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Eine Bootsfahrt, die ist lustig, eine Bootsfahrt, die ist … schaurig? Das Rollenspiel Dredge stellt euch ans Steuerrad eures eigenen kleinen Kutters und lässt euch ins Fischerleben schnuppern. Könnte also alles so schön sein, wenn da nicht diese Kultisten und seltsamen Ereignisse bei Nacht wären.

Dredge präsentiert sich schon beim ersten Blick in Trailer und Screenshots wie eine dieser Ideen, die so gut klingen, dass man sich fragend an den Kopf greift, wieso da vorher noch niemand draufgekommen ist. Die überall anzutreffenden Angel-Minispiele zum Hauptfokus eines Titels zu machen, ohne in der Nische der Hardcore-Simulationen zu wildern – guter Ausgangspunkt. Dort oben drauf eine mysteriöse Spielwelt zu packen, die mit einem seichten Bedrohungsszenario daherkommt, um den Angeleien spielerische Struktur zu geben? Spätestens hier sollte die Neugierde aller Spielenden geweckt sein.

Vielleicht hat es im Genre und in der Spielelandschaft aber auch erst die Wegbereiter der letzten Jahre gebraucht, damit Titel wie Dredge ihre Netze auswerfen können, in der Hoffnung, ein Publikum an Land zu ziehen: Farming Sims, welche Landwirt*innen die weich gezeichneten Träume des Landlebens spielerisch erkunden lassen, oder die zahlreichen Job-Simulatoren im Pixel-Stil, egal ob in der mehr realistischen oder eher fantastischen Ausführung. Das vierköpfige Team der neuseeländischen Black Salt Games wagt sich mit ihrem Titel also von erkundeten Gefilden hinaus auf die Weiten des Ozeans, um ihr eigenes, kleines Stück der Gamingwelt zu entdecken.

Die Cellshading-Grafik ist schlicht gehalten, aber atmosphärisch.

Seebär*innen gesucht, fehlende Angst vor Dunkelheit optional

Nur das Licht eines fernen Leuchtturms durchbricht die Dunkelheit, bevor ein Scheppern unsere Bootsfahrt beendet. Im verschlafenen Küstenörtchen Greater Marrow gestrandet, ist der örtliche Bürgermeister schnell mit einem neuen Kahn zur Stelle – es braucht schließlich immer willige Fischer*innen – gerade nachdem der vorherige Bootsmann des Dorfes nach seiner letzten Fahrt als verschollen gilt. Nicht nur dieser Umstand und das kalte Lächeln des Bürgermeisters geben Anlass zur bösen Vorahnung, auch die restlichen Dorfbewohner geben sich verschroben, allerlei Warnungen, des Nachts nicht hinauszufahren, inklusive. Die alte Leuchtturmwärterin hat düstere Prophezeiungen für die Spieler*innen parat und der Fischhändler verkriecht sich, nachdem er den Fang abgekauft hat, auch schon mal grunzend hinter Schloss und Riegel in seinem Laden.

Aber all dies hilft ja nichts, das neue Boot will abbezahlt und das Inselarchipel erkundet werden. Nach nur kurzer Einführung finden sich werdende Angler*innen mit dem eigenen Kutter in der frei befahrbaren Inselwelt wieder. Dredges Cellshading-Look will und kann von der ersten Minute an punkten. Die Grafik versprüht eine einladende Wärme, ohne vor Details strotzen zu müssen, die klaren Kanten der Inseln und Umgebungen fokussieren den Blick auf das Wesentliche. Im Kontrast dazu schippert das eigene Bötchen nett animiert durch die Inselwelt und bleibt so nicht nur spielerisch, sondern inszenatorisch auch immer der Fokuspunkt, von dem aus die Geheimnisse Dredges erschlossen werden. Zwischen den sich wogenden Wellen lassen sich schnell und einfach die ersten blubbernden Fischgründe erspähen. Auf dem Weg dorthin zeichnet die Optik bei den wunderschönen Tag- und Nachtwechseln den ersten Sonnenuntergang auf den Bildschirm – und der Ozean macht mit einem düsteren Grollen und seltsam-wabernden Nebeln deutlich, dass Reisende des Nachts hier nicht gerne gesehen sind.

Die Karte ist überschaubar, die Archipele bieten aber mehr als genug zu entdecken.

Angeln, Fangen, Puzzeln, Abhauen

Wer sich davon nicht verschrecken lässt, entdeckt schnell die grundlegende Prämisse, die hinter der Fischereispielerei schlummert. Die blubbernden Angelpunkte beherbergen die vielfältigste maritime Fauna, von der simplen Makrele über glitschige Aale bis hin zum protzigen Blauhai. Diese erfordern die entsprechende Ausrüstung im Schiff – dazu später mehr, wichtig ist hier, dass ohne das richtige Equipment gewisse Gebiete gar nicht erst befischt werden können. Ohne eine tiefseefähige Rute an Bord müssen die Versuche erst einmal in seichteren Gewässern unternommen werden. Per Knopfdruck wird hier ein je nach Fischart leicht variierendes Minispiel gestartet, welches als Kombination aus Geschicklichkeits- und Geduldsprobe aufgebaut ist. Ein zuckender Balken will genau dann per Tastendruck gestoppt werden, wenn er sich im grünen Bereich befindet. Bei Erfolg landet der Fisch im Frachtraum, klickt man daneben, wird man nicht nur mit einem markigen Misston bestraft, auch die in-game Spielzeit schreitet unaufhaltsam weiter voran. Ein paar erfolgreiche Fänge später ist der Angelpunkt erschöpft und es wird Zeit, zu neuen Gefilden aufzubrechen.

Mit wachsender Fangmenge sehen sich Angler*innen als bald auch dem zweiten großen Gameplaypart gegenüber: Die Fische wollen platzeffizient im Laderaum untergebracht werden. Leichter gesagt als getan, denn der in Kacheln unterteilte Frachtraum beherbergt bereits teils unförmiges Equipment wie den Motorenraum oder sperrige Angelruten. Zum wirklichen Puzzle wird die Einlagerung aber aufgrund der Fische selbst. Flusskrebse und Makrelen sind mit ein oder zwei Kacheln zufrieden, gerade später im Spiel wollen aber riesige Flundern untergebracht oder zickzackige Aale irgendwo gelagert werden.

Ganz im Sinne des Gaming-Großvaters Tetris wird das Meeresgetier per Schultertasten so lange gedreht bis möglichst jeder Winkel perfekt ausgenutzt werden konnte. Wir erinnern uns, dass dies selbst in einem Horror-Titel wie Resident Evil 4 damals zu willkommener Abwechslung und einigen spannenden Entscheidungen führen konnte. Die Steuerung geht auch hier wie beim Angelspiel selbst super von der Hand und fühlt sich stets knackig an. Gerade beim Be- und Entladen, wo zwischen zwei oder mehr Fenstern (nach dem Andocken habt ihr stets auch noch die Möglichkeit, auf ein zentrales Lager zuzugreifen) hin und hergesprungen werden muss, steht und fällt, ob Dredges Kernelement hier motivieren oder nur nerven wird. Als Spieler*innen fühlt ihr euch allerdings immer im vollen Bilde, das Interface ist übersichtlich und intuitiv und wirft einen immer genau zum gewünschten Ort ab – egal, ob man ein gefundenes Stück Treibholz zur späteren Verwendung ins heimische Lager packen will oder den Fang aus den eigenen Schleppnetzen beim Händler entleeren möchte.

Im Fischen heißts: Bei Grün zuschlagen und ansonsten geduldig bleiben.

Für all das könnte man sich genregerecht nun alle Zeit der Welt nehmen, schließlich wird Fischen als Entspannungssport gesehen und auch ein zu ordnender Laderaum sollte dem nicht im Weg stehen. Wäre da nicht die gnadenlos weitertickende Uhr, die unaufmerksame Spieler*innen schon einmal mit dem Sonnenuntergang überrascht, während doch gerade nur noch der eine Fischgrund leergeangelt werden wollte. Mit den letzten Sonnenstrahlen heißt es Netze einholen, Leinen los und schnellstmöglich ab zum nächsten Anlegepunkt, will man nicht in den Fokus des allsehenden Auges geraten – und auf Grund auflaufen der, man wird es schwören, eben doch noch gar nicht hier war!

Geisterhafte Geschehnisse

Außerhalb des Fischereialltages lockt die Spielwelt in ihrer Hauptgeschichte nämlich mit allerlei Storyhappen rund um die großen Fragen, wer oder was uns nach Sonnenuntergang nicht auf dem Wasser sehen möchte. „Sehen“ ist hier das Stichwort: Ein zuckend umhersuchendes Auge am oberen Bildschirmrand informiert stets darüber, wie viel „Aufmerksamkeit“ man aktuell auf sich zieht. Umso länger man nachts auf dem Wasser unterwegs ist, desto erratischer wird der suchende Blick – und mit diesem die Intensität an Gefahren, die nach dem eigenen Kahn grapschen. Aus Spoilergründen soll auf diese hier nicht weiter eingegangen werden, da sie einen guten Teil des Spaßes beim Selbsterfahren ausmachen. Wenig überraschen sollte aber, dass man diese Begegnungen möglichst kurz und selten halten möchte.

Die Schiffsupgrades machen Laune, aber sind leicht freigespielt.

Umso mehr gilt es herauszufinden, was hinter all dem Geschehen steckt. Dafür schicken euch nicht weniger mysteriöse Questgeber*innen quer über die Landkarte zu den verschiedenen Inselwelten. Diese warten mit ihren eigenen atmosphärischen Gegebenheiten sowie Fischarten auf und bringen kleine Herausforderungen fürs Gameplay. In vulkanischen Gefilden geht es beispielsweise nicht nur darum, die eigene Angelausrüstung für neue Fänge anzupassen. Auch wollen blubbernde submarine Vulkane dafür genutzt werden, alle zu anhänglichen Raubfische vom eigenen Boot zu vertreiben, bevor diese sich festknabbern können. Die Aufgaben selbst bieten wenig Überraschungen, dies hält Spielfluss und Fokus auf dem zentralen Gameplay, ebenso bleiben die Dialoge kurz und effizient. Das Sounddesign dagegen ist der Stimmung mehr als nur Krücke, sondern verleiht der Atmosphäre Flügel. Die stets stimmige Musik hält sich dezent im Hintergrund, dafür bleibt Platz für allerlei Tonspielereien, welche das Fremde der Mysterien unterstreichen oder holzig knackend darauf hinweisen, dass der eigene Kahn Schaden genommen hat.

Alte Seemannsweisheit: „Ein moderner Kutter – nur mit Upgrade-Futter“

Schlägt das eigene Schiff leck, bietet sich eine gute Gelegenheit, die durch den letzten Fang verdienten Dollar zum Schädenflicken zu investieren. Darüber hinaus winken Upgrades für das eigene Schiff wie leistungsstärkere Motoren, neue Fangnetze, stationäre Krabbenfallen oder schlichtweg eine bessere Lampe zum Fahren bei Nacht. Für diese gibt es designierte Stellen im Laderaum, was erneut die eigenen Tetris-Skills fordert. Grund genug also, in regelmäßigen Abständen gleich das ganze Schiff aufzurüsten, um mehr Platz zu schaffen und so eine breitere Palette an Fischereiwerkzeug mit sich führen zu können. Dafür braucht es neben Barem allerdings weitere Materialien wie Stoffe, Holzplanken oder Metallschrott.

Auch tagsüber lauern Gefahren: Diese Windhose sollte man besser umschiffen.

Diese können nicht einfach gekauft, sondern müssen ebenfalls per Minispiel aus dem Meer gefischt werden, um sich selbstverständlich den begehrten Frachtraumplatz mit Fisch und Beute zu teilen. Die regelmäßigen Schiffsupgrades motivieren ungemein, auch ohne, dass hier häufig große neue Spielelemente dazukommen. Durch den zusätzlichen Platz oder die Möglichkeit zum Mitführen eines zusätzlichen Netzes für geflutete Mangrovenwälder fühlt sich das Schiff bereits nach Fortschritt an.

Spielerisch im Fluss. Fast immer.

Letztendlich vereinen sich all diese Elemente darin, Dredge und damit auch alle Spielenden in den perfekten Spielfluss zu bringen. Es gibt immer etwas zu tun, die nächste kleine Belohnung in Form einer erfüllten Teilaufgabe oder dem Verkauf eines Fangs ist immer nur ein paar Minuten entfernt. Die Minispiele rund um das Angeln von Tümmlern und Trümmern haben mit wenigen Sekunden eine perfekte Länge, variieren in Schwierigkeitsgrad und Abwechslung aber genug, um für sich selbst nie langweilig zu werden. Lediglich im Mittelteil des Spiels kann es dazu kommen, dass man etwas vom Kurs Richtung Spielfreude abkommt. Wenn die ersten Überraschungen zu Welt und Gameplay nach ein paar Stunden verfrühstückt wurden, setzt sich etwas Routine ein. Die Nebenaufgaben und zusätzlichen Inseln greifen hier nicht sofort, um in den Motivationssog zurückzuziehen. Auch ist das Spiel durch seine chillige Herangehensweise sehr nachsichtig, was Fehler angeht und damit manchmal zu einfach. Auch nach größeren Zusammenstößen sind Schäden billig repariert und sowohl Geld als auch Upgradematerialien sind nicht schwer zu finden. In der Gesamtheit tut dies dem Gesamtspielspaß aber nie Abbruch, wie auch bei einem Stardew Valley ist die entspannte Herangehensweise ohne harte Spielstrafen gewollte Einladung an alle Spielertypen statt ungewollter Beifang.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Black Salt Games
  • Publisher: Team 17
  • Plattform: PC, Nintendo Switch, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Japanisch, Koreanisch, Russisch, Chinesisch, Brasilianisches Portugiesisch
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Windows 10
    • Prozessor: Intel Core i3-2100 | AMD Phenom II X4 965
    • Arbeitsspeicher: 4 GB RAM
    • Grafik: Nvidia 8800 GT 512MB | Radeon HD 6570 1GB
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 2 GB verfügbarer Speicherplatz
    • Zusätzliche Anmerkungen: 720p @ 30 FPS
  • Genre: Rollenspiel
  • Releasedatum: 30. März 2023
  • Spielstunden: 13 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: FSK12
  • Preis: 24,99€
  • Bezugsquelle: Steam, Amazon, idealo, MMOGA

 

Fazit

Für ein Erstlingsspiel eines Studios tritt Dredge mit einem wahnsinnigen Selbstbewusstsein auf die gut gefüllte Bühne hervorragender Independent-Titel – nicht um mit krachenden Schauwerten oder optimierten Gameplay ein Genre zu perfektionieren, sondern um mutig die Flagge zu hissen und der Spielwelt da draußen zu zeigen, dass aus bekannten Mechaniken längst noch nicht alles herausgeholt ist. Mutig klaut die Schatz- und Fischsuche beim Spieleurgestein Tetris und lovecraftscher Popkultur, um diese mit stimmiger Grafik und modernen Gameplayentwicklungen zu kombinieren. Heraus kommt eine gelungene und motivierende Indie-Perle, aus deren Sog man sich nicht so schnell befreien kann und will, denn zu gut funktioniert die Schleife aus Fangen, Puzzeln, Verkaufen, Upgraden. Der Aufhänger rund um die Mysterien der feindseligen Welt tun ihr übriges zum Weiterspielen.

Auch ein erster Durchhänger, wenn die ersten Seemeilen hinter einem liegen, und der insgesamt sehr nette Schwierigkeitsgrad können damit eine volle Empfehlung nicht verhindern. Denn Dredge sollte im breiten Publikum seine Fans finden können, von Gelegenheitsspieler*innen bis hin zu Hardcore-Gamer*innen, die eine entspannten Trip per Ausflugsboot suchen. Wir sind jetzt schon gespannt, was die Black Salt Games als Nächstens anpacken und auf welche Reise sie uns das nächste Mal schicken werden.

  • Nahezu perfekte Gameplay-Schleife
  • Innovatives Setting
  • Schaurig schöne Atmosphäre

 

  • Leichte Motivationsdurchhänger im Mittelteil
  • Etwas zu einfach

 

Artikelbilder: © Black Salt Games
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek
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