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Erstens kommt es anderes, zweitens als man denkt. Mit diesen Worten lässt sich der Roman Schwingen aus Stein von Ju Honisch wohl am besten beschreiben. Männer, die nicht sind, was sie zu sein scheinen, Frauen, die mehr sind, als sie denken, und Kinder, die anders sind, als alle erwarten.

Der Klappentext von Schwingen aus Stein liest sich nicht wie der eines typischen Fantasy-Romans. Tatsächlich ist dieser Roman schwer in ein Genre einzuordnen, enthält er doch sowohl klassische Elemente der Fantasy, wie Magie, als auch historisch korrekte Fakten. Magier, geheime Logen, entführte Jungfrauen, düstere Bordelle, mutige Gouvernanten, unfreiwillige Helden, fanatische Mönche und ein Trieb des Animalischen, und dies alles im Bayern des Jahres 1867, sind der Grundstein einer prinzipiell spannenden Geschichte.

Story

Versucht man die Geschichte in ihre Protagonisten-Teams einzuteilen, so scheitert man unweigerlich an der großzügigen Durchmischung während der Geschichte. Im Groben gibt es fünf Parteien bzw. Teams, deren Wege untrennbar miteinander verbunden sind. Zum einen gibt es die Gouvernante Konstanze Vanholst mit ihrer Schutzbefohlenen Clarissa Thernow, dann den Meister des Arkanen Mr. Douglas Sutton und seinen Akolythen Ian McMullen, den Gutsherren Richard von Rosberg, die fanatischen Mönche Pater Bonifatius, Bruder Anselm und Bruder Marcus, und zum Schluss den geheimnisvollen Rabenmann Karreg.

Alles beginnt mit dem Auffinden eines alten Briefs in der Loge des Arkanen. Die Magier wussten nicht einmal, dass ihnen drei mächtige Bücher abhanden gekommen sind, und dies bereits seit über 100 Jahren. Um sie wiederzubeschaffen, schickt die Loge ihre zwei ungeduldigsten Magier auf die Suche – Mr. Sutton, den jüngsten Meister des Arkanen, und seinen Akolythen Ian McMullen. Wobei die Bezeichnung Magier auf Ian noch nicht zutrifft. Als Primaner der Loge ist er noch nicht in der Lage Magie zu wirken, sein Talent Magie zu spüren ist jedoch außergewöhnlich groß.

Die junge Gouvernante Konstanze Vanholst weiß, dass es ein Fehler war, das Dampfschiff zu betreten. Aber was hätte sie tun sollen? Der Onkel ihrer Schülerin Clarissa will das Mädchen töten lassen. Aber Clarissa ist nicht verrückt, nein! Manchmal schweifen ihre Gedanken ab, ja, aber deswegen ist sie noch lange nicht verrückt. Niemals wird Konstanze zulassen, dass Clarissa wegen ihres Erbes ermordet wird. Aus diesem Grund befindet sie sich auf dem Dampfschiff auf dem Weg nach Passau. Clarissas Tante in München kann das Mädchen bestimmt verstecken. Da ist sie sicher. Bestimmt.

Richard von Rosberg kann sich nicht erklären, warum er der Frau und dem Mädchen zur Hilfe kam, als sie auf dem Dampfschiff von diesem Widerling von einem Mann bedrängt wurden. Es geht ihn wirklich nichts an. Dennoch, die beiden haben etwas an sich, das ihn nicht loslässt. Als die Frau und das Mädchen kurz vor der Anlegestelle aber zu dem Widerling in das Schmugglerboot steigen, hat er andere Sorgen. Die drei Männer in Kutten, die am Steg warten, sehen nicht so aus, als wolle er ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Pater Bonifatius ist schlecht gelaunt. Die Frau und das Mädchen waren nicht auf dem Dampfschiff. Ob sie einen anderen Weg nach München genommen haben? Und wer war dieser Mann auf dem Schiff? Seine Aura war außergewöhnlich. Bruder Anselm soll der Sache einmal auf den Grund gehen; wir müssen das Mädchen finden!

Der aufmerksame Leser stellt bereits fest, dass alle Teams unbewusst eine Verbindung zueinander zu haben scheinen. Irgendwann kommt, was kommen muss: Es entstehen zwei Lager, die Guten und die Bösen. Die Zusammenführung der Charaktere geschieht allerdings natürlich und wirkt nur in Ausnahmesituationen etwas gewollt. In jedem Fall gewinnt die Geschichte zunehmend an Vielfalt. Die im Großen und Ganzen glaubwürdigen Charaktere tun dafür ihr Übriges. Im Laufe der Geschichte rücken ihre eigentlichen Motivationen für den Beginn ihrer Reise allerdings in den Hintergrund. Diese wirken, als würden sie recht stiefmütterlich behandelt werden, sodass man sich als Leser denkt, sie seien lediglich ein Mittel zum Zweck gewesen, eine Antwort auf die Frage: Wie bekomme ich all meine Protagonisten zusammen?

Für etwas Verwirrung beim Leser sorgen ebenfalls Ian McMullens häufige Anspielungen auf ein früheres, gravierendes Ereignis. Man kommt nicht um die Frage herum: Gab es einen ersten Teil? Habe ich mit dem falschen Buch angefangen? Ab etwa der Hälfte des Romans verschwinden diese Anspielungen jedoch gänzlich. Ihre Bedeutung lässt sich nur erahnen. Besonders positiv hingegen fallen die Anspielungen und die Nutzung echter deutscher Geschichte sowie gesamtweltlicher Mythologie auf. Generell spielt der Roman in unserer Welt. Hexenverfolgung, preußisches Reich, Königreich Bayern, alles ist vorhanden. Alles und noch mehr, denn diese unsere Welt im 19. Jahrhundert besitzt Magie. Alles in allem ist der Roman düster, jedoch nicht beklemmend.

Der Roman verfolgt den klaren Leitsatz: Der Weg ist das Ziel. Über 550 Seiten baut sich die Geschichte auf, um auf nur 50 Seiten abgeschlossen zu werden. Doch obwohl das Ende etwas abrupt in seinen Ergebnissen zu sein scheint, ist der Weg interessant und spannend zu lesen. Besonders schön sind die teilweise ausschweifenden Dialoge, die den Leser aktiv an der Geschichte teilhaben lassen. In Kombination mit der Tatsache, dass ein Roman wirklich einmal 600 Seiten benötigt, um gerade einmal drei Tage zu erzählen, ist es generell eine sehr lebhafte Geschichte.

Schreibstil

Ju Honisch bedient sich einer für die Zeit des Romans absolut passenden Sprache. Bereits auf der ersten Seite wird der Leser durch die Wortwahl und die geschriebene Satzmelodie in der Zeit zurückgeführt. Dabei wirkt es nie gezwungen, sondern auf eine Art und Weise natürlich, als würde die Autorin wirklich Personen aus dem 19. Jahrhundert sprechen lassen. Selbst die beschreibenden Teile harmonieren im Gesamtbild der Sprache, die einen flüssigen Lesefluss ermöglicht, mit dem Gefühl, in einer anderen Zeit zu sein.

Die Erzählperspektive wechselt zwischen den einzelnen Protagonisten. Da dies in der Regel aber immer durch ein eigenes Kapitel umgesetzt wird, stört es nicht den Lesefluss. Ganz im Gegenteil, es bereichert den Leser und gibt der Geschichte mehr Tiefe. Diese wird auch benötigt, um die einzelnen Zusammenhänge überhaupt begreifen zu können.

Der Autor

Ju Honisch, eigentlich Juliane Honisch, wurde am 22. Februar 1956 in Berlin geboren. Aufgewachsen ist sie allerdings in München, wo sie auch Anglistik und Geschichte studierte. 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman Das Obsidianherz, welcher 2009 den Deutschen Phantastik Preis erhielt. Seitdem hat sie fünf weitere Romane veröffentlicht, wobei Schwingen aus Stein (2013) ihr fünfter ist. Im März 2014 wurde er sogar mit dem Seraph in der Kategorie „Bester Roman“ ausgezeichnet. Ihr neustes Werk ist Seelenspalter, der 2017 bei Droemer Knaur erschienen ist.

Neben Romanen verfasst Ju Honisch Kurzgeschichten, z. B. 90-60-90 in Der Arsch auf dem Sessel (Böse Chef Geschichten) von Margit Schönberger (2008). Außerdem gehören auch Lieder und Gedichte zu ihrem Repertoire.

Als Kurzzusammenfassung ihres Schreibstils schreibt sie selbst auf ihrer Homepage:

Ich mag es spannend. Ich mag es schwarzhumorig. And what I like is what you get.

Erscheinungsbild

Lange Zeit habe ich den Roman aufgrund seines wirklich schlechten Covers nicht angerührt. Wobei dies nicht ganz stimmt. Es war nicht das Cover im Allgemeinen, das mir jegliche Lust auf diesen Roman nahm, es war die furchtbar schlechte Bildqualität des Schriftzugs. Die Wörter „Schwingen aus“ sehen aus, als seien sie einfach groß gezogen worden, ohne Rücksicht auf die Auflösung. In Verbindung mit dem sehr tristen, beinahe trostlosen Buchrücken wirkt es nicht zum Lesen einladend. Bei genauerem Hinsehen ist zumindest das Coverbild an sich inhaltlich passend – Raben und Steine. Den aufsteigenden Raben im Hintergrund, der mit etwas Phantasie einen schwarzen Umhang trägt, finde ich sogar sehr gelungen. Dennoch: Solch ein grob fahrlässiger Fehler wie beim Schriftzug auf dem Cover sollte einem professionellen Verlag nicht passieren.

Für etwas Verwirrung sorgte ebenfalls die nicht nachvollziehbare Schreibweise des ersten Satzes eines jeden neuen Kapitels. Hier werden Teile der ersten Zeile in Versalien geschrieben. Nach welchem Schema, ist jedoch nicht ersichtlich. Selbst wenn die erste Zeile aus einem einzigen Satz besteht, werden nur Teile dieses Satzes in Versalien gesetzt. Zusätzlich dazu wird der erste Buchstabe der ersten Zeile als übergroße Versalie geschrieben, die hierbei über drei Zeilen reicht. Meiner Meinung nach hätte dies für die Eröffnung eines Kapitels vollkommen ausgereicht.

Nett anzusehen, jedoch auch etwas düster, sind die Kapitel-Nummerierungen. Die Schriftart ist einer mit einer Feder geschriebenen Handschrift nachempfunden. Eine geschwungene Linie unterteilt die Überschrift in zwei Bereiche. Links oben steht „Kapitel“, rechts unten die Zahl des jeweiligen Kapitels.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Feder & Schwert
  • Autor: Ju Honisch
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 608
  • ISBN: 978-3-86762-170-0
  • Preis: 14,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Am Ende des Romans ist ein kurzes, dreiseitiges Glossar vorhanden, das eine Erklärung zu den wichtigsten geschichtlichen Andeutungen gibt und ebenfalls eine Übersetzung der relevanten französischen und lateinischen Begriffe liefert. Erstaunlicherweise gibt es weder ein Nachwort, noch eine Danksagung.

Eine Leseprobe findet man bei Amazon, beim Blick ins Buch.

Fazit

Der Roman ist eine Verbeugung vor der Macht des Schicksals – Fremde werden Freunde, Wege führen zusammen, und ohne es zu wissen dient alles einem gemeinsamen Ziel. Ju Honisch erschafft mit Schwingen aus Stein einen Roman, der es durchaus wert ist, gelesen zu werden. Die Geschichte ist spannend, jedoch an einigen Stellen auch etwas verwirrend. So fragt man sich als Leser immer mal wieder, ob es einen ersten Band gibt, den man nicht gelesen hat, wegen der vielen Anspielungen auf frühere Ereignisse. Dennoch sind letztlich alle Wege in sich schlüssig.

Besonders positiv an diesem Roman hervorzuheben ist die Gestaltung der Sprache. Ju Honisch lässt ihre Charaktere sprechen, als wäre sie selbst im 19. Jahrhundert gewesen. Selbst die beschreibenden Ausführungen sind perfekt in der Sprache der Zeit gehalten. Dabei wirkt die Ausdrucksweise vollkommen natürlich und erzeugt einen angenehmen Lesefluss, der den Leser eine Zeitreise antreten lässt. Passend dazu strahlt der Roman eine eher düstere Grundstimmung aus, wirkt dabei jedoch nicht beklemmend.

Das Ende von Schwingen aus Stein erscheint etwas abrupt in seinen Ereignissen. Die Autorin scheint den Leitsatz zu vertreten, dass der Weg das Ziel ist, und die anfänglichen Motive der einzelnen Charaktere wirken teilweise wie ein Mittel zum Zweck. Trotz dieser Gründe, und trotz des furchtbar unprofessionellen Coverbilds, kann ich den Roman weiterempfehlen.

 

Artikelbild: Feder & Schwert
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

  1. tatsächlich findet sich zumindest ian auch in vorhergehenden Romanen wieder, bspw salztraeume und jenseits des Karussell s

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