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Cosplay wird überwiegend als Hobby ausgelebt, in dem politische Botschaften keine große Bedeutung haben. Doch die junge Generation, der viele Cosplayer angehören, hat sich zuletzt sichtbar politisiert. Welche Rolle spielt dabei Cosplay als Hobby und Ausdrucksform? Und sollte es eine – vielleicht größere – Rolle spielen?

Im vergangenen Jahr hat sich eine sichtbare Politisierung der jüngeren Generationen offenbart – lange in der Öffentlichkeit ignorierte Themen wie Urheberrecht und Klimaschutz wurden zum Auslöser von Großdemonstrationen und ganzen politischen Bewegungen wie Fridays for Future. Die meisten Cosplayer gehören alterstechnisch in diese Generationen der ca. 1985 bis 2005 Geborenen, die sich hier erstmals wirklich hörbar politisch äußern. Aber wie politisch ist die Szene? Soll Cosplay sich überhaupt mit Politik befassen? Gibt es Grenzen?

Der Cosplayer als Mensch als politisches Wesen

Cosplayer sind zunächst mal Menschen, die in ihrer Gesellschaft leben und entsprechend von Politik immer berührt werden – Bildungspolitik entscheidet, was und wie wir in der Schule und Universität oder Berufsschule lernen, Sozialpolitik bestimmt, welche staatlichen Leistungen uns zustehen, wenn wir (noch) nicht selbst für unseren Unterhalt sorgen können. Verkehrspolitik baut unsere Straßen und Schienen, Steuerpolitik beeinflusst die Preise für alle Waren und Dienstleistungen, die wir als Teil dieser Gesellschaft irgendwie in Anspruch nehmen müssen.

Doch das Meiste davon ist ein diffuses Hintergrundrauschen, das wir als Status quo hinnehmen und äußerst selten hinterfragen – nur ein kleiner Teil der Menschen, insbesondere der jungen Menschen, engagiert sich aktiv in der Politik, klassischerweise in den Parteien, aber natürlich auch in Belangen wie Umweltschutz oder Tierschutz.

Immer mehr Cosplayer positionieren sich politisch.

Der Cosplayer hat ein Hobby, das schon ziemlich viel Freizeit einnimmt – parallel dazu Parteiveranstaltungen zu besuchen oder sich aktiv in einer politischen Bewegung einzubringen ist eher selten. Doch auch wer sich nicht direkt in die Bewegungen oder Parteien einbringt, nimmt oft aktiv am politischen Diskurs der Gesellschaft teil: Wenn wir aktuelle Ereignisse kommentieren, eine politische Überzeugung entwickeln und kundtun, manchmal auch im bloßen Akt des Wählens. Und gerade die Urheberrechtsdebatte hat gezeigt, dass viele Cosplayer sich auch für diese politischen Themen interessieren. Auf den sozialen Medien war zur Europawahl 2019 aus Cosplayer-Kreisen ein deutlicher Aufruf zur Wahl zu hören, viele haben klar gezeigt, dass sie wählen gehen, mit Wahl-Selfies oder Fotos ihres Wahllokals.

Cosplayer nehmen also als Menschen definitiv am politischen Prozess teil. Aber wie sieht es mit dem Cosplayer als Cosplayer mit der Politik aus?

Unpolitische Zeiten der Cosplay-Szene

Lange Zeit gab sich die Cosplay-Szene betont unpolitisch. Als „Hobby aus Spaß“ waren politische Meinungen eher wenig gefragt, viele Szenemitglieder hätten sich sicher als unpolitisch beschrieben, die Frage wurde aber ohnehin kaum gestellt.

Gesetzesänderungen waren präsent, wenn es um Jugendschutz ging oder um Internetzensur, eine erste größere Interessenswelle schwappte mit den europaweiten Anti-ACTA-Demonstrationen ca. 2012 durch die Szene, legte sich bald darauf aber auch wieder.

Vereinzelt haben Cosplayer auch direkt im Hobby Persönlichkeiten aus der Politik aufgegriffen – eine Handvoll Cosplays von Angela Merkel tauchten über die Jahre auf, ein wirklichen Trend zum politischen Cosplay gab es aber nie. Eine Auseinandersetzung mit politischen Themen stellte dies selten dar, ähnlich wie die durchaus öfter präsenten Wahlplakate auf Con-Fotos (wie die relativ legendäre „Mana-Merkel“ von 2005, als am Connichi-Wochenende, wie ob des Termins öfters, Bundestagswahl war), die eher als humoristische Kulisse genutzt wurden.

Fandoms wie Hetalia haben sporadisch Inseln gebildet, in denen die Beschäftigung auch mit jüngerer Geschichte und Politik interessant war, aber hier war ebenfalls kein politisches Massenphänomen zu beobachten.

Das Hetalia-Fandom ist durchaus sehr politisch geprägt.
Das Hetalia-Fandom ist durchaus sehr politisch geprägt.

Letztlich spielte Politik für Cosplay immer eine nachrangige Rolle. Verfolgung auf Basis von Urheberrecht wurde gegen Cosplayer in Deutschland bisher kaum betrieben, auch weil in der Szene letztlich zu wenig Geld zu machen war. Und selbst wo der Jugendschutz gegebenenfalls einschränkend sein könnte, war es oft weniger die deutsche Rechtslage als der amerikanische Puritanismus, der Webseiten dazu zwang, jeden Flecken Haut „zu viel“ auszuschließen. Politisches Engagement in Deutschland half gegen die restriktiven Vorschriften amerikanischer Onlinedienste wenig.

Politisierung im Rahmen der Urheberrechtsrichtlinie 2018/2019

Eine große Welle der politischen Auseinandersetzung kam mit der Urheberrechts-Richtlinie im Winter 2018/2019. Durch die Öffentlichkeitsarbeit mehrerer Europaabgeordneter aus Piratenpartei, Die Partei und SPD sowie die Warnungen und Ankündigungen von Unternehmen wie Google und Twitch wurde die europäische und insbesondere deutsche Youtuber- und Streaming-Szene aufmerksam auf die Arbeitsentwürfe der EU zur neuen Urheberrechtsrichtlinie. In den Artikeln 11–13 dieses Arbeitsentwurfes waren immense Haftungsverschiebungen und andere Gefahren für die öffentlichen Meinungsäußerung im Internet enthalten, die insbesondere auch die Geschäftsmodelle von Streaming-Plattformen und anderen Internetdiensten massiv angreifen würden.

Durch die politischen Videos der ebenfalls bisher eher unpolitischen Youtuber- und Streaming-Szene wurde ihre junge Zielgruppe, die die alten Medien wie Zeitungen und Fernsehen immer weniger nutzt, auf die Thematik aufmerksam. Damit erreichte das Thema auch die Cosplayer in größerer Masse.

Als die großen Proteste im Februar und März 2019 organisiert wurden, wurden die Demo-Aufrufe und Informations-Videos auch in der Cosplay-Szene reichlich geteilt. Die Auswirkungen der Gesetzesnovelle auf die Fanszene insgesamt, auf die Plattformen und auch die einzelnen Cosplayer und Künstler wurden viel diskutiert. Da der Hauptaktionstag der Demonstrationen auf den Samstag der Leipziger Buchmesse fiel, wurde noch ein weiteres Thema Teil der Diskussion in der Fanszene: War eine Teilnahme an den Demonstrationen im Cosplay angemessen?

Im Cosplay auf die Demo?

Schon bei der Vorbereitung der Demos machten schnell starke Meinungen die Runde: Auf der einen Seite vertraten einige Cosplayer die Meinung, dass es definitiv unangemessen wäre, in einem Cosplay auf die Demonstrationen zu gehen. Einerseits wurde die unpolitische Art der Szene beschworen: Cosplay hätte mit Politik nichts zu tun und sei deswegen von Demonstrationen fernzuhalten. Andererseits bestanden Befürchtungen, dass der Protest durch die Cosplays von Medien ins Lächerliche gezogen würde. Während die alten Medien, deren Inhaber und Geldgeber sich die größten Gewinne von den restriktiven Regelungen der Urheberrechtsrichtlinie versprachen, schon genug Plattform für Politiker boten, die sich über die „jungen“ Demonstranten, Youtuber und Streamer lustig machten, wollte man nicht noch Material bieten, das die Demonstrationen als „Spaßveranstaltungen“ ohne echten politischen Inhalt darstellbar machte.

Gleichzeitig vertraten aber auch einige Cosplayer die Meinung, dass es durchaus legitim sei, im Cosplay auf die Demonstrationen zu gehen. Denn gerade die Ausdrucksformen des Fandoms, also auch der Cosplay-Szene, waren und sind durch die neue Urheberrechtsrichtlinie in Gefahr, sodass es durchaus eine politische Aussage hat, auf den Demos Cosplay zu tragen.

Tatsächlich war nur ein verschwindender Anteil der Cosplayer im Cosplay auf Demos – sicher oft auch aus praktischen Erwägungen: Nur wenige Kostüme sind sowohl für die klimatischen Bedingungen einer Freiluft-Demonstration im März in Mitteleuropa geeignet als auch bequem genug, um damit einige Kilometer auf dem Demonstrationszug zu laufen.

Frust im Urheberrecht und Ausblick – Fridays for Future etc.

Nach der frustrierenden Abstimmung im Europaparlament zugunsten der immens problematischen verabschiedeten Artikel 15–17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie waren viele der jungen Demonstranten verständlicherweise frustriert. Die letzten paar Folgedemos waren deutlich kleiner und erhielten auch in der Cosplay-Szene deutlich weniger Resonanz. Die Frage, wie sich die Cosplayer und die Cosplay-Szene insgesamt positionieren würden, verschwand damit auch eher schnell von der Tagesordnung.

Doch die Politisierung der einzelnen Cosplayer bleibt weiterhin spürbar. Das andere große Thema, das die junge Generation immer lauter umtreibt, ist die Klimakrise. Bereits seit einem Jahr gehen stetig steigende Zahlen von insbesondere Jugendlichen im Rahmen der Fridays for Future-Proteste weltweit auf die Straßen. Auch Cosplayer nehmen an diesen Demonstrationen teil, die Cosplay-Szene beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit und Möglichkeiten, sowohl im persönlichen Bereich als auch auf der politischen Ebene Einfluss zu nehmen, um die stetige Erwärmung der Erdatmosphäre noch zu stoppen.

Cosplay als Ausdrucksform und Hobby spielt bei den Protesten gegen die Untätigkeit der Politik in der Klimakrise im Gegensatz zur Urheberrechtsrichtlinie keine größere Rolle. Bemerkenswerter ist vielleicht auch eher das, was nicht laut ausgesprochen, sondern generell vorausgesetzt wird: Die Klimakrise und die Gefahr dadurch sind in der Cosplay-Szene sehr umfassend anerkannt, „Klimaleugner“ finden sich so gut wie gar nicht. Auch das ist, sieht man sich die krassen Aussagen internationaler wie nationaler Politiker an, leider nicht selbstverständlich, sondern eine politische Position.

Dass sich auch die Cosplayer Gedanken darüber machen, wie ihr Hobby nachhaltiger und umweltschonender ausgelebt werden kann, und das Alltagsleben sowieso, zeigt eine neue politische Reflektion der Szene, aber auch der Gesellschaft. Denn letztlich bleibt: Auch Cosplayer sind nur Menschen, und Menschen nehmen immer irgendwie am politischen Leben ihrer Zeit und Gesellschaft teil, selbst wenn sie sich für unpolitisch halten.

Cosplayer legen auch immer mehr wer auf Nachhaltigkeit. Depositphotos |
Cosplayer legen auch immer mehr wer auf Nachhaltigkeit. © Depositphotos | kwest

Politik und Cosplay vereint?

Muss Cosplay nun also unpolitisch sein und bleiben?

Die Positionen, die für Cosplay auf Demos diskutiert wurden, lassen sich sicher hören – doch gerade in der Außenwahrnehmung von Cosplay als „kindisches“ Hobby sollten wir uns als Cosplayer nicht klein machen und von irgendwem in eine Ecke drängen lassen. Ein erheblicher Teil der Cosplayer ist lange erwachsen, verdient in Vollzeit Geld und lebt ein harmloses Hobby aus, bei dem bunte, oftmals in liebevoller Handarbeit entstandene Kleidung getragen wird. Immer mehr frühere „Nischen“-Hobbys haben es in den letzten 15 Jahren in die Mitte des Mainstreams geschafft, seien es Comics oder Videospiele, die ebenfalls lange als „kindisch“ galten. Cosplay muss sich sicher nicht in einer schmuddeligen Ecke verstecken.

Es gibt immer einen Ort und einen Platz für unterschiedliche Kleidung und Ausdrucksformen in jedem Leben, aber Cosplay muss sicher nicht unpolitisch sein und unpolitisch bleiben. Geht man von den ganz großen Themen weg, so ist Cosplay bereits jetzt oft genug politisch, denn Fandom transportiert bereits einige Botschaften allein durch die Materie, die es behandelt. Zum Beispiel vertritt Boys Love als Genre letztlich die Legitimität von homosexuellen Beziehungen, und wer aus Boys-Love-Franchises cosplayt, trägt indirekt auch diese Botschaft mit. Die Identifikation, die der Cosplayer doch auf einer gewissen Ebene mit dem Charakter vornimmt, kann gerade auch eine politische Dimension haben. Seien es die starken Messages bezüglich des Umweltschutzes, die vielen Ghibli-Werken innewohnen oder die in einer noch viel breiteren Palette von japanischen Werken enthaltene Anti-Kriegs-Haltung.

Kunst ist immer wieder ein wichtiges Mittel, um gesellschaftliche Missstände öffentlich zu machen und auf Lösungen hinzuarbeiten. Auch Cosplay kann als Kunstform in diesen Prozess eingreifen, auf Themen aufmerksam machen und Lösungen vorschlagen, die vom Publikum aufgegriffen und vielleicht umgesetzt werden.

Wer sein Cosplay unpolitisch tragen möchte, wird sich ob der aktuellen Ausrichtung der Szene als Hobby-Gemeinschaft sicher in bester Gesellschaft finden. Doch das schließt noch lange nicht aus, dass auch politisches Cosplay einen Platz in der Szene haben kann. Es hängt davon ab, was wir machen wollen – und auch als Cosplayer ist es legitim, Einfluss auf die Zukunft der Welt nehmen zu wollen, was uns als Bürgern einer Demokratie zum Glück offen steht.

Artikelbild: Depositphotos | PicsFive, mandygodbehear, Bearbeitet Verena Bach

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