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Was geschieht nach dem Tod? In Spiritfarer von Thunder Lotus Games erhalten wir eine mögliche Antwort, denn wir begleiten den Spielcharakter Stella dabei, wie sie in die Fußstapfen des Fährmanns der Toten tritt. Wie gut funktioniert der Mix aus kinderfreundlicher Optik, Farming-Sim-Mechaniken und ernsten Themen?

Der Tod ist ein ungemütlicher Teil unserer Realität als Menschen und damit etwas, mit dem man sich am liebsten gar nicht erst auseinandersetzt. Doch davon haben Thunder Lotus Games sich nicht abschrecken lassen und mit Spiritfarer ein Spiel geschaffen, das sich auf optisch, spielerisch und inhaltlich ansprechende Art und Weise mit dem Thema beschäftigt.

Stella – Die Fährfrau der Toten

Gleich zu Beginn zeigt uns das Spiel, worum es geht: Gemeinsam mit Charon, dem Fährmann der Toten, rudern wir zu einer Brücke, der sogenannten Immerpforte: das Tor zur anderen Seite. Als seine Nachfolgerin hat Stella nun die Aufgabe, die Seelen der Toten einzusammeln und ihnen beim Übergang durch die Pforte zu helfen.

Begleitet wird Stella von ihrem Kater Daffodil und beide erhalten von Charon ein sogenanntes Immerlicht, eine Lichtkugel, die sich in allerlei nützliches Werkzeug verwandeln kann. Sobald der Fährmann sich verabschiedet hat, rudern wir zu einer kleinen Insel, auf der wir sogleich die erste Passagierin und alte Freundin Stellas namens Gwen kennenlernen. Ein ausreichend großes Boot für unsere Zwecke steht ebenfalls bereit, auch wenn es noch einiger Aufräumarbeiten bedarf.

Charon legt seine Arbeit nieder und beschließt, selbst durch die Immerpforte zu schreiten.

Atmosphärisch mutet das Spiel stellenweise an wie ein Animal Crossing auf hoher See, was unter anderem dem geschuldet ist, dass Seelen, die das Boot betreten, sich in ihre wahre Gestalt verwandeln – wobei es sich jeweils um eine anthropomorphe Tiergestalt handelt.

Unsere Aufgabe ist, von Insel zu Insel zu schippern und die Seelen der Verstorbenen einzusammeln. Diese werden auf dem Boot untergebracht und müssen so lange begleitet werden, bis sie bereit sind, durch die Immerpforte zu treten. Dazu gilt es einerseits, für ihr leibliches und seelisches Wohl zu sorgen und andererseits, ihre persönliche Geschichte aufzuarbeiten. Nebenbei erfahren wir noch Hintergrundinformationen über unseren Hauptcharakter, unter anderem, weil es sich bei einigen der Charaktere um Freund*innen und Bekannte Stellas handelt.

Bittere Medizin mit süßem Honig

Die Grafik von Spiritfarer ist in einem recht einfachen, farbenfrohen 2D-Comic-Stil gehalten. Die Charaktergestaltung reicht von hübsch bis niedlich. Insgesamt mutet das Spiel optisch sehr fröhlich an. Dabei sind die kleinen Detailanimationen besonders liebevoll, sei es der spielende Daffodil auf dem Ladebildschirm oder Stella, die anfängt mit ihrem Immerlicht wie mit einem Jojo/Hacky Sack zu spielen, wenn man sie eine Zeitlang nicht steuert. In Dialogen reagiert sie außerdem mit passender Mimik und Gestik, was sie sehr sympathisch macht, auch wenn sie ansonsten stumm bleibt. Weitere Details sind einfach hübsch, wie zum Beispiel, dass das Immerlicht sich in Topfhandschuhe verwandelt, wenn eine Speise aus dem Ofen geholt wird.

Diese erbaulichen und kinderfreundlichen Aspekte stehen im Kontrast zum allgemeinen Inhalt des Spiels und zu den Themen, die innerhalb der einzelnen Charaktergeschichten behandelt werden. Dazu gehören unter anderem schwierige Familiendramen, Krankheit und Verlust. Auch die Dialoge sind im Vergleich zu der Optik des Spiels überraschend erwachsen. In diesem Spagat schafft es Spiritfarer zwar, sensibel mit den behandelten Themen umzugehen, doch werden diese teilweise nur oberflächlich angeschnitten, sodass sie mitunter etwas substanzlos wirken.

Zwischen Farming-Sim und Metroidvania-Plattformer

Als 2D-Sidescroller ist Spiritfarer ein eher unüblicher Vertreter der Kategorie Farming Sim, bei denen wir oft aus der isometrischen Perspektive auf das Geschehen blicken. Auch vor anderen klassischen Traditionen des Genres machen Thunder Lotus Games nicht Halt und trauen sich, Altlasten des Genres zu überdenken und zu korrigieren.

So sind sowohl das Sammeln als auch das Verarbeiten von Ressourcen in Form kleiner Minispiele umgesetzt – wir sagen Stella nicht einfach nur, dass sie Holz hacken soll, sondern begleiten sie mit Eingaben bei dem Prozess. Zersägen wir das Holz wiederum zu Planken, müssen wir ebenfalls ein Minispiel absolvieren. Je besser wir uns dabei anstellen, umso mehr Ressourcen erhalten wir. Die Spiele und dazu erforderlichen Eingaben sind im Allgemeinen simpel gehalten, doch steigt die Schwierigkeit mit wertvolleren Ressourcen an.

Je besser wir die gelbe Linie treffen, umso mehr Holzplanken erhalten wir.

Wie bereits erwähnt, spielt die soziale Komponente eine große Rolle. Wir müssen uns mit den Charakteren auseinandersetzen, um ihnen einen angenehmen Übergang zu ermöglichen. Das Pflegen der Beziehungen ist also nicht nur ein optionales Gimmick, sondern für den Spielerfolg erforderlich. Dass wir uns nicht durch die immer gleichen Dialoge quälen müssen, nur um Zuneigungspunkte zu erhalten, ist daran besonders elegant gelöst. Die Option, ein Gespräch zu führen, ist sogar häufig gar nicht verfügbar, wenn die Charaktere nichts zu sagen haben. Stattdessen steht bedeutsames Handeln im Vordergrund, sei es die Versorgung mit Nahrungsmitteln oder das Erledigen von Aufträgen. Spieler*innen können außerdem in einem Menü den aktuellen Gemütszustand der Charaktere überprüfen und untersuchen, was ihrer Laune zu- oder abträglich ist.

Damit die Pflanzen schneller wachsen, kann Stella ihnen Musik vorspielen.

Im Herzen bleibt Spiritfarer jedoch – unter anderem – ein Farming Sim. Es gilt, Samen zu sähen, Pflanzen zu gießen und zu ernten, Tiere zu pflegen und Ressourcen zu verwalten. Samen können entweder gegen die In-Game-Währung Glims gekauft oder in umhertreibenden Kisten gefunden werden. Diese gilt es, anzupflanzen, zu gießen und zu ernten. Aus den Nahrungsmitteln lassen sich unterschiedlichste Gerichte in der Kombüse zaubern, von denen jeder Charakter natürlich andere bevorzugt.

Im Baumenü lassen sich Gebäude errichten, erweitern und wieder einreißen, um Ressourcen wiederzugewinnen.

Um erst einmal eine Kombüse oder eins der vielen anderen Gebäude errichten zu können, braucht es natürlich Materialien: Holz und Metallerz können auf verschiedenen Inseln abgebaut werden. Dabei gibt es unterschiedliche Holzarten und Metalle, die im Verlauf des Spiels verfügbar werden. Daneben gibt es aber auch noch weitere, phantastischere Ressourcen, die es zu entdecken gilt. Manche dieser Materialien wollen außerdem noch verarbeitet werden, bevor sie zum Bau verwendet werden können. Eine Schmelze verarbeitet etwa Erzklumpen zu Metallbarren, eine Weberei spinnt Fasern zu Garn, woraus wiederum Textilgewebe hergestellt werden können.

Eine der Methoden Rohstoffe zu beschaffen ist das Mining.

Im Laufe des Spiels werden natürlich immer weitere, exotischere Ressourcen benötigt, die an neuen Orten zu finden sind. Um an diese Orte zu gelangen, braucht es mitunter besondere Hilfsmittel. So wird beispielsweise ein Eisbrecher benötigt, um in ein Gebiet vorzudringen, das von Eisschollen umgeben ist. Für diesen müssen ebenfalls wieder besondere Ressourcen ergattert werden.

Es gibt aber auch Bereiche auf den Inseln, die zu Beginn des Spiels noch nicht erreicht werden können. Hier kommt der Metroidvania-Aspekt ins Spiel: Unüberwindbare Hindernisse im frühen Spiel laden dazu ein, später mit weiteren Fähigkeiten noch einmal wiederzukehren. Für jede Seele, die wir auf unser Boot einladen, erhalten wir einen sogenannten Obol. Diese können an besonderen Schreinen, die sich auf manchen Inseln finden, gegen besondere Fähigkeiten eingetauscht werden. Die erste Fähigkeit, die wir erhalten, ist ganz klassisch ein Doppelsprung. Es gibt noch weitere Hindernisse und Fähigkeiten, die hier aber unerwähnt bleiben sollen.

An solche Schreinen kann Stella Obols gegen neue Fähigkeiten eintauschen.

Gemütliches Nachleben

Spiritfarer macht auf den ersten Blick den Eindruck eines entspannten Sidescrollers, ganz ohne tödliche Schluchten, die es zu überqueren gilt, ohne feindlich gesinnten Ungeheuer, die uns an den Kragen wollen, und frei von kniffligen Rätseln. Der Kern des Spiels ist die Verwaltung des Bootes mit all seinen Bewohnern. Dabei gibt es mehrere Dinge zu jonglieren: Reisende und ihre Bedürfnisse und Aufträge, das Anbauen und die Pflege von Gartenpflanzen, die Verarbeitung von Baumaterialien und die Abwägung, welche Gebäude in welcher Reihenfolge errichtet werden sollen. Das wollen wir natürlich idealerweise alles machen, während unser Schiff voransegelt, um zeiteffizient vorzugehen.

Spiritfarer hält Spieler*innen konstant bei Stange, da immer jemand Hunger hat oder ein Upgrade für das eigene Gebäude haben möchte oder Pflanzen bereit zur Ernte sind oder wir neue Inseln entdeckt haben, die erkundet werden wollen. Es wird jedoch nie wirklich stressig, da alles Zeitkritische auf dem Boot stattfindet und man nicht – wie bei anderen Farming Sims – durch das halbe Dorf marschieren muss, nur um mit einer Person zu sprechen. Letzten Endes handelt es sich doch um ein Management-Spiel, sodass stets ein deutlicher Vorwärts-Drang spürbar ist.

Der Kooperativ-Modus

Spiritfarer verfügt über die Möglichkeit, das Spiel zu zweit kooperativ zu spielen. Spieler*in zwei schlüpft dabei in die Rolle von Daffodil, dem Kater, der sein eigenes Immerlicht hat. Damit kann er dieselben Aufgaben erledigen wie Stella. Nur die Option, mit Charakteren zu sprechen, ist ausschließlich Spieler*in eins vorbehalten. Das ist schade, da die Interaktion mit den Charakteren einen recht großen Teil des Spiels ausmacht, und führt mitunter dazu, dass Stella viel Zeit mit Dialogen verbringt, während Daffodil nebenbei produktive Aufgaben erledigt.

Ein nettes Gimmick beim Bäume fällen ist, dass beide Spieler*innen dabei sein und gemeinsam steuern müssen.

Ein weiter Kritikpunkt am Koop-Modus ist, dass er vollständig auf einem Bildschirm stattfindet. Das ist im Prinzip nicht weiter schlimm, sorgt aber an einigen Stellen dafür, dass der Nutzen des kooperativen Spiels, mehrere Aufgaben parallel zu erledigen, zunichte gemacht wird. Zum einen ist die Entfernung, auf die sich beide Spieler*innen voneinander entfernen können begrenzt, zum anderen wird herausgezoomt, wenn sie sich voneinander entfernen, damit beide sichtbar bleiben. Das ist eigentlich eine elegante Lösung, sorgt aber dafür, dass Minispiele deutlich erschwert werden. Will zum Beispiel Spieler*in eins angeln, was am linken Ende des Bootes passiert und Spieler*in zwei währenddessen Holz sägen, so kann es passieren, dass die Ansicht im Sägewerk so klein wird, dass man die Augen zusammenkneifen muss, um überhaupt etwas zu sehen, geschweige denn, um das Minispiel erfolgreich zu absolvieren. Hier hätte sich ein automatischer Split-Screen wie beispielsweise bei Divinity: Original Sin und dem Nachfolger Divinity: Original Sin II angeboten.

Der Startbildschirm.

Darüber hinaus scheint der Multiplayer-Modus einige Nebeneffekte zu haben, die von den Entwickler*innen nicht bedacht wurden. So ist es im Test einmal passiert, dass Stella im Wasser war, um Muscheln vom Schiffsrumpf einzusammeln, während Daffodil den Kartenprojektor bediente, um zu einem neuen Ziel zu navigieren. Das hatte zur Konsequenz, dass Stella komplett aus dem Spiel verschwunden war. Das ließ sich glücklicherweise leicht beheben, indem der Spielstand gespeichert und neu geladen wurde. Von solchen Effekten abgesehen, sind allerdings keine Bugs aufgefallen.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Thunder Lotus Games
  • Publisher: Thunder Lotus Games
  • Plattform: Windows, Linux, Mac OS, PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch, Google Stadia
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch – Spanien, Brasilianisches Portugiesisch, Russisch, Vereinfachtes Chinesisch, Traditionelles Chinesisch, Japanisch, Koreanisch
  • Mindestanforderungen (Windows)
    • Betriebssystem: Microsoft® Windows® 7 SP1
    • Prozessor: Dual Core 3.0 GHz
    • Arbeitsspeicher: 4 GB RAM
    • Grafik: DirectX 10-kompatible Grafikkarte mit mindestens 1GB Video Speicher
    • DirectX: Version 10
    • Speicherplatz: 7 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Mindestanforderungen (Mac OS)
    • Betriebssystem: OS X Yosemite
    • Prozessor: Dual Core 3.0 GHz
    • Arbeitsspeicher: 4 GB RAM
    • Grafik: Intel Iris 1536
    • Speicherplatz: 7 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Simulation, Plattformer
  • Releasedatum: 18.08.2020
  • Spielstunden: 30
  • Spieleranzahl: 1-2
  • Altersfreigabe: 6
  • Preis: 24,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Fazit

Thunder Lotus Games haben das Genre Farming Sim genommen, ihm seine kleinen Makel ausgerupft und an ihrer statt einen Schuss Metroidvania hineingegeben. Dazu noch eine Prise ernste Themen, eine Handvoll schöner Optik und aufgewärmt mit einer Menge Herz – fertig ist Spiritfarer.

Die hübschen Details fügen sich ideal zusammen, um eine bittersüße (aber größtenteils süße) Atmosphäre zu schaffen. Die Charaktere sind authentisch genug, um tatsächliches Bedauern auszulösen, wenn sie die Schwelle der Immerpforte überqueren und nur die für sie errichteten Häuser hinterlassen.

Am Ende der Charaktergeschichten erhalten wir Einblicke in ihre Erinnerungen.

Von den herzerwärmenden Animationen über die verschiedenen Charaktere bis hin zu dem ernsten Thema schafft Spiritfarer es, einen Bogen zu schlagen, der sicherlich keinen leichten Balanceakt für die Entwickler*innen darstellte, die es schaffen, eine kindlich-verspielte Perspektive mit erwachsener Nüchternheit zu verbinden. Insgesamt bietet Spiritfarer ein schönes Spielerlebnis und vielleicht für die einen oder anderen eine tröstliche Perspektive auf den Tod.

 

 

Artikelbilder: © Thunder Lotus Games
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Jessica Albert
Screenshots: Milanko Doroski

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