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Im Berlin des Jahres 2079 Neoanarchist und Runner zu sein, ist hart und brutal. Die Deckerin Aggi und ihr Runnerkollege Paul Dante treten gegen skrupellose Mächte in den Ring. Doch anders als im Ring, bedeutet Versagen in der sechsten Welt ein unrühmliches Ende in einer dreckigen Seitengasse.

Romane zu dem Cyberpunk-Rollenspiel Shadowrun haben eine gute Tradition. Die Bücher deutscher Autoren bereichern diese Tradition um eine weitere Facette. Mike Krzywik-Groß hat mit Alter Ratio die Fortsetzung seines 2018 erschienen Romans Alter Ego Dabei setzt der zweite Teil die Geschichte des Protagonisten Paul Dante und einige Handlungsfäden des ersten Teils fort. Allerdings muss man Alter Ego nicht gelesen haben, um Alter Ratio zu verstehen, da alle wissenswerten Details im Verlauf der Handlung erklärt werden.

Story

Das Berlin der dystopischen Shadowrun-Welt ist immer noch eine geteilte Stadt. Die Megakons regieren die eine Hälfte mit eiserner Faust gehüllt im Samthandschuh. Der andere Teil wird von neoanarchistischen Kommunen bewohnt, die ihren Lebensstil nicht der kapitalistischen Macht der Konzerne unterordnen wollen. Die Deckerin Aggi lebt und kämpft für die Ideale der neoanachistischen Szene Berlins. Ihr Kollege Paul Dante ist ein abgehalfterter Privatdetektiv, dessen Abenteuer schon in Alter Ego verfolgt werden konnten. Die Wege der beiden kreuzen sich, um einer ebenso geheimnisvollen wie skrupellosen Macht auf die Spur zu kommen. Im Verlauf des Buches werden verborgene Machenschaften aufgedeckt, die eine Gefahr für alle Einwohner*innen Berlins darstellen, egal ob sie im Kiez des Prenzlauer Bergs oder in den Glastürmen der Konzerne leben. 

Im Verlauf der Geschichte werden die beiden Protagonist*innen mit Mysterien der Matrix konfrontiert, die ebenso fremdartig wie gefährlich sind. Dabei webt Mike Krzywik-Groß diese geschickt in die Handlung ein.
Alter Ratio wird als direkte Vorgeschichte für den Kampagnenband Netzgewitter beschrieben, der ebenfalls von der deutschen Shadowrun-Redaktion veröffentlicht wurde.

Schreibstil

Der Schreibstil liest sich flüssig und die Leserschaft kann problemlos der Handlung folgen. Allerdings ist bei einigen Dialogen nicht jederzeit klar, wer gerade spricht. Gerade in Dialogen mit mehr als zwei Teilnehmer*innen muss ab und zu geraten werden, wer gerade etwas sagt. Auch sind einige Spannungshöhepunkte in Schieflage, weil die Protagonist*innen miteinander diskutieren und so den Spannungsmoment in die Länge ziehen. An diesen Stellen fühlt man sich an einen Rollenspieltisch versetzt, weil die Mitspielenden genau jetzt dieses Problem ausdiskutieren müssen. Das ist zwar sehr amüsant, schadet aber leider der Spannung. Durch solch langwierige Dialoge und Handlungen der Figuren wird der Szene das Momentum genommen.

Auch sind in einigen Handlungspunkten die Umstände nicht logisch nachvollziehbar. Zum Beispiel ist es zwar machbar, eine ungesicherte Schusswaffe im Holster zu tragen, aber selbst für tollkühne Shadowrunner grob fahrlässig. Beim Lesen stolpert die Leserschaft über einige solcher Details und wird verwirrt zurückgelassen. Davon abgesehen ist die Handlung unterhaltsam und kurzweilig, doch etwas mehr Logik hätte gutgetan.

Die beiden Hauptcharaktere der Handlung sind Aggi und Dante. Ab und zu werden Nebenhandlungen über Nebenfiguren oder Antagonist*innen erzählt, was einerseits dem Publikum zu mehr Einblick verhilft, aber in einem konkreten Fall die Spannung verdirbt. Davon abgesehen ist der rote Faden immer klar zu erkennen.

Die beiden Hauptfiguren sind nachvollziehbar dargestellt. Deckerin Aggi ist als idealistische dreiste Punkerin auf Anhieb sympathisch und verkörpert geradezu den CyperPUNK-Stereotyp. Ihr gegenüber steht der Privatdetektiv Paul Dante als abgewrackter, zynischer Charakter, dem das Leben übel mitgespielt hat. Das Aufeinanderprallen solcher unterschiedlichen Lebensansichten ist in Abenteuergeschichten zwar nicht neu, aber recht unterhaltsam.

Die Weltbeschreibung ist gelungen und nicht zu lang geraten. Die Shadowrun-Welt zu kennen, ist kein Muss, aber nützlich, um einige Begrifflichkeiten zu verstehen. Gerade die Beschreibungen der Augmented Reality, kurz AR, und der Matrix sind gut in die Handlung eingefügt. Im Verlauf werden Fragen aufgeworfen, die die Leser wohl gezielt zu dem Kampagnenband Netzgewitter führen sollen, denn einige Handlungsfäden bleiben am Ende des Buches offen.

Der Autor

Mike Krzywik-Groß wurde 1976 im Harz geboren und schreibt schon lange im Bereich Phantastik und Rollenspiel. Seine Feder hat die Welten von Das Schwarze Auge, Splittermond, Eis&Dampf und andere bereichert. Lange Jahre hat er für Das Schwarze Auge geschrieben. Eine vollständige Auflistung seiner Texte ist auf seiner Homepage zu finden.

Erscheinungsbild

Das Cover entspricht dem bekannten Shadowrun-Layout der fünften Edition und zeigt die Protagonistin Aggi. Dabei hat der Illustrator Andreas Schroth die Deckerin und ihre politische Weltsicht perfekt getroffen. In der Hand hält sie ein Kommlink, auf dessen Bildschirm Paul Dante zu sehen ist.
Das allgemeine Layout entspricht den üblichen Standards der Shadowrun-Romane und gibt damit keinen Grund für Kritik.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Press
  • Autor*in(nen): Mike Krzywik-Groß
  • Erscheinungsdatum: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 350
  • ISBN: 978-3-96928-010-2
  • Preis: Print 14,95 EUR, E-Book 9,95 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonuscontent

Im Vorwort schreibt Mike Krzywik-Groß von der Entstehungsgeschichte des Romans und ordnet die Handlung in die Shadowrun-Welt ein. Die wissende Shadowrun-Spielerschaft wird in der Handlung immer wieder Querverweise zum Metaplot des Rollenspiels finden. Die letzten Seiten des Buches sind für das Glossar reserviert.

Fazit

Leider wirken sich die inhaltlichen Kritikpunkte etwas auf das Lesevergnügen aus. Logiklücken, und zerfaserte Spannungsmomente hinterlassen die Leserschaft nachdenklich und manchmal frustriert.

Das metaphorische Shadowrun-Rad wird im Roman nicht neu erfunden, obwohl die Handlung innerhalb und außerhalb der Matrix neue Aspekte der Shadowrun-Welt beleuchtet. Auch merkt man dem Roman an, dass er als Vorgeschichte für den Kampagnenband gedacht ist, da einige Handlungsfäden offenbleiben. Das könnte für alle unbefriedigend sein, die nicht die Rollenspielkampagne spielen wollen oder werden.

Insgesamt war Alter Ratio eine unterhaltsame, aber eher durchschnittliche Shadowrun-Geschichte. In einigen Szenen hat man den Eindruck, Zeuge bei einem typisch chaotischen Run am Spieltisch zu sein. Für manch eine*n kann genau das aber durchaus ein Grund sein, das Buch zu lesen.

 

Artikelbilder: © Pegasus Press
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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