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In Durchgeblättert werfen wir regelmäßig einen kritischen Blick auf Neuerscheinungen, Geheimtipps oder Klassiker aus der vielfältigen Welt der Graphic Novels. Diese Ausgabe enthält einen Ableger aus dem Black Hammer Universum, sowie ein klassisches Märchen. Außerdem begleiten wir zwei Jungen in eine apokalyptische Welt und erleben die Anziehungskraft eines seltsamen Bauwerks.

Adaptionen bekannter Werke oder Geschichten sind in der heutigen Zeit nichts Besonderes. Einige böse Zungen mögen sogar behaupten, dass beispielsweise Hollywood bereits seit Jahren keine originelle Idee mehr in die Kinos gebracht hat. Doch das bedeutet mitnichten, dass solche Adaptionen immer etwas Negatives sein müssen.

Nicht überzeugt? Dann bildet euch am besten eine eigene Meinung anhand der vorgestellten Graphic Novels. So findet sich beispielsweise mit Schneewittchen aus dem Hause Splitter eine Adaption des bekannten Märchens der Gebrüder Grimm. Und auch die Welt von Black Hammer erhält eine Adaption mit Sherlock Frankenstein & die Legion des Teufels.

Doch auch Liebhaber origineller Geschichten kommen auf ihre Kosten. So entführt uns Gipi in seiner neuesten Graphic Novel in die düstere Welt der Söhne, während Lucas Harari in Der Magnet einem Gebäude eine faszinierende Anziehungskraft zuteilwerden lässt.

Wir hoffen, ihr habt beim Lesen dieser Kritiken ebenso viel Spaß, wie uns das Lesen der rezensierten Werke bereitet hat. Über Fragen oder Diskussionen in den Kommentaren freuen wir uns ebenso wie über generelles Feedback zu unserem Format Durchgeblättert!

Die Welt der Söhne

Stolz zeigen die beiden Söhne den Hund vor, den sie soeben erlegt haben. Doch anstelle von Lob hat der Vater nur Kritik übrig. Ein erlegtes Tier gehört ausgeblutet, damit sich nicht die Galle ansammelt. Nicht einmal das haben die Jungen hinbekommen. Und woher stammt eigentlich der Hund?

Die neueste Graphic Novel des italienischen Künstlers Gipi stellt eine düstere Welt am Abgrund vor. In einem Endzeitszenario folgt man dem Schicksal zweier Brüder und ihres Vaters. Dabei erhält man nur sehr geringe Informationen über den Hintergrund. Was ist passiert? Wann spielt Die Welt der Söhne? Selbst nach Ende der Lektüre bleiben einige Fragen offen.

Dennoch weiß diese Arbeit von Gipi zu fesseln. Warum? Weil man als Leser nicht umhin kommt, mit den beiden Söhnen zu sympathisieren. Neben der harschen Welt müssen die zwei jungen Männer auch das Leben mit ihrem kritischen und missmutigen Vater meistern. Zudem kommen im Laufe der Handlung noch einige Wendungen hinzu, durch die die Lage weiter verkompliziert wird.

Gerade die Simplizität der Geschichte macht hierbei den Reiz aus. Man erlebt eine sehr intime und persönliche Reise zweier junger Männer, die an ihren Herausforderungen wachsen. Dabei kommt Die Welt der Söhne mit sehr wenigen Nebencharakteren aus. Gipi legt einen hohen Fokus auf die Qualität der Interaktionen zwischen den Figuren und hält die Anzahl der Akteure aus diesem Grund gering.

Die Einfachheit des gesamten Werkes spiegelt sich auch im visuellen Stil wider. Gipi verzichtet komplett auf Farben und setzt auf eine minimalistische Strichführung. Der geschickte Einsatz von Schattierungen und Kontrasten vermittelt dennoch den Eindruck von Details. Allerdings sind diese Detailarbeiten meist auf die Figuren limitiert. Hintergründe und Szenerie sind sehr gering gehalten; in einigen Panels fehlen sie sogar vollständig. Dadurch wird automatisch der Fokus mehr auf Charaktere, deren Aktionen und Dialoge gelegt. In Kombination mit einer ausdrucksstarken Darstellung der Mimik erhält man als Leser dadurch das Gefühl, nahe an der Gefühlswelt der Söhne und anderen Figuren dran zu sein.

So faszinierend die gesamte Reise in diesem Graphic Novel auch ist, so unbefriedigend ist leider auch das Ende. Viele Fragen bleiben ungeklärt oder werden nur ansatzweise gelüftet. So bleibt es einem als Leser selbst überlassen, verschiedene Hinweise und Andeutungen zu interpretieren. Das ist jedoch nicht jedermanns Sache.

Abgesehen von diesem kleinen Makel liefert Gipi jedoch eine simple und doch tiefgehende Geschichte. Mit 288 Seiten ist die Graphic Novel dabei auch ein Band, der seine 30,00 EUR Anschaffungskosten wert ist. Und sei es nur aufgrund der wunderschönen Zeichnungen.

Die harten Fakten

  • Verlag: avant-verlag
  • Autor: Gipi
  • Zeichner: Gipi
  • Seitenanzahl: 288
  • Preis: 30,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Schneewittchen

Ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz. Dieser Wunsch ihrer Mutter führte zu Schneewittchens berühmter Schönheit. Einer Schönheit, die ihr jedoch zum Verhängnis werden würde. Denn der Neid der Stiefmutter sollte die junge Prinzessin zu einem Leben außerhalb des heimatlichen Schlosses bringen.

Die Handlung von Schneewittchen basiert auf dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm. Die beiden Linguisten begannen im Jahre 1812 mit gemeinsamen Veröffentlichungen, unter anderem auch einer Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen. Diese Sammlung von 86 Geschichten enthielt heute weltbekannte Werke wie Hänsel und Gretel und eben auch Schneewittchen. Unzählige Adaptionen, dabei natürlich auch der bekannte Zeichentrickfilm von Disney, sollten über die Jahrzehnte folgen.

Was lässt sich deswegen groß über eine Geschichte sagen, deren Handlung beinahe jedem Kind bekannt ist? Zum einen muss hier unter anderem die Umsetzung hervorgehoben werden. Denn der hierfür verantwortliche Autor Christophe Lylian hat dabei großartige Arbeit geleistet. Die Geschichte wird anhand einer Kombination aus Erzählung in Textboxen und Dialogen in Sprechblasen präsentiert. Gerade zu Beginn wird viel Augenmerk auf den Aufbau des märchenhaften Hintergrunds gelegt. Gleichzeitig spart Lylian jedoch auch nicht die grausigen Details der Handlung aus. Denn die ursprünglichen Varianten der Märchen sind deutlich brutaler, als es uns einige moderne Adaptionen glauben machen wollen. Zumindest kann ich mich nicht mehr daran erinnern, dass die Stiefmutter Leber und Lunge des Mädchens essen wollte. Damit bewegt sich Schneewittchen sehr nahe am Original.

Highlight der Graphic Novel ist jedoch definitiv die visuelle Gestaltung. Denn die Zeichnungen von Nathalie Vessillier und die Farben von Rozenn Grosjean verleihen diesem Werk erst den märchenhaften Charme. Schneewittchen nutzt einen Stil, den man hauptsächlich aus Bildbänden für Kinder kennt. Viele Formen und Gestalten sind sehr vereinfacht dargestellt. Auf den ersten Blick wirkt Schneewittchen von Splitter damit zunächst äußerst kindlich.

Erst mit genauerer Lektüre erkennt der Leser, wie viel Liebe zum Detail in der visuellen Gestaltung steckt. Denn trotz des simplen Stils wird sehr viel Wert auf den Aufbau einer märchenhaften Atmosphäre gelegt. Deutlich gemacht wird dies besonders durch die Farbgebung. Diese ist außerordentlich kräftig gehalten und dient in vielen Panels der zusätzlichen Untermalung der zu vermittelnden Atmosphäre.

Am deutlichsten wird dieser Kontrast, wenn man Szenerien von Schneewittchen mit denen der bösen Stiefmutter vergleicht. Während bei der jungen Prinzessin helle und freundliche Farben dominieren, werden bei ihrer Gegenspielerin dunkle und bedrohliche Farbtöne verwendet. Über die gesamte Graphic Novel wird dadurch eine magische Atmosphäre geschaffen, die den Leser mittels Bildern, Zeichnungen und Farben durch diese klassische Erzählung führt.

Somit bleibt mir nur eine klare Kaufempfehlung auszusprechen – wenngleich ich davon abraten würde, diese doch sehr düstere Adaption des Märchens einem Kind als Gute-Nacht-Geschichte zu geben. Da sollte man doch lieber zur Disney-Version greifen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Christophe Lylian
  • Zeichner: Nathalie Vessillier, Rozenn Grosjean
  • Seitenanzahl: 80
  • Preis: 18,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Der Magnet

Eine Badetherme ist nicht der Ort, den man normalerweise mit übernatürlichen Ereignissen in Verbindung bringt. Doch die Therme im schweizerischen Bergdorf Vals scheint eine Ausnahme zu sein. Ein düsteres Geheimnis scheint sich hinter den Mauern des Bauwerks zu verbergen. Ist das der Grund, warum der junge Architekturstudent Pierre eine unwiderstehliche Anziehung zu diesem Bauwerk empfindet? Oder stecken noch andere Kräfte dahinter?

Die Handlung von Der Magnet kann durchaus als ungewöhnlich bezeichnet werden. So war ich zugegeben zu Beginn skeptisch, als ich von der Ausgangssituation dieser Graphic Novel erfahren habe. Eine Obsession mit einem architektonischen Meisterwerk kombiniert mit Mystik? Kann das überhaupt funktionieren?

Es kann. Man begleitet als Leser Pierre vom Anfang seiner Reise nach Vals bis hin zu den seltsamen Entdeckungen in der Therme und der Umgebung. Da man nie mehr weiß als der Protagonist, fiebert man mit seinen Untersuchungen mit. Was hat es wirklich mit diesem Gebäude auf sich? Geschickt enthüllt die Handlung nach und nach mehr Andeutungen, was es mit den alten Legenden um diesen Ort auf sich hat. Dabei lebt Der Magnet von seiner subtilen Eskalation der Situation. Freunde klassischer Action werden hier nicht auf ihre Kosten kommen, da die Spannung sehr langsam aufgebaut wird, ehe sie gegen Ende der Handlung zu ihrem Höhepunkt findet.

Ebenso ungewöhnlich wie die Handlung ist auch der Zeichenstil. Harari setzt auf sehr minimalistische, beinahe skizzenartig wirkende Zeichnungen. Auch die eingesetzten Farben sind sehr gering gehalten. In den meisten Panels dominieren lediglich drei oder vier Farbtöne. Dennoch gelingt dem Künstler trotz der einfachen visuellen Gestaltung eine überzeugende Darstellung der Emotionen. Denn durch die Einfachheit der Strichführung ist Harari im Gegenzug sehr auf die Deutlichkeit der vermittelten Gefühle bedacht. In einem anderen Kontext hätte man dies vielleicht schon als Überzeichnung bezeichnet. Durch die Limitierung der Zeichnungen findet sich hier jedoch genau die richtige Balance.

Dass Der Magnet nicht die Bestnote erhält, liegt letztendlich an zwei Gründen. Zum einen ist hierbei der langsame Spannungsaufbau zu nennen. Trägt dieser zum Beginn der Geschichte noch zu einer mysteriösen Atmosphäre bei, wirkt er im letzten Drittel der Handlung stellenweise hinderlich. Besonders die Einführung des Charakters Ondine zögert den Höhepunkt hinaus und trägt für meine Einschätzung nicht zum Fortschritt der Handlung bei.

Zum anderen ist das Ende zu offen gehalten und als Leser bleiben zu viele Fragen unbeantwortet. Es wird zwar deutlich, dass das durchaus die Absicht des Autors gewesen ist, um die Phantasie des Lesers anzuregen. Doch zumindest die Beantwortung einiger Fragen hätte geholfen, der ungewöhnlichen Handlung einen deutlicheren Abschluss zu geben.

Letztendlich lässt sich jedoch sagen, dass Der Magnet trotz (oder vielleicht gerade aufgrund?) seiner ungewöhnlichen Handlung eine faszinierende Lektüre ist. Der Zeichenstil ist zu Beginn zwar etwas gewöhnungsbedürftig; jedoch entwickelt er schon bald seinen eigenen Charme. Somit konnte ich Der Magnet bald nicht mehr aus der Hand legen. Und ein besseres Kompliment gibt es für eine Graphic Novel eigentlich nicht.

Die harten Fakten

  • Verlag: Edition Moderne
  • Autor: Lucas Harari
  • Zeichner: Lucas Harari
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 32,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Black Hammer: Sherlock Frankenstein & die Legion des Teufels

Die ersten beiden Bände von Jeff Lemires Superhelden-Serie Black Hammer konnten bei uns jeweils die Bestnote einsammeln. Black Hammer: Sherlock Frankenstein & die Legion des Teufels ist nun der erste Ableger dieses Universums, der eine Handlung außerhalb der Hauptgeschichte erzählt. Weiß er ebenso zu überzeugen?

Die Geschichte setzt zu einem Zeitpunkt vor dem Ende des ersten Bandes von Black Hammer ein. Der Leser folgt Lucy Weber, der Tochter des titelgebenden Helden, auf der Suche nach Antworten zum Verbleib ihres Vaters. Im Laufe ihrer Ermittlungen erfährt die junge Frau, dass ausgerechnet einer der größten Schurken der Welt ihr diese liefern könnte – Sherlock Frankenstein.

Unglücklicherweise wurde dieser schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Also begibt sich Lucy auf Spurensuche. Im Laufe dieser begegnen ihr jedoch noch einige weitere Gefahren, denn wer könnte am besten Information über den Aufenthaltsort eines Superschurken haben? Ganz genau: Andere Superschurken.

Sherlock Frankenstein & die Legion des Teufels erweitert das Black Hammer Universum um die Hintergründe einiger Bösewichter und weiterer Charaktere, die in der Hauptlinie nur am Rande vorkommen. Wie diese sprüht dieser Band aber nur so vor Anspielungen an das goldene Zeitalter von Comics und von Popkultur. So gibt es beispielsweise einen Schurken namens Cthu-Lou, der als Diener eines alten Gottes fungiert und den Kopf eines Tintenfisches hat. Lovecraft lässt grüßen. Doch auch Anspielungen an bekannte Superhelden sind immer wieder zu finden, wie beispielsweise Wingman (Hawkman), Doc Steele (Superman), Crimson Mist (Batman) und Tazara (Wonder Woman). All diese Liebeserklärungen an Comics der alten Schule lassen das Herz von Fans klassischer Superhelden höher schlagen.

Ebenso behält Lemire in diesem Band seine Stärke bei der Ausarbeitung von Charakteren bei. Da Lucy im Laufe ihrer Ermittlungen teilweise intensiven Kontakt zu ehemaligen Feinden ihres Vaters hat, erfährt sie von deren oftmals schicksalhaften Momenten im Leben. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Hingabe zum Detail Lemire seinen Figuren Persönlichkeit einverleibt – seine Schurken sind dabei keine Ausnahme.

Die Zeichnungen dieses Bandes werden diesmal nicht von Dean Ormston, sondern von David Rubin vorgenommen. Wenngleich von hoher Qualität, so merkt man den Unterschied. Zudem hat man teilweise den Eindruck, dass der verwendete Zeichenstil zwischen den Kapiteln wechselt. Das führt leider stellenweise zu einem Bruch im Lesefluss.

Insgesamt liefert Black Hammer: Sherlock Frankenstein & die Legion des Teufels eine kurzweilige Geschichte, die besonders durch die starken Charaktere punkten kann. Jedoch fehlen die emotionalen Höhepunkte der Hauptgeschichte, wodurch dieser Ableger nicht so markant in Erinnerung bleibt. Dennoch: Auch dieser Abstecher in die Welt von Black Hammer ist es wert, gelesen zu werden. Und er verkürzt die Wartezeit auf den dritten Band.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Jeff Lemire
  • Zeichner: David Rubin
  • Seitenanzahl: 152
  • Preis: 19,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit des Monats

Ob Adaption oder originelle Geschichte: Alle Graphic Novels dieser Ausgabe von Durchgeblättert konnten auf ihre eigene Art überzeugen. Die Welt der Söhne und Schneewittchen gelang dies besonders durch ihre visuelle Gestaltung. Bei Der Magnet und Black Hammer: Sherlock Frankenstein & die Legion des Teufels waren es dagegen Handlung und Charaktere, die überzeugen konnten.

Die nächste Ausgabe von Durchgeblättert steht ganz im Zeichen von Fortsetzungen – beispielsweise in der dystopischen Welt von Extremity oder anhand der Abenteuer von Lady Mechanika. Bis dahin wünschen wir wie üblich: „Frohes Lesen!“.

Artikelbilder: Splitter, avant-verlag, Edition Moderne
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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