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Ob Kaufkampagne oder selbst ausgedachte Welt: Als SL hat man neben dem eigentlichen Leiten noch viele andere Aufgaben. Wie angenehm wäre es, wenn einen jemand dabei unterstützen könnte… praktisch, dass man gleich mehrere Interessierte am Tisch hat: Die Mitspielenden! Durch deren Mitbestimmung kann die SL einiges an Arbeit umverteilen.

Rundenorganisation, Regelwerk lesen und beherrschen, Unterstützung bei der Charaktererschaffung, Handouts vorbereiten, NSC ausarbeiten, Abenteueraufhänger ausdenken –das sind nur ein paar der Aufgaben, die auf eine SL zukommen. Üblicherweise nehmen einem Mitspielende die ein oder andere organisatorische Tätigkeit ab, aber jegliche kreative Leistung abseits der Protagonist*innen muss doch die alleinige Aufgabe der SL sein – sonst würden im Vorfeld schon Dinge bekannt sein, die möglicherweise erst im späteren Verlauf der Kampagne auftauchen. Aber warum soll das eigentlich ein Problem sein? Wenn man schon mehrere vom Setting begeisterte Menschen beisammenhat, ist es doch Verschwendung, wenn man deren kreatives Potential ausschließlich auf die Zeit am Spieltisch begrenzt. Mehrere Beteiligte haben gemeinsam schließlich auch mehr Ideen, die sich gegenseitig beeinflussen können. Nachfolgend wird es darum gehen, wie man Spieler*innen bei der Gestaltung der Kampagne einbeziehen kann.

Alle wollen etwas von der SL! Foto © alphaspirit

Player Empowerment

In klassischen, aus D&D hervorgegangen Spielsystemen ist die Rolle der SL klar definiert als kreative, leitende Kraft. Die SL denkt sich faktisch alles außer den SC aus, und kontrolliert die Welt, NSC, interessante Orte, Fraktionen, Ziele, Geheimnisse und so weiter. Natürlich kommt es auch vor, dass Ideen von Mitspielenden aufgenommen werden, aber die Frage: “Geht das in dieser Welt?“ wird wohl in den meisten Spielrunden immer wieder gestellt.

Schon die ersten Indie-Rollenspielen haben die Hoheit der SL über die Welt in Frage gestellt und Regeln entwickelt, die den Spieler*innen ein Mitgestaltungsrecht über die gemeinsame Spielwelt geben sollen. Eingriffe in die Erzählung, die über die Regeln hinaus gehen, werden seitdem üblicherweise als Player Empowerment bezeichnet.

Je nach Spielstil, Hintergrundwissen über die Welt, Gruppendynamik und Vertrauen kann der Einsatz entsprechender Werkzeuge zum einen den Aufwand des Spielleitens auf mehrere Schultern verteilen und gleichzeitig für mehr Ideenvielfalt am Tisch sorgen – allerdings zu dem Preis, dass man als SL nicht mehr automatisch die alleinige Herrschaft darüber hat, welche Elemente es in der Welt gibt und was am Tisch passiert. Das kann einschüchternd wirken, gleichzeitig aber auch reizvoll sein, da man auch als SL durch neue Impulse überrascht wird und sich die Geschichte in eine Richtung entwickeln kann, die man nicht vorgesehen hat.

Vertrauen

Nicht alle wollen so viel Verantwortung in die Hände der Mitspielenden legen. Denn je weniger Kontrolle man selbst über Handlung und Welt hat, desto schwieriger wird die Vorbereitung und desto mehr muss man am Tisch auf unvorhergesehene Wendungen eingehen.

Die größte Hemmnis ist allerdings meist das fehlende Vertrauen, oftmals sowohl auf Spieler*innen- als auch auf SL-Seite. Dem zugrunde liegt eine antagonistische Sichtweise auf das gemeinsame Spiel: Spielleitung auf der einen Seite, Spieler*innen auf der anderen im Wettstreit um die besseren, gewinnbringenderen Spielzüge. Solche Konstellationen können funktionieren und bestimmte Spielstile basieren darauf, dass beide Seiten verlässlich einschätzen können, was in der Welt als Nächstes passiert. Da kann es empfindliche Auswirkungen auf die Spielbalance haben, wenn ein*e Mitspielende*r plötzlich einen NSC aus dem Ärmel schüttelt, den der SC noch aus Jugendtagen kennt und der „zufällig“ der General der gegnerischen Armee ist…

Vertrauen ist die Wurzel von mehr Freiheit am Spieltisch. Foto © lightsource

Um Konflikte zu vermeiden, die aus solchen Situationen entstehen, sind folgende Prämissen innerhalb der Spielgruppe notwendig:

  • Die SL führt die Gruppe in Konflikte, damit interessante Situationen entstehen – nicht um sie umzubringen.

  • Gemeinsames Ziel des Spielabends ist ein gutes Spielerlebnis.

Daraus leitet sich ab, dass ins Spiel gebrachte Elemente diesem Ziel dienen. Dafür ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass die persönlich angestrebten Spielerlebnisse aller zueinander passen.

  • Alle am Tisch haben eine ähnliche Vorstellung von den Grenzen des Settings.

Daraus folgt zum Beispiel, dass es zwar passend ist, in einer kalten, eiszeitlichen Welt einem Säbelzahntiger zu begegnen, aber kaum einem Elefanten.

Sind sich alle über diese Voraussetzungen einig, steht einer Mitgestaltung der Kampagne durch die Spieler*innen nichts mehr im Weg.

Grade der Mitbestimmung

Der Schritt von einer komplett von der SL erdachten Welt, Plots und NSC zu einem kooperativen Spiel erfordert ein starkes Umdenken und Einlassen auf die Ideen anderer. Je nach Gewohnheit und Erfahrung möchte man als SL vielleicht nicht alles in die Hände der Gruppe legen und klein anfangen. Glücklicherweise gibt es hier nicht nur die Wahl zwischen ganz oder gar nicht, sondern ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten und Werkzeugen, aus denen man auswählen kann und die auf unterschiedlich schwerwiegende Weise das Spiel verändern. Je mehr davon verwendet werden, desto freier – und damit auch unberechenbarer – wird das Spiel.

Grad: Geringe Mitbestimmung

Umsetzung: Nutzung von Ressourcen, um damit regelbezogene Entscheidungen auf Spieler*innen zu verschieben

Beispiele: Einsatz einer Spielwährung, um einen Wurf zu wiederholen; Einbringen eigener, charakterbezogener NSC im Rahmen der Charaktererschaffung.

Grad: Mittlere Selbstbestimmung

Umsetzung: Ad-hoc-Erschaffung von NSC in einer Szene; Einbringen von Fakten in eine Szene, die keinen regelseitigen Vorteil bringen, aber die Szene farbiger gestalten

Beispiel aus der Praxis: „Ok, mit deinem Wurf auf Umhören triffst du einen Zeugen. Spielerin X – du bist jetzt der Zeuge, hier ist ein Zettel mit den Informationen.“

Grad: Hohe Selbstbestimmung

Umsetzung: Antagonist*innen von Mitspielenden-NSC werden von anderen Mitspielenden übernommen; gemeinsame Erschaffung der Spielwelt vor und während des Spiels

Beispiel: Orte und NSC werden von allen gemeinsam auf Karteikarten gesammelt, aus denen die SL bei passender Gelegenheit auswählt; der Jugendfeind aus der Akademie wird vom Mitspielenden auf Ansage der SL komplett ausgespielt.

Beispiele für Player Empowerment

Die folgende Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll nur die mögliche Bandbreite konkreter Regelungen aufzeigen, die mehr Mitgestaltungsrechte für Spielende einbringen.

System

Regelelement

Details

Freiheitsgrad

Savage Worlds

Würfelergebnisse korrigieren

Alle erhalten zu Beginn des Spiels Punkte, mit denen Würfelwürfe verstärkt oder wiederholt werden können.

Gering

PbtA

Mitgestaltung des Spiels

Manche PbtA-Moves fordern den*die Spieler*in auf, konkrete Fragen zu beantworten und damit Fakten in die Welt zu bringen.

Gering

Beyond the Wall

Erstellung des Settings

Bei der Charaktererschaffung legen Mitspielende Orte und NSC im gemeinsamen Dorf fest.

Mittel

Fate Core

Mitgestaltung des Spiels

In den Phasen der Charaktererschaffung können Teile des Settings definiert und erweitert werden. Während des Spiels erzeugt die Aspekte-Mechanik neue Elemente in der Welt.

Mittel bis Hoch

Microscope

Prämissen des Settings

Vor Beginn erstellen alle Mitspielenden reihum eine Liste mit Elementen des Settings, die entweder vorkommen dürfen oder nicht auftauchen sollen.

Hoch

Arium: Create

Erstellung des Settings

In dem spielleiterlosen Spiel wird gemeinsam ein Setting mit Hilfe definierter Elemente auf Karteikarten erschaffen.

Hoch

Player Empowerment als Arbeitserleichterung für die SL

Die obigen Elemente sind zum Teil sehr konkret in das System eingebunden. Die Grundideen lassen sich aber mit wenig Aufwand in jedes System überführen. Nachfolgend ein Beispiel zur Veranschaulichung, wie man das in einer Runde mit maximaler Mitbestimmung gestalten könnte.

Auswahl des Settings

Üblicherweise bestimmt die SL, was sie als Setting anbietet, oftmals auch direkt in Kombination mit dem zugehörigen Regelwerk. Nutzt man ein generisches Regelwerk (wie GURPS), welches von Haus aus zur Adaption verschiedenster Settings gedacht ist, steht einem fast alles offen. Damit kann die Auswahl des Settings zur Entscheidung der ganzen Gruppe gemacht werden. Das kann über ein freies Brainstorming passieren bis hin zu konkreten Bewertungslisten, die eine transparente, objektive Auswahl eines Settings zulassen, welches möglichst für alle etwas bietet.

Setting definieren

Mit der Wahl des Settings ist es nicht getan. Egal, ob selbst ausgedachte Welt oder die eines Franchises: Die Frage, in welchem Teil der Welt und/oder in welcher Zeitlinie gespielt werden soll hat großen Einfluss, unter anderem auf mögliche Plots, Charaktere, Technologien.

Auch bietet sich das Auslagern von Entscheidungen von der SL auf die Spieler*innen an. Je nachdem, wie konkret die gewählte Vorgabe ist, kann auch eine Überlegung sein, das Setting nach eigenen Wünschen anzupassen. Es kann vorkommen, dass der Großteil einer Gruppe Star Wars spielen will, Einzelne sich in diesem Setting nicht gut genug auskennen, aber trotzdem Lust haben mitzuspielen. In so einem Fall kann in einem bislang unbekannten Bereich des Universums gespielt werden. Diesen können dann alle gemeinsam ausarbeiten.

Materialsammlung

Karteikarten: Das Standardwerkzeug für gemeinsame Kreativität. Foto © Stuartbur

Nun wäre es normalerweise an der SL, sich zurückzuziehen und ein Szenario entweder auszuwählen oder selbst vorzubereiten. Auch an dieser Stelle können Spieler*innen unterstützen und Orte, NSC oder besondere Gegenstände gemeinsam vorbereiten und zum Beispiel auf Karteikarten sammeln, auf welche die SL bei der Vorbereitung oder während des Spiels spontan zugreifen kann.

Denkbar wäre auch, typische Fleißarbeiten wie Namenslisten, Waffenübersichten oder Ähnliches von Mitspielenden erledigen zu lassen. Vielleicht bringt sogar jemand aus der Gruppe, die passenden Kenntnisse durch Beruf oder Hobby mitbringt!

Gemeinsame Charaktererschaffung

In vielen Runden erstellen die Spieler*innen ihre eigenen Charaktere zu Hause oder mit der SL und bringen sie fertig zur ersten Sitzung mit. Dabei ist das die Gelegenheit für die SL zu erfahren, was die Gruppe sich vom Spiel erhofft und interessante Motivationen und Abenteueraufhänger mitzunehmen.

Bei der gemeinsamen Charaktererschaffung ist das Ziel nicht unbedingt das fertig ausgefüllte Charakterblatt, sondern vielmehr in einem Dialog mit den Mitspielenden Charakterkonzepte zu entwickeln und sich dabei direkt NSC und interessante Orte aus der Vergangenheit der Spielcharaktere auszudenken.
Die SL bleibt hier eher im Hintergrund und greift interessante Elemente heraus, unterstützt den kreativen Prozess mit Nachfragen und erweitert gegebenenfalls rohe Ideen um eigene Vorschläge, die die Spieler*innen annehmen können – aber nicht müssen. So entsteht meist ganz von allein ein Dialog, in dem sich die Ideen gegenseitig befruchten.

Kooperatives Spiel

Während der Spielrunden haben alle am Tisch die Möglichkeit, Vorschläge einzubringen, die sie innerhalb einer Szene für passend halten.

Die SL hat aber ein Veto-Recht (wenn es zum Beispiel den vorbereiteten Plot sprengt oder aus anderen, wichtigen Gründen nicht reinpasst) und wenn ein zugefügtes Element einen regelseitigen Vorteil bieten würde, muss das entweder mit einer Spielressource bezahlt oder mit einem Würfelwurf belegt werden.

Beispiel: Der Krieger kämpft zum ersten Mal gegen eine Riesenkakerlake. Er überlegt, ob diese von einem der Goblins geritten wird, mit denen die Gruppe schon länger Probleme hat. Die SL findet diese Wendung reizvoll und nickt ab. Den Fakt, dass die Kakerlake das gepökelte Fleisch aus dem Rucksack des Kriegers besonders lecker findet, muss der*die Spieler*in aber mit einem Punkt der Metaressource erkaufen – und kann das Tier damit dann irritieren, sodass es im Kampf abgelenkt ist.

Gemeinsame Feedbackrunde

Nach dem Ende des Szenarios wird in einem gemeinsamen Gespräch rekapituliert, was gut gefallen hat und warum oder und was besser hätte laufen können. Als SL kann man hier nachfragen, was die Spieler*innen sich an weiteren Ereignissen erwarten oder wünschen.

Einige Rollenspiele sehen Belohnungen in Form von Erfahrungspunkten nach SL-Bewertung vor, zum Beispiel bei Extrapunkten für „gutes Rollenspiel“. Dies kann auch in der Feedback-Runde, moderiert von der SL, durch die Gruppe selbst erledigt werden, denn meist hat diese während der Spielrunde genug zu tun und neigt dazu, bestimmte Situationen ganz anders zu bewerten als die Spieler*innen.

Redet über das Spiel – das schafft Vertrauen und schweißt die Gruppe zusammen. Foto © monkeybusiness

Fazit

In der geschilderten, kooperativen Runde hat die SL zwar immer noch steuernde Funktion und sollte ein grundsätzliches Veto-Recht haben, wenn es um Ideen geht, die Plots im Hintergrund auflösen oder sogar unmöglich machen würden. Dafür bekommt man aber durch die Spieler*innen eine ganze Menge Ideen und Material geliefert, die man sonst komplett allein entwickeln müsste. Als zusätzlicher Vorteil sind das alles Ideen, die garantiert mindestens die Person abholt, die diese eingebracht hat.

Und auch wenn das Beispiel auf klassische Runden vielleicht abschreckend wirkt, kann ich nur jedem empfehlen, zumindest ein oder zwei der Vorschläge auszuprobieren. Denn am Ende haben mehrere Köpfe immer mehr Ideen als nur der der SL.

Artikelbilder: © halfpoint, © monkeybusiness, © Stuartbur, © lightsource, © alphaspirit | depositphotos
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Giovanna Pirillo

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