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Neue Runde, neuer Charakter: Für viele Spieler ein spannender Moment. Umso frustrierender kann es sein, wenn das Konzept nicht fruchtet, die Identifikation im Rollenspiel fehlt. Wie kommt es und was kann man tun, wenn der eigene SC zum Feind wird?

Identifikation im Rollenspiel ist ein Thema, bei dem sich die Geister scheiden. Während einige Spieler eine möglichst enge Verbindung mit ihrem Charakter eingehen, diesen wahrhaftig verkörpern wollen, streben andere ein regel- und wertetechnisches Optimum an – unabhängig vom persönlichen Bezug zu der Rolle. Grund hierfür sind unterschiedliche systemimmanente Schwerpunkte sowie präferierte Spielstile und Geschmäcker.

Immer dann jedoch, wenn ein spannendes, neues Charakterkonzept jegliche Zugänglichkeit vermissen lässt, entsteht eine Situation, die für den Spieler mehr als störend ist. Wie es dazu kommt, wie man dies ändern kann und warum es manchmal auch in Ordnung ist, unzufrieden zu sein, wird im Folgenden erläutert.

Von der Wiege in die (Spiel-)Welt

Verschiedene Spieler gehen auch verschieden an die Erstellung eines Charakters heran. Einige betreiben den sogenannten „self insert“, stellen also sich selbst in modifizierter Form dar. Andere versuchen sich an der Darstellung von beispielsweise Helden- oder Antiheldenklischees aus Büchern, Filmen und Videospielen oder probieren sehr exotische Charakterkonzepte aus, um zu erfahren, wie sich diese in der jeweiligen Spielwelt bzw. dem jeweiligen Kontext schlagen. Auch „Powerplay“ gibt es hier – das Beste herausholen wollen ist etwas, das für viele Spieler eine interessante Herausforderung darstellt.

Am Anfang vieler Charaktererschaffungen steht eine Idee
Am Anfang vieler Charaktererschaffungen steht eine Idee

Für die meisten Spieler ist die Erschaffung der eigenen Rolle für das Laientheater, das Rollenspiel nun einmal ist, eine spannende Angelegenheit. Nicht selten beschreibt sie den Neubeginn einer Spielrunde und somit eines neuen Abenteuers. Ist auch das System neu, in welchem sich der Spieler kreativ austoben darf, sind die Möglichkeiten verlockend.

Am Ende des Erstellungsprozesses, gleich auf welcher Motivation er sich begründet, steht ein fertiger SC. Ob der Spieler mit diesem harmoniert, hängt von äußeren Faktoren (SL, Spielwelt, andere SC/Spieler) und inneren Faktoren (eigener Bezug zum Charakter) ab. Typische Beispiele für störende äußere Faktoren wären u. a. ein unerfahrener SL, der ein komplexes Charakterkonzept nicht oder nur bedingt zu bespielen weiß, oder aber Mitspieler, deren eigene Charaktere konträre Ideen und Prinzipien aufweisen. Zweites kann ein Zusammenkommen der SC stark erschweren, was spielerseitig unter Umständen sehr belastend sein kann. Die inneren Faktoren beziehen sich einzig und allein auf den Spieler und seinen Charakter. Nicht immer harmonieren beide Seiten miteinander.

Wie jedoch kommt es dazu, dass nicht bloß das „Warmwerden“ von Spieler und SC ausbleibt, sondern sogar eine regelrechte Aversion entsteht?

Mein Charakter und ich – Die Kluft

Die Fähigkeiten sowie die Persönlichkeit eines SC wurden von der Spielwelt und den Erfahrungen, die die Hintergrundgeschichte des Charakters festlegt, geprägt. Keinesfalls müssen diese mit dem Wissen und den Kenntnissen des Spielers konform gehen. Empathie und Immersion ermöglichen es dem Spieler, in seine Rolle einzusteigen und dem SC nachzuempfinden sowie für ihn zu sprechen und zu handeln. Wenn dies schwerfällt und äußere Faktoren ausgeschlossen werden können, ist die Diskrepanz zwischen dem Individuum Spieler und dem Individuum SC zu groß.

Schwer wird es, wenn Vorstellund Realität nicht zusammenkommen
Schwer wird es, wenn Vorstellung und Realität nicht zusammenkommen

Der Kontext, aus dem der SC entstammt, ist dann zu fremdartig oder fernab des Interessenspektrums des Spielers. Alternativ existieren differierende Moral- und Wertevorstellungen oder gar religiöses Gedankengut, welches sich der Nachvollziehbarkeit auf Spielerseite entbehrt. Vor allem Letzteres wird am Spieltisch nicht selten belächelt: In Das Schwarze Auge gibt es spielerseitig wenige Fans der Praios-Kirche und in einer Shadowrun-Runde, welcher die Autorin beiwohnte, ernteten ein christlich orientierter SC innerhalb des Spiels und der entsprechende Spieler am Spieltisch umfangreichen Spott. Die emotionale Unterwerfung gegenüber eines Konzeptes, welches realweltlich vom Spieler nicht geschätzt wird oder zu unbekannt ist, stellt demnach eine große, wenn nicht sogar die größte Hürde in den Einstieg in einen SC dar.

Ein weiteres Beispiel für ein Charakterkonzept, welches dem Spieler den Einstieg in die Rolle erschwert, ist das spielweltimmanenter Bösewichte wie u. a. Dunkelelfen in Dungeons & Dragons. Als Angehöriger einer solchen Rasse wird der SC vermehrt auf Widerstände treffen, die ihm entweder von der Spielwelt und seinen Bewohnern entgegengebracht werden oder aber dem eng geschnürten Korsett des Charakterkonzepts entstammen. Auch hier gestaltet sich das Annehmen der Rolle problematisch.

Der SC wird zu etwas, das der Spieler nicht schätzt. Auf dem Charakterbogen wird ein Individuum abgebildet, mit welchem die Identifikation im Rollenspiel nicht oder zumindest nicht ohne große Einbußen möglich ist. Dies geschieht vornehmlich, wenn die Charaktererstellung in Teilen oder gänzlich dem Zufall unterliegt – kann aber auch bei detaillierter Planung vorkommen: Konzept und Endprodukt variieren schlichtweg. Die Schuld dafür ist leicht im SC zu sehen, denn er steht zwischen dem Spieler und dem uneingeschränkten Spielspaß, wird zum Störfaktor, ja, sogar zum Feind.

Dieser Zustand muss und sollte nicht von Dauer sein. Schon bevor auch andere Spieler unter der beeinträchtigten Situation leiden, sollten der betroffene Spieler wie auch der SL das Problem erkennen und angehen. Neben privaten und beruflichen Aspekten, die das Einsteigen ins Spiel erschweren, sollte das Vorhandensein spiel- oder charakterimmanenter Störfaktoren zugunsten aller Spielteilnehmer zeitnah eliminiert werden.

Der Weg in die Identifikation

Das Zusammenfinden ist nicht immer einfach
Das Zusammenfinden ist nicht immer einfach

Wenn es nicht passt, dann passt es nicht. Viele Runden halten die Hürde zum Modifizieren eines bestehenden SC oder sogar zum Wechseln des Charakters recht niedrig, zumindest zu Beginn. Bevor der Spielspaß leidet, ist ein Wechsel auf jeden Fall in Betracht zu ziehen. Hierbei ist die Kommunikation mit dem SL von großer Bedeutung, denn statt eines kommentarlosen Austauschens kann das Abtreten eines Charakters kreativ in das Spiel miteinbezogen werden. So können beispielsweise ein fulminantes Versterben oder aber der Wechsel zu einer NSC-Rolle geplant werden. Letzteres ist vor allem dann interessant, wenn die grundlegenden Ideen des Charakterkonzepts nach wie vor Interesse oder Neugier zu provozieren wissen. Auch oder gerade ein unangenehmer Charakter, bei dem es schwerfällt, ihm empathisch gegenüberzutreten, kann als NSC viel für eine lebendige Spielwelt tun, denn schließlich muss ein Nebencharakter nicht gleich ein reizloser Statist sein. Möglicherweise birgt es sogar etwas Trost für den involvierten Spieler, nicht vollends Abschied nehmen zu müssen.

In dem Fall jedoch, dass das Interesse am Charakterkonzept trotz des Feindbildes, welches es darzustellen scheint, nicht erloschen ist, kann aktiv an einem (Wieder-)Einstieg in die Rolle gearbeitet werden. Hierfür sind einige Überlegungen und Schritte notwendig.

1. Back to the roots

Eine Charakteridee kommt nicht von ungefähr. Wie oben erklärt, können verschiedene Motivationen und Ideen hinter einer solchen stehen. Im ersten Schritt sollte sich der Spieler, der wieder mit seinem SC zusammenzufinden wünscht, auf das zurückbesinnen, was ihn beim Charakterbau angetrieben hat. Indem die ursprüngliche Idee mit dem fertigen SC abgeglichen wird, können einerseits Abweichungen erkannt werden und andererseits entsteht im Idealfall ein besseres Verständnis für das, was auf dem Charakterblatt an Werten und Informationen zu finden ist.

2. Identifizieren lernen

Ist gesichert, dass das Endergebnis, also der fertige SC, mit der Grundidee zusammenpasst, sollte im zweiten Schritt der bewusste Aufbau einer Identifikationsebene zwischen Spieler und SC stattfinden. Dank des (neu gewonnenen) Verständnisses für den SC sollte das Einräumen von Toleranzspielräumen kein großes Problem darstellen. Das Ausprobieren und bewusste Sich-Einlassen-Wollen auf Spielerseite ermöglichen es dem Charakterkonzept, ergänzende Facetten zu erhalten und über eine problematische Anfangsphase hinaus aktiv gespielt zu werden.

3. Entwicklungsräume schaffen – auf allen Seiten

Nur, weil wir mit einem Menschen nicht gleich beim Kennenlernen sympathisieren, heißt es nicht, dass dies für immer so bleibt. Jeder entwickelt sich und gemeinsam verbrachte Zeit schafft emotionale Verbindungen. Gleiches gilt für das Verhältnis von Spieler und SC. Einerseits zeigen sich möglicherweise im Verlauf des Spielgeschehens charakterliche Aspekte, die dem Spieler die Identifikation erleichtern, andererseits wächst das spielerseitige Verständnis für die Rolle, wenn sie an Lebendigkeit gewinnt.

Warum man auch mal hassen darf

Manchmal ist die Abkehr vom eigenen Charakter jedoch unumgänglich
Manchmal ist die Abkehr vom eigenen Charakter jedoch unumgänglich

Wie so vieles am Spieltisch darf auch die Identifikation im Rollenspiel nichts Erzwungenes sein. Manchmal will man sich nicht identifizieren, will sich nicht einlassen. Spätestens dann, wenn der Spielspaß dauerhaft unter diesem Unwillen leidet, ist es an der Zeit, den Hass zuzulassen. Ein Charakterwechsel, idealerweise in naher Absprache mit dem SL, sollte anvisiert werden.

Hassen als Gefühl im Rollenspiel ist ebenso wichtig wie das Mögen, das Schätzen und das Lieben von eigenen und fremden SC/NSC. Es bedeutet, dass der Spieler emotional involviert ist und dies spricht Spielwelt, SL und Mitspielern ein großes Kompliment aus. Keinesfalls sollte es deshalb als etwas Negatives empfunden werden.

Zu guter Letzt dient eine Idee, die nicht aufgegangen ist, auch immer noch als eine Lehre. Der Spieler weiß nun, welche Art von SC ihm nicht liegt bzw. welche Aspekte er innerhalb eines Charakterkonzeptes nicht gut umsetzen kann oder umsetzen möchte. Dies hilft ihm bei der Erarbeitung zukünftiger Ideen und zeigt auf, in welchen Konzepten seine Interessenschwerpunkte sowie Darstellungstalente liegen.

Ein Fazit

Je nach Spielstil, Spielwelt, SL und Mitspielern gelingt es einem Spieler, mehr oder weniger in seine Rolle und in die Spielwelt einzusteigen. Mindestens ebenso entscheidend sind jedoch Faktoren, die das Verhältnis von ihm zu seinem SC betreffen. Identifikation im Rollenspiel sorgt für emotionale Nähe zu Charakteren und Geschehnissen und trägt demnach zum Einfinden in die Spielwelt sowie gehörig zum Spielspaß bei. Entfällt sie, leidet im Umkehrschluss die Freude beim gemeinsamen Würfeln. Schuld hieran ist, dass der Bezug zum eigenen Charakter – oft aufgrund von unterschiedlichen Moral- und Wertevorstellungen – fehlt.

Entscheidet sich der Spieler gegen einen Austausch des Charakters, kann er mithilfe einer Rückbesinnung auf die Motivationen, die den SC haben entstehen lassen, einen Zugang zu diesem finden. Entscheidend ist hier, der Rolle Entwicklungsspielräume zu gewähren.

Wenn es trotz allem nicht klappt – oder ein Klappen nicht gewünscht ist – dann ist das auch in Ordnung. Ein gescheitertes Konzept bietet Nährboden für neue Ideen und eventuell sogar die Möglichkeit für spannende spielinterne Handlungen und Auftritte. Mindestens aber bietet es eine wertvolle Lektion die eigenen Präferenzen betreffend. An Begeisterung für die Eigenkreationen sollte es dennoch nicht fehlen, denn „Theater wird erst wirklich, wenn das Publikum innerlich mitspielt.“ (Hermann Bahr,1863–1934, österreichischer Roman- und Bühnenautor) – und was ist ein Spieler mehr als Schauspieler und Zuschauer gleichermaßen?

 

Artikelbilder:  Shane Kell | Pexels,  Umberto Shaw | Pexels, AntonMatyukha | Depositphotos, cranach2 | Depositphotos, leremy | depositphotos, Verena Bach, Bearbeitet von Verena Bach

 

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