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Die nordische Mythologie liefert uns viele ikonische Erzählungen und Gestalten, wie beispielsweise den Donnergott Thor. Doch auf Island weisen viele Sagen eine Bedrohung in Form eines grausigen und furchteinflößenden Untoten auf. Wer sind diese Draugar, die über viele Jahrzehnte die Bewohner Islands in Furcht und Schrecken versetzten? 

Untote üben seit Jahrhunderten eine bizarre Faszination auf uns Menschen aus. Geister, Zombies und Vampire finden sich nicht nur in vielen modernen Filmen, Spielen oder literarischen Werken wie Bram Stokers Dracula. Über viele Kulturen hinweg sind sie fester Bestandteil von Folklore und Sagen. Denn welche Kreatur könnte eine größere Bedrohung darstellen als ein lebender Toter? Als narrative Ausprägung des Totenglaubens verkörpern diese Wesen Ängste und Überzeugungen über unsere eigene Vergänglichkeit.

In diesem Artikel widmen wir uns einem ganz speziellen Typus von Untoten. Die nordische Sagenwelt, besonders jene in Island, konfrontiert in ihren Geschichten die Protagonisten gerne mit einem furchteinflößenden Gegenspieler: Dem Draugr.

Was ist ein Draugr? 

Draugar nach Hel'Blar 1 - Die Jäger der Draugar
Draugr nach Hel’Blar 1 – Die Jäger der Draugar

Viele Sagen verwenden den Begriff Draugr (Plural Draugar) nicht einmal. Dennoch gibt es heute aufgrund von Gemeinsamkeiten in den Erzählungen eine grundsätzliche Übereinkunft über die Beschaffenheit dieser Fabelwesen. Generell handelt es sich um einen Untoten, der in seinem Grabhügel weiterlebt.

Stellenweise wird eine Unterteilung nach den Aktivitäten der Wesen angestellt. Trifft man den Untoten lediglich in seinem Grabhügel an, so wird er manchmal auch als Haugbui (= Hügelbewohner) bezeichnet. Dieser Wiedergänger ist vergleichsweise passiv.

Gefährlich werden sie nur denjenigen, die sich in den Grabhügel des Haugbui wagen. Oftmals schützen die Untoten auf diese Weise ihre Grabbeigaben vor Räubern.

Ein Draugr im klassischen Sinne ist jedoch deutlich gefährlicher. Diese Untoten können große Entfernungen von ihrem Grabhügel zurücklegen, um die Lebenden nachts zu terrorisieren. Oftmals handelte es sich bei den Verstorbenen bereits zu Lebzeiten um Unruhestifter, die ihre sozialen Konflikte noch nach dem Tod weitertragen. Die Charakterisierung als Störer des Allgemeinfriedens findet sich in der Literatur bei vielen späteren Draugar.

Bekannte Erzählungen über Draugar 

Wenngleich es eine Vielzahl an Variationen in der isländischen Sagenwelt gibt, werden nun drei bekannte Erzählungen als exemplarische Beispiele aufgeführt.

Glámr in der Saga von Grettir dem Starken 

Glámr ist wahrscheinlich einer der bekanntesten Untoten der nordischen Mythologie. Zu Lebzeiten verdingt er sich als Schafhirte, der schnell durch sein unsoziales Wesen auffällt. Er weigert sich klassische Verpflichtungen zu akzeptieren, verhält sich ablehnend und ist gegenüber der christlichen Denkweise seiner Gemeinschaft sehr skeptisch eingestellt. Hier zeigt sich ein wiederkehrendes Motiv, den künftigen Draugr schon zu Lebzeiten als schwierig zu porträtieren.

An einem Heiligabend eskaliert ein Streit zwischen Glámr und der Frau seines Arbeitgebers, dem Bauern des Gehöfts. Der Schafhirte verschwindet und wird am nächsten Tag tot aufgefunden. Die Leiche ist „schwarz wie Hel und aufgeblasen wie ein Ochs“. Man vermutet die Einwirkung eines nahen Geistes. Mehrere Versuche den Leichnam zur Kirche zu bewegen und zu bestatten schlagen fehl, bis die Leiche an Ort und Stelle unter einem Steinhaufen begraben wird. Doch schon bald müssen die Leute feststellen, dass der Tote nicht ruht.

Fortan beginnt Glámr die Bewohner seines ehemaligen Hofes und der Umgebung im Tal zu terrorisieren. Bewohner und Vieh werden entweder auf brutale Art und Weise getötet oder vertrieben. Erst der Held der Saga, Grettir Asmundarson, nimmt es mit dem Untoten auf. Es kommt zu einem epischen Ringkampf auf dem Hof, in dessen Verlauf selbst der übermenschlich starke Grettir dem Untoten zu unterliegen droht.

Als der Held es letztendlich doch schafft den Untoten zu überwinden, erblickt er im Mondlicht das Antlitz von Glámr in all seinen schaurigen Details. Der Blick des Draugr frisst sich in Grettirs Seele, als Glámr ihn zu Unglück, Ruhelosigkeit und Einsamkeit verflucht. Dennoch schafft es der Held den Kopf des Monstrums abzuschlagen. Doch über die gesamte Saga hinweg muss Grettir an seinen seelischen Wunden leiden, da er ständig von Glámrs bösem Blick verfolgt wird.

Totschlag-Hrappr in der Saga von den Leuten aus dem Laxárdal 

Der Draugr dieser Erzählung wird zu Lebzeiten als sehr gewalttätiger Großbauer beschrieben. Hrappr versucht in seinem Ehrgeiz durch Landnahme auf Kosten der anderen Leute aus dem Laxárdal seinen eigenen Reichtum zu mehren. Dieses skrupellose Verhalten verkörpert, wie bei Glámr, das narrative Motiv des Aufbruchs der etablierten Sozialstrukturen.

Der Konflikt schwelt über Jahre und endet auch nicht mit Hrapprs Tod. In seinen letzten Stunden befiehlt er seiner Frau, stehend begraben zu werden. Er begründet dies damit, auch in Zukunft seinen Hof bewachen zu wollen. Jedoch hat dies zur Folge, dass er als Untoter zurückkehrt und noch gewalttätiger und aggressiver agiert.

Die verzweifelten Bewohner des Tals ergreifen nach einer Weile Gegenmaßnahmen. Man gräbt die Leiche Hrapprs aus und bringt sie an einen unbewohnten Ort. Während dies zu Beginn den Spuk zurückdrängt, ist die Lösung jedoch nicht von Dauer. Nach Jahren kehrt Hrappr zu seinem Hof zurück. Schlussendlich muss seine Leiche verbrannt und die Asche verstreut werden, damit der Untote niemanden mehr heimsuchen kann.

Þórólfr in der Saga von den Leuten auf Eyr 

Þórólfr wird als ungeselliger und missmutiger Großbauer beschrieben. Nach seinem Tod trifft der Sohn zunächst Vorkehrungen, um ein Wiederkehren seines Vaters zu verhindern. So wird der Leichnam weit entfernt begraben und das Gesicht des Toten bedeckt. All dies kann jedoch nicht verhindern, dass Þórólfr als Draugr zurückkehrt. Nach anfänglich harmlosem Spuk treibt das Monstrum Menschen in den Wahnsinn oder tötet sie.

Eine Besonderheit dieser Geschichte ist, dass die Getöteten des Wiedergängers selbst zu Untoten werden und sich dem Draugr anschließen. Somit entsteht langsam ein Heer der Untoten. Erst viele Jahre später kann dem Treiben ein Ende bereitet werden, indem der Untote verbrannt wird. Dieses Motiv des Untoten-Daseins als infektiöse Krankheit findet sich auch in anderen Erzählungen. Es kann sich entweder in der Schaffung von weiteren Untoten zeigen, oder in der Anwesenheit einer Seuche in Begleitung des Draugr.

Zur Natur der Draugar 

Eine „Voraussetzung“ für die Rückkehr eines Lebenden als Draugr scheint die Natur als Störenfried zu sein. In allen drei vorgestellten Sagen werden die späteren Untoten bereits zu Lebzeiten als unsoziale Menschen beschrieben. Die Unruhe tritt meist wegen eines nicht abgeschlossenen Konfliktes oder eines Ärgernisses auf. Auch ist ein Begräbnis in sitzender oder stehender Position ein Anzeichen, dass ein Leichnam wieder wandeln wird.

Einblick in Hel'Blar 1 - Die Jäger der Draugar
Einblick in Hel’Blar 1 – Die Jäger der Draugar

Nach ihrer Rückkehr weisen Draugar eine blau-schwärzliche Farbe und übermenschliche Fähigkeiten auf. So erfolgt beispielsweise keine Verwesung des Leichnams, wenngleich Merkmale von vor dem Tod nicht beseitigt werden. So zeigen etwa Draugar von Gefallenen eines Kampfes todbringende Wunden. Doch das sind nicht die einzigen körperlichen Auswirkungen. Meist werden die Untoten als Wesen mit übermenschlicher Stärke bezeichnet. Selbst der herausragend kräftige Grettir hat Probleme bei seinem Ringkampf mit Glámr. Darüber hinaus scheinen Draugar auch ihre Größe und Schwere ändern zu können. Mehrere Sagen beschreiben die Untoten als aufgequollen und massig, sodass man sogar auf Ochsenkarren angewiesen ist, um sie zu bewegen.

Neben den körperlichen Fertigkeiten besitzen viele Draugar auch magisches Können. Dies variiert jedoch von Erzählung zu Erzählung. Während beispielsweise Hrappr spurlos im Erdboden verschwinden kann, fällt bei Glámr sein Fluch gegen Grettir auf. Þórólfr dagegen treibt Menschen und Tiere in den Wahnsinn und verdammt seine Opfer selbst zu Untoten. Weitere erwähnte Fertigkeiten sind die Verödung von Landstrichen, die Verwandlung in Tiere oder Immunität gegen herkömmliche Waffen.

Auch bei der Beseitigung von Draugar gibt es widersprüchliche Angaben. Während das Bestatten an einem entfernten Ort manchmal den Spuk beendet, sorgt es bei Draugar wie Hrappr und Þórólfr nur für eine vorübergehende Schwächung. Als sicherste Mittel werden das Enthaupten und anschließende Verbrennen des Leichnams genannt.

Isländische Vampire? 

Während in der Vergangenheit Draugar klassischerweise in die Nähe von Geistern gerückt worden sind, gibt es inzwischen gegenläufige Meinungen. Diese sehen in den isländischen Wesen eher nordische Verwandte der Vampire des südosteuropäischen Volksglaubens.

Ein Vampir nach Nosferatu
Ein Vampir nach Nosferatu

Für diese Einschätzung gibt es gute Argumente. Sowohl Draugar, als auch Vampire sind vorwiegend in der Nacht aktiv und halten sich tagsüber in ihrem Grab(hügel) auf. Beide sind, im Gegensatz zu Geistern, körperliche Gestalten ohne Verwesungsprozess und besitzen übernatürliche Fertigkeiten. Dem Treiben kann nur Einhalt geboten werden, wenn die Grabstelle aufgefunden wird und der leibliche Körper vernichtet wird.

Auch das untote Dasein als Krankheit ist bei beiden Sagengestalten ein zentrales Motiv. Vampirismus kann durch einen Biss auf das Opfer übertragen werden und Draugar wie Þórólfr schaffen ebenfalls untote Begleiter. Der größte Unterschied ist das Trinken von Blut, was nur bei wenigen Draugar beschrieben wird.

Draugar in der Phantastik 

In den letzten Jahren dürften Draugar besonders den Spielern von The Elder Scrolls V: Skyrim ein Begriff sein. Hier fungieren die untoten Krieger als Wachen von Ruinen und Grabstätten. Im Gegensatz zu ihrer literarischen Vorlage weisen sie jedoch mehr eine Ähnlichkeit zu Zombies auf (skelettierte und vermoderte Körper die in Scharen auftreten). Eine Ausnahme sind die magiebegabten Drachenpriester, die in ihrer Bedrohung schon eher der ursprünglichen Idee entsprechen.

Draugr in The Elder Scrolls 5: Skyrim
Draugr in The Elder Scrolls 5: Skyrim

Auch in der Literatur finden sich von den isländischen Sagen inspirierte Wesen. So treffen Frodo und seine Begleiter in Tolkiens Der Herr der Ringe in den Hügelgräberhöhen auf Grabunholde. Diese nur spärlich beschriebenen Untoten sind magiebegabt und treiben in den Gräbern der Dúnedain ihr Unwesen. In ihrem Verhalten entsprechen sie damit dem Typus des Haugbui, der in seinem Erdhügel auf Opfer wartet.

Zudem kann argumentiert werden, dass auch die Weißen Wanderer aus Game of Thrones Eigenheiten der isländischen Untoten aufweisen. In der Serie verfügen sie über eine ähnliche bläuliche Färbung, wenngleich die Anderen in der Buchvorlage schneeweiße Haut aufweisen. Darüber hinaus ist die Schaffung einer Armee aus Untoten ein zentrales Element für die Bedrohung durch die Weißen Wanderer. Auch die Resistenz gegen herkömmliche Waffen ist eine Eigenschaft, die einige Draugar teilen.

Nicht zuletzt lassen sich auch Graphic Novel von dieser Thematik inspirieren. In Hel’Blar – Die Jäger der Draugar sieht sich ein Dorf von Wikingern von den übernatürlichen Wesen bedroht. In unserer Rezension konnte der Band aufgrund seiner stimmungsvollen Erzählung und den lebhaften Zeichnungen überzeugen. 

Gewinnspiel 

Wer mehr über die isländischen Untoten erfahren möchte, hat hierzu nun die beste Gelegenheit. Mit freundlicher Unterstützung des All Verlags verlosen wir nämlich ein Exemplar von Hel’Blar – Die Jäger der Draugar.

Um an der Verlosung teilzunehmen, beantwortet uns einfach folgende Frage: Welche beiden Methoden gelten als die effektivsten zur Beseitigung eines Draugr? Schickt die Antwort mit dem Betreff „Draugr“ an kontakt@teilzeithelden.de

Teilnahmeschluss ist der 20.01.2019. Es gelten unsere Teilnahmebedingungen.

 

Vielen Dank für die Teilnahme. Der Gewinner wurde informiert.

Quellen  
Chadwik, N.K (1946): Norse Ghosts (A Study in the Draugr and the Haugbúi), in: Folklore, Vol. 57, No.2 
Hume, Kathryn (1980): From Saga to Romance: The Use of Monsters in Old Norse Literature, in: Studies in Philology Vol. 77, No. 1 
Jakobsson, Ármann (2009): The Fearless Vampire Killers: A Note about the Icelandic Draugr and Demonic Contamination in Grettis Saga, in: Folklore, Vol. 120, No. 3 
Jakobsson, Ármann (2011): Vampires and Watchmen: Categorizing the Mediaeval Icelandic Undead, in: JEGP Journal of English and Germanic Philology 110(3) 
Teichert, Matthias (2012): NOSFERATUS NORDISCHE VERWANDTSCHAFT. Die Erzählungen von vampirartigen Untoten in den Isländersagas und ihr gesamtgermanisch-europäischer Kontext, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Bd. 141, H. 1 

Artikelbild: All Verlag, Bearbeitet von Jennifer Stramm 

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