figuren und besondere Details aufzuzeigen, während ein Film besonders gut Actionsequenzen darstellen kann. Ein Theaterstück setzt auf Dialog, ein Videospiel bietet Immersion in fremden Welten. In einer Oper soll die Musik den Zuschauenden Emotionen nahebringen, im Ballett ist es die Bewegung, die den gleichen Effekt erzielen möchte. Die berühmte Oper La Traviata bleibt dennoch eine Adaption des Romans Die Kameliendame, obwohl die Erzählweise so grundverschieden ist.

Ist das Buch wirklich besser?

In unserem (westlichen) kulturellen Umfeld besteht der Grundgedanke, dass eine Geschichte einen Ursprung hat und dass es somit ein Original gibt. Wir haben sogar international gültige Gesetze, die ein solches Original beschützen – das Copyright. Möchte man die Geschichte adaptieren, muss man die Rechte dazu käuflich erwerben. Dadurch entsteht automatisch eine Hierarchie zwischen dem Original und einer Adaptation.

Die Theorie spricht zudem von dem „doppelten Prozess der Adaptation“. Dieser besagt, dass der Ursprungstext von den Schaffenden immer zuerst interpretiert wird, bevor er umgewandelt wird. Als Konsument*innen vergleichen wir automatisch unsere eigenen Interpretationen des Ursprungstextes mit denen, die wir auf dem Bildschirm oder auf der Bühne sehen. Wer hat zum Beispiel nicht schon einmal nach einer Lektüre ein gänzlich anderes Gesicht vor dem inneren Auge gesehen als die entsprechende Darstellung in der Filmadaption es uns präsentiert? Es ist ganz natürlich, dass wir in diesem Fall unsere eigenen Interpretationen und Vorstellungen als höherrangig bewerten.

Im Fall von Filmen und TV-Serien kommt noch hinzu, dass es ja nicht nur eine einzige Person ist, die das Material interpretiert. Vom Skript zur Direktion zu den Schauspielenden – jede*r bringt seine*ihre Erfahrungen und Ideen ein. In der Post-Produktion mischen Sounddesign und Schnitt noch einmal alles auf. Das fertige Produkt ist somit eigentlich die Adaption einer Adaption einer Adaption… Man sieht schon, dass an dieser Stelle viel Potenzial für Diskrepanz zwischen eigener und fremder Interpretation ist.

Der Reiz der Adaption

Warum sind Adaptionen trotz dieses hohen Potenzials zum „Fehlschlag“ so beliebt? Die Antwort darauf beinhaltet mehrere Aspekte, auf die wir im Folgenden genauer eingehen wollen.

Buch oder Film – die Auswahl erfolgt oft individuell. Foto © gpointstudio | depositphotos.com

Neues im Bekannten

Von einem psychologischen Standpunkt aus betrachtet sind Adaptionen die perfekte Mischung aus zwei wichtigen menschlichen Bedürfnissen. Zum einen ist da der Abenteuergeist – unser Drang zu neuen Reizen und frischem Wind. Eine Adaption ist immer noch ein eigenständiges Produkt, dass wir zuvor noch nie in dieser Form konsumiert haben.

Auf der anderen Seite schätzen wir aber auch den Komfort, der durch Bekanntheit entsteht. Wenn wir wissen, wie eine Geschichte ausgeht, fühlen wir uns sicher. Gleichzeitig können uns durch den Fokuswechsel auch neue Bedeutungshorizonte der Geschichte eröffnet werden. Zu guter Letzt bringt Wiederholung auch Eingängigkeit mit sich – dieser Punkt ist zum Beispiel auch das, was uns am wiederholten Rezitieren von Gedichten reizt.

Natürlich spielt aber auch die Spannung des Interpretationsvergleichs eine Rolle. Wenn wir eine Geschichte lieben, wollen wir sie mit anderen besprechen. Eine Adaption ist zum einen ein solcher Dialog, und kann zum anderen weitere Gespräche anregen.

Die Überwindung soziokultureller Schranken

Adaptionen bieten neuen Zielgruppen Zugang zu dem adaptierten Material. Ein Film lässt sich schneller konsumieren als ein Buch. Ein Jugendroman, basierend auf einer klassischen Vorlage, bietet jungen Leser*innen einen einfacheren Zugang zu dem Text. Im besten Fall inspiriert es sie sogar dazu, sich auch mit der Vorlage zu beschäftigen. Eine Übersetzung wiederum verbreitet ein Werk in gänzlich neuen Kulturkreisen.

Verschiedene Medien bieten unterschiedliche Zugänge zum Material. Besonders Kinder profitieren von individuellen Lernmöglichkeiten. Foto © Yaruta | depositphotos.com

Diana Lawrence und Amy Montz sprechen von einem „Update“, das (vor allem historisches) Material durch Adaption erfährt. In den letzten Jahren konnte man beispielsweise häufiger beobachten, dass bei Adaptionen großer Wert auf Diversität in Sachen Casting gelegt wird – eine Reflektion aktueller soziokultureller Debatten.

So können einerseits Moral- und Wertvorstellungen, andererseits kulturelle Referenzen an die aktuellen Konsument*innen der Geschichte angepasst werden. Das ist vor allem bei den Texten wichtig, die in unser kulturelles Gedächtnis integriert sind – also das, was wir als Literatur- und Filmkanon begreifen. Adaptionen können deren Relevanz bestärken.

Ach ja, der Kapitalismus

Wenn man sich in der heutigen Kino-Landschaft umschaut, wird man von zwei Dingen erschlagen: Sequels und Adaptionen. Erst jüngst kam Dune in die Kinos, basierend auf Frank Herberts weltberühmtem Science-Fiction-Epos. Dem zweiten Teil wurde bereits grünes Licht gegeben.

Das hat einen guten Grund. Hollywoods Profitorientiertheit zwingt US-amerikanische Filmemacher*innen dazu, auf Dinge zu setzen, die bereits in der Popkultur etabliert sind.

Adaptionen haben den Vorteil, dass bereits eine Fanbase des Materials besteht, unter denen vorab Hype generiert werden kann. Diese Fans zählen dann zumeist auch zu den Erstkäufern des neuen Werks – das ist eine sicherere Rechnung für Verlage und Filmstudios als ein völlig neues Werk.

Aber nicht nur bei Filmen und Serien ist dieser Trend zu sehen. Im Literaturbetrieb finden sich seit der Jahrtausendwende vor allem in der Unterhaltungsliteratur zahlreiche Adaptionen zumeist älterer Texte. Von Götter- und Heldensagen (Rick Riordans Percy Jackson, Madeline Millers Das Lied des Achill) über Shakespeare (These Violent Delights von Chloe Gong) bis zu Adaptionen von Romanen des 19. Jahrhunderts (Jasper Ffordes Der Fall Jane Eyre) ist alles dabei.

Auch im Pen-and-Paper-Bereich sehen wir mehr und mehr Systeme, die auf bekannten Franchisen basieren. Im September wurde beispielsweise der Kickstarter zu einem TTRPG basierend auf Avatar – Herr der Elemente beendet und sammelte dafür geschlagene 9.500.000 US-Dollar.

Was macht eine Adaption gut oder schlecht?

Bisher haben wir über individuelle Interpretationen und Meinungen gesprochen. Aber unter welchen Gesichtspunkten wird eine Adaption im allgemeinen Konsens nun als „gut“ oder „schlecht“ bewertet? Warum gilt der Film zu Eragon als totaler Reinfall, während Villeneuves Dune größtenteils sehr positiv aufgenommen wurde?

Die Umsetzung von Dune kam beim Publikum gut an. © Warner Bros.

Die Kulturtheorie ist sich in dieser Hinsicht einig mit dem, was das eigene Bauchgefühl vermutlich auch zu diesen Fragen sagen würde. Der „Kern“ der Geschichte muss erhalten bleiben – grundlegende Aussagen und Emotionen dürfen nicht verändert werden. Die Story muss wiedererkennbar sein und auch für Nicht-Kenner funktionieren. Das ist bloß einfacher gesagt als getan.

In Retrospektive kann man natürlich teilweise analysieren, wo der Fehler lag. Das Ende von Eragon wich beispielsweise für viele Fans zu sehr von der Buchvorlage ab. Schwieriger wird es, wenn es um Emotionen oder Wertaussagen geht. Wie erklärt man schon Zeitgeist?

Was erhoffen wir uns von einer Adaption?

Kommen wir zum Schluss zu unserer Titelfrage zurück. Was erwarten wir, wenn wir uns eine Adaption zu Gemüte führen? Zum einen ist das natürlich Unterhaltung oder Mehrwert. Dies gilt für Kenner*innen wie auch für Nicht-Kenner*innen des Materials. Die Adaptierenden müssen also ihr Zielpublikum kennen und wissen, wie man dieses unterhält.

Zum anderen wollen Kenner*innen des ursprünglichen Texts diesen in der Adaption wiederfinden. Adaptierende sollten also auch das Material gut kennen und in seinem grundlegenden Kern verstanden haben. Auch wenn der Reiz für eine Adaption der finanzielle ist, bedarf es einer Vision hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Text.

Adaptionen bilden einen Grundpfeiler der aktuellen westlichen Unterhaltungsindustrie. Eine gute Adaption zu produzieren ist nichtsdestotrotz eine hohe Kunst. Das Gute ist ja – wenn das beim ersten Mal nicht so richtig funktioniert, kann man es ein paar Jahrzehnte später noch einmal versuchen. Bis dahin haben wir ja noch immer das „Original“, das uns weiterhin unterhält.

Literatur:

  • Hutcheon, Linda: A Theory of Adaptation. New York: Routledge 2006. Dieses Werk gilt als Standard innerhalb der Literatur- und Kulturtheorie, da es einen allumfassenden Blick auf verschiedenste Gattungen bietet.

  • Lawrence, Dana E., and Amy L. Montz (Hrs.): Adaptation in Young Adult Novels: Critically Engaging Past and Present. New York: Bloomsbury Academic 2020. Lawrence und Montz sowie zahlreiche weitere Autor*innen diskutieren in diesem (recht aktuellen) Band das Thema an direkten Beispielen aus der Jugendbuchliteratur.

  • O’Toole, Emer et. Al (Hrs.): Ethical Exchanges in Translation, Adaptation and Dramaturgy. Leiden/Boston: Brill 2o17. Hier wird vor allem der ethische Diskurs rund um Adaptionen diskutiert.

 

Artikelbilder: © ccaetano, © niphon, © bettorodrigues, © drizzuti, © gpointstudio, © Yaruta | depositphotos.com, © Warner Bros.
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids

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