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Die griechische Mythologie bietet reichlich Stoff an spannenden und phantastischen Geschichten. In der vom ehemaligen französischen Bildungsminister ins Leben gerufenen Reihe Mythen der Antike werden diese als Graphic Novels bildgewaltig umgesetzt. In unserer Rezension werfen wir einen Blick auf die Geschichten um Herakles, Theseus und Antigone.

Mythologien der ganzen Welt sind ein reicher Fundus an atemberaubenden Geschichten. Mächtige Gottheiten, tapfere Held*innen sowie furchterregende Monster liefern spannende Abenteuer und Einblicke in die ältesten Kulturen unseres Planeten. Im europäischen Raum dürfte die griechische Mythologie dabei zu den bekanntesten gehören. Namen wie Zeus, Herkules oder Odysseus sind nicht nur Liebhaber*innen der Sagen der Antike bekannt.

Unter der Leitung von Luc Ferry, dem ehemaligen französischen Bildungsminister, werden die bekanntesten der griechischen Sagen als Graphic Novels von Clotilde Bruneau und wechselnden Illustrator*innen umgesetzt. Jeder Band adaptiert einen Mythos, die vollständige Serie ist auf etwa dreißig Bände ausgelegt. Die deutschen Übersetzungen der Adaptionen erscheinen unter dem Titel Mythen der Antike beim Splitter Verlag. In unserer ersten Rezension haben wir bereits einen Blick auf die Sagen von Daedalus und Ikarus, den trojanischen Krieg (die Ilias) und die Geschichte von Jason und den Argonauten geworfen. Im zweiten Artikel drehte sich alles um die Adaptionen der Perseus-Sage sowie der Mythen um König Midas und Ödipus.

Allerdings ist der reichhaltige Fundus der griechischen Mythologie bei weitem nicht erschöpft. In dieser Rezension begleiten wir den berühmten Herakles auf seinen Taten, erleben den Kampf des mutigen Theseus gegen den schrecklichen Minotaurus und das traurige Schicksal von Antigone, der Tochter des Ödipus.

Antigone

Aufmerksamen Leser*innen von Mythen der Antike ist Antigone keine Unbekannte: Bereits am Ende von Ödipus begleitete die junge Frau ihren Vater auf seiner letzten Reise. Erfreulicherweise schließt Antigone direkt an dieses Ereignis an und zeigt die Rückkehr der Tochter von Ödipus nach Theben.

Dort entbrennt unter ihren Brüdern Eteokles und Polyneikes eine hitzige Debatte um die Thronfolge. Können sich die beiden zu Beginn noch auf eine jährlich wechselnde Herrschaft einigen, führt nach einem Jahr Eteokles‘ Weigerung, den Thron freizugeben, zu einem Bruderkrieg. Diesem fallen beide zum Opfer, sodass Antigones Onkel Kreon die Herrschaft Thebens übernimmt. Als erstes Edikt verbietet er unter Androhung der Todesstrafe die Bestattung des Angreifers Polyneikes, den Traditionen und dem Gesetz der Gottheiten zum Trotz. Antigone sieht sich in einer kritischen Lage, in der sie zwischen dem Erlass ihres Herrschers, den göttlichen Geboten und der Liebe zu ihrem verstorbenen Bruder entscheiden muss.

Die Graphic Novel Antigone folgt der klassischen Variante der Sage, bekannt aus der Tragödie von Sophokles. Die Geschichte dreht sich nicht um epische Kämpfe und göttliche Intrigen, sondern behandelt den Konflikt des inneren Gesetzes der Moral mit dem Weltlichen.

Auf der einen Seite steht Antigone, die von ihrem Herzen und der Ehrfurcht dem Pantheon gegenüber geleitet ist. Auf der anderen Seite ist Kreon überzeugt, zum Wohlergehen der Stadt mit harter Hand durchgreifen zu müssen. Beide bringen gute Argument für ihre Sichtweise vor.

Die Adaption erzählt diesen Konflikt auf gelungene Art. Ausgiebige Dialoge vermitteln die Denkweise der Protagonist*innen, sodass binnen kurzer Zeit ein gutes Bild ihrer Motivation entsteht. Streitgespräche unter den Akteur*innen sind interessant zu lesen und besonders gegen Ende darf selbstverständlich ein ausgiebiges Drama nicht fehlen. Sorgsam platzierte Rückblenden, besonders bezüglich des Erbfolgekonflikts, unterstützen die Vermittlung von Hintergründen.

Visuell ist diese Adaption im oberen Durchschnitt der Reihe Mythen der Antike angesiedelt. Dem künstlerischen Team gelingt insbesondere die Inszenierung von Mimik und Gestik der Charaktere. Bei den Kampfszenen finden sich hingegen in einigen Panels wächsern oder unnatürlich wirkende Posen. Speziell das gegenseitige Töten der beiden Brüder wirkt unfreiwillig grotesk, da Polyneikes permanent die Überhand zu haben scheint und der Todesstoß seines Bruders äußerst unerwartet erfolgt. Das sind allerdings kleine Makel, die das Lesevergnügen unwesentlich trüben.

Positiv fallen die Anmerkungen auf, durch die mythologische Begriffe anhand eines Sternchentextes erläutert werden. Das erleichtert Neueinsteiger*innen den Zugang zu dem mythologischen Stoff. Selbst die Vorgeschichte zu Antigones Vater Ödipus wird zum Verständnis nicht benötigt. Selbstverständlich gibt es für Interessierte wieder ein ausführliches Nachwort zu Entstehungsgeschichte und Hintergründen der Sage.

Insgesamt ist Antigone eine der besten Adaptionen aus Mythen der Antike, die besonders durch die Abwesenheit der üblichen Monster und Intrigen von Gottheiten eine erfrischende Abwechslung bietet. Nachvollziehbare Charaktere, eine spannende Handlung mit der richtigen Prise Drama und eine größtenteils stimmige Visualisierung runden das positive Gesamtbild ab.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*innen: Luc Ferry, Clotilde Bruneau
  • Zeichner*in: Guiseppe Baiguera
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 16,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

Theseus und der Minotaurus

Wem die epischen Mythen der griechischen Sagenwelt eher zusagen, findet mit Theseus und der Minotaurus eine Alternative. Der titelgebende Held ist gleichzeitig der Sohn des Gottes Poseidon und der irdische Spross des Königs von Athen. Als er davon erfährt, macht er sich auf den Weg in die Stadt seines Vaters. Bereits auf der Reise dorthin beseitigt er eine Vielzahl von Gefahren, sodass er mit dem Ruf eines Helden nach Athen gelangt.

Als er endlich mit seinem Vater vereint ist, muss Theseus von einer schrecklichen Erpressung erfahren: Regelmäßig fordert König Minos von Kreta Tribut in Form von jungen Bürger*innen, die dem grauenhaften Minotaurus zum Fraße vorgeworfen werden. Eine würdige Herausforderung für den jungen Monstertöter.

Ähnlich wie bei Perseus und Medusa sollte man sich vom Titel Theseus und der Minotaurus nicht täuschen lassen. Der Kampf gegen das Monstrum ist zwar die bekannteste Tat des Heroen, doch behandelt die Graphic Novel auch die Anfänge seiner Heldenlaufbahn. Leider sind es gerade diese Elemente, die das Gesamtbild des Bandes negativ beeinflussen.

Abseits des Kampfes gegen den Minotaurus wirken die Passagen vom Leben des Theseus sehr lieblos wiedergegeben. Natürlich kann nicht jede Tat im gleichen Umfang wie der Kampf gegen das Wesen mit dem Stierkopf behandelt werden; doch kommt der Eindruck auf, dass man im Schnelldurchlauf durch die Heldenkarriere eilt.

Umso ärgerlicher ist es, dass die Graphic Novel keinen abgeschlossenen Eindruck macht. Sie schließt mit einem tragischen Ereignis in Theseus‘ Leben ab, doch innerhalb der griechischen Mythologie enden die Geschichten um den Helden damit noch nicht. So bleibt beispielsweise die Frage offen, wie der Stammesvater des Geschlechts der Thesiden zu Tode gekommen ist. Andere Bände in Mythen der Antike greifen das Schicksal des Theseus stellenweise auf, doch sollte man diese nicht benötigen.

Der visuelle Stil fügt sich nahtlos in die Reihe ein, wobei das Highlight die Begegnung mit dem Minotaurus ist. Auf mehreren Seiten wird der Kampf episch und spannend inszeniert, wobei besonders das Design des Monstrums bedrohlich und eindrucksvoll gelungen ist. Generell sind die ungeheuren Widersacher des Helden die Hingucker von Theseus und der Minotaurus.

Allerdings gibt es auch hinsichtlich der visuellen Gestaltung Wermutstropfen. So passen beispielsweise bei der Auflistung der Heldentaten auf der Reise nach Athen Text und Bild nicht immer zusammen. Eine Tat des Theseus wird innerhalb der Textbox eines Panels beschrieben, während das passende Bild dazu erst im nächsten oder übernächsten Panel zu finden ist. Dadurch kommt beim Lesen Verwirrung auf.

Zusammenfassend betrachtet hätten einer bedeutenden Sagenfigur wie Theseus mehr Seiten gewidmet werden müssen. In der vorliegenden Fassung wirken die Erzählungen gehetzt und stellenweise lieblos zusammengestellt. Darüber hinaus muss man auf einige Abenteuer des berühmten Heroen verzichten und vermisst ebenso einen befriedigenden Abschluss.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*innen: Luc Ferry, Clotilde Bruneau
  • Zeichner*in: Mauro de Luca
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 16,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

Herakles

Den Abschluss dieser Rezension bildet die Graphic Novel über das Leben des wahrscheinlich berühmtesten Helden der Antike: Herakles. Der Halbgott soll nach den Plänen seines Göttervaters Zeus als dessen Vertreter unter den Menschen agieren. Doch die Wahl einer sterblichen Mutter sorgt für tiefen Hass bei Hera, der vielfach betrogenen Gattin des Blitzwerfers. Zeit seines Lebens wird der mit übermenschlichen Kräften ausgestattete Herakles unter ihrer Eifersucht leiden.

Herakles hat als Doppelband glücklicherweise die Anzahl an Seiten erhalten, die für die Erzählung des Lebens dieses großen Helden nötig ist. Der Band beginnt mit der Geschichte seiner Zeugung, wodurch direkt Hera als langfristige Gegenspielerin eingeführt wird. Anschließend wird die Kindheit und Jugend des Helden behandelt, um ihn sogleich in seine erste Tragödie zu stürzen.

Diese legt den Grundstein für die berühmten zwölf Aufgaben, deren Erzählung den Großteil des Bandes einnimmt. Der Umfang der Präsentation der einzelnen Taten dürfte eine Herausforderung für das Autor*innen-Team gewesen sein, da der Platz trotz der größeren Seitenzahl begrenzt ist. Demzufolge wird einigen Aufgaben wie beispielsweise dem Kampf gegen die Hydra oder die Suche nach dem Gürtel der Amazonenkönigin mehr Platz eingeräumt als anderen. Die Selektion der in wenigen Panels abgehandelten Taten kann man diskutieren. So finde ich es beispielsweise schade, dass die Reinigung der Ställe des Augias nur oberflächlich behandelt wird, da diese Aufgabe eine der interessantesten Herausforderungen gewesen ist.

Auch an anderen Stellen hat man den Eindruck, dass die Geschichte des Herakles durch Rückblicke, Kommentare oder Erzählungen zu überhastet erzählt wird. Doch zugegeben war es bei dem reichen Fundus an Rohmaterial nötig, an einigen Stellen Abstriche zu machen. Glücklicherweise wirken diese an keiner Stelle so abrupt und lieblos wie in Theseus und der Minotaurus. Darüber hinaus hat Herakles einen würdigen Abschluss der Sage, sodass man als Leser*in ein gutes Gesamtbild vom Leben des Helden hat.

Die visuelle Gestaltung durch Annabel und Carlos Rafael Duarte gehört zu den bisher besten der Reihe Mythen der Antike, wenngleich die Zeichnungen am Ende der Graphic Novel etwas detailärmer wirken. Doch gelingt es den beiden Künstler*innen, sowohl Schlachten und Kämpfe gegen Monstren, als auch Charaktermomente stimmungsvoll zu inszenieren. Das Design der Kreaturen ist eines der Highlights dieser Graphic Novel, besonders das der Hydra und des hünenhaften Geryon.

Herakles liefert schlussendlich eine unterhaltsame Adaption der Sage des bekannten Helden, auch wenn man an einigen Stellen Abstriche hinsichtlich der Tiefe und des Detailgrades der Erzählung hinnehmen muss. Dennoch ermöglicht die Graphic Novel einen zufriedenstellenden Überblick über das Leben des mächtigen Mannes und kann zudem noch mit einer optisch ansprechenden Inszenierung aufwarten.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Splitter
  • Autor*innen: Luc Ferry, Clotilde Bruneau
  • Zeichner*innen: Annabel, Carlos Rafael Duarte
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 168
  • Preis: 35,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

Gesamtfazit

Abermals überzeugen die meisten Umsetzungen der antiken Mythen, wobei mit Antigone überraschenderweise die vermeintlich ruhigste und am wenigsten heldenhafte die Bestnote ergattern kann. Doch möglicherweise ist genau das die Stärke dieser Graphic Novel, da der dargestellte Interessenkonflikt glaubwürdig und nachvollziehbar inszeniert ist.

Wer sich eher zu klassischen Epen hingezogen fühlt, liegt mit Herakles richtig. Die Adaption des Lebens des wahrscheinlich bekanntesten griechischen Helden unterhält mit Eifersuchtsdramen, Kämpfen, Intrigen, Monstren und einer Prise Erotik. Zwar musste das Autor*innen-Team an einigen Stellen Abstriche machen, wie sehr man in die Tiefe gehen kann, doch insgesamt liefert die Graphic Novel einen guten Überblick über das Leben des mächtigen Helden. In Kombination mit einer äußerst ansprechenden Visualisierung sorgt das für eine unterhaltsame Lektüre.

Das gleiche Potential besitzen auch die Sagen über den legendären Theseus, doch leider konnte dieses nicht  ausgenutzt werden. Theseus und der Minotaurus leidet unter akutem Platzmangel, wodurch die Erzählung über das Leben des titelgebenden Helden gehetzt und unvollständig wirkt. Einige fragliche Entscheidungen bei der Visualisierung sorgen zusätzlich dafür, dass diese Graphic Novel gemeinsam mit König Midas den bisher schwächsten Eindruck der Reihe hinterlässt.

Wer dennoch nicht genug von den Mythen des antiken Griechenlands bekommt, kann unbesorgt sein: Neben den bereits erschienen Umsetzungen von Die Odyssee und Eros & Psyche findet demnächst Prometheus und die Büchse der Pandora den Weg in den Handel. Für das Ende des Jahres ist bereits Bellerophon und die Chimäre angekündigt, während in 2022 Dionysos sowie Orpheus und Eurydike erscheinen sollen.

Artikelbilder: © Splitter
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Lukas Heinen
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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