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Jessica Jones ist zurück – und wie! Panini veröffentlicht den kompletten Run an einem Stück. Drei Fälle, drei Geheimnisse und dreimal muss sie Scheiße fressen. Dabei riskiert sie ihre Beziehung zu Luke Cage, ihre gemeinsame Tochter Danielle und ihren Verstand. Denn auch Killgrave kehrt zurück …

Als Brian Michael Bendis Jessica Jones im Jahr 2001 erdachte, hatte er eigentlich anderes im Sinn. Er wollte die Geschichte von Jessica Drew, auch bekannt als Spider-Woman, weiterschreiben. Drew war zu diesem Zeitpunkt am Boden angekommen, nicht mehr bei den Avengers und hatte ihre Superkräfte verloren. Doch als er die Idee von der alkoholkranken Privatdetektivin Jessica weiterentwickelte, wurde eins schnell klar. Dies war nicht mehr die Geschichte von Jessica Drew, sondern einem völlig neuen Charakter. Dabei ist es unerheblich ob Bendis selbst auf die Idee kam, oder ihm die Verwendung von Spider-Woman von den Bossen untersagt wurde. Er verwurzelte Jessica Jones per Retcon im Marvel-Universum. Die Comics waren ein großer Erfolg, der auch eine Netflix-Serie hinter sich herzog. Auf Grund des Erfolgs der Serie war es nur klar, dass Marvel noch einen Comic-Run veröffentlichen wird. Der hat es wirklich in sich!

Handlung

Zu Beginn der Geschichte kommt Jessica Jones aus dem Knast. Wie sie dort hineingekommen ist? Unbekannt. Warum sie wieder herausgelassen wird? Ebenso. Doch damit nicht genug: Ihr Mann Luke Cage sucht sie. Er will zu seiner Tochter, die Jessica versteckt hat. Um wieder zurück in ihr normales Leben zu kommen, nimmt sie einen Fall an: Eine Frau möchte, dass Jessica herausfindet, was mit ihrem Mann los ist. Der wiederum behauptet, dass seine Frau nicht die Frau ist, die er geheiratet hat, und er mit seiner echten Frau eine Tochter hatte. Das Ganze ist der Auftakt einer wirklich spannenden Geschichte mit sehr vielen Wendungen und Drama. Jessicas beste (und vermutlich einzige) Freundin Carol Danvers steckt ebenfalls tief mit drin.

Der Band selbst besteht aus drei vollständigen Geschichten und einem Abschlussfall. In der zweiten Geschichte will Maria Hill, die ehemalige Chefin von S.H.I.E.L.D., herausfinden, warum man sie jagt. Dabei kommt ein Geheimnis ans Tageslicht, das uns die Schattenseiten von S.H.I.E.L.D. aufzeigt. Der letzte große Handlungsstrang des Bandes dreht sich um den Purple Man, Killgrave, der Jessica in ihrer Jugend quälte und für ihren Absturz verantwortlich ist. Dieser möchte Kontakt zu ihr aufnehmen, um ihr ein ganz besonderes Angebot zu machen. Der Band spielt nach den Ereignissen von Secret Wars und Civil War II, aber dies ist niemals relevant, um der Handlung folgen zu können.

Alle drei Geschichten unterscheiden sind sehr voneinander. Dadurch kann man den Megaband schwer als Gesamtwerk betrachten. Glänzt die erste Erzählung mit Twists und einer Protagonistin, deren Schatten immer größer werden, treten diese Aspekte in den anderen Geschichten in den Hintergrund. Das Geheimnis um Maria Hill kann man schon als gute Standardkost bezeichnen. Bei der Rückkehr des Purple Man geht es plötzlich gar nicht mehr um Detektivarbeit, sondern einfach nur noch darum, zu überleben. Doch auch hier wird irgendwann die Frage gestellt, wie weit Jessica gehen wird. Letztendlich stellt der ganze Run die große Frage: Hat unser Handeln überhaupt eine Bedeutung oder ist es dem Universum letztendlich egal? Das ist faszinierend und fügt dem guten Thriller noch eine zusätzliche Tiefe hinzu, welche den Band klar aus der Masse der Comics heraushebt.

Charaktere

Jessica Jones ist grob und zynisch. Sie ist mehrfach durch die Hölle gegangen und immer wieder zurückgekehrt. Auch dieser Band lässt sie immer wieder fallen, nur um sie dann wieder ein kleines Stückchen aufzubauen. Eine Figur, die immer kurz davor ist, aufzugeben, ist eine sehr spannende Protagonistin und lädt trotz ihrer Macken sehr gut zur Identifikation mit ihr ein. Durch ihre Tochter hat sie einen Grund zu kämpfen, aber auch eine sehr verletzliche Seite. Die Mehrfachbelastung, Mutter zu sein und sich trotzdem dem Schmutz und Schrecken New Yorks zu stellen, ist ein Szenario, in dem wohl jeder etwas von sich selbst entdecken kann.

Die unterstützenden Charaktere Luke Cage, dessen Partner Danny Rand und Carol Danvers wirken stets realistisch, drängen sich aber niemals in den Vordergrund. Man kann ihre Handlungen nachvollziehen und jeder von ihnen bringt die Geschichte voran. Als großen Antagonisten gibt es am Ende den Purple Man, der in seiner Boshaftigkeit kaum zu überbieten ist. Diesem Comic gelingt das Kunststück, die Handlungen solch einer Figur zumindest in Grundzügen nachvollziehbar zu machen.

Zeichenstil

Die Bilder wirken wie abgemalte Fotografien. Sehr realistisch, aber dennoch minimalistisch. Die Hintergründe wirken ein wenig deplatziert, jedoch passen sie zum dreckigen und abgeranzten Eindruck des Bandes. Dass einige Portraits mehrfach hintereinander benutzt werden, wirkt etwas unpassend. Es soll verdeutlichen, dass die Personen sich nicht rühren und schweigen. Insgesamt ist der Anblick ziemlich ungewöhnlich und doch passend, aber auch nicht jedermanns Sache. Wer schon die ersten beiden Megabände gelesen hat, findet sich hier allerdings schnell wieder.

Es fällt teilweise schwer zu erkennen, bei welchem Panel man weiterlesen muss. Das liegt daran, dass die Gestaltung von Doppelseiten nicht einheitlich ist. Dadurch ist bei einigen Seiten nicht zu erkennen, ob man beide nacheinander oder von links nach rechts an einem Stück lesen muss. Das hätte man besser machen können. Meistens ist das aber kein Problem.

Ungewöhnlich heraus sticht die Rückblende in die Vergangenheit von Maria Hill. Als nostalgische Hommage erinnern die Zeichnungen durch weniger Tiefe und buntere Farben an die Marvel-Comics der 60er- und 70er-Jahre. Das ist ein massiver Stilbruch, sorgt aber auch für ein kleines Schmunzeln und passt zu der Szene.

Erscheinungsbild

Der Megaband ist mit seinen über 400 Seiten ganz schön schwer und lässt sich nicht so gut lange in der Hand halten. Gerade am Anfang oder am Ende benötigt man eine Ablage für das Buch. Bei Doppelseiten ist der Druck teilweise nicht gelungen, so dass die Klebebindung zu große Teile der beiden Seiten verdeckt und es dadurch keinen sauberen Übergang zwischen den Seiten gibt. Drei Paperbacks hätten mir bei dieser Reihe wesentlich besser gefallen, aber das hat der Markt hier einfach nicht hergegeben. Dafür ist der Preis relativ günstig für das, was geboten ist.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini Comics
  • Autor: Brian Michael Bendis
  • Zeichner: Michael Gaydos, Javier Pulido
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover
  • Seitenanzahl: 412
  • Preis: 38 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Panini-Comics

 

Bonus/Downloadcontent

Am Ende gibt es noch ein Schlusswort, das Bendis als Abschied von Jessica Jones und Marvel geschrieben hat. Sein Baby übergibt er auf Grund seines Wechsels zu DC jetzt in andere Hände (Kelly Thompson hat das erste Marvel Digital Original mit ihr geschrieben). Hinter dem Schlusswort sind noch drei Einführungsseiten zu Jessica Jones zu finden, die im Zuge von Marvel Legacy zu jedem Hauptcharakter erstellt wurden.

Fazit

Bei diesem Megaband handelt es sich um den kompletten Run, der drei abgeschlossene Geschichten beinhaltet. Auch wenn die zweite davon etwas abfällt, haben wir hier doch eine tolle Zusammenstellung. Ich kann sie jedem empfehlen, der Comics mag, die eher „dark and gritty“ sind. Hauptsächlich bekommt der Leser hier Detektiv-Geschichten mit einem gewissen Thrill. Der Spannungsbogen wird kontinuierlich aufrechterhalten, so dass man nach einigen Kapiteln gebannt auf die letzte Seite schaut und unbedingt wissen will, wie es nun weiter geht.

Das ganze Buch funktioniert für Neuleser ebenso wie für Fans der Serie oder Kenner des Marvel-Universums. Anspielungen auf andere Reihen und aktuelle Ereignisse sind überall eingestreut, aber niemals so präsent, dass man wissen müsste, was dort passiert. Das Erscheinungsbild und der Zeichenstil sind Geschmackssache, haben mir aber gut gefallen.

Die Frage, ob dem Universum egal ist, was man eigentlich tut, kann dieser Band auch nicht beantworten. Aber er stellt die Frage. So regt der Band auch zum Nachdenken an. Dabei geht er nicht zu philosophisch heran, sondern bietet hauptsächlich gute Unterhaltung. Der Band gehört zu den besten Marvel-Comics des Jahres und ist seinen doch beachtlichen Preis vollkommen wert.

Artikelbild: Panini Comics
Dieses Produkt wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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