Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Ich habe die Anime-/Manga-Fanszene immer geliebt. Zumindest, bis sie mich nur noch genervt und frustriert hat. Aber davor war sie einige Jahre lang mein Zuhause. Meine Wahlfamilie, die mich nachhaltig geprägt hat. Meine Heimat, in der ich einige der nettesten und beeindruckendsten Menschen kennengelernt habe, die mir je begegnet sind. Meine Liebe, in der ich wurde, wie ich bin.

Die meiste Zeit habe ich supportet, wie auch mein hier zu sehender Kollege Arne.
Die meiste Zeit habe ich supportet, wie auch mein hier zu sehender Kollege Arne.

Von einer Klein-Con abgesehen, ist es rund zehn Jahre her, dass ich auf einer Anime-/Manga-Convention war. Und auch nach zehn Jahren denke ich gerne zurück an damals, an viele wundervolle Erlebnisse und Menschen. Und ich vermisse die Zeit. Ich höre immer wieder mal alte Aufzeichnungen von Showacts an, die heute kaum noch einer kennt. Ich erzähle Geschichten aus einer Fanzeit, als Conventions teils spürbar kleiner waren als monatliche Fantreffen heute. Und kann nicht an Cosplayern vorbeilaufen, ohne sofort an damals zurück zu denken.

Nun, nach 10 Jahren, war ich auf der DoKomi. Eine Con, die es damals noch gar nicht gab, und mit über 30.000 Besuchern heute rund dreimal so groß ist wie die größten Cons damals. Mir war klar, dass ich als Supporter für Krosmaster Arena abseits von Pausen nicht viel sehen würde. Aber es hat gereicht, um meine Gedanken aufzuwühlen. Es hat mir besser gefallen als 2005 oder 2006. Ich hatte Spaß und es genossen, es war für mich ein hervorragendes Wochenende mit netten Leuten und guter Stimmung. Trotzdem bin ich auch traurig und enttäuscht.

Wundervoll und riesig

Ich glaube, ich habe noch nie eine so schöne Convention gesehen. Neben Verkaufsständen, der Zeichnermeile und der „Fashion Area“ insbesondere natürlich unglaublich viel Cosplay. So viele wundervolle Kostüme, grandiose Optik, mit teils so vielen liebevollen Details, dass zuweilen ein Perfektionsgrad zu sehen war, der eher an Hollywood-Blockbuster erinnert denn an von Fans selbstgemachte Kostüme.

Generell wirkte die Atmosphäre sehr familiär und harmonisch. Ein buntes Treffen aus überwiegend glücklichen Gesichtern, das habe ich früher leider auch schon mal anders erlebt. Hallenpläne, nette Helfer an jeder Ecke, ein offener und freundlicher Umgang miteinander. Man wird leicht angesteckt und fühlt sich wohl inmitten all der Menschen.

Das Programm war auf dem Papier auch beeindruckend: Zwei Bühnen, Workshops, Aufführungen, große Cosplay-Wettbewerbe, internationale Gäste und Zeichner-Signierstunden sowie das Maid Cafe, welches man vielleicht auch abseits der Anime-/Manga-Szene von Gamescom oder RPC kennt. So wäre es tatsächlich eine Con der Superlative, in einer Größenordnung, von der wir alten Fans damals nicht mal zu träumen wagten. Jedenfalls dann, wenn man das Ganze auch hätte auskosten können.

Schlange stehen als Erlebnis?

Wollte man nicht nur Stände sehen, sondern auch Programm, musste man sich anstellen. Workshops, Aufführungen, Maid Cafe? Anstellen. Selbst für den Einlass. Ich fasse es nicht, wie es sein kann, dass selbst Leute mit vorbestellter Karte lange anstehen müssen, bis sie überhaupt erst in der Halle sind.

Das galt auch für den Bühnenraum, um dann aber vielleicht trotzdem nicht hineinzukommen. Zwei Stunden vor Beginn eines beliebten Programmpunkts anstehen reichte scheinbar nicht, wie man so hört. Umso bitterer, wenn nach Besucheraussagen die Türen lange verschlossen blieben, obwohl noch viele freie Plätze zur Verfügung standen. Dies lag jedoch weniger an der Convention als eher an der Hallen-Security, die den Einlass regelte.

Am schlimmsten getroffen hat es jedoch die potentiellen Besucher des Maid Cafes. Um dem Andrang Herr zu werden, sollten dieses Jahr Zugangskarten verkauft werden, auf der ein Zeitrahmen von 30 Minuten stand, in welchem man dort hinkommen sollte. Durch organisatorische und technische Fehler wurden jedoch zumindest am Samstag Gruppen als Einzelpersonen gebucht, angeblich auch bestimmte Schichten versehentlich doppelt verkauft, und nicht zuletzt sollten Besucher mit den teureren VIP-Karten auch ohne gesonderte Zugangskarte schnell Einlass erhalten.

Zwei Stunden anstehen für die Zugangskarte – um nur vielleicht eine zu erhalten? Denn natürlich sind auch die irgendwann weg, und man kann nach stundenlangem Stehen abgewiesen werden. Durch das Buchungschaos konnte man dann trotz Zeitangabe wieder stundenlang warten. Und die letzten am Abend mussten dennoch weggeschickt werden. Vertane Zeit.

Was bleibt für ein Con-Erlebnis, wenn man so viele Stunden mit Anstehen verbringt? Ich lese, dass viele Besucher sich genau darüber aufregen. Der Orga die Schuld geben, was mindestens zu Teilen schlichtweg falsch ist. Aber ich freue mich, zu lesen, dass eine so massive Anstehproblematik zumindest auch heutzutage nicht die Regel ist, wenn auch Schlangestehen generell nicht mehr unüblich zu sein scheint.

 So ungefähr sah es bis zum späten Mittag aus dem Fenster heraus aus.
So ungefähr sah es bis zum späten Mittag aus dem Fenster heraus aus.

Orga als Sündenbock?

Schuld ist immer die Orga. Und die Helfer natürlich auch. Oder? Nein, man sollte da mal differenzieren. Ich lese bei Facebook Aussagen, dass diese Probleme einer so großen Veranstaltung nicht passieren dürften. Das würde ja jede kleine Brettspiel- oder Filmbörse besser hinbekommen. Aber natürlich, genau deswegen ja! Eine Veranstaltung mit vielleicht optimistisch 1.000 Besucher hat es in vielerlei Punkten viel leichter als eine DoKomi, wo schon tausende Menschen in nur einer Schlange draußen stehen.

Es gibt Punkte, die man der Orga und den Helfern ankreiden kann, ja sogar muss. Wenn tausende Menschen anstehen für Einlass und Kasse, muss man sichtbar machen, welche Schlange wofür ansteht. Dass der zentrale Infopunkt Leute für Zugangskarten zum Maid Cafe genau zu diesem schickt, wo zwar Leute anstehen, aber keine Karten verkauft werden, ist ärgerlich und liegt auch im Einflussbereich der Orga. Da wäre noch viel zu verbessern, und es scheinen leider einige Leute überfordert oder uninformiert gewesen zu sein. Auch Fragen zu beantworten war nicht die Spezialität einiger Helfer.

Aber! Das musste es auch gar nicht. Viele der über 400 (!) Helfer waren beispielsweise auch nur dort, um Fluchtwege zu sichern. Und selbst auf einer kleinen Convention mit unter 1.000 Leuten werden viele Helfer sicher nicht genau sagen können, wo sich welcher Aussteller genau befindet. Und wenn auf einer kleinen Convention mit 300 Gästen improvisiert werden muss, wenn kommerzielle Firmen bei jahrzehntealten Veranstaltungen improvisieren müssen, wieso sollte das ausgerechnet bei einer wenige Jahre jungen Fan-Convention anders oder besser sein? Wie utopisch ist es, das anzunehmen?

Und wo wir gerade dabei sind. Wie kann man sich beschweren, dass man an der Tageskasse keine Eintrittskarte mehr bekommen hat? Wo seit Wochen klar war, dass es nur sehr wenige dort geben wird, und von offizieller Stelle empfohlen wurde, es lieber am Sonntag statt am Samstag zu versuchen? Wie kann man das Verscheuchen von Besuchern an Treppen anprangern? Es gibt Regeln, Vorschriften, die wohl leider nur die kennen, die jemals selbst irgendeine Veranstaltung organisiert haben. Und das Verpflegung zu teuer war? Na, ist das von der Con-Orga gemacht, oder liegt dass nicht viel mehr an den Anbietern oder dem Veranstaltungsort?

Der Fandom heute

Als ich vor zehn Jahren auf meiner bis dato letzten Con war, fühlte ich mich schon alt. Nun ist der Altersschnitt gefühlt noch jünger, als er damals war. Aber diesmal habe ich mich nicht komisch gefühlt. Ich habe trotzdem nette Menschen in meinem Alter kennengelernt, und ich habe mich auch gut mit Besuchern unterhalten, die zu meiner Anfangszeit im Fandom nicht einmal geboren waren.

Wenn auch nur ein paar Minuten – Ich habe die Tsuki no Senshi gesehen, die es auch schon damals gab.
Wenn auch nur ein paar Minuten – Ich habe die Tsuki no Senshi gesehen, die es auch schon damals gab.

Und so vieles ist so anders! Nicht nur die Menge an Besuchern. Fertig gekaufte Kostüme und Cosplay-Perücken? Interessant, aber auch ungewohnt. Und damit kann man „berühmt“ werden. Kann man fünfstellige Like-Zahlen haben, kann man Vorbild und Idol für junge Menschen sein. Ich verstehe es nicht. Ich will niemanden seinen Szene-Ruhm missgönnen, aber ich kann ihn nicht nachvollziehen.

Und auf der anderen Seite: Wieso lästern Leute über Cosplayer mit gekauften Kostümen? Warum über jene, deren Figur nicht „gut genug“ ist für die „realistische“ Darstellung des zierlichen, gezeichneten (!) Charakters? Bitte, wie kann man über begeisterte Fans herziehen, die doch nur Spaß am Darstellen eines Lieblingscharakters haben wollen? Das gab es schon damals, zugegeben, und gehört mit zu den Dingen, die mir den Spaß an dieser Fanszene genommen haben. Wehmütig denke ich an meine Anfangstage zurück, als Cosplay eine kleine Nische war. Als Fotos, Likes, Selbstdarstellungen, sich übertrumpfen belanglos waren, und einzig die Freude am Cosplay selbst wichtig waren.

Und bei den Zeichnern? Es ist eine tolle Entwicklung, dass es heute so unglaublich viele wahnsinnig gute deutsche Zeichner gibt. Ich erinnere mich gut an die Fan-Arts der 90er-Jahre. Da liegen Welten zwischen. Und ich wünschte, ich hätte es einfach toll finden können. Aber wenn man hört, dass bestimmte Zeichner sich grundsätzlich nicht mit anderen verlinken, wenn diese nicht bestimmte vierstellige Like-Zahlen haben, möchte ich kotzen. Ich verlinke mich doch mit Freunden und anderen, deren Stil ich mag. Aber Like-Zahlen als Kriterium? Wozu, wenn nicht nur dafür, sich selbst über seine Verlinkungen zu profilieren? Was ist geworden aus dem Spaß am Zeichnen?

Sicherlich sind das Einzelfälle. Ich glaube fest daran. Aber jeder Einzelfall ist eine Katastrophe.

Resümee

Auch nach Tagen bin ich zwiegespalten, wie es mir gefallen hat. Klar ist, dass es für mich besonders war, und je mehr ich nach Ende der Con darüber nachdenke und meine Gedanken sortiere, umso emotionaler werde ich.

Ich hasse euch

Nein, ich hasse nicht die DoKomi. Ich hasse einzelne Menschen.

Ich hasse beispielsweise die verachtenswerten Individuen, welche auf dem Kartenschwarzmarkt mit der Begeisterung von Fans Gewinn machen und ihnen das Taschengeld abziehen. Wie kann man bloß so werden, dass man das schnelle Geld über jede Moral stellt, und sich selbst dabei noch als Wohltäter sieht? Ich hasse auch die unkonstruktiven Besserwisser, die ja selbst immer alles besser können . Dann tut es doch, bewegt euren Arsch, verzichtet mal auf euer eigenes Vergnügen, um das Con-Erlebnis für andere zu verbessern? Und ich hasse die Lästermäuler, die über andere herziehen, weil ihnen etwas am Kostüm nicht passt, an der Figur des Trägers, oder sonst was. Lasst den Leuten doch einfach ihr Vergnügen, oder habt ihr es wirklich nötig, über andere zu lästern, um euch selbst besser zu fühlen?

Das sind nur Beispiele, nicht mehr. Ein so geringer Bruchteil von über 30.000 Leuten, dass er wohl kaum ins Gewicht fällt. Und trotzdem ärgert es mich. Solche und andere Leute waren schon damals für mich der Grund, mit dieser ganzen Szene abzuschließen, da es mir über die Zeit so sehr den Spaß verdorben hat. Ich hätte gerne glauben können, dass es nicht mehr so wäre. Aber das war natürlich ein frommer Wunsch, und es ist absurd unwahrscheinlich, dass ein noch größer gewordenes Fandom wieder viel mehr sein könnte als zu einer Zeit in der Nische, als man selbst in Comicläden Schwierigkeiten hatte Mangas zu beziehen.

Und ich bin traurig, wenn ich diese fast endlosen Schlangen sehe. Wenn junge Fans, die teilweise nur auf diese eine Con im Jahr gehen (können), Programmpunkte, auf die sich freuen, nicht sehen können, trotz stundenlangem Anstehen. Ich kenne so etwas nicht von früher, und ich finde es fürchterlich. Es tut mir so leid für all die jungen Besucher, die mit Warten und Enttäuschungen auf der Con umgehen müssen. Eine solch Con ist für einige der Höhepunkt des Jahres, und er sollte rundum schön sein. Ich würde ihnen allen wünschen, dass sie eine Con so erleben können, wie meine Generation es damals konnte.

Ich liebe euch

Es war dennoch ein phantastisches Erlebnis. Ich hatte viel Spaß, sowohl bei den Demospielen am Krosmaster-Stand, als auch beim Umherlaufen in den Pausen und generell inmitten der Atmosphäre. Es macht mich glücklich zu sehen, wie groß alles geworden ist. Die vielen vor Freude strahlenden Augen. Die Kreativität, die vielleicht nirgendwo anders so geballt und intensiv zu finden ist. Die vielen netten, aufgeschlossenen Menschen. Die Freude und Glückseligkeit, die fast überall zu sehen ist. Es ist fast wie ein Paradies.

Ich fühle mich auch zurückversetzt in frühere Zeiten. Als ich Sonntag Abend, nach dem Abbau, noch einmal durch die Gänge lief, vorbei an halb abgebauten Ständen, zwischen anderen Ausstellern und Helfern, da ließen Stress und Hektik nach. Ruhe kehrt ein, und damit einhergehend werde ich sentimental, und die fast leeren Gänge fühlen sich an wie die leeren Gänge vor über zehn Jahren. Ich fange an zu strahlen, fühle mich wie bei einem Besuch in der eigenen Jugend, bei der ersten Liebe, bei vielen meiner liebsten Erinnerungen. In diesem Moment ist alles perfekt, alles Schlechte vergessen. Ich habe Tränen in den Augen und fühle mich zuhause, für diesen kleinen, wertvollen Moment.

Fotografien: Fabian P. Gocht, Michael Fuchs

 

1 Kommentar

  1. Ein sehr schön verfasster Artikel!

    Ich habe auch das Gefühl das solche Leute, die zwar nur ein kleiner Teil der Menge sind, einem den Spass nehmen! Aber ich bin mit 36 Jahren auch nie eine der jüngsten auf Cons, aber ich liebe die Familiäre Atmosphäre auf diesen!
    Cosplay mach ich auch nicht mehr auf grossen Cons! Ich bin jetzt dazu übergegangen, verstärkt Kunst zu sammeln, um Künstler zu unterstützen, die mir gefallen. Ich mag ausgefallene Stile.
    Ich freue mich sehr auf die Connichi, die meine einzige grosse Con im Jahr, aber die lass ich mir nicht von Nörglern Verhageln!
    Die Musicals sind sehr oft mega toll! Ich bin gespannt wen ich dieses Jahr auf Cons noch sehen werde!

    Alles in allem stimm ich mit dem Verfasser überein! Besonders das mit der Orga! Ich hab mal eine relativ kleine Gruppe mitorganisiert, den NDS waren ca. 100-120 Leute, und da wurde uns sogar das Wetter vorgeworfen!

    Man muss aber bedenken wie sich die gesamte Jugend im Moment entwickelt! Ich hab das Gefühl das Schulen und Erziehung im Allgemeinen nicht mehr einen guten Einfluss verbreiten!

    In diesem Sinne, vielen Dank für diesen Artikel!

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