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Gangs, Insektengeister und Drachen sind gefährlich – nachts im Dunkeln und ohne Matrix umso mehr. Im neuen Abenteuerband zu Shadowrun 6 verschlägt es Runner nach Toronto an den Ontariosee, wo sie mit den Auswirkungen des Blackouts zu kämpfen haben. 30 Tage Chaos in der einst „saubersten und sichersten Stadt der UCAS“.

Nach den Ereignissen 2080 in Detroit, die im Quellenband Blackout beschrieben werden, steht die Welt – und vor allem die UCAS – Kopf und auch Toronto bleibt davon nicht verschont. Die recht liberale Stadt mit dem Motto „Vielfalt ist unsere Stärke“ ist ebenso von den Stromausfällen betroffen, wie der Rest des Landes. In diesem Chaos sollen sich Runner zurechtfinden, überleben, Geld verdienen und bestenfalls noch die Probleme der Bevölkerung lösen.

Kleines Wörterbuch für Shadowrun in alphabetischer Reihenfolge:

Allianz Deutscher Länder (kurz: ADL): 2045 nach den Eurokriegen und dem damit einhergehenden Verfall der BRD gegründeter europäischer Staat.

Cyberware: Anorganische, technische Augmentierungen, die Körperfunktionen ersetzen und/oder verbessern. Darunter Cyberaugen, ganze Arme oder kosmetische Veränderungen

Decker (auch: Hacker): Personen, die mit so genannten Cyberdecks in der Matrix agieren und dort besondere Expertise beweisen.

Desolation Angels: Eine Chicagoer Frauengang, die auch in Seattle und jetzt in Toronto auftaucht. Man munkelt von einer Verbindung zu Insektengeistern, insbesondere Gottesanbeterinnen.

Go-Ganger: Mitglieder motorisierter Straßengangs.

Insektengeister (Bugs): Besondere Form von Geistern, die einen Wirtskörper besetzen und seit den Vorfällen in Chicago (Bug City) gehasst und gejagt werden.

Johnson (auch: Mr. bzw. Ms. Johnson): Codename für den Vermittler bzw. Auftraggeber von Shadowrunnern. In den ADL wird der Name Schmitt bzw. Schmidt benutzt.

Karma: Das Shadowrun-Äquivalent zu der in den meisten Rollenspielen erhaltenen „Erfahrung“.

Matrix: Weltweites Computernetzwerk, mit dem eigentlich alles verbunden ist – auch die neue Outdoor-Jacke. Es gibt AR- und VR-Optionen.

Metamenschheit: Der Oberbegriff für die Rassen (Menschen, Orks, Trolle, Elfen und Zwerge) in Shadowrun.

Rigger: Personen, die mit spezieller Cyperware Fahrzeuge, Drohnen und Flugzeuge per Gedankenkraft steuern können.

Schattengeister: Freie Geister, die sich schädlich für die Metamenschheit verhalten. Oft ernähren sie sich von starken Emotionen, die sie deswegen gezielt hervorrufen.

Shadowrunner (kurz: Runner): Namensgebende Auftragskriminelle. Ihre Aufträge nennt man Shadowruns (kurz: Runs).

UCAS: Steht für „United Canadian and American States“, einer der neuen Staaten auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Inhalt

Der Abenteuerband 30 Nächte und 3 Tage, der im Original 30 Nights heißt, lässt sich in vier Teile und eine Shadowrun-typische Kurzgeschichte unterteilen: Eine kurze Einleitung gibt Hinweise zur Einordnung und Verwendung des Buches, die so genannte Charakterfundgrube sammelt alle möglichen NSC und am Ende der deutschen Ausgabe warten drei Bonusruns in den ADL. Den größten Teil nehmen die namensgebenden 30 Nächte ein.

Einleitung

Es warten viele Gefahren in der Nacht.

30 Nächte und 3 Tage soll alleine stehen können, ganz ohne Blackout, das wird in der Einleitung herausgestellt. Grundsätzlich stimmt das auch, doch gewinnt die Kampagne mehr Tiefe mit dem Wissen aus dem Quellenband. Das Konzept eines zeitlich stark reglementierten Abenteuerzyklus ist interessant, wird aber auch direkt relativiert:

Natürlich muss man sich nicht stoisch an den Ablauf der 30 Nächte halten, kann einige überspringen oder nur thematisch zusammengehörige spielen. Die zusammenpassenden Runs werden praktischerweise auch direkt sortiert und aufgelistet. Es ist zudem möglich, die Nächte zu strecken, somit den Verlauf aufzulockern und dadurch den Abenteuerband an die jeweilige Gruppe anzupassen.

Behält man das Konzept bei, ist es in der Kampagne kaum möglich, Charaktere mit Karma weiterzuentwickeln. Die Trainingszeiten in Shadowrun 6 sind um einiges länger als in der vorangegangenen Edition. Man wird schlichtweg keine Zeit haben, Monate für neue Fertigkeiten oder gesteigerte Attribute zu trainieren. Dieser Umstand sollte einem im Vorfeld klar sein.

Ebenso wichtig zu wissen, ist es, dass die Matrix zuerst gar nicht und danach lediglich stark eingeschränkt nutzbar ist. Das gesamte Leben, viele Funktionen von Ausrüstungsgegenständen und vor allem die Charakterkonzepte Decker und Rigger funktionieren ohne die Matrix nicht bzw. nicht richtig. Im Abenteuerband wird darauf hingewiesen und ein paar Lösungsansätze für Decker gibt es auch. Rigger, die mit ihren Drohnen auch über die Matrix kommunizieren, erhalten den Luxus besonderer Fürsorge nicht.

Das normale Leben ist nach dem Blackout in Toronto nur eingeschränkt möglich.

Es ist ein schwieriges Setting für eine Welt, die ohne Matrix nicht funktioniert. Das kann sehr viel Spaß machen, wenn man sich dessen vorher bewusst ist, aber auch frustrieren, wenn Runner zu sehr unter den Einschränkungen leiden. Ob das Magier und Adepten bevorteilt, wird sich zeigen.

Schönes Toronto

Die UCAS-Stadt Toronto wird in einem kurzen Kapitel vorgestellt. Stadtteile, Brennpunkte, Konzerne und die Unterwelt lernt man in den Grundzügen kennen. Dieses Kapitel ist auch für Spieler*innen geeignet, so dass sie sich auf den bevorstehenden Schauplatz vorbereiten können. Besonders erwähnenswert für Manaschleudern und andere magisch Begabte sind die so genannten Stätten der Macht und Manahohlräume, an denen das Mananiveau anders als gewohnt ist. Das beeinflusst Magieanwender teils so stark, dass sie keine oder sogar besonders starke Magie anwenden können.

Die kleine Karte, die sich ganz hinten versteckt, ist eine schöne Ergänzung für den Spieltisch und verstärkt den Charakter des Spiels bei Nacht.

30 Nächte

30 Runs für 30 Nächte sollen es also sein. Keine klassischen Runs mit einem Treffen des Johnsons, einer Verhandlung der Bedingungen und der Bezahlung, sondern das nackte Überleben – denkt man. Doch wie schon in Blackout beschrieben, sind Runner die Ersten, die in Krisensituationen Oberwasser erlangen und ihren Job ausüben. So geht es meist doch seinen gewohnten Gang in ungewohnter Situation und mit knappem Zeitfenster.

Egal wie ein Run aufgebaut ist, ob er Planung erfordert oder die Runner einfach in eine Situation hineingeworfen werden, der Aufbau der einzelnen Runs ist fast immer gleich: Es gibt eine kurze Einführung, einen Aufhänger, die Schauplätze werden vorgestellt, der Job wird erklärt und die Hauptdarsteller benannt. Hinzu kommen besondere Anmerkungen. Einige Runs haben Karten dabei oder ergänzen das Konzept durch einen besonderen Unterpunkt.

ACHTUNG SPOILER! Beispiel für den Anfang der Beschreibungen einer Nacht.

Ohne den Inhalt vorwegzunehmen, kann man sagen, dass über einige Nächte Spannung aufgebaut wird und die Spieler*innen zuerst ein Gefühl für die Situation erhalten sollen. Sie müssen sich eine Basis suchen, von der aus sie die nächsten Nächte agieren können, Nahrungsmittel besorgen und Strom beschaffen. Es gibt kein warmes Wasser und keine Heizung. Über kurz oder lang sorgt der kühle November für eingefrorene Leitungen oder die Elektrik der Abflüsse versagt. Viele Probleme, in die man verwickelt werden kann.

Eine Art Nachbarschaftshilfe gründet sich und so kann man die Spieler*innen ganz schnell involvieren. Die NSC werden mit einigen Eigenschaften und Verhaltensweisen beschrieben, so dass man sich ein Bild von ihnen machen kann, doch klare Aussagen zum Erscheinungsbild fehlen meist. Sie alle haben aber vollständig ausgearbeitete Spielwerte.

Im Buch wird davon ausgegangen, dass die Runner noch neu in der Stadt sind, das heißt man muss hier eventuell eigene Wege gehen, wenn es sich um ansässige Charaktere handelt. Außerdem wird dazu geraten, nicht alle Ausrüstung der Runner zu zerstören, sondern nur ausreichend hohe Hürden aufzubauen. Ein paar Spielstunden haben gezeigt, dass der Rahmen, der vom Abenteuerband gesteckt wird, gut funktioniert, wenn man die Einschränkungen vorher gut kommuniziert hat. Hier muss das Setting akzeptiert und etwas Geduld mitgebracht werden, dann macht es Spaß.

Während der Vorbereitung wird der Spielleitung viel Arbeit abgenommen und man kann die Runs sicherlich durch reine Lektüre des Abenteuerbandes leiten. Trotzdem könnten hier und da ein paar Spielhilfen mehr dabeistehen. Gerade bei wichtigen NSC würde man sich über ein Portrait freuen und es gibt wenige Pläne von relevanten Schauplätzen.

NSC und ADL

Die Charakter-Fundgrube schließt sich an die 30 Nächte an und listet nicht nur wiederkehrende NSC, sondern auch andere, weniger relevante Personen wie Go-Ganger oder Triadenschläger. Es wird in den einzelnen Runs in der Regel mit Angabe der Seitenzahl auf diese Seiten verwiesen, wenn es um Werte für die genannten Charaktere geht.

Zuletzt erhalten die Käufer der deutschen Ausgabe auch in diesem Buch einen Bonus für die ADL: Drei Runs, die mehr oder weniger durch die Ereignisse auf der anderen Seite des Teiches initiiert oder beeinflusst werden.

Erscheinungsbild

30 Nächte und 3 Tage setzt mit seinem hellgelben Cover das Farbschema für alle folgenden Abenteuerbände der neuen Edition. Nachdem das Logo von Shadowrun 6 ein sattes Lila erhielt und die Quellenbände in hellem blau erstrahlen, steht fest: Es ist eine Edition der mutigen Farben.

Das Cover schmückt eine dunkelhäutige Elfe des Illustrators Benjamin Giletti, der auch schon für die fünfte Edition und Shadowrun: Anarchy gezeichnet hat. Sie trägt leuchtende Tattoos und kämpft in den Häuserschluchten gegen (wahrscheinlich) Schattengeister. Im Hintergrund sieht man Brände und Explosionen. Es ist eine actiongeladene Szene, die Interesse am Inhalt der Kampagne weckt.

Chaos auf den nächtlichen Straßen Torontos.

Der Abenteuerband ist gut strukturiert und dank des übersichtlichen Inhaltsverzeichnisses findet man sich schnell zurecht. Zudem wurde sich Mühe gegeben, eine schnelle Handhabung am Spieltisch durch seitengenaue Querverweise zu unterstützen. Fehler im Text sind selten. Wie im Quellenband Blackout sind die Seitenzahlen unten zu finden.

Durch die klare Struktur der Runs ist die Lektüre zur Vorbereitung einfach und angenehm. Es finden sich wie gewohnt einige neue und ein paar recycelte Illustrationen. Dies ist, wie die fehlenden Portraits der Hauptakteure, sicherlich eine Kostenentscheidung und damit, wenn auch bedauerlich, dennoch nachvollziehbar.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor(en): Tobias Hamelmann et. al., englisches Original: Jason M. Hardy et al.
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 188
  • ISBN: 9783957893291
  • Preis:19,95 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, DriveThruRPG (PDF), Sphärenmeister (Hardcover), idealo

 

Fazit

Der erste Abenteuerband von Shadowrun 6 geht einen ganz eigenen Weg: Kurze Runs, wenig Zeit und viele Einschränkungen für Runner. Kein Strom und fehlende Matrix verlangen einer Gruppe viel ab. Das alles ist in einer spannenden Zeit des Umbruchs angesiedelt, in der die wackelige Gesellschaftsstruktur der 2080er Jahre bröckelt.

Die Runs werden gut beschrieben und sind im Prinzip sehr schnell bespielbar. Zwar ist für jede Nacht klar, was erreicht werden soll, doch gibt es stets mehrere Wege, dies zu erreichen. Der Quellenband Blackout ist aber für die Hintergründe sehr hilfreich und ratsam – besonders, da es um eine atmosphärisch dichte Geschichte geht, die mit diesen Informationen besser vermittelt werden kann. Die 30 Nächte bieten vielfältig gestaltete Aufträge, die entweder alle oder in Teilen als Mini-Kampagne angegangen werden können.

Das Cover schmückt eine dunkelhäutige Elfe des Illustrators Benjamin Giletti.

Wiederkehrende NSC und auch alte Bekannte wie die Desolation Angels, die man aus Chicago kennt, werden in einem eigenen Kapitel gesammelt. Das ist übersichtlich und für Kampfsituationen sehr praktikabel.

Das Buch hat ein schönes Cover und einige sehr hübsche Illustrationen, wenngleich es recht wenige sind und natürlich immer gerne mehr sein könnten. Dafür liegt aber eine schicke Karte im A3-Format bei, die Toronto bei Nacht mit allen wichtigen Gebieten und Orten zeigt.

Wie immer ist der Preis mit knapp 20 Euro unschlagbar und damit lohnt es sich in jedem Fall, das interessante Setting anzuschaffen. Ungewohnt ist das Setting gewiss, doch mit der richtigen Vorbereitung und Einstimmung einer Gruppe kann mit 30 Nächte und 3 Tage eine spannende Geschichte mit Überlebensaspekten erlebt werden.

 

Artikelbild: © Pegasus Spiele, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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