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Wilde Welten, unendliche Möglichkeiten – seit über 15 Jahren ermöglicht das Universal-System Savage Worlds wagemutigen Rollenspielern Abenteuer in jedem erdenklichen Setting. Die Teilzeithelden warfen einen Blick in die Abenteuer-Edition, die neuste Version des Systems, die dieser Tage auf Deutsch bei Ulisses Spiele erscheint.

„Jederzeit, überall“ – so lautet das Motto von Savage Worlds, das den Leser der Abenteuer-Edition willkommen heißt. Der Nachfolger zur Gentleman’s Edition verspricht in seiner Einleitung, dass nicht nur ganz verschiedene Settings mit dem Regelsystem spielbar sind – auch verschiedene Spielstile sollen bedient werden, seien es erzählbasierte Rollenspielabenteuer mit wenigen Würfelwürfen oder taktische Gefechte mit Miniaturen.

Savage Worlds – Wilde Welten und unendliche Möglichkeiten

Savage Worlds besitzt nicht eine einzelne Spielwelt, sondern soll es als Universal-System ermöglichen, viele verschiedene Genres am Spieltisch zu erleben. Neben den zahlreichen vorgefertigten Settings, die es bereits zu erwerben gibt, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Goldsucher im Wilden Westen? Weltraumpiraten in den Tiefen des Alls? Monsterjäger im viktorianischen London? Alles ist denkbar, und das Regelwerk liefert das Grundgerüst, mit dem verschiedenste Ideen ermöglicht werden können.

Als generisches Regelwerk bietet Savage Worlds jede nur erdenkliche Spielwelt

Um dies zu gewährleisten, bleiben die Regeln jedoch nicht völlig abstrakt, sondern gehen ganz bewusst auf Besonderheiten ein, die in speziellen Settings Anwendung finden könnten. So finden sich unter den vorgestellten Völkern ganz verschiedene Konzepte vom Androiden über die als Rakashaner bezeichneten Katzenmenschen bis hin zum Zwerg. Dass all diese Völker in einem Setting vorkommen, wäre ungewöhnlich, aber eben nicht unmöglich. Auch zur Erstellung eigener Völker gibt es einen übersichtlichen und hilfreichen Regelblock.

Ähnlich verhält es sich mit übernatürlichen Kräften, die als Arkane Hintergründe bezeichnet werden, egal ob es sich um zauberspruchbasierte Magie, göttliche Wunder oder Effekte eines verrückten Wissenschaftlers handelt. Auch Superheldenkräfte wären ein Arkaner Hintergrund, werden aber im eigenen Savage Worlds: Superhelden-Kompendium beschrieben.

Die Regeln – So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Kenner der vorherigen Edition sollten sich schnell zurechtfinden, aber auch Einsteiger dürften einen leichten Zugang zu Savage Worlds haben. Das System enthält alle Elemente, die SpielerInnen von einem Rollenspiel-Regelwerk erwarten dürften: Grundlegende Attribute wie Stärke und Verstand, Fertigkeiten wie Einschüchtern, Hacken und Reiten sowie einige abgeleitete Werte wie Parade und Robustheit. Handicaps und Talente runden die individuelle Gestaltung des Charakters ab.

Der besondere Kniff von Savage Worlds ist dabei, dass die Höhe der Attributs- und Fertigkeitswerte nach Würfeltypen geordnet wird. Der niedrigste Wert entspricht einem W4, der höchste Wert einem W12. Wessen Charakter also zu den besten Dieben der Welt zählt, der wirft bei einer Probe auf die Fertigkeit Diebeskunst einen W12. Wird der Schwellenwert von 4 erreicht, ist dies ein einfacher Erfolg. Steigerungen ergeben sich bei 8, dann bei 12 und so weiter. Werte über 12 werden dadurch erreicht, dass Würfel „explodieren“ können, wenn der Maximalwert gewürfelt wurde.

Fällt im oben genannten Beispiel also eine 12, wird der Wurf solange wiederholt, bis keine weitere 12 mehr fällt, und alle Wurfergebnisse werden addiert. Dies hat den etwas paradoxen Effekt zur Folge, dass Würfe mit einem W4 häufiger explodieren, was aber durch den insgesamt niedrigeren Wert relativiert wird. In bestimmten Fällen kommt zudem ein Wildcard-Würfel, üblicherweise ein W6, ins Spiel, der zusätzlich geworfen wird. In diesem Fall können sich die SpielerInnen das bessere Ergebnis aussuchen.

So ein Gefecht würde in vielen Systemen lange zu Würfeln dauern, Savage Worlds ist viel schneller, da es immer wieder auf den gleichen Mechanismus zurück greift

Damit ist das Kernelement von Savage Worlds auch schon umrissen. Der Würfelwurf, die Probe auf eine Fertigkeit oder, seltener, ein Attribut ist die Basis des Regelsystems. Dies mag auf die meisten Rollenspiel-Systeme zutreffen, doch das restliche Drumherum, die weiteren Regeln, sie sind nicht essenziell für das Spiel. Vielmehr sind sie Anhängsel, die ein bisschen mehr Balance und Tiefe an den Spieltisch bringen. 

Vor- und Nachteile, hier Talente und Handicaps, helfen bei der Feingestaltung des Charakters
Vor- und Nachteile, hier Talente und Handicaps, helfen bei der Feingestaltung des Charakters

Dementsprechend wirken sie manchmal wie improvisiert und besitzen deswegen etwas mehr Charme als die Regeln anderer Systeme. Nicht zuletzt gehört zu einer Runde Savage Worlds ein stinknormales Kartenspiel, mit dessen Hilfe vor allem die Handlungsreihenfolge bestimmt wird, das aber auch für die Bestimmung anderer Zufallsmomente benutzt werden kann. Glückspunkte heißen hier Bennys – kurz für Benefit – und können sowohl von SpielerInnen als auch SpielleiterInnen eingesetzt werden, um Würfe zu wiederholen, Schaden zu reduzieren und weitere entscheidende Effekte hervorzurufen.

Dass Savage Worlds ein so schlankes Regelsystem besitzt, ist dem Wunsch nach Kompatibilität geschuldet. Wer ein System schaffen möchte, das auf viele unterschiedliche Settings anwendbar ist, kann es sich nicht erlauben, Platz auf Regeln für spezielle Gegebenheiten, wie den Kampf zwischen zwei U-Booten, zu verwenden. Falls solch eine Situation aber doch einmal auftaucht, sind die entsprechenden Regeln im Ansatz und allgemein gehalten im Regelwerk zu finden. Kann einmal kein Kompromiss gefunden werden, geht es dann noch ins Spezielle, wie bei den Regeln zu Schrotflinten. Dies wirkt aber niemals überflüssig oder übertrieben penibel.

Was ist eigentlich anders?

Die wichtigsten Änderungen zu den vorherigen Editionen von Savage Worlds sind schnell zusammengefasst: Der abgeleitete Wert Charisma wurde gestrichen. Soziale Interaktionen werden zukünftig alleinig über Fertigkeiten abgehandelt. Bei den Fertigkeiten wurde allgemein viel verändert. So hat jeder Charakter nun einen Wert von 1W4 in den fünf Grundfertigkeiten Athletik, Allgemeinwissen, Heimlichkeit, Überreden und Wahrnehmung. Unter Athletik werden zudem Fertigkeiten wie Klettern, Werfen und Schwimmen zusammengefasst, die vorher einzeln gelistet wurden.

Besonders an den Fertigkeiten wurde einiges geschraubt

Eine weitere solche Sammelfertigkeit ist die oben erwähnte Fertigkeit Diebeskunst, über die vom Schlossknacken bis zum Taschendiebstahl alles Zwielichtige abgewickelt werden kann. Die alte Sammelfertigkeit Wissen hingegen wurde in Spezialgebiete wie Geisteswissenschaften, Elektronik oder Okkultismus aufgeteilt. Insgesamt sind all diese Änderungen nachvollziehbar und intuitiv zu verstehen.

Dass man sich als SpielerIn oder SpielleiterIn früherer Editionen zurechtfindet, liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Struktur der vorhergehenden Savage Worlds Gentleman’s Edition weitestgehend übernommen wurde. Grundlage des deutschen Textes ist weiterhin die Übersetzung von Daniel Mayer, auch wenn beinahe jede Formulierung noch einmal überarbeitet wurde. Dies kann im direkten Vergleich mit der Vorgängeredition unfreiwillig komisch und manchmal auch etwas gezwungen wirken, doch wenn man die Abenteuer-Edition für sich nimmt, fällt dieser Umstand freilich nicht ins Auge. Dennoch: Wer einen Sprung erwartet, wie ihn zuletzt Pathfinder mit seiner zweiten Edition gemacht hat, wird enttäuscht sein. Nicht zuletzt wegen der weitestgehend beibehaltenen Textgrundlage ist es eher ein kleiner Sprung, wie von Dungeons & Dragons 3 zu 3.5 oder Das Schwarze Auge 4 zu 4.1 – eher sogar noch überschaubarer.

Die Charaktererschaffung – Geht schnell, oder?

Ebenso vielfältig wie die Welten, sind die Charaktere, die erschaffen werden können
Ebenso vielfältig wie die Welten, sind die Charaktere, die erschaffen werden können

Charaktere in Savage Worlds zu erstellen, geht schnell von der Hand. Zunächst sollten sich SpielerInnen natürlich grundlegende Gedanken darüber machen, was für einen Charakter sie spielen wollen und wie dieses Konzept in das bespielte Setting passt. Diese Überlegungen verschlingen den Großteil der Zeit, die für die Charaktererschaffung verwendet wird. Schließlich beinhalten viele Settings Zusatzregeln zu Völkern, weitere Arkane Hintergründe und andere Regelelemente, die es zu beachten gilt.

Bleibt man jedoch bei den grundlegenden Regeln der Abenteuer-Edition, ist die Charaktererschaffung schnell erledigt. Die SpielerInnen wählen das passende Volk, verteilen ihre Attribute und Fertigkeiten, berechnen abgeleitete Werte und suchen sich schließlich Handicaps und Talente aus. Erstere haben immer negative Auswirkungen, können aber rollenspielerisch interessante Impulse liefern, zweitere geben Boni und bergen natürlich auch erzählerisches Potenzial in sich.

Das Erscheinungsbild – Ein Blick in die Savage Worlds

Die Illustrationen der Savage Worlds Abenteuer-Edition sind durchweg gut gelungen und geben einen guten Überblick zu den möglichen Settings. Auch das Schriftbild kann überzeugen. Erklärende Kästen, die auf Besonderheiten der nebenstehend beschriebenen Regeln eingehen, heben sich deutlich, aber nicht störend, vom Gesamtbild ab. Einzig die Schriftgröße in zusammenfassenden Tabellen ist sehr klein geraten. Diesem Test lag die PDF-Version zugrunde, sodass das Problem gelöst werden konnte, wenn einfach nur nah genug herangezoomt wurde. Besitzer der gedruckten Variante müssen zur Not also die Nase tief ins Buch stecken.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele
  • Autoren: Shane Lacy Hensley, Clint Black
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 208
  • ISBN: 978-3963311970
  • Preis: 29,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, DriveThruRPG. Sphärenmeister

 

Fazit

Zu einem guten Regelwerk gehört natürlich auch ein Bestiarium
Zu einem guten Regelwerk gehört natürlich auch ein Bestiarium

Die Savage Worlds Abenteuer-Edition ist durchweg gut gelungen. Die Neuerfindung des Rades sollten langjährige SpielerInnen aber nicht erwarten. Die Änderungen sind überschaubar, erscheinen auf den ersten Eindruck aber sinnvoll. Die neue Edition richtet sich natürlich auch an neue SpielerInnen, die sich ebenso schnell zurechtfinden sollten.

Der Baukasten-Charakter des Universal-Systems kann für Rollenspielneulinge zwar auch abschreckend wirken, dem Regelwerk gelingt es aber, alle Aspekte von Savage Worlds anschaulich und nachvollziehbar zu beschreiben. Was stellenweise jedoch irritiert, ist die Reihenfolge, in der die Regeln erklärt werden. So findet sich zum Beispiel erst im dritten Kapitel, nachdem Fertigkeiten, Talente und Ausrüstung beschrieben wurden, eine grundlegende Erklärung, wie eine Probe funktioniert.

Das vierte Kapitel ist ein Abenteuer-Werkzeugkasten, der weiterführende Spielmechaniken beschreibt und Tipps zur Ausgestaltung eigener Settings und Abenteuer gibt. Das generelle Thema Spielleitung wird allerdings erst im siebten Kapitel, ganz am Ende des Bandes beschrieben. Das wirkt in seiner Gesamtheit nicht ganz schlüssig, wirkt etwas beliebig, ist dank passender Querverweise aber nie unübersichtlich.

Unterm Strich ist die Savage Worlds Abenteuer-Edition eine sinnvolle Weiterentwicklung des bereits bestehenden Systems, ohne revolutionäre Änderungen vorzunehmen. Der Motor läuft immer noch gut, die kleine Wartung hat ihm aber gutgetan. Wer ein schlankes Universal-Regelwerk sucht, das Abenteuer in allen erdenklichen Settings ermöglicht, kommt weiterhin an Savage Worlds nicht vorbei.

Artikelbilder: © Ulisses Spiele, Pinnacle Entertainment Group
Die PDF wurde im Rahmen des Crowdfundings erworben.

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