Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Wo gewürfelt wird, regiert König Zufall das Geschehen. Wer würfelt, weiß nie, welche Zahl ihm letztlich entgegenblicken wird. Kurz: Wer würfelt, der kann verlieren. Warum sollte man sich also ausgerechnet bei der Charaktererschaffung auf eine Zufallsgenerierung verlassen? Teilzeithelden hat sich dieser Frage gewidmet.

Die Würfel sind zugunsten der Zufallsgenerierung gefallen.

Es ist wieder einmal so weit. Nicht nur beginnt ein neuer Rollenspielabend, sondern auch eine ganz neue Runde, ein neues Abenteuer voller Möglichkeiten. Doch dieses Mal ist etwas anders als sonst. Die Charaktere sollen ausgewürfelt werden, aber nicht nur die Werte. Klasse, Profession, Herkunft – alles wird dem Zufall anheimgestellt. Zufallsgenerierung? Dabei soll etwas Gutes herauskommen?

Der vorliegende Artikel widmet sich dieser Frage, zeigt Stärken und Schwächen dieser Art der Charaktererstellung und weist auf Probleme hin, die am Spieltisch aufkommen können. Während wir uns vor einigen Monaten also dem Pro und Contra zufälliger Charaktererstellung widmeten, geht es in diesem Artikel darum, welche Faktoren zu beachten sind, wenn die Entscheidung bereits zugunsten der Zufallsgenerierung gefallen ist.

Neugier und der Reiz des Unbekannten

Neugierig studierst Du die Liste der verschiedenen Professionen, gespannt, welche davon Du bald am Spieltisch darstellen wirst. Einige davon klingen nicht sehr reizvoll, andere hingegen sehr. Du greifst nach den Würfeln, wirfst sie und gibst die Charakterwahl aus deiner Hand. Du blickst zur Spielleiterin, gespannt auf das Ergebnis. Sie schaut in die Tabelle in ihrem Buch, sucht nach der von dir gewürfelten Zahl und schaut wieder zu dir, nachdem sie fündig geworden ist. Lächelt sie vor Schadenfreue oder Überraschung? Gleich wirst Du es erfahren.

Einige Rollenspielsysteme geben den Spielern die Möglichkeit, die Charaktererstellung einer Zufallsgenerierung zu überlassen. Damit ist nicht nur das zufällige Auswürfeln der Grundwerte gemeint, wie es Dungeons and Dragons anbietet oder in älteren Versionen von Das Schwarze Auge gemacht wurde. Nicht nur auf kurzweiligen Spielspaß mit extrem sterblichen Charakteren ausgelegte Systeme wie Dungeon Crawl Classics bieten Tabellen zum kompletten Auswürfeln eines Charakters. Warhammer Fantasy ermöglicht dies den Spielern ebenso wie Forbidden Lands oder Cthulhu, die sogar umfangreiche Tabellen zum Auswürfeln des Hintergrundes bereitstellen.

Erfahrene Rollenspieler finden im Zufall eine Möglichkeit, gewohnte Muster zu verlassen.

Doch warum sollte sich jemand das freiwillig antun? Hierfür kann es viele Gründe geben, die ganz unterschiedliche Ursprünge haben können. An erster Stelle ist die gespannte Neugier zu nennen, die bei der Charaktererschaffung entsteht. Jeder, egal ob Rollenspiel-Neuling oder Veteran, mag eine angenehme Anspannung verspüren, wenn die Würfel rollen und bestimmen, was auf dem Charakterbogen landet. Zwar ist der Gedanke naheliegend, dass vor allem Neulinge mit diesem Prozess der Charaktererstellung überfordert sein könnten, andererseits versorgt diese Herangehensweise den Neuling direkt mit einem Charakter, ohne dass er sich vorher groß mit dem Regelwerk auseinandersetzen muss, um eine Profession zu finden, die er spielen möchte.

Erfahrene Rollenspieler finden im Zufall eine Möglichkeit, gewohnte Muster zu verlassen. Wer den noblen Krieger bereits in mehreren Varianten gespielt hat oder sich immer wieder in die Rolle gelehrsamer Zauberwirker begibt, weiß vielleicht gar nicht, was er oder sie verpasst. Gerade solche Spieler mögen bei der zufälligen Charaktererstellung die Stirn runzeln.

Enttäuschung oder Zufriedenheit?

Ein Barde? Du sollst einen Barden spielen? Mit denen kennst Du dich doch gar nicht aus. Was kommt als Nächstes? Der Hintergrund? Gut, Du würfelst noch einmal. Und? Soldat? Ein Barde mit einem Hintergrund als Soldat? Was soll denn das sein? Du fängst an zu grübeln, ob das alles so eine gute Idee war…

Ein Barde? Du sollst einen Barden spielen? Mit denen kennst Du dich doch gar nicht aus.

Wer zu große Erwartungen hat, der kann nur enttäuscht werden. An diesem Punkt des Artikels muss bereits festgehalten werden, dass diese Art der Charaktererschaffung niemandem aufgezwungen werden sollte, der keinen Sinn darin sieht. Wenn das Ergebnis der Zufallsgenerierung ein Spieler ist, der nur mäßig Spaß daran hat und schlechte Stimmung ausstrahlt, ist der ganzen Runde damit nicht geholfen.

Wer hingegen kein generelles Problem mit der Zufallsgenerierung hat, muss sich darauf einlassen, einen Charakter zu erhalten, an den er zuvor noch nie gedacht hatte. Möglicherweise ist auch genau dies das Ziel einer solchen Herangehensweise: der Kontakt mit dem Unbekannten, der halb freiwillige, halb erzwungene Sprung aus der Komfortzone. Ist es der Wunsch nach etwas Neuem, der Freude auf die zufällige Charaktererschaffung weckte, kann es aber ebenso enttäuschend sein, wenn der Zufall nur Altbekanntes aufwärmt.

Kreativität und Improvisationsvermögen sind gefragt

Gut, ein soldatischer Barde. Mach was draus. Erst einmal weiter würfeln. Okay die Würfel sagen, dass sein Antrieb Loyalität ist. Passt doch zum Soldaten, oder? Was noch? Waisenkind? Vielleicht kennt er ja nur seinen Dienstherrn und wurde zum Dienen erzogen? Langsam glaubst Du, dass das noch was wird.

Wer bei einem zufällig erstellten Charakter nur stirnrunzelnd über dem Charakterblatt sitzt, ohne eine Idee zu haben, was genau er aus dem zusammengewürfelten Hintergrund machen soll, wird vermutlich schnell frustriert sein. Im letzten Abschnitt wurde bereits angesprochen, dass diese Form der Charaktererschaffung nichts für jeden Spielertypen ist. Dennoch sollte es jedem Spieler ermöglicht werden, frustfrei einen Charakter aus Zufallsgenerierung mit Leben zu füllen. Hier kann es helfen, wenn der Spielleiter im Vorfeld gewisse Rahmen festlegt, die dafür sorgen, dass der Zufall nicht zu beliebigen Ergebnissen und somit lieblos gespielten Charakteren führt.

Wenn die Zufallsgenerierung des Hintergrundes anhand von Tabellen geschieht, dann sollte der Spielleiter sich diese bereits im Vorfeld gründlich angucken. Kann er vielleicht etwas verändern und an den Spielstil seiner Gruppe anpassen? Wenn bereits die Werte ausgewürfelt wurden, kann er zum Beispiel Professionen rausnehmen, die absolut nicht dazu passen oder im Zweifelsfall noch einmal neu würfeln lassen.

In diesem Punkt ist es auch immer wichtig, welche Möglichkeiten das System überhaupt hergibt. Kann wirklich alles, von den regeltechnischen Grundeigenschaften bis zum rollenspielerischen Hintergrund, ausgewürfelt werden? Regelsysteme mit ausgefeilten Charaktererschaffungskonzepten anhand von Generierungspunkten, wie zum Beispiel Das Schwarze Auge, würden viel Vorarbeit erfordern, um dort eine Zufallsgenerierung unterzubringen. Bezogen auf den reinen rollenspielerischen Hintergrund ist dies aber so gut wie überall möglich.

Wichtig ist, dass die Spieler nicht die Lust verlieren, weil sie in ihren Augen bloßen Nonsens auf dem Charakterbogen haben. Wenn einer der Spieler Redebedarf hat, sollte der Spielleiter auch darauf eingehen und nicht kategorisch darauf verweisen, dass der Zufall nun einmal entschieden habe. Bei den Spielwerten mag diese Diskussion noch etwas müßig sein, wenn jemand um Punkte feilschen will. Geht es aber um den Hintergrund, sollten Bedenken geäußert werden dürfen. Zwar sollte bei der Zufallsgenerierung eben ganz bewusst auch die Kreativität der Spieler angespornt werden, aber wenn bereits während der Erstellung keine zündende Idee kommt, wie die einzelnen Versatzstücke zusammengefügt werden können, wird dies vermutlich auch im Spielverlauf nicht geschehen. Der Gedanke, dass beim Spielen irgendwann ein stimmiges Gefühl entstehen wird, ist zwar nachvollziehbar, aber nur schwerlich von einem Spieler einzufordern, der sich von Anfang an orientierungslos fühlt.

Zufallsgenerierung – und dabei ernst bleiben?

Du würfelst erneut. Der Barde bekommt einen nervigen Tick, na toll. Aber gut, Du entschließt dich, aus der Not eine Tugend zu machen. Dann bist Du halt der skurrile Diener. Bist Du als Soldat nicht ohnehin etwas überpedantisch und fanatisch? Lobe deinen Herrn doch einfach bei jeder Gelegenheit. Mach einfach einen Witz draus, dann wird es schon funktionieren.

Charaktere zufällig zu erschaffen, ist nicht selten das Ergebnis einer spontanen Idee, die in einer launigen Runde entstanden ist. Manche Spieler entscheiden sich deswegen bereits im Vorfeld dafür, es mit Humor zu nehmen und spielen ihren kampfstarken, aber geistig nicht sonderlich begabten Magier, der von Orks großgezogen wurde, direkt als Witzfigur. Dies ist natürlich solange kein Problem, wie es den Rest der Gruppe nicht stört.

Ist es jedoch der Plan, eine längere Kampagne zu spielen, die durchaus auch ernsthafte Momente beinhalten kann, kann dies schnell zur Belastung werden. Nicht nur für den Rest der Gruppe, sondern auch für den oder die entsprechenden Spieler, denen irgendwann der Humor ausgeht und die danach nur noch ratlos auf ihren Charakterbogen blicken. In diesem Punkt sollte, genau wie oben beschrieben, bereits im Vorfeld auf Bedenken eingegangen werden.

In Stein gemeißelt?

Alles war gut, doch dann geschah es. Der Würfel fiel und machte deinen Barden zu einem Lustmolch. Wie sollst Du das spielen? Anzüglichkeiten sind dir eher unangenehm. Du traust dich kaum, aber Du musst fragen, ob das nicht geändert werden kann. Zumal ihr wahrscheinlich einige Spielabende mit diesen Charakteren verbringen werdet. Hoffnungsvoll wendest Du dich an die Spielleiterin.

Regeln sind ein wichtiges Fundament des Pen & Paper-Rollenspiels. Fertigkeitsproben und Kampfsituationen unterliegen beinahe immer einem ausgefeilten Regelsystem, das den Spielleiter bei seiner Aufgabe als Schiedsrichter am Spieltisch unterstützt. Zur Not kann er sich auf das gedruckte Wort beziehen und belegen, dass seine Vorgaben nicht aus der Luft gegriffen sind.

Ist der Wert des Wurfes wirklich unverrückbar?

Damit diese allgemeine Gültigkeit besitzen, gilt in der Regel ein Würfelwurf als unverrückbar. Ein Patzer im Kampf, der noch einmal verhandelt werden kann? Undenkbar und in manchen Runden wahrscheinlich ein verhängnisvoller Präzedenzfall.

Doch macht man es sich nicht ein bisschen zu einfach, wenn man auch die Zufallsgenerierung bei der Charaktererschaffung diesem Reglement unterwirft? Schließlich geht es hier nicht um eine ganz spezielle Situation, die schnell entschieden werden muss, sondern um das Fundament weiteren Charakterspiels. In dieser Ausnahmesituation sollte es durchaus möglich sein, über Würfelergebnisse zu reden, sie gegebenenfalls auch zu korrigieren oder den Wurf wiederholen zu lassen.

In diesem Punkt kann es sehr schwer werden, die Zufallsgenerierung nicht komplett ad absurdum zu führen, wenn es am Ende doch auf ein Wunschkonzert hinausläuft. Deswegen sollte ganz klar und transparent kommuniziert werden, was genau das Problem ist und warum der Zufall bei diesem speziellen Ergebnis ausnahmsweise doch ausgehebelt wird. Die Charaktererschaffung ist keine Kampfrunde, die schnell zu Ende gebracht werden soll, sondern eine Phase im Rollenspiel, bei der man sich durchaus Zeit nehmen sollte, selbst dann, wenn man sie dem Zufall überlassen will.

Unendliche Möglichkeiten

Du hättest es zuerst nicht für möglich gehalten, doch Du hast es geschafft. Der Zufall hat dir einen Charakter beschert, den Du so nie erstellt hättest, in dem du aber großartige Möglichkeiten siehst. Dein Barde ist der Herold seines Herrn, dem er seine Ausbildung verdankt. Zwar ist er etwas schwach auf der Brust, aber er kann auch in der zweiten Reihe dienen, von wo aus er die Krieger anspornt. Auch ist er nicht so charismatisch, wie es einem Vertreter seiner Profession anstehen würde, doch dafür ist er kampferprobt. Wenn er spricht, stottert er, doch wenn seine Lieder erklingen, gehen sie ihm fehlerfrei von der Lippe, so groß ist seine Hingabe. Du bist gespannt, was für Abenteuer er nun erleben wird.

Die Zufallsgenerierung von Charakteren bietet unendliche Möglichkeiten. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass auch die Lust vorhanden ist, sich auf ein solches Experiment einzulassen. Des Weiteren sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass es eben tatsächlich in vielen Punkten ein Experiment ist und damit ein Stück außerhalb der normalen Regelordnung steht. Spieler und Spielleiter sollten hier ruhig Mut zum Verhandeln haben. Der Spielleiter sollte außerdem keine Scheu zeigen, einem Spieler Input zu geben, wie ein zufällig ermittelter Aspekt des Charakterhintergrundes ausgespielt werden könnte. Dies kann natürlich auch die anderen Spieler am Spieltisch mit einbeziehen.

Wie beim Schmetterlingseffekt kann völliger Zufall zu ungeahnten Entwicklungen führen.

Denn auch wenn gewürfelt wird, befindet man sich nicht in einer Situation, in der die Würfel zwingend das letzte Wort haben müssen. Die Ergebnisse sind letztlich auch Interpretationssache. Dies verlangt vom Spieler ein gewisses Maß an Kreativität, die erwürfelten Ergebnisse zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen.

Schließlich sollte die Zufallsgenerierung auch niemanden in Sippenhaft nehmen. Wenn nur ein Teil der Spieler sich auf diese Form der Charaktererschaffung einlassen kann, sollte der Rest nicht dazu gezwungen werden. Anders herum sollte ein Spieler, der gerne einmal etwas mit dem Zufall experimentieren möchte, nicht dazu gezwungen werden, seinen Charakter auf herkömmlichem Wege zu erstellen.

Denn der Spielcharakter und sein Hintergrund sind nicht zuletzt das Fundament des Rollenspiels. Deswegen sollte zumindest die Charaktererschaffung Raum für Kompromisse und eigene Ideen bieten, auch wenn sie dem Zufall überlassen wird. Manchmal reicht schon ein einzelner, zufällig generierter Impuls, um die Kreativität der Spieler anzustacheln. Wenn diese dann durch weitere unstimmige Faktoren blockiert wird, kann aber genau der gegenteilige Effekt entstehen.

Die Vorzüge, die entstehen, wenn man bei der Charaktererschaffung den Zufall mitspielen lässt, sollten also nicht überstrapaziert werden. Wer durch die Zufallsgenerierung ermutigt wird, seine Komfortzone zu verlassen, sollte nicht gleich wieder abgeschreckt werden. Ebenso wenig sollten Spieler, die sich gar nicht mit dem Gedanken anfreunden können, nicht dazu gezwungen werden.

Generell kann die Zufallsgenerierung eines Charakters neue und ungeahnte Impulse ins Rollenspiel bringen. Nicht nur Werte können zufällig bestimmt werden, sondern auch Professionen oder der Charakterhintergrund. Hier mag so mancher Ideen finden, auf die er oder sie sonst nie gekommen wäre. Der Reiz des Zufalls – er birgt ungeahnte Möglichkeiten.

 

Artikelbilder: Depositphotos.com / © Syda_Productions© creatista© surkovdimitri© alexannabuts, © chevu, © nemesis_inc© fotomaximum© mandygodbehear© katalinks© anton-tokarev© sun_tiger© Laksen© BrianAJackson© blackregis2, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

 

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein