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Intime Tänze, Gespräche und Kämpfe – das erzählerische Rollenspiel Der König ist tot lässt euch eintauchen in ein spannendes, mittelalterlich wirkendes Adelsdrama. Als führende Person eines von fünf Häusern liegt es an euch, den Thronstreit für euch zu entscheiden. Was das Indie-System ausmacht, erfahrt ihr hier.

Lange wurde im Reich darüber gemunkelt, nun ist es geschehen: Der König ist tot. Im gleichnamigen System wird nun in unterschiedlichen Spielen um die Macht gebuhlt. Dabei können die Spielenden sowohl ihr Geschick in Diplomatie und Verführung beweisen als auch im Krieg die Waffen sprechen lassen. Welches der fünf Adelshäuser am Ende eine neue Herrschaftsdynastie aufstellt, wird dabei mittels Spielkarten ermittelt. Die Mechanik dient aber nur als Grundbau für den eigentlichen Motor, nämlich ganz viele Möglichkeiten zum Charakterspiel. Wer sich schon immer in eine Young-Adult-Novelle des Hochmittelalters hineinfühlen wollte, findet hier die Gelegenheit dazu.

Die Spielwelt – Ränkespiele wie in Game of Thrones

Die Ausgangslage des Systems wirft die Spielenden mitten hinein in einen schwelenden Konflikt mehrerer Adelshäuser. Zu Beginn der Handlung ist im fiktiven mittelalterlichen Königreich Banteave Eyvard III., hoher Prinz des Hauses Dillestone und Souverän der Seeküste, verstorben. Sein Kind ist zwar legitime*r Erb*in, aber noch im Kindesalter und damit nicht regierungsfähig. Es liegt an den Spielenden, den Kriegerprinzess*innen ihrer Adelslinie, im Bürgerkrieg die Macht an sich zu reißen und eventuell selbst König*in zu werden.

Wie am Titel zu erkennen, beginnt die Handlung mit dem Ableben des Königs.

Der Einstieg verspricht Intrigen und Ränkespiele ähnlich wie in vergleichbaren Geschichten, beispielsweise A Song of Ice and Fire beziehungsweise Game of Thrones. Wer dieses Genre kennt und mag, wird schnell Parallelen zu den agierenden Familien finden, welche über verschiedene Ländereien herrschen. Insgesamt gibt es fünf Adelshäuser, die sich in jeder Sitzung neu verbünden oder verfeinden können: Antyre, Dillestone, Luneste, Oake und Sandoreale.

Zu jeder Familie wird für die Spielenden ein Überblick der Geschichte gegeben, damit diese sich ein genaueres Bild machen können. Dabei wird ebenfalls die Historie Banteaves angerissen. Ursprünglich herrschte das wilde und kriegerische Haus Antyre über die Stämme, die in dem Gebiet Banteaves lebten. Später unterstanden alle Familien der hochadligen und vornehmen Familie Sandoreale. Nach einem Aufstand vor drei Generationen geriet schließlich die königliche Würde an Haus Dillestone, welches sehr auf ritterliche Tugenden setzt. Unterstützt wird diese Herrschaft von Haus Oake, welches (bisher) einige loyale königliche Ratgeber*innen und Leibwächter*innen hervorgebracht hat. Als auswärtige Macht schielt nicht zuletzt Haus Luneste auf den Thron und ist bereit, mit Truppen aus Übersee ihren Anspruch geltend zu machen. Allein an dieser kurzen Aufzählung sollte klar werden, dass sich viele Möglichkeiten für spannende Konflikte im Spiel bieten.

Die Regeln

Jedes Spiel beginnt mit einer wunderschönen, mittelalterlich wirkenden Textura.

Der Kampf um den Thron ist kein schlichtes Würfelspiel. Stattdessen wird ein typisches Poker-Set verwendet, um nacheinander eines von elf möglichen Kartenspielen zu wählen. Dabei wird reihum gespielt; das letzte Spiel „Die Krönung“ darf erst begonnen werden, wenn alle mindestens einmal an der Reihe gewesen sind. Grundsätzlich könnte eine Gruppe auch dutzende Spiele in einer Runde spielen und so eine sehr immersive Erfahrung schaffen.

Die einzelnen Spiele unterscheiden sich leicht in ihrer Komplexität, sind aber in sich einfach zu verstehen und schnell erlernt. Meist werden Karten gezogen, miteinander getauscht oder für gewisse Effekte abgeworfen. Zum Einstieg in die Runde eignet sich „Aufgebot und Ränke“, bei dem eine Karte gezogen und ein wählbares Ereignis mit einem festen Effekt ausgeführt wird –beispielsweise tauschen zwei Häuser Handkarten oder ein anderes Haus muss eine Karte abwerfen. Das Ereignis prägt erzählerisch weitere Handlungen in den folgenden Spielen.

In „Ein Wiedersehen“ führen zwei Charaktere ein Gespräch miteinander, dürfen eine Karte ziehen und anschließend ein weiteres Spiel aussuchen. Sie können sich beispielsweise im Duell treffen, zu einem Wettkampf herausfordern, die Konversation beim Essen fortführen oder mehr Zeit miteinander verbringen und dabei sehr intime Details austauschen. Aufwendiger und für die Häuser verheerender ist das Spiel „Krieg“, in dem zwei oder gleich mehrere Parteien abwechselnd Handkarten verdeckt für Ländereien, Elitetruppen oder Burgen bieten. Die Person mit der höchsten Karte darf über das Schicksal der angegriffenen Orte und Menschen entscheiden.

Während ein oder zwei Charaktere ein Spiel ausführen, bedeutet das für die anderen Spielenden keinen Grund zur Langeweile. Da es keine Spielleitung gibt, übernehmen sie stellenweise als Publikum die Bewertung der Situation und wählen eine*n Sieger*in aus. Anhand der Beispiele sollte deutlich werden, dass hinter zunächst simplen Spielmechaniken dennoch eine gewisse taktische Tiefe aufkommen kann. Manchmal müssen die Anweisungen auch mehrfach gelesen werden, damit der Sinn hinter den Aktionen klar wird. Für den Einstieg sollten Texte von der ganzen Gruppe geprüft werden, um nicht ungewollt die Regeln zu brechen.

Wichtig zu beachten ist, dass je nach Spiel die Wertigkeit der Kartenfarben wechseln kann. Sind in einem Spiel beispielsweise Pik-Karten bei einem Stechen am besten und Karo-Karten am schlechtesten, kann das im nächsten Spiel wieder ganz anders aussehen. Mit etwas Übung und Erfahrung könnten die Spielenden also je nach Ausgangshand bewusst jene Spiele auswählen, für welche sie eine bessere Hand aufweisen.

Als letztes Spiel wird „Die Krönung“ durchgeführt. Alle Spielenden präsentieren ihre Handkarten. Wer die meisten Bildkarten ansammeln konnte, gewinnt und wird gekrönt. Die Person mit den meisten Farben auf der Hand wird zum aufsteigenden Haus ernannt und kann sich anschließend erzählerisch entscheiden, sich der Herrschaftsdynastie anzuschließen oder gegen sie aufzubegehren. Wichtig sind bei der Auszählung die Verhängniskarten, womit alle Zahlenkarten mit 2 oder Buben/Bauern gemeint sind. Werden diese ausgespielt, plagen das Königreich schreckliche Ereignisse wie Hungersnöte oder eine Ermordung der herrschenden Person.

Charaktererschaffung – kurz und knackig

Im Laufe der Sitzung gilt es, das ein oder andere Spiel gemeinsam zu erzählen.

Als reines Erzählrollenspiel wird in Der König ist tot auf Charakterbögen und Grundwerte komplett verzichtet. Die Erstellung ist daher recht simpel: Jede Person sucht sich eines der fünf Adelshäuser aus und wählt einen Namen sowie eine positive Eigenschaft für den Spielcharakter. Anschließend schreiben alle Mitspielenden diesem ebenfalls eine positive Eigenschaft zu. Eine Auswahl möglicher Facetten findet sich im Regelwerk.

Grundsätzlich ist es möglich, dass bei einer Vielzahl an Mitspielenden mehrere Charaktere dem gleichen Adelsgeschlecht angehören. Diese müssen entsprechend mögliche Verwandtschaft zueinander klären und verfolgen jeweils einen eigenen Anspruch auf den Thron. Im Laufe des Spiels steht es allen frei, sich zu verbünden, um gegen die führende Person vorzugehen.

Spielbarkeit aus Spielendensicht

Mit dem schlichten Aufbau des Regelwerks kommt Der König ist tot ohne eine Spielleitung aus. Trotzdem kann es am Anfang nicht schaden, wenn eine regelfirme Person eine neutrale Rolle einnimmt und bei der Übersicht der Regeln und der Handlung hilft. Das Fehlen einer organisierenden Instanz legt die Verantwortung für das Erlebnis stark auf die Spielenden. Diese müssen zusammen eine Geschichte gestalten und sie für alle Parteien am Tisch interessant halten.

Für den Test wurden in zwei Sitzungen jeweils ein paar Runden gespielt und verschiedene Spiele ausprobiert. Das System eignet sich gut für eine schnelle Sitzung, sofern die Gruppe grundlegend mit den Regeln vertraut ist und die Spiele vorliegen hat. Tatsächlich ist aber auch eine längere Sitzung mit einer Vielzahl an Spielen möglich. In diesem Fall kann es für die Spielenden von Vorteil sein, sich die Karten der jeweils anderen zu merken, um sich eventuell einen Vorteil zu sichern. Wer beispielsweise aus einem vorherigen Spiel weiß, dass jemand anderes etwa keine Kreuz-Karte auf der Hand hat, kann sich so den Sieg sichern. Siegen allein ist bei all dem Rollenspiel aber in den meisten Fällen nicht unbedingt ein primäres Ziel.

Das System wurde nach dem Test unter anderem als guter Einstieg und Übung für Rollenspiel zwischen Charakteren bewertet. Die einzelnen Textabschnitte eignen sich speziell für Anfänger*innen, um sich daran zu orientieren und darauf eine Szene aufzubauen. Gleichzeitig wird immer wieder genügend Gestaltungsraum für eigene Ideen geboten. Hinzu kommt, dass regelmäßig andere Entscheidungen für die Welt und Geschichte treffen, was die Handlung eher spannend hält. Ein Haus, welches gerade noch vermeintlich dominiert, kann theoretisch in ein bis zwei Spielen stark geschwächt werden. Andersherum ist ebenso ein rasanter Aufstieg möglich, wenn die eigenen Ressourcen sinnvoll genutzt werden können.

Historische Darstellungen werden textlich immer wieder in Banteaves Geschichte mit eingebunden.

Spielbericht

Je nach Karten und agierenden Personen kann Der König ist tot sehr unterschiedlich ausfallen. Es folgt die Zusammenfassung einer Testspielrunde.

Nach dem Ableben des Königs kam es in „Aufgebot und Ränke“ zu mehreren Überfällen entlang der Seeküste auf die Schiffe der anderen Adelshäuser. Erzürnt versuchte sich Dillestones Kriegerprinz an einer „Verfolgungsjagd“ gegen Antyres Erben, der ihm aber im Gebirge entkommen konnte. Haus Sandoreale besiegelte in einem weiteren „Aufgebot und Ränke“ durch eine Heirat ein Bündnis mit Haus Dillestone. Der Erbe von Haus Oake wiederum wollte mit Antyres Kriegerprinz „Zeit miteinander verbringen“, was nach einigen geheimen Liebesbekundungen in einer gemeinsamen Nacht endete.

Doch dann folgte der Verrat zwischen den beiden Adelsfamilien, die nun über die Stärke der jeweils anderen im Bilde waren. Aufgewiegelt durch die Schmach der offenbarten Liebesnacht zogen Haus Oake und Haus Antyre anschließend gegeneinander in den „Krieg“. Haus Sandoreale schloss sich in Hoffnung auf Kriegsbeute Antyre an. Einige blutige Verluste später rief Haus Dillestone das Ende aus. Bei „Die Krönung“ schließlich konnte Antyre überraschenderweise den eigenen Anspruch geltend machen. Tatsächlich war Haus Oake vor dem Krieg stärker gewesen, hatte aus Trauer über die Opfer aber geheim alle Bildkarten abgeworfen.

Stabilität war der kurzen Herrschaft Antyres trotzdem nicht beschieden, da gleich mehrere Verhängniskarten übriggeblieben waren. Oakes Erbe tötete seinen nun gekrönten Liebespartner, eine Hungersnot und Glaubensunruhen erschütterten das Land. Auch ein Jahr nach dem Attentat hatten Dillestone und Sandoreale noch mit Rebellen im Bürgerkrieg zu kämpfen.

Erscheinungsbild

Die Wappen der einzelnen Adelshäuser sind wunderschön und filigran gestaltet.

Passend zur mittelalterlichen Welt im Spiel greift das Design von Der König ist tot einen ähnlichen Stil auf. Das 84-seitige Softcover verfügt über eine Lederoptik, die mit geschnörkelten Schriftzügen und goldverzierten Umrandungen geschmückt ist. Die an die mittelalterliche Textura angelehnte Schrift wird außerdem in den einzelnen Überschriften aufgegriffen, was das Gesamtbild überaus wertig wirken lässt. Hinzu kommen schön gestaltete Wappen der fünf agierenden Häuser von Banteave. Sorgen um den Lesefluss sind aber nicht nötig, da die inhaltlichen Texte in modernen Buchstaben abgebildet sind.

Ein Index ist nicht vorhanden, dafür eine Übersicht an Bildnachweisen mittelalterlicher Gemälde. Diese mögen hier und da etwas verpixelt wirken, helfen aber sehr, in die richtige Stimmung zu kommen. Ergänzend gibt es Erklärungen, welche die Motive in die Geschichte der bespielten Welt einordnen. Die Bilder machen vor allem eines deutlich: originale Darstellungen einer Zeitepoche, die keineswegs weißgewaschen und heteronormativ war. Diversität wird ebenso durch die durchgehende Sternchen-Nutzung bei den Geschlechtern gezeigt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: System Matters
  • Autor*in(nen): D. Vincent, Meguey Baker
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Druck/PDF (A5)
  • Seitenanzahl: 84
  • ISBN:978-3-96378-089-9
  • Preis: 9,99 EUR (PDF), 14,95 EUR (Druck)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Aufgrund der Spielmechanik des gegenseitigen Fragenstellens ist es sinnvoll, mehrere Exemplare oder Kopien des Systems für die eigene Runde zu nutzen. Wer aber nicht mehrfach die gedruckte Fassung kaufen möchte, kann sich über die Internetseite von System Matters eine gekürzte Fassung von Der König ist tot herunterladen. Diese enthält alle vorgestellten Spiele, welche für eine Runde benötigt werden.

Fazit

Bei Der König ist tot werden mit jeder neuen Runde wortwörtlich die Karten neu gemischt. In einzelnen Spielen gilt es für die Spielenden, sich der Stärken und Schwächen der anderen gewahr zu werden und diese für sich zu nutzen. Das Indie-Rollenspiel setzt dabei den Fokus klar auf das Erzählerische: Statt Bögen, Werten und Würfeln braucht es nur ein Kartenset und den Willen der Gruppe, gemeinsam eine spannende Geschichte zu erzählen. Von emotionalen und romantischen Szenen zwischen zwei Liebenden über spannende Wettkämpfe und Verfolgungsjagden bis hin zu blutigen Kriegen ist je nach Spiel viel möglich. Oftmals wird in der Gruppe entschieden, wie die Situation endet, um gemeinsam die Erzählung voranzutreiben.

Am Ende kann nur eine Person auf dem Thron sitzen. Wer wird es sein?

Zwar wirkt das System mit den vielen festgelegten Fragen zunächst etwas steif. Schnell wird aber klar, dass durch die große Menge jedes Mal eine neue Handlung erzählt wird. Von kurzen Sitzungen bis zu langen Epen ist spieltechnisch alles möglich. Abgerundet wird das Gesamtpaket mit dem eher günstigen Preis durch eine stilvolle Aufmachung voller historischer Darstellungen. Die Betonung einer diversen mittelalterlichen Welt, wie sie jenseits weißgewaschener Geschichts-Klischees wirklich existiert hat, ist ein weiterer Pluspunkt. Dazu trägt auch das Gendern innerhalb des Regelwerks bei. Wer für gutes Rollenspiel nur ein paar befreundete Menschen braucht und Spaß an Adelsdrama wie in Game of Thrones hat, ist bei Der König ist tot goldrichtig.

 

  • Kaum Vorbereitung nötig, interaktive Szenen
  • Hübsches Design, originelle Idee
  • Viel Charakterspiel, gute Übung für Anfänger
 

  • Manche Spiele sehr aufwendig

 

Artikelbilder: © System Matters
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Alexa Kasparek
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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