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Isometrische RPGs begeistern Rollenspiel-Fans weltweit. Ob der Einstieg nun mit Baldur’s Gate (1998, BioWare), mit Planescape Torment (1999, Black Isle Studios) oder einem anderen Titel erfolgte, ist dabei irrelevant – Fakt ist, dass auch gut 20 Jahre nach Erscheinen dieser Klassiker der Hype um das Subgenre ungebrochen ist.

Isometrische RPGs – also digitale Rollenspiele, die in der Dreiviertel-Ansicht (von schräg oben herab) gespielt werden – erfreuen sich auch in Zeiten von wahren Grafik-Highlights großer Beliebtheit. Doch was fasziniert Spieler an textlastigen, herausfordernden Inhalten, die oft Micromanagement par excellence erfordern, und knubbeligen Heldengruppen?

Text, Team und Taktik – Sowohl im Kampf als auch im Dialog ist Fingerspitzengefühl gefragt (Torment: Tides of Numenera)
Text, Team und Taktik – Sowohl im Kampf als auch im Dialog ist Fingerspitzengefühl gefragt (Torment: Tides of Numenera ©  inXile Entertainment)

Die Antwort liegt irgendwo zwischen dem narrativen Charakter dieser Spiele sowie dem Potenzial, das diesen innewohnt, verborgen. Doch bevor diese Aspekte eine nähere Betrachtung erfahren, findet eine Betrachtung der Grundlagen isometrischer RPGs statt.

Was ist eigentlich ein isometrisches RPG?

Während der Begriff „RPG“ bzw. „Role Playing Game“ den meisten Spielern bekannt sein dürfte, ist dies hinsichtlich des ersten Teils der Wortverbindung („isometrisch“) oft nicht der Fall, weswegen dieser Abschnitt mit einer kurzen Begriffserklärung beginnt:

Isometrie bezeichnet eine Darstellungsmethode. Von oben herab, leicht angewinkelt, wird auf etwas hinabgeblickt. Darstellungen dieser Art finden z. B. in der Architektur Anwendung – oder eben in Videospielen.

Isometrische RPGs sind also Rollenspiele, die die isometrische Ansicht – auch Dreiviertel-Ansicht genannt – aufweisen. Sie werden manchmal auch als CRPGs (Computer Role Playing Games) bezeichnet. Unter CRPGs werden Rollenspiele verstanden, die dem klassischen Tischrollenspiel nachempfunden sind, also beispielsweise auf einem bestehenden System basieren oder zumindest ähnlichen Charakter aufweisen, jedoch an PC oder Konsole gespielt werden. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines bestehenden oder selbst gestalteten Charakters und erlebt dessen Geschichte.

Wer bin ich und was kann ich? Die Charaktererstellung in Shadowrun: Hong Kong.
Wer bin ich und was kann ich? Die Charaktererstellung in Shadowrun: Hong Kong. © Harebrained Schemes/Paradox Interactive

Während isometrische RPGs durchaus zu dieser Sparte zählen, zählen nicht alle CRPGs auch automatisch zur Kategorie der isometrischen Rollenspiele. Beispiele, die nicht als isometrische RPGs zu werten sind, aber zu den CRPGs zählen, sind Star Wars: Knights of the Old Republic (BioWare) oder Might & Magic X: Legacy (Ubisoft). Beide Titel vereinen klassische RPG-Elemente, ohne die Dreiviertel-Ansicht zu nutzen.

Weitere Merkmale von isometrischen RPGs, die zwar nicht exklusiv diesem Subgenre zugehörig sind und nicht jedem Titel innewohnen, jedoch zum einen durch RPGs dieser Art geprägt wurden und zum anderen gehäuft auftreten, sind:

  • Die Anpassungsmöglichkeiten des Charakters (Auswahl von Aussehen, Klasse, Rasse, Namen etc.), die beispielsweise in JRPGs, also in japanischen Rollenspielen, aufgrund eines bereits bestehenden Protagonisten nicht gegeben sind sowie
  • unterschiedliche Handlungsverläufe, die in Abhängigkeit zu den Entscheidungen des Spielers stehen und
  • Moralsysteme, die dafür sorgen, dass NSC und Umwelt je nach Gesinnung bzw. Reputation anders auf den Protagonisten reagieren.

Zu den Vorteilen

Isometrische RPGs benötigen keine umwerfende Grafik – im Gegenteil, sie leben von Pixeln. Dies gestattet auch kleinen Spieleschmieden mit gedeckeltem Budget, ihre Geschichten zu erzählen. Auch auf Spielerseite ist dies ein großer Vorteil: Die Systemanforderungen stellen in den seltensten Fällen eine Herausforderung dar. Darüber hinaus altern isometrische RPGs kaum. Dies sieht bei Grafikschwergewichten anders aus: Schon nach wenigen Jahren stehen sie in den Schatten aktuellerer Werke.

Ein weiterer Vorteil ist die Spielmechanik, vor allem in Bezug auf die Kämpfe. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen können nämlich, abhängig vom gewählten Schwierigkeitsgrad, mehr als mehr als herausfordernd sein. Das Konzept einer Pause-Funktion, die die Planung der nächsten Kampfrunde ermöglicht, ist deshalb weit verbreitet. Nicht in allen isometrischen RPGs ist dieses Konzept ein Muss; viele gestatten den Wechsel von Kämpfen in Echtzeit zu rundenbasierten Auseinandersetzungen.

Dank der Pause-Funktion gestalten sich die Kämpfe taktisch – auch, wenn der Feind mal etwas größer ist (Pillars of Eternity – The White March Part II © Obsidian Entertainment
Dank der Pause-Funktion gestalten sich die Kämpfe taktisch – auch, wenn der Feind mal etwas größer ist (Pillars of Eternity – The White March Part II © Obsidian Entertainment/Paradox Interactive)

Der vermutlich größte Vorteil liegt allerdings in dem atmosphärischen Storytelling. Dadurch, dass isometrischen RPGs weniger spielmechanische Hektik innewohnt (langsames Vorankommen der Figuren, pausierte Kampfhandlungen, viel zu lesendes Textmaterial), erhalten Spieler viel Zeit, sich auf die Haupt-, aber auch auf die Nebenhandlungen einzulassen. Auch die Hintergrundgeschichten von NSC gewinnen an Relevanz. Durch die Einbindung in romanähnliche Textabschnitte erhält die Handlung den Charakter eines epischen (Fantasy-)Romans.

Vor allem die Spiele, die einen Erzähler aufweisen, der die Einleitung vorliest und vielleicht sogar neue Kapitel eröffnet, sorgen für ein Tischrollenspiel-Gefühl. Es ist, als würde ein Spielleiter seinen Spielern erzählen, was geschieht – mit dem Unterschied, dass es hier lediglich einen einzigen Spieler gibt. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass nicht wenige isometrische RPGs auf Welten und Systemen basieren, die aus dem Hobby Pen & Paper-Rollenspiel bekannt sind.

Zu den Nachteilen

Isometrische RPGs sind keine grafischen Wunderwerke und werden es niemals sein. Wer Wert darauf legt, seine Grafikkarte zu strapazieren, um auch seinen Sehnerven etwas zu bieten, ist hier falsch. Selbst Videosequenzen, sofern sie vorhanden sind, sind in einem schlichten Design gehalten.

Willkommen in Baldurs Tor – ein Screenshot, der der Metropole an der Schwertküste nicht gerecht wird (Baldur‘s Gate: Enhanced Edition © Atari
Willkommen in Baldurs Tor – ein Screenshot, der der Metropole an der Schwertküste nicht gerecht wird (Baldur‘s Gate: Enhanced Edition © Beamdog

Gleiches gilt für Geschehnisse, die gar nicht oder nur schlecht dargestellt werden können – sie werden in Textform wiedergegeben. Dies nimmt ihnen unter Umständen die Dringlichkeit, zumindest aber die Intensivität.

Überdies kann der hohe Textanteil zuweilen erschlagend wirken. Dies vor allem dann, wenn die Aufmerksamkeitsspanne des Spielers aufgrund von z. B. Müdigkeit eingeschränkt ist. Für Neulinge im Subgenre kann dies eine Hürde darstellen, da die Textlastigkeit in anderen Spielen so nicht gegeben ist. Dies wirkt in Verbindung mit dem Micromanagement, das v. a. in Kampfszenen zum Tragen kommt, zuweilen einschüchternd.

Ein Buch – nur anders? Zwischen Lesen und Spielen

Text, Text, Text. Isometrische RPGs – jedenfalls die meisten von ihnen – sind nichts für lesefaule Spieler. Die Spiele sind aufgrund ihrer umfangreichen Dialoge sowie der Beschreibungen von Situationen, die nicht oder nur schwerlich anders darzustellen sind, sehr textlastig. Das geschriebene Wort rahmt des Weiteren die Handlungen ein und unterteilt diese in Kapitel. Es entsteht demnach der Eindruck, man spiele eine epische Geschichte nicht bloß, sondern würde sie gleichzeitig wie einen dicken Wälzer verschlingen.

Dank anspruchsvoller Texte und atmosphärischer Erzählerstimme kommt der Spieler gut in der Spielwelt an (Pillars of Eternity © Obsidian Entertainment)
Dank anspruchsvoller Texte und atmosphärischer Erzählerstimme kommt der Spieler gut in der Spielwelt an (Pillars of Eternity © Obsidian Entertainment/Paradox Interactive)

Mit dieser Andersartigkeit werden auch Personen angesprochen, die sich für andere, weitaus schnelllebigere Videospielarten nicht begeistern können. Isometrische RPGs gefallen nicht nur passionierten Spielern, sie können auch das Interesse von Tischrollenspielern oder sogar Leseratten für sich gewinnen. Abschreckend bleibt der oftmals hohe Komplexitätsgrad – ein Umstand, den viele Spiele mithilfe eines sehr einfachen Schwierigkeitsgrads, der den Fokus vollends auf die Handlung verschiebt, abschwächen.

Must-plays oder die Lieblinge der Autorin

Trotz stilistischer und narrativer Ähnlichkeiten gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Titeln: Handlung, Charaktere und Welt sorgen für Abwechslung und definieren ganz eigene Abenteuer, die es wert sind, erlebt zu werden. Bevor die eingangs gestellte Frage beantwortet wird, werden an dieser Stelle einige Titel des Subgenres vorgestellt. Hierbei handelt es sich um keine vollumfängliche Liste aller existierenden isometrischen RPGs, sondern um eine Auflistung von Spielen, die seitens der Autorin besondere Wertschätzung erfahren.

Baldur’s Gate (1998/2012) und Baldur’s Gate II (2000/2013)

Mit der Baldur’s Gate-Reihe hat BioWare sich seinerzeit mit Ruhm bekleckert. Die Saga um den Abkömmling Bhaals – mithin der Gott des Mordes– spielt in den Vergessenen Reichen und ist damit vor allem für Dungeons & DragonsFans ein absoluter Klassiker. Alles beginnt, als der Protagonist eines nachts die schützenden Mauern Kerzenburgs verlassen muss, Seite an Seite mit Ziehvater Gorion.

Eine Vielzahl unterschiedlicher Gefährten und Quests sowie mehrere Hundert Stunden Spielzeit zeichnen beide Teile aus.

Hauptmenü von Baldur’s Gate: Enhanced Edition © Atari.
Hauptmenü von Baldur’s Gate: Enhanced Edition © Beamdog.

Publisher Beamdog brachte in 2012 die Baldur’s Gate: Enhanced Edition und in 2013 die Baldur’s Gate II: Enhanced Edition auf den Markt. Neben aufpolierten früheren Inhalten sind auch Neuerungen, zum Beispiel in Form neuer Begleiter, enthalten.

Planescape: Torment (1999/2017)

Wo gerade von Dungeons & Dragons die Rede war: Planescape: Torment (Black Isle Studios) erschien etwa ein Jahr nach Baldur’s Gate und spielt in den sogenannten Ebenen (Multiversum), einem weiteren Dungeons & Dragons-Setting. Im Zentrum der Handlung steht der Namenlose, ein Protagonist, der ohne Erinnerung in einer Leichenhalle erwacht. Begleitet von eigensinnigen Gefährten deckt er nach und nach seine Geschichte auf und kann möglicherweise die leitende Frage des Spiels beantworten: Was kann das Wesen eines Menschen verändern?

Hauptmenü von Planescape: Torment: Enhanced Edition © Black Isle Studios
Hauptmenü von Planescape: Torment: Enhanced Edition © Beamdog

Erneut trug Beamdog Sorge dafür, dass ein Klassiker ein neues Gewand erhielt: Planescape: Torment: Enhanced Edition ist seit 2017 erhältlich.

Shadowrun: Hong Kong (2015)

Mit Shadowrun: Hong Kong hat sich Entwickler Harebrained Schemes nicht zum ersten Mal in die düstere Welt des beliebten Pen & Paper-Rollenspiels gewagt: Shadowrun Returns und Shadowrun Dragonfall haben bewiesen, dass die Spieleschmiede weiß, was sie tut.

Hauptmenü von Shadowrun: Hong Kong © Harebrained Schemes.
Hauptmenü von Shadowrun: Hong Kong © Harebrained Schemes/Paradox Interactive.

Inmitten der Freien Unternehmenszone Hong Kong und der Schatten, die diese wirft, gilt es, den Ziehvater des Protagonisten, Raymond Black, ausfindig zu machen. Hierbei wird der Spielercharakter von quälenden Albträumen geplagt und muss sich in einer Stadt durchsetzen, deren Elend täglich größer zu werden scheint.

Pillars of Eternity (2015)

Spieleschmiede Obsidian Entertainment hat Pillars of Eternity seinerzeit mithilfe von Crowdfunding auf die Beine gestellt. Bis zur Finanzierung von Torment: Tides of Numenera (s. u.) galt es aufgrund der hierbei zusammengetragenen ca. 4 Millionen USD als größtes fanseitig finanziertes Computerspielprojekt.

Pillars of Eternity erschien 2015.

Hauptmenü von Pillars of Eternity © Obsidian Entertainment.
Hauptmenü von Pillars of Eternity © Obsidian Entertainment/Paradox Interactive.

Die Spielwelt Eora präsentiert sich dem Spieler als klassisches Fantasy-Setting, welches eine Vielzahl einzigartiger Aspekte wie z. B. das Phänomen der Wiedergeburt aufweist. Der Spielercharakter ist auf der der Reise nach Goldtal, als es zu einem Überfall seiner Karawane kommt. In unmittelbarer Folge muss er sich mit schicksalsträchtigen Ereignissen aus Gegenwart und Vergangenheit auseinandersetzen.

Torment: Tides of Numenera (2016)

Torment: Tides of Numenera (inXile Entertainment) wird unter Fans als spiritueller Nachfolger von Planescape: Torment gehandelt. Dies, obwohl hier ein anderes, ebenfalls aus dem Pen & Paper-Bereich bekanntes Setting zum Tragen kommt: die neunte Welt von Monte Cook’s Numenera.

Hauptmenü von Torment: Tides of Numenera © inXile Entertainment
Hauptmenü von Torment: Tides of Numenera © inXile Entertainment

Als abgeworfene Hülle einer göttlichen Entität sieht sich der Spielercharakter mit vielen offenen Fragen seine Existenz betreffend konfrontiert. Gemeinsam mit Gefährten, die allesamt Leid mit sich tragen, sucht er nicht nur nach Antworten, sondern wird auch von einem alten Feind seines Schöpfers bedroht.

Fazit

Obige Auflistung verdeutlicht, dass isometrische RPGs die Spielwelt sowie die Handlung betreffend sehr unterschiedlich sein können. Entsprechend vielfältig ist die Spielerschaft aufgestellt. In der Folge erfreuen sich die narrativen Schwergewichte seit vielen Jahren großer Beliebtheit, so aktuell beispielsweise das moderne RPG Disco Elysium, welches die Steam-Charts stürmt. Trotz ihres stolzen Alters also ist die Dreiviertel-Ansicht alles andere als „Schnee von gestern“; sie wird von Spieleschmieden auch heute noch angewendet und von Spielern mit Freuden konsumiert.

Die eingangs gestellte Frage danach, was Spieler an isometrischen RPGs fasziniert, lässt sich nach genauerer Betrachtung der Vor- und Nachteile und einen Blick auf eine kleine Auswahl von Titeln wie folgt beantworten: Es ist die Kombination aus atmosphärischem Storytelling und herausforderndem Micromanagement. Hinzu kommen die niedrigen Einstiegshürden dieser Videospielart (keine hohen Grafikanforderungen, variable Schwierigkeitsgrade in vielen Spielen) sowie der buchähnliche Charakter, der das Ganze wie einen epischen Fantasy-Roman erscheinen lässt – und die lassen sich bekannterweise ja nur schwerlich aus der Hand legen. Ein paar Hundert Stunden gegen Abenteuer zu tauschen, die viele Jahre im Kopf und im Herzen bleiben, scheint somit ein fairer Handel zu sein. In diesem Sinne: „Go for the eyes, Boo, GO FOR THE EYES!“

Artikelbilder: © wie gekennzeichnet
Titelbild: © Beamdog

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