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Simon Kinberg, der bereits als Drehbuchautor an X-Men: Der letzte Widerstand beteiligt war, schickt sich mit Dark Phoenix erneut an, die Geschichte um Jean Grey und die Macht des Phoenix zu erzählen. Ist diese Neuauflage wie der Vorgänger zum Scheitern verurteilt oder wurde aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?

Wir werden in diesem Artikel weitestgehend auf Spoiler verzichten. Zumindest auf Dinge, die man nicht ohnehin bereits aus den Trailern wusste, oder die nach den ersten 20-30 Minuten des Films passieren. Wer aber bereits derartige Spoiler nicht lesen will, der sollte direkt zum Fazit springen, denn das ist komplett spoilerfrei gehalten.

Die (Dark) Phoenix-Saga aus den späten 70er und frühen 80er Jahren gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Comicgeschichten aus dem Hause Marvel und hat den Namen Klassiker redlich verdient. Kein Wunder also, dass sich die Geschichte auch schon diverse Male in bewegter Form finden lassen kann. Neben der X-Men-Serie in den 90er Jahren gab es auch in Wolverine and the X-Men in den 2000ern eine Version der Geschichte zu bewundern. In beiden Fällen handelte es sich dabei allerdings nicht um Schauspieler, sondern Zeichner, die die Charaktere zum Leben erweckten. Während sich die 90er Version noch relativ nah an die Geschehnisse der Comics hielt, wandelte die neuere Serie einiges stark ab.

Starke Abwandlungen und Unterschiede zu den Comics waren auch einer der mannigfaltigen Gründe, warum bei Fans X-Men: Der letzte Widerstand rigoros durchfiel. Aber die Geschehnisse dieses Films wurden durch X-Men: Zukunft ist Vergangenheit ausgelöscht, sodass es möglich wurde, im selben Franchise die Geschichte noch einmal zu erzählen. Doch dieses Mal wollte man sich näher an den Comics orientieren. Spätestens seit dem Ende von X-Men: Apocalypse war klar, dass in Jean Grey eine Macht schlummert, die zu erkunden eine interessante Geschichte werden könnte.

Story

Genau hier ist es NICHT, wo Dark Phoenix ansetzt. Denn der Film spielt neun Jahre nach den Geschehnissen aus Apocalypse. Die X-Men sind Helden und werden vom US-Präsidenten zur Hilfe gerufen, wenn dieser nicht weiterweiß. So zum Beispiel, also die Astronauten des Space Shuttle Endeavour in Not geraten. Trotz Mystiques Protesten, dass dies zu gefährlich sei, werden die X-Men entsandt, um die Astronauten zu retten. Im Orbit angekommen müssen sie jedoch feststellen, dass es nicht eine Sonneneruption ist, die das Shuttle beschädigt hat, sondern eine sonderbare und unbekannte Energie. Dennoch findet die heldenhafte Rettung natürlich statt. Dabei kommt es allerdings zu Komplikationen, die darin münden, dass Jean Grey die besagte sonderbare Energie in sich aufnimmt, wodurch ihre eigenen Kräfte unermesslich wachsen.

Dieses Wachstum der Kräfte sorgt auch dafür, dass mentale Blocks, die Xavier ihr in der Kindheit zum Schutz vor traumatischen Erlebnissen eingepflanzt hatte, brechen, und so nimmt das Unheil seinen Lauf.

Bis hierhin ist die Geschichte eigentlich gelungen und interessant. Wäre da nicht die Tatsache, dass entgegen der Geschehnisse aus sowohl Apocalypse als auch Der letzte Widerstand die Phoenixkraft eine externe Kraft ist, die nur Besitz von Jean Grey ergreift, und nicht eine inhärente Eigenschaft von ihr, wie es die früheren Filme andeuten. Denn auch wenn die eigentlichen Geschehnisse aus Der letzte Widerstand nicht mehr passiert sind – die Natur der Kraft von Jean Grey sollte sich dadurch nicht verändert haben.

Abgesehen von dieser Inkonsistenz, die man hätte verzeihen können, mäandert die Geschichte leider im weiteren Verlauf vor sich hin. Viele Figuren verhalten sich je nach Situation sehr unterschiedlich, Charakterentwicklungen sind nicht nachvollziehbar, bei den Fans beliebte Figuren tauchen effektiv nur in einer Szene auf und werden dann einfach herausgeschrieben. Mehrere Szenen sollten vermutlich eine stärkere emotionale Wirkung auf den Zuschauer haben, erreichen diese aber nie.

Auch das Auftauchen einer weiteren Fraktion in diesem Film ist so unnötig wie plötzlich, und die Motivation dieser neuen Fraktion mehr als dürftig. Ebenso werden die eingesetzten Fähigkeiten oder deren Limits nie wirklich erklärt.

Was insgesamt etwas verwundert, ist die Ähnlichkeit einiger Handlungselemente zu Captain Marvel, der ebenfalls dieses Jahr im Kino war. In beiden Filmen geht es um eine junge Frau, die ihre Erinnerungen wiederfindet, und deren unterdrückte Emotionen von anderen als Schwäche angesehen werden, am Ende aber genau die Stärke sind, die den Ausschlag gibt. Ebenfalls in beiden mit dabei: Eine Fraktion von gestaltwandelnden Aliens.

Da verwundert es kaum, dass in mehreren Szenen des Films auch Bezug darauf genommen wird, dass ja eigentlich die Frauen die Hauptarbeit bei den X-Men machen und diese dann doch vielleicht X-Women heißen sollten. Ich wäre ja eher für X-People, aber im Grunde ist der Name des Teams auch recht egal.

Darsteller

Die meisten Darsteller liefern eine solide Leistung ab. Positiv stechen dabei James McAvoy als Charles Xavier und Jennifer Lawrence als Mystique / Raven Darkholme hervor. Gerade letzterer merkte man im Vorgänger durchaus an, dass sie eigentlich keine Lust mehr auf die Rolle hatte, aber vielleicht hat es ihr geholfen zu wissen, dass diese Version des X-Men-Universums mit diesem Film ihr Ende finden würde.

Negativ fiel hingegen Sophie Turner als Jean Grey auf. Den Großteil des Films wirkt sie irgendwie unbeteiligt und starrt mit halboffenem Mund in die Gegend. Möglicherweise war das eine bewusste Entscheidung und sollte eine Art Entrückung darstellen, aber auch falls dem so war, wirkt es sonderbar.

Was die meisten Darsteller in diesem Film unter Beweis stellen durften, war, dass sie auf Kommando weinen können. Denn kaum einer der wichtigen Charaktere bleibt ohne eine Nahaufnahme des Gesichts, in dem dann Tränen die Wange herunterlaufen.

Inszenierung

An den meisten Stellen gibt es an der Qualität der Effekte nichts auszusetzen. Auch die Musik, geschrieben von Hans Zimmer, der nach Batman v Superman eigentlich keinen Superheldenfilm mehr machen wollte, ist gut gelungen. Allenfalls in manchen Szenen vielleicht etwas zu viel. Dennoch: Für diverse Zwecke wird sich dieser Soundtrack gut einsetzen lassen, und auch im Film hat er gut funktioniert.

Leider lässt sich das nicht unbedingt über den Einsatz der Mutantenkräfte sagen. Denn in mehreren Szenen im Film gibt es „Duelle“ zwischen Mutanten, die daraus bestehen, dass beide Seiten mit Jazz Hands in der Gegen herumstehen und blicken, als würden sie versuchen, eine schwere Verstopfung zu überwinden. Auch hilft es sicherlich nicht, dass ein Großteil der im Film gezeigten Mutanten eher über unauffällige Kräfte verfügen oder, wie im Falle von Beast und Mystique, mehr in ihrer menschlichen Gestalt herumlaufen als in der Mutantenform.

Um überhaupt als X-Men zu erkennen zu sein, tragen diese dann auch folgerichtig eine schwarze Uniform mit prominentem gelben X. Von vorne ist dieses auch gut zu erkennen. Von hinten wirkt es jedoch in vielen Einstellungen, als würde man einen Star Trek DS9- / VOY-Film mit ganz vielen Sicherheitsoffizieren oder Ingenieuren (die mit den gelben Schultern eben) sehen.

Erzählstil

Dark Phoenix wird weitestgehend linear erzählt. Nur ganz am Anfang gibt es einen Rückblick in die Kindheit von Jean Grey, sowie in einer weiteren Szene einen kurzen Rückblick auf die Vergangenheit der weiteren oben erwähnten Fraktion.

Die beiden hauptsächlich handelnden Personen, denen die Geschichte folgt, sind Charles Xavier und Jean Grey, mit einer kurzen Sequenz, in der Beast ebenfalls eigenmächtig handelt, um einen Grund zu haben, wie Magneto in die Geschichte verwickelt werden kann. Sinn ergab das so nicht wirklich, aber er musste eben in dem Film sein.

Fazit

X-Men: Dark Phoenix ist der zweite Versuch, die Geschichte um Jean Grey und die Phoenixkraft auf die große Leinwand zu bringen. Nachdem die Geschehnisse des ersten Versuchs (Der letzte Widerstand) durch Zukunft ist Vergangenheit ungeschehen gemacht wurden, konnte die Geschichte neu erzählt werden. Dieses Mal sollte alles besser werden, wurde den Fans versprochen.

Leider muss man sagen, dass dieses Versprechen nicht gehalten werden konnte. Denn nach einem eigentlich guten Ansatz, auch wenn dieser Tatsachen früherer Filme ignoriert, verliert sich der Film bald in zu vielen unnötigen Nebenhandlungen. Dabei gerät die eigentliche Grundidee aus den Augen, und stattdessen kommt es am Ende wieder zu einer großen Schlacht gegen einen an sich ziemlich hohlen Gegner. Vielleicht liegt das daran, dass der komplette dritte Akt des Films nachgedreht wurde, nachdem die Originalfassung bei den Testzuschauern durchgefallen war. Jedoch ist es nur schwer vorstellbar, dass das Original schlechter gewesen ist, als das, was sich nun auf der Kinoleinwand finden lässt.

Entstanden ist so ein Film, der nicht so recht weiß, ob er emotional oder actionreich sein will und so am Ende keines von beiden wirklich schafft. Nach dem enttäuschenden Apocalypse war dies ein trauriger Abschluss dieses X-Men-Franchise, das zwischendurch einige wirklich gute Filme vorzuweisen hatte. Aber wenn der Qualitätsverlauf so fortgesetzt worden wäre, ist es vielleicht auch gut, dass es nun zu Ende ist.

 

Artikelbilder: © 20th Century Fox, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

 

12 Kommentare

  1. Ich bin nun wirklich ein X-Men-Fan, aber den schaue ich mir allenfalls mal auf Video an. Die Phoenixstory wurde schon mal filmisch in den Sand gesetzt und auch diesmal wird das nicht besser.
    Schon allein weil der Hauptcharakter nicht wirklich eingeführt ist. Tote Figuren in Endgame haben mich mitgenommen, weil die Charaktere einem ans Herz wachsen konnten, diese Jean Grey kennt man nicht. Dazu werden neue Nebenfiguren aus dem Hut gezaubert. Planen die ihre Filme gar nicht im Voraus?

    First Class werde ich immer mögen, dem kompletten Rest weine ich keine Träne nach.

  2. Der erste X-Men Film, den ich nicht im Kino sehen werde. Zu viele grobe Schnitzer in diesem Franchise. Es gab gute Filme. Leider gab es ebenso viele schlechte. Hoffen wir auf eine bessere Zukunft im Reich der Maus.

  3. Für mich war die Reihe mit Logan an ihrem thematisch sinnvollen und cineastisch beeindruckenden Ende angelangt. Nachdem ich mich durch Apocalypse gelangweilt habe, werde ich mir Dark Phoenix nicht mehr geben.

    Dann lieber nochmal Xmen I & II gucken und in Nostalgie schwelgen :)

  4. Deutlich besser als die direkten zwei Vorgänger aber immer noch ein gutes Stück hinter First Class.

    Kann man sich antun aber es wird immer der gleiche Fehler gemacht, wieso muss man versuchen einen draufzusetzen. Ein Struggle von Jean und ihren Kräften gegen X-Men hätte ausgereicht, da brauch man keine weitere 3. Partei.

    Das beste am Film war der Kurzauftritt von Dazzler. Hätte mich gefreut diesen Fanliebling mehr zu sehen.

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