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Fast jedes Tischrollenspielsystem, das es zu weitreichender Bekanntheit geschafft hat, bietet Abenteuer und Kampagnen, die unter SpielerInnen des Systems Kultstatus genießen. Für Dungeon Crawl Classics erfüllt Sailors on the Starless Sea diese Funktion. Grund genug, in die Chaosfestung hinabzusteigen und dem fast schon legendären Abenteuer auf den Giftzahn zu fühlen.

Es gibt Abenteuer, die muss man als RollenspielerIn kennen. Oder man sollte, zumindest als Fan des zugehörigen Regelsystems, von ihnen gehört haben. In diesem Zusammenhang fällt gerne mal das Wort Klassiker.

Langjährige BesucherInnen von Aventurien kennen selbstverständlich die Abenteuer rund um die Sieben Gezeichneten. Und wer sich ein Weilchen mit Dungeons & Dragons beschäftigt, weiß natürlich über das Modul Tomb of Horrors Bescheid. Soweit zumindest die Annahme.

Ob der Klassiker- und Kultstatus solcher Abenteuer angemessen ist oder nur von Einzelpersonen wahrgenommen wird, müsste an anderer Stelle besprochen werden. Denn hier soll Sailors on the Starless Sea unter die Lupe genommen werden. Dieses Abenteuer genießt unter SpielerInnen des Rollenspiels Dungeon Crawl Classics genau den beschriebenen Ruf: Muss man kennen!

Gemeinsam mit dem Grundregelwerk des Systems wird auch Sailors on the Starless Sea demnächst in deutscher Übersetzung unter dem Titel Segler auf sternenloser See bei System Matters erscheinen. Ein guter Zeitpunkt, zu überprüfen, ob das Abenteuer seinem Ruf gerecht wird.

Inhalt

Der Start ins Abenteuer könnte wie ein Klischee wirken: Ein nicht näher beschriebenes Dorf leidet unter der alten, verfallenen Festung, die seit Urzeiten auf dem Hügel über dem Dorf thront. Denn furchtbare Bestienmenschen verlassen des Nachts die Feste und entführen brave Dörfler aus ihren Betten.

Spielt man das Abenteuer mit einer Gruppe von Charakteren der Stufen 1 oder 2, ist die Ausgangssituation tatsächlich weit davon entfernt, einen Preis für Originalität zu gewinnen. Ein Twist entsteht aber dadurch, dass das Modul in erster Linie für Gruppen der Stufe 0 angedacht ist. Denn in Dungeon Crawl Classics starten Kampagnen mit einem sogenannten Funnel, in dem sich die Charaktere ihre erste Stufe verdienen müssen.

Im konkreten Falle von Sailors on the Starless Sea bedeutet dies, dass schlichtweg keine gestählten Helden und gewitzten Abenteurer vor Ort sind, die das Leid der Dorfbevölkerung lindern könnten. Also wird das einfache Volk notgedrungen selbst aktiv, was für die SpielerInnen bedeutet, jeweils zwei bis vier fragile Charaktere ohne Klasse auszuwürfeln und in ein potentiell tödliches Szenario zu werfen. Charaktere, die überleben, können aufleveln und werden zu waschechten Abenteurern.

Schon vor der Festung lauern tödliche Gefahren.

Ausfälle innerhalb der Gruppe sind im Laufe des Abenteuers quasi vorprogrammiert, es gibt sogar in der ungefähren Mitte der Handlung die Gelegenheit, zusätzliche Charaktere in die Gruppe aufzunehmen, falls der Blutzoll bisher zu hoch gewesen sein sollte. Eine zu enge Bindung zu den eigenen Charakteren sollte man nicht mitbringen, der ungewöhnliche Spielmechanismus soll vielmehr dafür sorgen, dass die Bindung an eine Figur im laufenden Spiel entsteht. Die grob umrissenen, schnell verstorbenen Charaktere sind ein Element, auf das SpielerInnen sich einlassen können müssen.

Wer das tut, den erwartet mit der alten Chaosfestung ein gelungener Abenteuerschauplatz. Die Hintergrundgeschichte des Ortes ist bewusst rudimentär gehalten, ein typisches Merkmal der Abenteuer. Die SpielerInnen werden aber über eine Zufallstabelle mit Gerüchten und Halbwahrheiten über die Festung angefüttert, sodass schon zu Beginn eine ungefähre Vorstellung von den Gefahren, Geheimnissen und Schätzen besteht, die sie erwarten könnten. Sobald die Gruppe einmal begonnen hat, die Ruinen zu erkunden, rückt ohnehin das momentane Geschehen in den Vordergrund.

Die Räume, Gebiete und Begegnungen, die nur darauf warten, erkundet zu werden, fesseln schnell die Aufmerksamkeit der SpielerInnen. Verglichen mit anderen Abenteuern, die sich um einen Dungeon oder einen vergleichbaren Schauplatz drehen, bestehen die Feste und das tiefer gelegene Gewölbe nur aus recht wenigen Räumen. Dafür enthält aber auch jeder Raum Gelegenheiten zur Interaktion, die keine Langeweile aufkommen lassen.

Verfluchte Grabkammern, ein Blick (oder Sturz) in die wirbelnden Energien des Chaos, Totenschädel voller rachsüchtiger Geister, eine leibhaftige Pflanzengottheit und der namensgebende sternenlose Ozean sind nur einige Herausforderungen, denen sich die Charaktere stellen müssen. Wenn sie sich klug und geschickt verhalten, erbeuten sie neben ersten Reichtümern und Ausrüstung unter Umständen einige magische Gegenstände von bedeutsamer Macht. Dungeon Crawl Classics geizt weder bei den Gegnern und Gefahren noch bei den Schätzen mit spektakulären Inhalten, auch auf niedrigen Stufen.

Ein kleiner Ausschnitt eines Spielerhandouts.

Selbst die Bestienmenschen, die mehr als einmal auf den Plan treten, sind mehr als nur Standardmonster. Denn die Spielleitung bekommt mit dem Abenteuer eine praktische Tabelle an die Hand, mit der es möglich wird, das von furchterregend bis widerwärtig reichende Aussehen jedes einzelnen Bestienmenschen aus insgesamt 29 Versionen auszuwürfeln. Schon im Grundregelwerk sind diverse Tabellen und Hilfestellungen enthalten, um jedes Monster einzigartig zu gestalten. Das Abenteuer führt diesen Ansatz fort.

SpielleiterInnen bekommen auf den zwanzig Seiten des Moduls eine überraschend große Menge an Material geboten, um das Abenteuer zum Erfolg am Spieltisch zu machen. Zum Ende hin gibt es trotzdem einzelne Orte beziehungsweise Begegnungen, bei denen eine etwas ausführlichere Erklärung der möglichen Handlungsoptionen wünschenswert gewesen wäre. Mit etwas Eigenleistung lassen sich aber alle Situationen erfolgreich umsetzen.

Generell erfordert Sailors on the Starless Sea von Seiten der Spielleitung über das Lesen des Hefts hinaus kaum Vorbereitung. Je nachdem, wie ungewöhnlich die Ideen der SpielerInnen ausfallen, sollte etwas improvisiert werden, aber das gilt für alle Abenteuer. Den Schauplatz und seine Bewohner auf die Charaktere reagieren zu lassen, reicht meistens völlig aus, um für gute Unterhaltung zu sorgen.

2013 haben wir bereits einen ersten Spieltest für Dungeon Crawl Classics durchgeführt. Auch Sailors on the Starless Sea ist vor einiger Zeit einem Test in Form eines One Shots unterzogen worden. Vier Spieler und ein Spielleiter haben 16 Charaktere in die Festung geschickt.

Das Leben eines Abenteurers endet oft schneller als gedacht.

Wie viele Figuren am Ende überlebt haben, weiß ich schon nicht mehr. Aber so manch spektakulärer Tod hat sich im Gedächtnis festgesetzt. Und der Spaß, den alle Beteiligten von der ersten Szene an hatten, ist unvergessen geblieben.

Darf Sailors on the Starless Sea denn nun den Status eines Kult-Abenteuers für sich in Anspruch nehmen? Als Teil des Rollenspiels Dungeon Crawl Classics auf jeden Fall. Das Modul schafft es, die grundlegende Idee des Spiels, die volle Fokussierung auf den Unterhaltungswert am Spieltisch, elegant und leichtgängig umzusetzen.

Erscheinungsbild

Bei der optischen Aufmachung bietet Sailors on the Starless Sea ein gutes Beispiel für den Stil, der Dungeon Crawl Classics prägt. Kurze Texte, Hervorhebung wichtiger Elemente und Textboxen mit nützlichen Zusatzinformationen und Spielelementen prägen den Abenteuerband. SpielleiterInnen finden hier schnell alles, was zum Leiten an Informationen benötigt wird, ohne dass überlange Stimmungstexte zu viel Platz einnehmen.

Die Illustrationen des Produkts, zehn an der Zahl, die sich auf zwanzig Seiten verteilen, sind durchweg in schwarzweiß gehalten. Der eigenwillige Stil wird nicht jeden Geschmack treffen, bewegt sich aber durchgehend auf einem hohen Niveau. Vor allem die Bodenpläne der Festung und der Katakomben darunter sind wahre Kunstwerke, die das Vorbereiten des Abenteuers versüßen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Goodman Games
  • Autor(en): Harley Stroh
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: Englisch
  • Format: Letter Format Softcover, PDF
  • Seitenanzahl: 20
  • ISBN: 978-0-9828609-7-7
  • Preis: 13,31 USD/9,95 EUR (Print), 6,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: Amazon, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Zum Zeitpunkt unserer Rezension liegen keine zusätzlichen Inhalte vor.

Fazit

Auch wenn die verlagsinterne Nummerierung Sailors on the Starless Sea als Produkt Nummer 67 der Reihe ausweist, handelt es sich doch um eines der ersten Abenteuer, denen das hauseigene Regelsystem zugrunde liegt. Aus diesem, aber auch aus anderen Gründen gilt das Abenteuer für viele Fans als Paradebeispiel für die gelungenen Abenteuermodule aus dem Hause Goodman Games.

Die Geschichte rund um die verfluchte Festung, deren mutierte Bewohner Menschen aus ihren Betten entführen, wirkt klischeehaft, kann aber einen interessanten Twist durch die Horde an unbedarften DörflerInnen erhalten, die anstelle der typischen Helden der Sache auf den Grund gehen. Die Stärken des Abenteuers liegen aber ohnehin nicht bei einer nie dagewesenen Storyline.

Der Star des Moduls ist vielmehr der Schauplatz, also die verfallene Festung und die darunter befindlichen Katakomben. Jeder einzelne Raum, jedes Gebiet bietet den SpielerInnen Gelegenheit, mit der Spielwelt zu interagieren und dabei Belohnungen einzufahren oder tragisch zu scheitern. Obwohl die Anzahl der Räume sich in Grenzen hält, können und werden Abenteurergruppen Inhalte übersehen und verpassen.

Das Gefühl, zu wenig geboten zu bekommen, wird sich trotzdem nicht einstellen. Sailors on the Starless Sea steckt von der ersten bis zur letzten Seite voll geballter Unterhaltung. Einige Szenen und Orte dürften für die Spielleitung genauer erläutert werden oder zusätzliche Handlungsalternativen für die Charaktere bieten, aber der großartige Gesamteindruck wird dadurch kaum vermindert.

Nach Lektüre des Abenteuers und einem Spieltest als One Shot steht fest: Der Kultstatus ist berechtigt. Wer sich für Dungeon Crawl Classics, Old-School Rollenspiel und/oder gutes Dungeondesign interessiert, kommt an Sailors on the Starless Sea nicht vorbei.

 

 

Artikelbild: © Goodman Games, Fotografien: © Felix Hensell, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

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