Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Menschen leben, Geister leiden – eine besondere Erfahrung rund um Tod und Tragik war Kernthema des Ghosts-Larps der Traumlande-Orga. In einer alternativen Version des 19. Jahrhunderts versuchten mehrere Gruppen einer Geheimgesellschaft, Antworten hinter dem Schleier zu finden. Dabei fanden sie SC-Geister, die selbst einige emotionale Fragen hatten …

Ach, da kommt der Meister! / Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los.

Auszug aus Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe

Eine alte Burg, ein Experiment, eine intensive Larp-Erfahrung – rund 40 Personen waren Anfang November Teil eines Testballons für eine neue Con-Idee der Traumlande-Orga. Im Schullandheim Burg Waldmannshausen im Elbtal in Hessen wurde für ein Wochenende der Schleier zwischen den Welten der Lebenden und der Toten etwas verrückt. Denn einige der Charaktere waren IT bereits verstorben und nur als Geister anwesend.

Im Spiel wurden Themen wie Tod, Verlust und Akzeptanz emotional und spielerisch in Szene gesetzt. Ziel war, den Übergang auch aus Sicht der Verstorbenen darzustellen. Es folgt ein Con-Bericht aus Sicht eines Geist-Charakters.

Das Setting: Geheimgesellschaften und Geister

Die Ghosts-Con spielt in einem fiktiven 19. Jahrhundert, angelehnt an den Stil der Gothic-Literatur und des viktorianischen Zeitalters. In einem gesellschaftlichen Umbruch entstehen neue Technologien, gleichzeitig haben Glaube an göttliche oder okkulte Mächte einen spürbaren Einfluss auf die Menschen. Genau dieses Zusammenspiel spiegelt sich in der „Gesellschaft für Hermetik, Okkultismus, Spiritualismus und Thaumaturgie“ (kurz: Die Gesellschaft) wider, eine geheime Gruppierung mit einem großen Netzwerk in Europa und darüber hinaus. Die Mitglieder dieses Bundes sind daran interessiert, mehr über ein mögliches Leben nach dem Tod zu erfahren und mit Geistern in Kontakt zu treten.

Innerhalb der Gesellschaft gibt es mehrere Strömungen. Da wäre zunächst die Kirche vom goldenen Kreuz, welche die Seelen erlösen möchte. Mit Exorzismen und Austreibungen versuchen sie, den Geistern den Weg zum Himmel freizumachen oder sie in die Hölle zu bannen. Weitaus mystischer sind die Wege beim Zirkel der Suchenden. Über Alchemie, Mystizismus und Okkultismus stellen sie Kontakt zu Geistern her und sammeln dabei Wissen an. Am Erkenntnisgewinn arbeitet auch die Liga der Wissenschaften, die jüngste Untergruppierung. Allerdings verlassen sich deren Mitglieder auf modernste Technik, Schaltkreise und Fotografie, um die Existenz eines Lebens nach dem Tod zu beweisen.

Die Geister waren alle SC auf der Con.
Die Geister waren alle SC auf der Con.

Natürlich wäre eine Con über verstorbene Menschen nur halb so spannend, wenn diese nicht ebenso aktiv mitwirken könnten. Die vierte Gruppe der Con bilden daher die Geister selbst, die in Weiß und Grau gekleidet umherspuken. Sie alle haben auf tragische Weise ihr Ende gefunden und können noch nicht mit ihrer Existenz abschließen. So wandern sie durch das Schloss, gefangen in alten Gewohnheiten und unsichtbar vor den Augen der Lebenden. Zumindest die meiste Zeit …

Ich sehe tote Menschen

Das Geisterleben wurde IT durch mehrere Regeln und Vorgaben festgelegt. Das begann bereits bei der Gewandung, bei der die Verstorbenen nur in Weiß oder Grau gekleidet auftreten durften. Einige Spielende verstärkten zudem mit Make-Up oder Schleiern vor dem Gesicht diesen Effekt.

Die Verstorbenen waren für die Menschen generell unsichtbar und mussten im Flüsterton sprechen, was nur bruchstückhaft wahrnehmbar war. Mithilfe von Ritualen und verschiedenen Apparaten konnten die Lebenden die Geister aber für kurze Zeit wahrnehmen oder ihre Hilfe in einer Sache erbitten. Der Zirkel verfügte außerdem über mehrere Medien, die mit einem besonders sensiblen Gespür für die Welt hinter dem Schleier den Kontakt mit den Toten aufnehmen konnten. Die Präsenz der Geister war für die Lebenden mit Kälte und Angstschauern verbunden, gerade bei größeren Ansammlungen.

Geister waren im Spiel präsent, aber unsichtbar für die Lebenden.
Geister waren im Spiel präsent, aber unsichtbar für die Lebenden.

Dinge zu berühren, bedeutete für die Geister eine gewisse Kraftanstrengung. Während kleine Gegenstände wie eine Spielkarte noch allein bewegt werden konnten, brauchte es für größere Objekte gleich mehrere Geister. Ähnlich gestaltete sich die Übernahme von Lebenden. Die Verstorbenen konnten Lebende mit vorher verteilten Amuletten besetzen und für eine kurze Zeit Kontrolle ausüben. Das konnte das Sprechen in einer fremden Stimme sein oder die Führung einer Hand, um etwas zu tun. OT entschieden die lebenden Charaktere, wie lange diese Kontrolle anhält, und konnten sie jederzeit beenden. Nach größeren Anstrengungen hinterließen die Geister Ektoplasma in Form von kleinen Glassteinchen. Diese durften wiederum für größere Aktionen verwendet werden, um ihnen mehr Energie zu verleihen.

Das Spiel: Willkommen auf der Burg

In der offiziellen Einladung waren die lebenden Charaktere zu einer Konferenz in eine ehemalige Burg im Elbtal in Hessen eingeladen worden, die kürzlich von der Gesellschaft erworben werden konnte. Dort sollten mysteriöse Geister-Sichtungen näher untersucht werden. Außerdem hatten Expert*innen Vorträge über die Kontaktaufnahme und den Umgang mit Verstorbenen vorbereitet.

Zum Time-In trafen sich alle Mitglieder der Gesellschaft zu einer großen Séance im Saal, bei dem die wandelnden Seelen gerufen und befragt werden sollten. Die im Anwesen hausenden Geister rätselten währenddessen in ihrem eigenen „Geisterraum“ darüber, was die vielen Menschen nach der langen Ruhe vor Ort zu suchen hatten.

Punkt Mitternacht brach dann Tumult aus: Durch die Anrufung kehrte ein böser Geist zurück, der für die Lebenden deutlich sichtbar war und über enorme Kräfte verfügte. Er bezeichnete sich als rechtmäßiger Herr der Burg und drohte den Lebenden wie den Toten sie auszulöschen, wenn sie sich ihm in den Weg stellen würden. Mit der Ankündigung, in 24 Stunden wiederzukehren, verschwand er. Überrumpelt machten sich die Mitglieder der Gruppierungen daran, Identität und Gründe für das Erscheinen des geisterhaften Burgherrn zu ergründen. Auch die Geister versuchten ihr Bestes, den Kontakt mit den Menschen zu suchen und sie vor der Gefahr zu warnen.

Gib mir mehr Drama!

Die restliche Nacht und der folgende Tag wurde ganz im Nordic-Larp-Stil intensiv gestaltet. Mehrere Charaktere hatten persönliche Differenzen zu klären. Es kamen tragische Wahrheiten ans Licht, und Geheimnisse vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte wurden enthüllt. Manche Ereignisse brachten die Charaktere emotional an ihre Grenzen, was bei nicht wenigen tränenreich endete. Insgesamt war das Spiel über die gesamte Veranstaltung hinweg immersiv und atmosphärisch gestaltet.

Parallel dazu wurde nach Wegen gesucht, wie die Bedrohung abgewendet werden konnte. Gerade die Geister drängten mit ihren begrenzten Möglichkeiten die Lebenden immer wieder dazu, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Mit den notwendigen Artefakten und gefundenen Gebeinen des Burgherrn wurde ein großes Ritual abgehalten, um seine Kräfte zu schwächen. In einer letzten Austreibung um Mitternacht sammelten Geister, Kirche, Wissenschaften und Zirkel all ihre Fähigkeiten. Gemeinsam gelang es, den Burgherrn in ein Medium zu binden und ins Jenseits zu befördern. Die Aktion forderte allerdings einen hohen Preis: Ein weiser Geist wurde zerstört, und das besagte Medium starb durch die hohe Belastung für ihren Körper.

Ihre Taten sind nicht vergessen. Die Geister werden sich erinnern.

Das Spiel aus Geistersicht

Nichts berühren können, nicht gehört werden, nicht sichtbar sein – die Geisterexistenz ist mit vielen Nachteilen verbunden. Dennoch hat es mir viel Spaß gemacht, das Dasein als Seele zu bespielen.

Allein lässt sich nichts erreichen: das war das unterschwellige Thema für die Geister während der Con. Im Leben aus unterschiedlichen Epochen und Ständen, waren wir nach dem Tode alle gleich. Das sorgte schnell für einen guten Zusammenhalt, um im Spiel zu bleiben. Immer wieder schwebten wir durch die Flure, Räume und über den Hof, um zu beobachten und Aktionen anzustoßen. In kleineren Gruppen gaben wir Wissen weiter oder verzweifelten an der Ignoranz der Lebenden. In dringenden Fällen wurden Kräfte gesammelt, um größere Objekte zu bewegen oder von einer Person länger Besitz zu ergreifen. Intensiv und schön war der spontane Geistertanz zum Ende im Foyer. Ungeachtet aller Blicke drehten die Seelen sich umher, lautlos freuten sie sich ihres Erfolges.

Hinter den Kulissen

Die Traumlande-Orga hatte sich bereits im Vorfeld für das Con-Experiment ins Zeug gelegt. Neben einer stimmigen Internetseite mit allerhand Informationen zum Setting gab es für Lebende und Tote unterschiedliche Einladungen zur Veranstaltung. Vor Ort wurden in Workshops Spielmechaniken wie Fähigkeiten und Präsenz der Geister, Safety-Tools im Spiel sowie verschiedene OT-Regeln besprochen. Als Angebot nach besonders intensiven Szenen konnten sich die Spielenden in einen Ruheraum zurückziehen und mit einer Orga über das Erlebte sprechen.

Die Kulisse und Gewandungen passten sehr gut zueinander.
Die Kulisse und Gewandungen passten sehr gut zueinander.

Die Wahl des Schullandheims Burg Waldmannshausen als Veranstaltungsort passte sehr gut in das gewählte Setting. Gerade in der Dämmerung oder mit leichtem Nebel und Regen wirkte der Außenbereich des Anwesens sehr atmosphärisch. Ein großes Foyer mit einer großen knarzenden Treppe und Turmzimmern unterstrich das Gefühl, sich in einem in die Jahre gekommenen Adelssitz zu befinden. Die atmosphärische Gestaltung zog sich durch die bespielten Räume durch, für welche Orga und Spielende einige stimmungsvolle Dekorationen und Plotgegenstände mitgebracht hatten. Besonderes Lob geht außerdem an den „Geisterraum“, dessen Tür durch ein Mauerwerk als IT-Barriere für die Lebenden diente. Dahinter fanden die Seelen in weiß abgedeckte Möbel und düstere Ambient-Musik, welche an schaurige Geschichten und verlassene Orte erinnerte, kurzum: ein perfekter Rückzugsort, um sich als Geister zu besprechen.

Die Situation bei Schlafbereichen und Toiletten war vollkommen akzeptabel, auch wenn das Licht über Bewegungsmelder im Klobereich zeitlich sehr knapp bemessen war. Für die Verpflegung stand ein großer Speisesaal zur Verfügung, der mit seinen langen Tischreihen ein gewisses Hogwarts-Gefühl aufkommen ließ. Als OT-Bereich boten die Essenspausen eine gute Gelegenheit, das bisherige Spiel zu reflektieren oder weitere Ideen kurz abzusprechen. Einmal ausgetauscht konnten sich die Beteiligten intensiver auf die IT-Handlung im Anwesen konzentrieren.

Positiv hervorzuheben ist ebenfalls das Debriefing zum Abschluss der Veranstaltung. Mit einigen Fragen und Anregungen wurde den Spielenden geholfen, sich schrittweise aus dem bespielten Charakter zu lösen. Die Begeisterung aller Beteiligten hielt darüber hinaus noch in einem Discord-Thread an, wo die Teilnehmenden sich gegenseitig mit Liebe überschütteten.

Fazit: Ghosts – Eine übernatürliche Erfahrung

Das Experiment der Traumlande-Orga mit der Ghosts-Con kann als geglückt bewertet werden. Das lässt sich allein an der weitgehend positiven Rückmeldung der Spielenden sehen. Für Neulinge wie erfahrende Hasen im Larp-Hobby wurde eine besondere Erfahrung geboten, Spiel zwischen verschiedenen Ebenen zu schaffen. Gerade die Erfahrung als Geist war für mich ein spannendes Erlebnis, wie ich es zu Beginn erhofft hatte. Einen Charakter zu spielen, der nur in ganz bestimmten Grenzen mit seiner Umwelt agieren kann, forderte einiges an Kreativität.

Leuchtende Kristalle deuten auf geisterhafte Präsenzen hin.
Leuchtende Kristalle deuten auf geisterhafte Präsenzen hin.

Neben einem großen Lob an die Orga sind auch die Spielenden sehr positiv aufgefallen. Alle Gruppierungen haben trotz IT-Reibereien Lösungen gefunden, um gemeinsam am Plot zu arbeiten. Es wurde mit viel Rücksicht aufeinander gespielt und Raum für Mitgestaltung gelassen. Selbst ein zufällig weggeworfener Knopf im Spiel sorgte für einige sehr emotionale Szenen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Veranstaltung keine einmalige Angelegenheit bleibt. Ideen und Motivation für eine weiterführende Reihe sind zumindest auf Seite der Spielenden vorhanden.

Artikelbilder: © Traumlande-Orga
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein