Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Der ero-guro Manga (zusammengesetzt aus erotic und grotesque – bei dem u. a.  Sadomasochismus und Verstümmelung thematisiert wird) MPD Psycho, was für Multiple Personality Disorder aber auch für Multiple Personality Detective steht, wurde 1997-2016 in Japan veröffentlicht. 2022 brachte Carlsen/Hayabusa den Titel nach Deutschland. Wir schauen uns den ersten Band genauer an.

Der Manga von Ôtsuka Eiji (ehemaliger Chefredakteur des Magazins Manga Burikko in den 80ern) und Tajima Shôu, der am Design der Anime-Sequenzen von Kill Bill beteiligt war, schockiert und fasziniert seine Leser*innen auch noch nach 26 Jahren. In 12 Bänden begleiten die Leser*innen einen Ermittler mit einer dissoziativen Identitätsstörung, der versucht, in Tokio Mordserien aufzuklären.   

Triggerwarnungen

Explizite und extreme Gewalt, psychische Störung, Kinder in Gefahr, Selbstmord

[Einklappen]

Handlung

Band 1 von MPD Psycho beginnt mit der Einführung des Hauptprotagonisten. Einer der Hauptcharaktere ist ein tokioter Polizist namens Kobayashi Yosuke, der auf den ersten Seiten zu einer Gefängnisstrafe wegen beruflicher Fahrlässigkeit mit Todesfolge verurteilt wird. Dabei teilt er dem Gericht mit, dass er tatsächlich Amamiya Kazuhiko sei, nicht Kobayashi. In einer Rückblende sehen die Leser*innen Kobayashi, der an einem Mordfall arbeitet. Der Mörder liefert ihm eines Tages eine große Box, in dem sich seine zerteilte, aber noch lebende Freundin befindet. Zurück in der Gegenwart wird Amamiya von einer Frau namens Isono Machi besucht. Ihre Aufgabe ist es, Täterprofile in verschiedenen Fällen zu erstellen. Diese gibt sie an den unfähigen Ermittler Sasayama weiter. Der freiberufliche Journalist namens Toguchi, den die Leser*innen ebenfalls gleich zu Beginn kennenlernen, ist im Besitz eines Videobands, auf dem die „Geburt“ von Amamiya und das Verbrechen, für das er eingesperrt wurde, zu sehen sein sollen. Das Band zeigt, wie Amamiya den Mörder aufspürt und ihn anschließend erschießt. An dieser Stelle wird ersichtlich, dass es sich hier um mindestens drei Persönlichkeiten handelt – Kobayashi, Amamiya und derjenige, der den Abzug betätigt hat, Nishizono Shinji.

Machi bietet Amamiya einen Job in ihrem privaten kriminologischen Forschungsunternehmen an, als er aus dem Gefängnis entlassen wird. Hier beginnt nun die eigentliche Geschichte:

Ein Mörder, den Machi mit Amamiyas Hilfe analysiert hat, entpuppt sich als weibliche Kannibalin. Als die Polizei sie aufgreift, begeht sie Selbstmord, indem sie sich mit einem Rasiermesser, das sie in ihrem Mund versteckt hatte, die Kehle aufschlitzt. Toguchi ist dabei, es zu filmen und kommt nah genug heran, um unter ihr linkes Augenlid zu schauen. Dort entdeckt er einen Barcode, der zum zentralen Rätsel des Manga wird. Während der Ermittlungen tauchen weitere verstörende und mysteriöse Elemente auf, die auf eine tiefere Verschwörung und ein Netzwerk von Serienmorden hinweisen. Amamiya muss sich mit seiner eigenen Psyche auseinandersetzen, während er versucht, das Rätsel hinter den Verbrechen zu lösen.

Charaktere

Kobayashi Yosuke ist ein Polizist, der an einem Serienmordfall arbeitet. Während er dem Mörder auf der Spur ist, der seine Opfer durch das Abtrennen von Gliedmaßen verstümmelt, wird seine Freundin von eben diesem verletzt. Nachdem Kobayashi den Mörder aufgespürt hat, taucht Nishizono Shinji, ein arroganter und gefühlloser Psychopath, auf und erschießt den Mörder. Diese Persönlichkeit verschwindet schnell wieder und wird durch Amamiya Kazuhiko, einen kühlen und seriösen Kriminologen, ersetzt. Amamiya wird daraufhin verhaftet und für den Mord an dem Serienmörder ins Gefängnis gesteckt. Im Laufe der Geschichte wechseln die Persönlichkeiten Amamiya und Nishizono hin und her, wobei Shinjis Persönlichkeit in der Regel erst nach einem traumatischen Ereignis oder wenn der Körper in Gefahr ist, zum Vorschein kommt. Für die Leser*innen ist in der Regel klar, welche Persönlichkeit gerade die Kontrolle hat, da Amamiya kurzsichtig ist und eine Brille trägt, während Nishizono keine Brille benötigt.

Isono Machi ist forensische Ermittlerin, die eng mit Amamiya zusammenarbeitet. Sie ist intelligent, sachlich und hat eine tiefe Neugier für die Psyche von Verbrechern. Machi versucht, Amamiya zu verstehen und ihm zu helfen, während sie gleichzeitig ihre eigenen Geheimnisse hat. Allerdings wird die Tatsache, dass hin und wieder ein Persönlichkeitswechsel stattfindet, von ihr weitestgehend unkommentiert gelassen. Ihre jüngere Schwester Isono Miwa ist ein Schulmädchen mit einer starken Persönlichkeit, die sich auch gern mal in einem Schlagabtausch mit Amamiya befindet. Gelegentlich hilft sie ihm und Machi bei ihren Fällen.

Zeichenstil und Erscheinungsbild

Der Zeichenstil in MPD Psycho ist sehr sauber und recht realistisch. Dadurch und durch den sparsamen Einsatz von Schattierungen erscheint der Manga statisch. Durch den starken Kontrast wird Tiefe und Dramatik erzeugt. Ausnahmen bilden detaillierte Illustrationen beim Beginn eines neuen Kapitels. Auch die Mordszenen und die Darstellungen der Leichen ist sorgfältig und intensiv gezeichnet. Die Körper werden in einer realistischen anatomischen Darstellung gezeichnet, was zur Intensität der Szenen beiträgt, und die visuelle Wirkung verstärkt. Zwar gibt es auch sehr viel nackte Haut, was aber nicht in eine sexuelle Richtung geht. Es gibt selten Hintergründe und close-ups von Gesichtern, was den Leser*innen eine gewisse Distanz zu den schrecklichen Geschehnissen im Manga ermöglicht und zur düsteren und verstörenden Atmosphäre beiträgt. Der Manga enthält häufig explizite Darstellungen von Gewalt, Blut und Grausamkeit. Diese Darstellungen dienen dazu, die düstere Natur der Handlung zu unterstreichen und womöglich auch um das Unbehagen der Leser*innen zu verstärken.

Gewaltdarstellungen in Pop-Kultur: der Otaku-Mörder

Im Jahr 2008 wurde der schockierende Fall eines Mannes namens Miyazaki bekannt, ein Serienmörder und Kannibale, der angeblich von dem Manga MPD Psycho beeinflusst wurde. Es wird berichtet, dass Miyazaki das Werk erwähnte und einige Parallelen zwischen seinen Verbrechen und den Inhalten des Mangas zog. Miyazaki beging zwischen 1988 und 1989 mehrere grausame Morde an Kindern. Er entführte und tötete Mädchen im Alter von vier bis sieben Jahren in seinem Auto, bevor er sie zerstückelte und ihre Leichen missbrauchte. Er betrieb auch Kannibalismus und bewahrte Körperteile als Trophäen auf. Während der Ermittlungen stellte sich heraus, dass Miyazaki fasziniert war von Gewalt und Horrorliteratur und im Besitz von zahlreichen Manga, Anime und Pornos war. Das bei der Durchsuchung von Miyazakis Wohnung gefundene Material, bestehend aus Mangas und Filmen, stieß bei einigen auf Kritik. Ôtsuka Eiji äußerte sich ebenfalls und behauptete, dass ein Fotograf Pornosammlungen hinzugefügt haben soll, um auf die Perversion der Tat aufmerksam zu machen.

Bei Miyazaki wurden eine oder mehrere Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert, aber die Behörden stellten fest, dass er zurechnungsfähig und sich seiner Verbrechen und deren Folgen bewusst war. Miyazaki wurde 1997 zum Tode verurteilt und im Jahr 2008 hingerichtet [Galbraith, Patrick W. (2019): Otaku and the Struggle for Imagination in Japan. Duke University Press].

Infolge solcher tragischen Vorfälle kam es in Japan und anderen Ländern zu Diskussionen über die Rolle von Gewalt in den Medien und deren potenziellen Einfluss auf empfindliche oder labile Individuen. Es ist jedoch wichtig, solche Fälle im Kontext der individuellen psychologischen und sozialen Umstände zu betrachten und nicht zu verallgemeinern oder eine ganze Kunstform oder ein Medium dafür verantwortlich zu machen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Carlsen Mang/Hayabusa
  • Autor: Ôtsuka Eiji
  • Zeichner: Tajima Shôu
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover 210mm (Höhe) x 146mm (Breite)
  • Seitenanzahl: 368
  • Preis: 20 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

MPD Psycho ist herausfordernd. Nicht nur aufgrund der expliziten Gewaltdarstellungen, sondern auch aufgrund der wechselnden Persönlichkeiten des Hauptcharakters. Als Leser*in muss man aufmerksam die Panels verfolgen, um zu wissen, welcher der Persönlichkeiten den Körper in dem Moment kontrolliert. Sobald aber die charakterlichen Eigenheiten der Persönlichkeiten sichtbar werden, ist es einfacher, sie auseinander zu halten.

Bereits der erste Band lässt die Leser*innen mit vielen offenen Fragen und dem starken Bedürfnis zurück, sofort weiterlesen zu wollen. Da der erste Band die Handlung einleitet, sind den Leser*innen einige Zusammenhänge noch nicht bekannt und nach Abschluss sind viele Stränge offen, die es in den elf Folgebänden zu schließen gilt.

Niemand ist in dem Manga sicher, weder Kinder noch der Protagonist selbst. Dies erhöht die Spannung beträchtlich, verursacht womöglich auch leichtes Unbehagen. Die Atmosphäre im Manga ist keineswegs durchgehend angespannt und unbehaglich, denn Ôtsuka sorgt mit der Figur des Sasayama für etwas Komik in dieser düsteren Welt. Auch die Dynamik zwischen Amamiya und Miwa könnte ein kleines Schmunzeln bei den Leser*innen auslösen.

Ein kleiner Kritikpunkt ist der fehlende Umgang mit der Persönlichkeitsstörung. Alle Charaktere, die mit Amamiya interagieren, akzeptieren das und der Umstand, dass er die Persönlichkeit wechselt, wird einfach hingenommen, solange er hilfreich ist beim Auflösen der Mordfälle. Natürlich handelt es sich vorliegend um den ersten Band und es ist offen, wie dies sich in den darauffolgenden Bänden verhält.  

MPD Psycho ist sehr empfehlenswert, wenn man mit dem gewaltvollen Inhalt umgehen kann. Nicht umsonst ist der Manga nur ab 18 Jahren erhältlich.

 

  • Spannende Handlung
  • Unerwartete Wendungen
  • Sauberer, übersichtlicher Zeichenstil
 

  • Mangelnde Thematisierung der Identitätsstörung

 

Artikelbilder: Carlsen
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Denise Hollas

Dieses Produkt wurde kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Dieser Artikel enthält Affiliate-Links. Durch einen Einkauf bei unseren Partnern unterstützt ihr Teilzeithelden, euer Preis steigt dadurch nicht.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein