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Zwischen Erde und Mars herrscht ein kalter Krieg, den nur interkultureller Austausch und diplomatische Kommunikation beenden könnten. Eine Gruppe von Jugendlichen wird zu Grenzgängern zwischen den Fronten und muss sich für eine der beiden Gesellschaften entscheiden. Der erste Roman der chinesischen Starautorin Hao Jingfang behandelt klassische Fragen sozialer Science-Fiction.

Nach Cixin Liu betritt mit Hao Jingfang eine weitere Größe chinesischer Science-Fiction die Bühne. Ihr erster Roman Wandernde Himmel spürt den sozialen Strukturen internationaler Konflikte nach und begleitet eine Gruppe Jugendlicher beim Grenzgang zwischen zwei gegensätzlichen Welten.

Handlung & Charaktere

Nach einem erbitterten Unabhängigkeitskrieg ist der Konflikt zwischen der Erde und ihrer einzigen Marskolonie beigelegt, doch die gewaltgeprägte Vergangenheit belastet das diplomatische Verhältnis. Um die Verständigung zwischen den Völkern aufrechtzuerhalten, entsendet der Mars eine Gruppe von Jugendlichen auf die Erde, damit sie ein Verständnis für deren extrem individualistische Gesellschaftsstruktur entwickeln. Doch als sie als junge Erwachsene, unter denen sich auch Luoying, die Enkelin des Generalgouverneurs, befindet, auf den roten Planeten zurückkehren, befeuern sie vor allem das Misstrauen gegen das eigene System. Ausgerechnet jetzt kommt Luoying einem dunklen Geheimnis ihrer Familie auf die Spur …

Ebenso unvoreingenommen wie gründlich vergleicht Autorin Hao Jingfang zwei gegensätzliche Welten, die durchaus Assoziationen mit dem westlichen Spätkapitalismus und dem sozialistischen China wecken, und beschreibt die Schwierigkeit, zwischen diesen beiden in je eigener Weise ideologisch geprägten Gesellschaftsformen zu stehen. Dabei ergibt sich dank der vielfältigen Figuren ein sehr differenziertes Bild von Erwartungen, Hoffnungen und Enttäuschungen, die junge Menschen erleben, wenn sie sich in eine bestehende Gesellschaft eingliedern sollen. Aber auch unabhängig von der ohnehin nur eingeschränkt möglichen allegorischen Lesart entfaltet sich ein nachdenkliches Panorama des Zusammenspiels von Gesellschaftsform, räumlichen Gegebenheiten und künstlerischem Schaffen. Allerdings sorgt die Ausführlichkeit, mit der die einzelnen Charaktere in ihrer jeweiligen Selbstfindung begleitet werden, gelegentlich für Längen.

Schreibstil

Während der Roman in keiner Weise schwer zu lesen ist und auch die relativ große Anzahl verschiedener Figuren hervorragend unterschieden wird, erweckt das Springen zwischen den verschiedenen Perspektiven mitunter den Eindruck der Ziellosigkeit. Zudem ist er durchsetzt mit Zitaten von Künstlern und Philosophen, welche verschiedenen Figuren in den Mund gelegt werden, um ihre Positionen und Einstellungen zu verdeutlichen, was alles andere als voraussetzungsarm ist.

Die Übersetzung aus dem Chinesischen lässt Jingfangs blumig-eleganten Stil erahnen, wirkt aber gelegentlich etwas gestelzt. Insbesondere die Beschreibungen der Marsschauplätze, ob von einer Glaskuppel geschützte Stadt oder menschenfeindliches Gebirge, glänzen und stellen die Dialogszenen bei Weitem in den Schatten.

Allgemeines zum Buch

Hao Jingfang ist gegenwärtig die führende Science-Fiction-Autorin Chinas. Die studierte Physikerin gewann 2016 für ihre Erzählung Folding Beijing den Hugo-Award. Neben der schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet sie hauptberuflich für den Thinktank China Development Research Foundation. Mit der Arbeit an Wandernde Himmel begann sie 2007, lehnt die Bezeichnung professionelle Schriftstellerin aber bis heute ab.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Rowohlt
  • Autorin: Hao Jingfang
  • Erscheinungsdatum: 25. September 2018
  • Sprache: Deutsch (aus dem Chinesischen übersetzt von Marc Hermann)
  • Format: Broschiert
  • Seitenanzahl: 752
  • ISBN: 978-3-4992-7418-3
  • Preis: 16,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Wandernde Himmel ist zu voraussetzungsreich für einen reinen Unterhaltungsroman, aber aufgrund der behutsamen Überlegungen zu zeitgenössischen Themen wie interkulturellem Austausch und gesellschaftlicher Vorprägung sehr empfehlenswert. Wer einen langen Atem mitbringt und bereit ist, sich auf die komplexe Gesamtsituation hinter den Charakteren einzulassen, wird mit einer tiefen Gedankenwelt belohnt, die zwar gelegentlich abschweift, aber in ihrer Weigerung, sich festzulegen, schließlich doch als klares Plädoyer für das Zwischen, das Unentschieden, einen ewigen Grenzgang hervortritt.

 

Artikelbild: Rowohlt, Bearbeitung: Melanie Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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