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Das Spiel beginnt und der Hauptcharakter ist bereits gestorben. In Arise: A Simple Story reisen wir durch die Erinnerungen eines alten Mannes und erleben seine Geschichte voller Liebe, Verlust und Trauer. Kann uns der Puzzle-Plattformer von Piccolo Studio überzeugen oder ist die Story zu simpel für unseren Geschmack?

Unser Leben ist vorbei. Umgeben von Trauernden liegen wir aufgebahrt auf einem Scheiterhaufen. Einer der Anwesenden entzündet das Feuer und die Flammen steigen um uns auf. Dann ein weißes Licht und wir wachen an einem anderen Ort auf – und die Reise beginnt.

Der Hauptcharakter findet sich in einer mysteriösen Schneelandschaft wieder.
Der Hauptcharakter findet sich in einer mysteriösen Schneelandschaft wieder.

In Arise: A Simple Story ist unser Hauptcharakter bereits gestorben. Wir begleiten ihn auf der letzten Reise durch sein vergangenes Leben. Das Spiel erzählt eine Geschichte von Verlust und Trauer und bedient sich dabei verschiedener metaphorischer Hilfsmittel. Titel wie Spiritfarer und The Last of Us Part II haben bereits bewiesen, dass das Medium Videospiel gleichzeitig Spaß machen und zum Nachdenken anregen kann. Schöpft Arise: A Simple Story das Storytelling-Potential eines Videospiels aus oder bleibt es hinter seinen Möglichkeiten?

Hübsche Welten

Das Leben des Hauptcharakters ist in Kapitel eingeteilt, die jeweils unterschiedliche Lebensphasen beleuchten. In jedem Kapitel tauchen wir in eine Fantasiewelt ein, welche die Umgebung, aber auch die Stimmung der jeweiligen Lebensphase einfängt.

Anfangs ist die Welt noch in Ordnung.
Anfangs ist die Welt noch in Ordnung.

Zu Beginn sind die Welten einigermaßen realistisch, sei es eine karge, verschneite Landschaft oder der Wald im Frühling, allerdings stets so auf die Spitze getrieben, dass die Geschichte entsprechend unterstützt wird. Beispielsweise ist die Welt im zweiten Kapitel so groß, dass wir auf Sonnenblumen laufen und auf Schnecken reiten können, was den Eindruck verstärkt, dass wir aus Kinderaugen auf die Welt blicken. Im Laufe des Spiels tauchen wir jedoch vermehrt in metaphorische Welten ein, die keinen echten Ort aus der Geschichte des Hauptcharakters widerspiegeln.

Die Interaktion des Hauptcharakters mit den Statuen erzeugt emotionale Momente.
Die Interaktion des Hauptcharakters mit den Statuen erzeugt emotionale Momente.

In den Welten verteilt sind Steinstatuen von dem Hauptcharakter in der jeweiligen Lebensphase und den Charakteren, denen er begegnet. Anhand dieser Statuen wird die Geschichte erzählt: Zu Beginn finden wir den Hauptcharakter als kleinen Jungen, einsam und allein, doch im Laufe des ersten Kapitels trifft er auf ein Mädchen und freundet sich mit ihm an. Im folgenden Kapitel erfahren wir dann die schöne, gemeinsame Kindheit. Die Reaktion des Hauptcharakters auf diese Erinnerungen ist der stärkste Aspekt der Geschichte von Arise: A Simple Story. Hier wird ohne Worte eine kohärente Geschichte erzählt und eine Menge Gefühl erzeugt.

Jump and run. And climb and climb and climb

Laufend, springend und kletternd navigieren wir uns durch die Welten. Stürzen wir einmal in die Tiefe, ist das nicht tragisch, da wir stets in der Nähe wiederkommen und es nochmal versuchen können.

Leider macht der Plattformer-Aspekt nur wenig Spaß.
Leider macht der Plattformer-Aspekt nur wenig Spaß.

Im besten Fall macht bei einem guten Plattformer die Bewegung des Charakters durch die Spielwelt Spaß und ist zugleich herausfordernd, ohne zu frustrieren. Arise: A Simple Story erfüllt jedoch keines dieser Kriterien. Die schwerfällige Bewegung des Hauptcharakters ist eher anstrengend als spaßig, die Plattformer-Partien sind nicht herausfordernd, da man es immer wieder versuchen kann. Frustrierend sind sie trotzdem: Stürzen wir in den Tod, liegt das selten an einem Fehler unsererseits und meist an dem klobigen Spieldesign. Allzu oft fällt die Reaktion des Spiels auf unsere Eingaben schwerfällig aus. Außerdem ist es nicht möglich, die 3D-Perspektive anzupassen, sodass wir mehrfach in die falsche Richtung gesprungen sind. Des Weiteren ist die sichere Fallhöhe absurd gering, sodass unser Charakter bereits bei einem Fall aus niedriger Höhe sofort stirbt.

Außerdem ist die Bewegung durch das Spiel von zahlreichen Kletterpartien gespickt, die daraus bestehen, dass wir stumpf einen Knopf gedrückt halten und den Analog-Stick in die richtige Richtung drücken. Das Einzige, das dabei auf die Probe gestellt wird, ist unsere Geduld, denn währenddessen machen wir wenig, außer unserem Charakter beim Klettern zusehen.

Obwohl das Klettern keinen Spaß macht, verbringen wir eine Menge Spielzeit damit.
Obwohl das Klettern keinen Spaß macht, verbringen wir eine Menge Spielzeit damit.

Zwischendurch müssen wir uns von einem Halt zum nächsten schwingen, doch auch hier ist kein Geschick gefragt – stattdessen müssen wir lediglich aufpassen, dass unser Charakter den Arm in die richtige Richtung ausstreckt, ansonsten stürzen wir beim Absprung, unabhängig von unseren Eingaben, unweigerlich in den Tod.

Puzzle-Plattformer?

Um zum Ziel zu gelangen, bewegen wir uns nicht nur in Plattformer-Manier durch die Welten, sondern nutzen eine weitere zentrale Spielmechanik: Mit dem rechten Analog-Stick können wir die Zeit vor- und zurückspulen. Unser Charakter bleibt davon größtenteils unberührt – nur die Welt um ihn herum verändert sich. Dadurch werden Wege frei, die vorher nicht begehbar waren: Schnee schmilzt und wird zu Wasser, oder gefriert erneut und häuft sich zu Hügeln auf; Sonnenblumen, die uns als Plattform dienen, neigen sich in verschiedene Richtungen; Bienen, an die wir uns hängen können, fliegen umher und tragen uns an unser Ziel.

Obwohl diese Mechanik ein zentraler und beständiger Bestandteil des Spiels ist, fehlt ihr die Tiefe, um ein spaßiges Spielelement darzustellen. Da wir die Zeit lediglich vor- und zurückspulen können, brauchen wir unser Gehirn nicht anzustrengen, um den Weg nach vorn zu finden: Unsere Aufgabe ist es lediglich, dem linearen Weg zu folgen, bis uns ein Hindernis begegnet, und dann die Zeit so vor- oder zurückzudrehen, dass es kein Problem mehr darstellt.

Darüber hinaus hat diese Spielmechanik keinerlei Zusammenhang mit der Story oder der Spielwelt und wirkt dadurch so deplatziert, dass uns im Laufe des Spiels der Verdacht beschlich, es müsse mehr dahinterstecken. Vielleicht stand ein herzerwärmender Story-Twist bevor? Lernen wir mit dieser Fähigkeit, die Zeit so zu manipulieren, dass wir die großen Fehler in der Lebensgeschichte des Hauptcharakters korrigieren? Gewinnen wir auf diesem Wege die Liebe unseres Lebens zurück und lenken unser Leben rückwirkend in eine andere Bahn? Die Erkenntnis ist ernüchternd: Nein – die Zeitmanipulation ist tatsächlich nichts weiter als eine Spielerei, die künstlich dazuerfunden wirkt, um den ansonsten langweiligen Plattformer ein bisschen abwechslungsreicher zu machen.

Abseits des Weges finden wir weitere Erinnerungen in Form von Bildern.
Abseits des Weges finden wir weitere Erinnerungen in Form von Bildern.

Das Lineare Level-Design hat eine Ausnahme: Im Spiel sind Erinnerungen verteilt – Bilder, die uns zusätzliche Details der Lebensgeschichte unseres Hauptcharakters vermitteln. Zwar sind sie niedlich gezeichnet, haben jedoch keine spielmechanische Bedeutung und sind inhaltlich so wenig interessant, dass wir bereits im zweiten Kapitel keine Lust mehr hatten, Umwege zu machen, um sie einzusammeln.

Freundschaft, Liebe und Verlust

Die Geschichte beginnt mit der Kindheit des Hauptcharakters. Im ersten Kapitel begleiten wir den kleinen Jungen durch sein Leben in Einsamkeit, bis er ein Mädchen kennenlernt und sich mit ihm anfreundet. Im zweiten Kapitel begleiten wir die resultierende Freundschaft. Es folgt eine Geschichte der Liebe, des Verlusts und des Willens, für das zu kämpfen, was uns wichtig ist.

Im Laufe des Spiels wird die Geschichte ernster und düsterer.
Im Laufe des Spiels wird die Geschichte ernster und düsterer.

Es ist schön, Spiele zu sehen, die nicht vor traurigen Themen und emotionalen Geschichten zurückschrecken. Allein für ihren Versuch verdient Piccolo Studio Respekt. Leider bleibt die Geschichte von Arise: A Simple Story trotz ernster Themen deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück – sie ist genau das, was der Titelzusatz aussagt: simpel. Obwohl es emotionale Stellen gibt und ernste und wichtige Themen angeschnitten werden, fühlt sich die Story nicht bedeutungsvoll an. Wir erfahren von den Verlusten des Hauptcharakters und den Schwierigkeiten seines Lebens, doch nehmen wir nichts daraus mit. Da wir lediglich erleben, welche Widrigkeiten ihm widerfahren, jedoch nicht, wie er damit umgeht, können wir keine Lehren daraus ziehen. Sein Leben ist schwer, weil äußere Umstände es schwer machen. In einer Geschichte, in der die Widrigkeiten durch Charakterschwächen entstehen, können wir aus den Fehlern der Charaktere lernen, doch Arise: A Simple Story erzählt lediglich eine Geschichte der Tragik, aus der wir nichts weiter mitnehmen als die deprimierende Erkenntnis, dass das Leben grausam ist und das hohe Alter nichts weiter ist, als ein Warten auf den Tod.

Story-Spoiler

Am Ende der Geschichte hat der Hauptcharakter alles verloren, was ihm lieb ist. Doch obwohl das letzte Kapitel „Hoffnung“ heißt, erleben wir nicht, wie er in den letzten Jahren des Lebensabends seinen Lebenswillen noch einmal wiederfindet. Es hätte mehrere Möglichkeiten gegeben, die Geschichte mit einer hilfreichen Message ausgehen zu lassen. Beispielsweise hätte der Charakter eine neue Familie finden können, vielleicht eine Mutter mit Kind, die ihrerseits verwitwet ist. Daraus könnten Spielende mitnehmen, dass es in Ordnung ist, nach einem einschneidenden Verlust wieder glücklich zu sein. Alternativ hätte der Charakter sich in seiner Einsamkeit an sein Dorf wenden, sich mit den Bewohnern umgeben und sie unterstützen können und somit seinem Leben eine neue Bedeutung zu schenken. Daraus könnten Spielende die Lehre ziehen, dass es mehrere Möglichkeiten und Chancen gibt, einen Sinn im eigenen Leben zu finden. Damit wäre auch der Kreis zum Anfang des Spiels geschlossen, wo wir die Trauernden um den Scheiterhaufen herum sehen. Stattdessen ist der Funken Hoffnung lediglich, im Tod wieder mit seiner Familie vereint zu sein.

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Sonstiges

Arise: A Simple Story sieht nicht nur hübsch aus, sondern klingt auch gut. Optik und Soundtrack legen einen guten Grundstein für ein emotionales Spiel. Es ist schade, dass das Gameplay und die Story das resultierende Potential nicht ausschöpfen.

Es gibt einen Koop-Modus, bei dem Spieler*in Zwei die Zeitmanipulation übernimmt, doch dieser Modus macht nicht mehr Spaß als das Solo-Game, sondern sorgt lediglich dafür, dass das Spiel schwerer wird, weil die Spielenden sich untereinander koordinieren müssen, um weiterzukommen.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Piccolo Studio
  • Publisher: Untold Tales, Techland
  • Plattform: Windows, PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch, Portugiesisch, Russisch, Chinesisch
  • Mindestanforderungen: Windows 7 Intel Core i3 4340 3,6 GHz oder AMD-Äquivalent, 6 GB RAM, NVIDIA GeForce GTX 670 2 GB oder AMD Radeon-Äquivalent, DirectX 11, 6 GB verfügbarer Speicher
  • Genre: Puzzle-Plattformer
  • Releasedatum: 3.12.2020; Definitive Edition für Nintendo Switch 28.04.2022
  • Spielstunden: 4
  • Spieler*innen-Anzahl: 1-2
  • Altersfreigabe: USK 6
  • Preis: 19,99 EUR
  • Bezugsquelle: Steam, Microsoft Store, PlayStation Store, Nintendo eShop

 

Fazit

Arise: A Simple Story ist ein schön anzusehender, schön anzuhörender, jedoch nur mäßig spaßiger Puzzle-Plattformer mit Fokus auf der traurigen, aber letztlich substanzarmen Story. Der „Puzzle“-Aspekt ist nur schwach ausgeprägt und beschränkt sich auf unsere Fähigkeit, die Zeit vor- und zurückzudrehen, und damit die Umwelt zu beeinflussen, sodass unser Weg frei wird. Das Gameplay entbehrt jedoch jeglicher Herausforderung und Tiefe, sodass kein bedeutsamer Game-Loop zustande kommt.

Das dröge Gameplay ist durchsetzt von fragwürdigen Design-Entscheidungen wie den zahlreichen langwierigen und langweiligen Kletterpartien sowie der fehlenden Möglichkeit, die 3D-Perspektive anzupassen.

Piccolo Studio hatte sicherlich ein nobles Ziel im Blick, als sie Arise: A Simple Story konzipierten. Es ist deutlich spürbar, dass es sich bei der Entwicklung des Spiels um eine Herzensangelegenheit handelt. Das Spiel enthält eine Menge hübscher Ideen und einige emotionale Momente. Doch das Gameplay ist mehr nervig als spaßig und die Story bleibt zu oberflächlich, sodass uns leider kein bedeutungsvolles Spielerlebnis beschert wurde. Wir bedauern, keine bessere Zeit mit dem ambitionierten Spiel gehabt zu haben. Trotz – oder gerade wegen – der tragischen Geschichte ist das traurigste an Arise: A Simple Story, wie kalt es uns gelassen hat.

 

  • Schön gestaltete Welten
  • Story behandelt ernste und wichtige Themen
 

  • Story schöpft Potential nicht aus
  • Eintöniges Spielerlebnis
  • Nervige Eigenheiten des Gameplays

 

Artikelbilder: © Piccolo Studio
Layout und Satz: Verena Bach, Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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