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Sommer im Jahr 2020. Conventions und Messen fallen aus. Larps finden nicht statt. Die eigene Kreativität wird von den Wänden des Homeoffice erdrückt. Aber kann man die Zeit nicht nutzen, um etwas zu lernen? „Ich hab’ zwei linke Hände“, wird gerne gesagt, wenn es um Handwerkliches geht. Wirklich?

Es nervt, ständig über Corona zu sprechen, davon in den Medien zu hören und die leise Hoffnung, die man wider jeder Vernunft empfunden hat, fahren zu lassen, wenn auch die letzte Veranstaltung, die man doch eigentlich besuchen wollte, der Pandemie nachgibt und abgesagt wird. Um der drögen Corona-Lethargie zu begegnen, flüchten sich manche in Online-Rollenspielrunden, andere kochen lecker und nutzen die freigewordene Pendelzeit dazu, mehr Sport zu machen. Wieder andere fühlen sich erdrückt von den neuen, unglaublichen Problemen, die diese Zeit mit sich bringt. Wir können das alles nicht lösen, soviel steht fest. Was wir aber tun können, ist, euch ein Handwerk näher zu bringen, das gar nicht so schwer zu lernen ist, wie es von außen scheint – und das sehr viel Befriedigung bringen kann: das Sticken.

Aller Anfang ist erstaunlich leicht.

Ich gebe offen zu: Bis vor zwei Jahren hatte ich überhaupt keine Ahnung vom Sticken und auch gar keine Lust dazu. Zwei linke Hände, viel zu viel Arbeit, außerdem zocke ich abends lieber Videospiele, anstatt mich mit sowas zu beschäftigen. Außerdem, ganz ehrlich: Ist doch Mädchensache, dieses Sticken, oder?

Nein, das ist es natürlich nicht. Wie bei jedem Hobby kommt es nicht auf das Geschlecht an, sondern darauf, ob es Spaß macht. Nachdem ich den Einstieg gefunden und die anfängliche Frustration überwunden hatte, stellte ich fest, dass Sticken entspannend ist und es eine hervorragende Ergänzung zu meiner Lieblingsserie und meinem Lieblingspodcast darstellt.

Der Stich, über den wir heute sprechen, nennt sich „German Brick Stitch“ oder auch „Ziegelstich“. Der große Vorteil, den dieser Stich mit sich bringt, lautet: Er ist ein Zählstich. Man muss im Grunde nur geduldig sein und Maschen zählen können. Außerdem ist er ein Gobelinstich: Das bedeutet, dass der gesamte Stoff ausgefüllt wird und nicht nur ein Muster, beispielsweise eine Tierfigur, ergänzend aufgestickt wird. Der Ziegelstich war im 14. und 15. Jahrhundert prominent vertreten. Mit dieser Technik wurden Altardecken, Kissen oder Almosenbeutel verziert.

Kurze Begriffsklärung

Dieses Tutorial ist aus meiner persönlichen Sicht und auf Basis meiner Erfahrungen geschrieben. Ich habe das weder professionell gelernt, noch erhebe ich einen Anspruch auf vollendete Wahrheit. Damit wir einander verstehen, möchte ich einige Begriffe, die ich nutze, erklären. Ihr findet diese Erklärungen auch auf den Bildern.

  • Unten, oben: Die Unter- bzw. Oberseite des zu bestickenden Stoffes.
  • Masche: Eines der feinen Stofflöcher, durch die Nadel und Faden gezogen werden.
  • Maschenlänge: Die Anzahl der Maschen vom Einstich von unten bis zum Einstich von oben. Ein Beispiel: Eine Maschenlänge von 3 bedeutet, dass ich durch Loch 1 den Faden von unten einsteche, bei Loch 3 den Faden von oben einsteche.

Muster, Stoff, Stickrahmen und Garn

Damit wir ordentlich sticken können, benötigen wir einen Stickrahmen. Diese gibt es sowohl im Internet als auch in diversen Geschäften schon für wenig Geld zu kaufen. Es ist wichtig, dass er nicht zu groß ist; schließlich wird er durchgehend mit nur einer Hand gehalten. Zu Beginn reicht etwas Günstiges. Nach den ersten Stickerfahrungen kristallisiert sich rasch heraus, mit welcher Rahmengröße gut funktioniert und zu welchem Anlass sich welcher Rahmen anbietet.

Als Stickgarn habe ich gute Erfahrungen mit Baumwollgarn gemacht, beispielsweise von Anchor oder Ricoh. Wichtig ist, darauf zu achten, dass es sich um Sticktwist handelt. Sticktwist ist sechsfädiges Garn, welches je nach der Feinheit des Motivs oder des Stoffes aufgetrennt werden kann, um so mit dickerem oder dünnerem Faden zu sticken. Man kann auch mit Perlgarn sticken, dieses ist allerdings unteilbar, glänzt stärker und hat eine glattere Oberfläche. Dazu kommen noch Sticknadeln; oft gibt es Pakete mit Sticknadeln verschiedener Größe und Dicke. Ich bevorzuge eine stumpfe Nadel vor einer spitzen. Es gibt außerdem Einfädel-Hilfen, die grade am Anfang viel Frustration vermeiden können.

Diese sogenannten Kurzwaren sind Teil von Sortimenten großer Kaufhäuser, aber auch in Stoff- oder Handarbeitsläden erhältlich. Natürlich findet man sie auch im Internet. Sie sind mit Farbnummern versehen, die es ermöglichen, exakt den gewünschten (oder bereits verwendeten) Farbton auszusuchen.

Was den Stoff angeht, rate ich zu einem regelmäßig gewebten Leinen. Für erste Übungen ist Stramin ebenfalls gut geeignet. In jedem Fall sollte der Stoff möglichst wenige Webfehler aufweisen – denn die bringen die Zählung rasch durcheinander und machen es nur unnötig schwer. Grade zu Beginn ist ein Stoff mit gröberen, aber eben regelmäßigen Maschen Gold wert. So wird zwar auch das Muster gröber, aber das Sticken an sich ist einfacher und geht schlicht schneller.

Zuletzt müssen wir natürlich wissen, was wir überhaupt sticken möchten. Pinterest und private Blogs sind gute Quellen, auch innerhalb der Living-History- und Reenactment-Szenen gibt es wertvolle Inspirationen und Anleitungen. Ich empfehle wymarc.com, dort sind viele historische Muster zu finden, die anschaulich erklärt werden und zum Nachsticken einladen.

Die wichtigsten Utensilien: Stickrahmen, Nadel und Faden, Fadenauftrenner, Garnschere und natürlich ein Muster. Nicht abgebildet, aber auch ganz praktisch: der zu bestickende Stoff – und eine Einfädelhilfe

Der Stich

Anhand der Bilder wird klar, dass das Muster im Grunde aus sich wiederholenden Elementen besteht. Ist eine Figur gestickt, funktioniert die nächste nach genau demselben Prinzip. Das sorgt für einen raschen Lerneffekt und für eine Routine, die es ermöglicht, das Sticken zur ergänzenden Tätigkeit werden zu lassen. So kann der Lieblingspodcast gehört oder der Lieblingsfilm noch einmal gesehen werden. Es gibt komplexere Figuren, die mehr Konzentration erfordern, doch auch diese Figuren werden wiederholt – also alles nur eine Frage der Übung.

Wir beginnen nun also damit, den Stoff in den Rahmen zu spannen. Mir selbst fällt es leichter, die Stickerei rechts unten zu beginnen, da ich Linkshänder bin und den Rahmen mit rechts halte. Wenn du Rechtshänder bist, dann ist das Beginnen auf der linken Seite von Vorteil.

Der erste Stich geht von unten in eine Masche. Dann wird die Nadel von oben durch die Masche direkt daneben geführt. Der Stickrahmen wird so gedreht, dass nun die Unterseite des Stoffes nach oben zeigt. Eine Hand hält die Nadel, die andere Hand hält ein Fadenende. Der Faden wird so zurecht gezogen, dass ein kurzes (in der Hand) und ein langes Ende (an der Nadel) vorhanden ist. Nun wird eine Schlaufe gebildet: Das kurze Fadenende wird festgehalten, sodass es nicht durch die Masche wieder herausrutschen kann. Die Nadel mit dem langen Fadenende wird nun einmal herumgeführt, eine Schlaufe bildet sich. Durch diese wird die Nadel geführt und der Faden wird festgezogen: Er ist nun festgeknotet. Das sollte noch ein- oder zweimal wiederholt werden, um sicherzugehen, dass sich der Faden nicht löst – dann kann die eigentliche Arbeit beginnen.

Nun drehen wir den Rahmen wieder richtig herum und führen die Nadel von unten durch eine Masche nach oben. Als Nächstes zählen wir insgesamt fünf Maschen zur Stoffmitte ab. Die Masche, mit der wir begonnen haben, ist die erste, die Ausstichmasche die fünfte. Anschließend wird der Faden von unten in die Masche geführt, die diagonal versetzt zu derjenigen liegt, durch die wir die Nadel vorher von oben geführt haben. Das klingt alles sehr kompliziert, aber die Bilder veranschaulichen diesen Stich.

Bei dem vorliegenden Muster haben wir den großen Vorteil, dass wir teilweise diagonal „durchsticken“ können. Das bedeutet, dass wir dieselbe Abfolge ständig wiederholen können. Nachdem wir das eine Weile getan haben, können wir uns daran machen, eine kreuzende Diagonale zu sticken.

Nachdem wir das geschafft haben, machen wir uns daran, eine der Figuren zu sticken. Dazu zählen wir nach immer demselben Prinzip die jeweilige Maschenlänge. Der Blick auf die Artikelbilder hilft – diese Bilder sagen mehr, als dieser Text es könnte. Nach einer Weile sollte die Stickerei so aussehen:

Gelb markiert die gestickten Diagonalen. Blau markiert das komplettierte Muster

Nachdem du nun den Löwenanteil des Musters geschafft hast, wird es Zeit, den Faden zu wechseln und den Rest des Musters auszufüllen. Die Farbwahl ist natürlich dir überlassen.

Übung, Übung, Übung

Die Bilder verraten es schon: Das Muster wiederholt sich über den gesamten Verlauf, bis du schließlich den gesamten Stoff bedeckt hast. Der Schlüssel zum Sticken mit diesen Zählmustern ist Geduld.

Es ist extrem wichtig, dass wir uns nicht verzählen. Ist das einmal geschehen und nicht entdeckt, zieht sich der Fehler durch den gesamten Stoff. Daher zählen wir regelmäßig nach und prüfen, ob alles passt, insbesondere dann, wenn wir erst lange Diagonalen sticken und nicht einzelne Figuren. Manchmal fallen die Fehler anderen nicht auf, da die Maschen recht klein sind – aber uns selbst wird es auffallen und uns wird es am meisten stören. Für mich funktioniert es gut, eine einzelne Figur in bestimmte Abschnitte aufzuteilen. Ein fiktives Beispiel lautet: „Ich sticke fünfmal hintereinander einen Stich mit einer Länge von fünf Maschen. Dann folgt ein Stich mit Länge sieben, dann wieder fünf, dann wieder sieben.“ Habe ich diesen Abschnitt gestickt, zähle ich noch einmal nach und schaue, ob alles gut gegangen ist.

Links sehen wir den korrekten Stich, rechts mit einem Zählfehler. Wird dieser nicht behoben, zieht er sich durch das gesamte Muster.

Um Fehler zu berichtigen, müssen die Fäden wieder aus dem Stoff herausgelöst werden. Dazu fahren wir von der Oberseite des Stoffs mit der Nadel (ohne eingefädeltes Garn) unter eine der bestickten Maschen und ziehen vorsichtig nach oben, sodass der Faden vorsichtig aus der Masche gezogen werden kann. Wird der Fehler zu spät bemerkt, kann es sein, dass das Lösen (und das Wiederverwenden) des Fadens nicht mehr möglich ist. In diesem Fall müssen wir umsichtig mit einem Fadenauftrenner das tun, wofür Fadenauftrenner eben da sind: Fäden auftrennen. Fadenauftrenner sind so gestaltet, dass sie den Stoff bei sachgemäßer Verwendung nicht beschädigen.

Das Ergebnis kann sich allerdings wirklich sehen lassen. Du schaffst ein Kleinod, welches einzigartig ist und einen ganz eigenen Zauber hat. Ich wünsche dir viel Spaß dabei!

Artikelbilder: © Lukas Heinen
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Simon Burandt

 

5 Kommentare

  1. Aus persönlicher Erfahrung: ein Stickrahmen ist insbesondere für Zählstiche nicht zwingend notwendig, sondern eine Sache von Vorlieben. Freihändiges Sticken ist teilweise schneller, weil die Nadel nur von der Oberseite geführt werden kann, ohne auf der Rückseite des Stoffes komplett aus- und wieder einzustechen. Die Spannung des Stoffes im Stickrahmen macht das schwer, und eins muss ja dauernd den Stickrahmen versetzen, wenn ein Abschnitt fertig ist. Wer sich auf dem losen Stoff in der Hand nicht zurecht findet, hatnatürlich vorteile durch einen Stickrahmen. Ich möchte aber der „Notwendigkeit“ eines Stickrahmens entgegen treten. Die Dinger sind halt doch nochmal etwas teurer, als eine Packung Nadeln und ein Konvolut Stickgarn – das sich ja teilweise auch „kostenlos“ in Omas Nähkästchen findet. Auch ohne Stickrahmen kann eins einfach mal anfangen.

    • Danke für deine Erfahrung, Stephanie! Ich kann mir nicht vorstellen, ohne einen straff gespannten Stoff einen Zähl- und Gobelinstich anzufertigen. Ich könnte die Maschen nicht klar erkennen und hätte Schwierigkeiten. Umso schöner, dass es für dich funktioniert!

      Liebe Grüße,
      Lukas

  2. Hallo Annette,

    Auf die Schnelle hab ich folgende Videos gefunden, die das Ganze anschaulich zeigen:
    https://www.youtube.com/watch?v=58r6EI42il8 – Eher zum Anschauen des Resultats. Das gestickte Muster ist ein historisches und eignet sich hervorragend zum Nachsticken. Wichtig bei der eigenen Recherche ist: „German Brick Stitch“, nicht einfach nur „Brick Stitch“ dranschreiben. Sonst landet man schnell bei Bügelperlenvideos… ;)

    Und dann gibt’s noch 30-Sekunden-Brick-Stitch-Beschallung hier: https://www.youtube.com/watch?v=mJSISUI78D4

    Was ich außerdem sehr empfehlen kann, was allerdings keine Videos hat, ist diese Website hier: https://wymarc.com/index.php/patterns – sie enthält jede Menge historisch belegte Muster und zwar in Form von aufbereiteten Bildern.

    Hier: https://wymarc.com/images/patterns/jpg/Y001A.png siehst zu zum Beispiel ganz genau, wie die Fäden in die Maschen gelegt werden (rechts unten im Bild) und wie eine gestickte Figur dann aussieht (rechts in der Mitte im Bild). Ansonsten ist dieser Guide hier: https://medievalhomecompanion.files.wordpress.com/2016/08/german-brick-stitch.pdf auch eine richtig gute Ressource. Leider ebenso nur Text.

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