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The Legend of Vox Machina geht auf Amazon Prime in die zweite Runde. Knapp ein Jahr nach Erstausstrahlung folgt die heißersehnte Fortsetzung der Animationsserie. Erneut werden drei Folgen pro Woche ausgestrahlt – wir haben uns den ersten Satz angeschaut. Kann das Team von Critical Role an ihren vorherigen Erfolg anknüpfen?

In unserem Ersteindruck zu der ersten Staffel hatten wir hauptsächlich zwei Kritikpunkte: den über die Stränge schlagenden derben Humor, sowie das viel zu schnelle Erzähltempo der ersten Folgen, die sich kaum Zeit ließen, um die Charaktere vorzustellen und auf Konflikte einzugehen. Der Rest der Staffel gefiel uns im Schnitt etwas besser – auch weil die ernster werdende Handlung rund um die Zurückeroberung von Whitestone kohärenter und emotionaler war, als der noch etwas holprige Start.

Neue Herausforderungen warten auf Vox Machina.
Neue Herausforderungen warten auf Vox Machina.

Eine zweite Staffel braucht keine Einführung unserer titelgebenden Figuren – und hat somit theoretisch mehr Zeit, um Nuancen herauszuarbeiten. Auf der anderen Seite wissen langjährige Fans der Actual Play-Kampagnen von Critical Role, wie viel Material im Kampf gegen die Drachen umgesetzt werden möchte. Deshalb wollen wir hier kurz umreißen, wie gut der Start in dieses Material gelingt.

Triggerwarnungen

Body Horror, Charaktertod, exzessive Gewalt, Profanität; Andeutungen von Kindesmissbrauch und Rassismus

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Anmerkung: Wir beziehen uns in unserer Rezension auf den englischen Originalton, eine deutsche Synchronisation ist aber abrufbar.

Angriff der Chroma Conclave

Staffel zwei beginnt ohne große Umschweife. Die Held*innen von Vox Machina erleben hautnah mit, wie die vier Drachen rund um den selbsternannten Drachenkönig Thordak die Hauptstadt Emon angreifen und kurzerhand in Schutt und Asche legen. Kaum jemand entkommt dem tödlichen Drachenatem, erneut wird nicht mit der Darstellung brutalster Gewalt gegeizt. Seien es sich in Säure auflösende Körper oder abgerissene Beine; Zuschauende sollten sich auf graphische Inhalte einstellen.

Mächtige Boten der Zerstörung: die Drachen der Chroma Conclave.
Mächtige Boten der Zerstörung: die Drachen der Chroma Conclave.

Ein Zwilling kommt selten allein

Zu Beginn der zweiten Staffel stehen Vax’ildan und Vex’ahlia im Fokus – wir erhalten zumindest kurze Einblicke in die Vergangenheit der beiden, neben einer Erklärung warum sie so unzertrennlich sind. Damit werden punktuell Inhalte aus der Kampagne sowie aus dem Roman Kith & Kin von Marieke Njikamp aufgegriffen. Wir haben diese Einblicke in der Serie leider erneut als zu überstürzt empfunden – in die Tiefe geht das Thema (bisher) nicht und die Figuren werden auf Klischees heruntergebrochen, die ihren Kampagnen-Gegenstücken nicht gänzlich gerecht werden.

Damit ist das Thema Charakterentwicklung bereits wieder abgefrühstückt. Konflikte innerhalb der Gruppe lösen sich, wie schon in Staffel eins, in kürzester Zeit auf, ohne jemals ihr Potential für eine differenzierte Erzählung entwickeln zu können. The Legend of Vox Machina lässt hier zum Beispiel die Chance verstreichen, Scanlans Zweifel zu Beginn einmal genauer zu betrachten. Binnen Sekunden ist der gnomische Barde in der ersten Folge umgestimmt und zieht mit dem Rest der Truppe ins Himmelfahrtskommando. Hoffnung besteht hier zumindest für Grog, dessen Zusammenstoß mit einem gewissen „alten Mann“ Neugierde weckt.

Grog legt los.
Grog legt los.

Es sind die kleinen Dinge, die zählen …

… und damit meinen wir (zumindest an dieser Stelle) nicht die beiden Gnome. Die Folgen sind wieder einmal vollgepackt mit kleinen Referenzen zu den Kampagnen von Critical Role sowie der Pen-and-Paper-Community. So erhaschen wir beispielsweise in Vasselheim einen kurzen Blick auf einen Druiden, der der Göttin Wildmother huldigt und wie ein Mitglied der Familie Clay aus der Mighty Nein-Kampagne aussieht. In der selben Folge sehen wir einen Charakter in einem „Kampf-Rollstuhl“ (im Original „Combat Wheelchair“) vorfahren, einer Homebrew-Mechanik von Designerin mustagsart. Es macht Spaß, nach den Easter Eggs Ausschau zu halten.

Darsteller*innen

Neben dem wiederkehrenden Cast gesellen sich wieder viele altbekannte Stimmen zu The Legend of Vox Machina hinzu. Will Friedle (Kim Possible) und Mary Elizabeth McGlynn (Cowboy Bebop, Resident Evil) repräsentieren ihre Rollen als Slayer’s Take-Mitglieder Kashaw Vesh und Zahra Hydris, die sie schon im Actual Play übernommen haben.

Kashaw und Zahra sind bei vielen Fans beliebt.
Kashaw und Zahra sind bei vielen Fans beliebt.

In der Chroma Conclave gesellen sich Lance Reddick (Resident Evil, Horizon: Forbidden West) als Thordak und Cree Summer (Young Justice, Voltron) als Raishan zu den Critical Role-Spitzenreitern Matt Mercer und Liam O’Brien dazu, die wiederum Umbrasyl und Vorugal ihre Stimmen leihen. Bisher hat man von den mächtigen Drachen vergleichsweise wenig mitbekommen, wir freuen uns aber auf die zukünftigen Zusammenstöße mit Vox Machina.

Inszenierung

Wir haben schon in der Umsetzung der ersten Staffel den Detailgrad der Animation gelobt. An dieser Einstellung hat sich nichts geändert. Das Studio Titmouse Inc. beweist zum zweiten Mal, dass die Kombination von Können und Passion absolut sehenswerte Ergebnisse produziert. Die Figuren wirken lebendig, die Szenen gewaltig. Auch das Charakterdesign konnte uns überzeugen.

Erzählstil

Die Erzählung bleibt weitestgehend linear. Einige wenige Rückblenden vermitteln die Hintergrundgeschichte der Figuren, diese werden aber nur als kurze Vignetten eingeschoben. Die Autor*innen wissen sich jedoch den Veröffentlichungsplan von drei Folgen pro Woche zunutze zu machen. Wir sind beinahe froh, die Geschichte bereits zu kennen – The Legend of Vox Machina spielt zum Ende des ersten Blocks mit einem Schockmoment, der die Gemüter hinsichtlich der einwöchigen Wartezeit sicherlich spaltet.

Zum Ende von Folge 3 – Achtung: Mega-Spoiler

Wir möchten zumindest kurz anreißen, auf welche Art Vex’ahlias Tod in der Serie seine Wirkung entfaltet. Dank Kenntnis der Critical Role-Kampagne ist uns das teilweise sehr dick aufgetragene Foreshadowing stark aufgefallen. Positiv hervorzuheben ist wiederum die abrupte, disruptive Erzählweise des Momentes selbst. Obwohl wir wussten, was kommt, hat uns die Szene kalt erwischt – Kudos dafür. Einen besseren Cliffhanger hätte man kaum wählen können, um Zuschauende die nächsten Folgen herbeisehnen zu lassen.

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Glücklicherweise wurde der derbe, teilweise grenzwertige Humor der ersten Staffel deutlich zurückgeschraubt. Die Momente, in denen flache Witze doch nötig waren, rangieren für uns von verzeihlich bis hin zum Schmunzeln. Weniger ist hier eben doch mehr.

Ganz dürfen Scanlans Flachwitze und Anspielungen natürlich nicht fehlen.
Ganz dürfen Scanlans Flachwitze und Anspielungen natürlich nicht fehlen.

Immer noch nicht überzeugen konnte uns dagegen das Erzähltempo. The Legend of Vox Machina ist einfach zu schnell, vor allem im Kontrast zu dem umfangreichen Material, das die Serie nachzuerzählen versucht. Kaum haben Thordak und sein Gefolge Emon angegriffen, steht die Truppe auch schon in Vasselheim. Der kurze Abstecher nach Whitestone, dem Schauplatz der ersten Staffel, wirkte wie verschenkte Sendezeit, wird das abrupte Wiedersehen der de Rolo-Geschwister doch gar nicht erst thematisiert. Vorlage hin oder her: Betrachtet man die Serie an solchen Stellen für sich, sorgen die eingestreuten Szenen teilweise für Stirnrunzeln ob des verschenkten Potentials.

Die harten Fakten:

  • Regie: Young Heller, Alicia Chan, Eugen Lee
  • Darsteller*innen: Laura Bailey (Vex’ahlia), Taliesin Jaffe (Percy de Rolo), Ashley Johnson (Pike Trickfoot), Liam O’Brien (Vax’ildan), Marisha Ray (Keyleth), Matthew Mercer (Silas Briarwood, Trinket), Travis Willingham (Grog Strongjaw), Sam Riegel (Scanlan Shorthalt)
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch, Deutsch
  • Format: TV-Serie
  • Preis: Enthalten in Amazon Prime-Mitgliedschaft

 

Wohin die Reise auch gehen mag

The Legend of Vox Machina bleibt ein Actionspektakel, dem es teilweise an Tiefgang fehlt. Die liebevolle Animation und zahlreiche Easter Eggs bieten den Fans der Live Show zwar viel Augenschmaus, wir merken der Serie aber an, wie viel Material sie in den kurzen Episoden verarbeiten möchte. Das ständige Gefühl, nicht hinterher zu kommen, ist selbst für Kennende der Geschichte präsent.

Leider wirkt sich dies auf die wenigen Momente aus, in denen die Hintergrundgeschichte der Zwillinge beleuchtet wird – die kurzen Vignetten triefen vor Klischees, um in möglichst wenig Zeit viele Emotionen vermitteln zu können. Dieser Versuch fiel für uns flach aus. Das Ende von Folge 3 konnte uns hier aber zum Glück wieder abholen.

Positiv ist, dass die Autor*innen die juvenilen bis ekelerregenden Witze im Vergleich zur ersten Staffel stark eingedämmt haben und stattdessen auf punktuellen Humor setzen. Dadurch konnten wir die düstere Thematik viel besser aufnehmen und die Witzeleien als Auflockerung schätzen lernen. Der Cliffhanger zum Ende der dritten Folge schockiert – das Publikum dürfte den nächsten Folgen, die am 27. Januar verfügbar werden, entgegenfiebern.

Auch wenn der Start der zweiten Staffel aus unserer Sicht eher durchwachsen war, freuen wir uns auf den Rest der Serie. In der ersten Staffel wurde die Erzählung zum Finale deutlich besser – es besteht also Hoffnung, dass dem auch dieses Mal so ist und der Gesamteindruck positiv zurückbleibt. Eine weitere Folgestaffel ist bereits angekündigt. Wir setzen den Daumen bei einer 3 mit einer Tendenz nach oben – und verbleiben gespannt, ob der Rest der zweiten Staffel Lust auf die Fortsetzung machen kann.

  • Solide bleibende Animation
  • Der juvenile Humor wurde eingedämmt
  • Starker Cast
 

  • Erzähltempo ist zu schnell
  • Kaum Erzähltiefe

 

Artikelbilder: © Amazon Studios
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote

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