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In den Medien ist Mythologie so populär wie nie zuvor. Viele mythologische Figuren haben es auf Buch- und Comicseiten sowie den Bildschirm geschafft. Dort erleben sie in Urban Fantasy-Welten spektakuläre Abenteuer. Im Rollenspiel Scion Hero sind Gottheiten in einer modernen Welt spielbar. 

„Ray, wenn dich irgendjemand fragt, ob du ein Gott bist, dann sagst du: Ja!“

Winston Zeddemore – Ghostbusters 1984

Die Mythologien der vielen irdischen Kulturkreise sind eine schier endlose Quelle an Geschichten. Sämtliche Fantasywelten sind auf diese Quellen zurückzuführen.

Dank Marvel und DC Comics sind die Gottheiten der griechischen, nordischen und ägyptischen Mythologie heute in aller Munde. Mit Moon Knight, Thor und Black Adam sind allein in diesem dieses Jahr die Abenteuer von drei Helden göttlichen Ursprungs zu sehen.

Die Liste der Rollenspielsysteme mit mythologischem Bezug ist sehr lang. Scion Hero nimmt in dieser Liste eine Sonderrolle ein, da die spielbaren Charaktere allesamt göttliche Kräfte haben. Doch während bei anderen Systemen die Charaktere klein anfangen, können bei Scion schon die Startcharaktere Fahrzeuge stemmen, Kugeln ausweichen und mächtige Magie wirken.

Mythische Themen – Das Rollenspielsystem

Das Rollenspielsystem Scion: Hero wurde 2007 von White Wolf Inc. veröffentlicht. Zwei Jahre später wurde es von Prometheus Games auf Deutsch übersetzt und herausgegeben. Es folgten einige Erweiterungsbände, von denen aber nur drei auf Deutsch erschienen sind.

Die zweite Edition erschien 2019 von Onyx Path Publishing, die alle Rollenspielmarken von White Wolf übernommen hatten. Bisher hat sich allerdings noch kein deutscher Verlag dieses Systems angenommen.

Manchmal muss man Macht eben beweisen.

Die Inspiration für das System liegt klar in der Mythologie, aber auch in vielen modernen literarischen Neudefinitionen. Hier seien American Gods und Sandman von Neil Gaiman, die Percy Jackson-Romane von Rick Riordan sowie die Comicreihe The Wicked + The Divine von Kieron Gillen und Jamie McKelvie genannt. Letztere wurde allerdings nie auf Deutsch veröffentlicht. Die großen Comicverlage haben mit ihren Versionen der Gottheiten einen großen Anteil an der aktuellen Popularität der Mythologie.

Das Grundbuch Scion: Hero beinhaltet Hintergrund, Charaktererschaffung, Regeln für Kräfte und Fähigkeiten sowie ein Kapitel zum Spielleiten. Das Erweiterungsbuch Scion: Origin enthält detailliertes Hintergrundmaterial, wieder eine Charaktererschaffung, die diesmal einfacher aufgebaut ist, sowie erweiterte Kampfregeln und ein weiteres Kapitel zum Spielleiten. Laut einem Kasten im Scion: Hero-Grundbuch ist Scion: Origin notwendig, um das System zu spielen. Die Unterschiede in den themengleichen Kapiteln der beiden Bücher liegen im Detail.

Eine Welt aus Zeichen und Wundern – Die Hintergrundwelt

Die Welt von Scion ist die Erde des 21. Jahrhunderts, auf der neben den recht ahnungslosen Menschen noch viele übernatürliche Wesen leben. Einige dieser Wesen haben sich angepasst, indem sie eine entsprechende Nische gefunden haben, andere verstecken sich vor den Menschen. Die unterschiedlichen Gottheiten und ihre Widersacher*innen leben in ihren jeweiligen Reichen, die in der einen oder anderen Form mit der Erde verbunden sind.

Die für uns Europäer*innen bekanntesten Reiche kennen wir aus zahllosen Märchen und Sagen: das goldene Asgard und der Götterberg Olymp. Doch auch die Gegenspieler*innen der Gottheiten sind immer noch aktiv. Die Titanen üben mit zahllosen bösen Kreaturen Einfluss auf die Welt der Sterblichen aus, um ihre finsteren Pläne voranzutreiben.

Die Òrìshà in ihrer ganzen göttlichen Pracht.

Die Spieler*innencharaktere entstammen einem der Götterpantheons. Im Gegensatz zur ersten Edition wurden in der zweiten die spielbaren Pantheons erweitert und neu definiert. Im Grundbuch der ersten Edition waren nur sechs Pantheons spielbar. In Erweiterungsbänden erschienen damals weitere Pantheons.

Die Asen sind die populären nordischen Gottheiten, die von Asgard aus über die neun Welten wachen. Als Kami bezeichnen sich die japanischen Shinto-Gottheiten. Vom antiken Ägypten bis in die Neuzeit reicht der Einfluss der altägyptischen Gottheiten, der Netjer. Die Teōtl repräsentieren die aztekischen Gottheiten Mesoamerikas und üben ihren Einfluss auch auf zahllose Auswanderer*innen in anderen Teilen der Welt aus. Ebenfalls bekannt und populär sind die griechischen und römischen Gottheiten der Antike, die Theoi, die sich, vom Götterberg Olymp ausgehend, ständig in die Belange der Sterblichen einmischen.

Zusätzlich zu den gerade aufgezählten Pantheons der ersten Edition verdienen die Òrìshà, die Yoruba-Gottheiten aus Westafrika, eine gesonderte Erwähnung. Im Grundbuch von 2007 wurde dieses Pantheon noch als Loa bezeichnet und als die sich angepassten Gottheiten der Nachfahren afrikanischer Versklavten dargestellt. In der aktuellen Version wird für diese Gottheiten die historische Darstellung der Òrìshà verwendet, die der Religion Westafrikas entstammt.

Doch die Òrìshà können sich auch anpassen.

Die folgenden Pantheons stammen aus älteren Erweiterungsbänden und wurden in das aktuelle Grundbuch übernommen.

Die irischen beziehungsweise keltischen Gottheiten werden als Tuatha Dé Danann bezeichnet. Als Devá sind die Hindu- und Veden-Gottheiten zusammengefasst, die immer noch Millionen von Gläubigen in der Moderne haben. Die Manitou sind als die Gottheiten der Algonquin-Stämme in Nordamerika bekannt und die Shén sind altchinesischen Gottheiten, die sich selbst als die himmlische Bürokratie bezeichnen.

In jedem der Pantheons gibt es verschiedene Gottheiten, die als Erzeuger*innen und Mentor*innen für Spieler*innencharaktere auftreten und diesen spezifische Kräfte und Geburtsrechte verleihen. Der Ursprung der spielbaren Held*innen wurde in der zweite Edition etwas differenziert. Während in der ersten Version nur klassische Nachfahren von Gottheiten spielbar waren, gibt es jetzt eine größere Bandbreite an Herkünften. Neben den klassisch gezeugten und adoptierten Nachkommen sind jetzt auch erschaffene, auserwählte und reinkarnierte Held*innen als Spieler*innencharaktere möglich.

Runen werfen und lesen – Die Regeln

Die Regelmechanismen wurden nicht gravierend geändert. Immer noch wird ein Würfelpool zehnseitiger Würfel geworfen und ein Ergebnis von 8, 9 und 10 zählt als Erfolg. In der ersten Edition zählte ein Ergebnis von 7 und mehr noch als Erfolg. Die 10 als Ergebnis zählt weiterhin als doppelter Erfolg. Auch die Charaktererschaffung wurde etwas geändert, womit das Charakterblatt jetzt übersichtlicher daherkommt.

Genauso wie in der ersten Version sind die Spieler*innencharaktere im Gegensatz zu denen in anderen Rollenspielsystemen unglaublich mächtig. Die epischen Attribute der ersten Edition wurden effizient in die aktuellen Attribute integriert, womit die Charaktere immer noch genauso mächtig wie zuvor sind.

Die Kampfregeln wurden dynamischer, aber trotzdem kleinteilig gestaltet, sodass alle Eventualitäten im Kampf abgedeckt sind. Im Grundbuch sind die Regeln absichtlich einfach gehalten und werden in Scion: Origin noch einmal erweitert.

Triumph und Drama – Fazit

Zusammengefasst ist Scion ein System für Freund*innen von bunter Mythologie und urbaner Phantastik. Die vielschichtige und gut recherchierte Reproduktion vieler Sagen und Legenden, die den Hintergrund des Systems ausmachen, stellen einen Pluspunkt dar.

Als Kritikpunkt ist anzufügen, dass geneigte Spieler*innen zwei Bücher benötigen, um das System zu spielen. In jedem dieser Bücher ist eine Version der Charaktererschaffung und der Regeln. Das hat allerdings den Vorteil, dass es je nach Geschmack eine passende Regelversion gibt.

Ebenfalls für die neue Edition spricht, dass westliche angloamerikanische Mythologie und afrikanische, asiatische sowie First-Nation-Mythologie auf Augenhöhe nebeneinandergestellt wurde, was in der ersten Edition noch nicht so deutlich wahrnehmbar war. Nichtwestliche Mythologie und Erzählweisen haben jetzt ebenso einen verdienten Platz in den Büchern genau wie westliche. Damit ist die zweite Edition eine gelungene moderne und zeitgemäße Fortsetzung, die durch die weiterhin populären mythologischen Themen in den verschiedenen Medien weitere Fans bekommen wird.

Die harten Fakten (Scion: Hero Second Edition Rulebook):

  • Verlag: Onyx Path Publishing
  • Autor*in(nen): Dixie Cochran (Herausgeberin)
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover/PDF
  • Seitenanzahl: 338
  • Preis: 52,99 EUR (Hardcover), 18,90 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

 

Artikelbilder: © Onyx Path Publishing
Layout und Satz: Verena Bach

Lektorat: Jessica Albert

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