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Wenn buntes Treiben drei Tage lang die Stadt Kassel belebt und Groß wie Klein zum Kongress Palais strömen, um Freunde zu treffen, ein umfangreiches Programm zu erleben, Cosplays zu bewundern oder zu präsentieren, ist es wieder soweit: die Connichi, Deutschlands größte ehrenamtlich organisierte Veranstaltung zu japanischer Popkultur, öffnet ihre Türen.

Nachdem im letzten Jahr ein Großteil des Organisationsteams das Zepter metaphorisch übergeben hatte, war die Connichi 2019 die Feuertaufe der neuen Mannschaft. Auch wenn die größte Convention aus der Veranstaltungsreihe des deutschen Trägervereins Animexx e.V. schon immer ziemlich solide organisiert war, so merkte man doch, dass dieses Jahr ein frischer Wind wehte. Im Vorfeld wie auch vor Ort wechselte er dabei zwischen einem lauen Lüftchen kleiner Anpassungen bis hin zur steifen Brise großer Veränderungen – zwar zu mancher Leid, doch zu vieler Freud.

Ein gut geordneter Baukasten

So wie im Vorfeld der Bereich Social Media im Gegensatz zu den Vorjahren noch breiter bespielt wurde, setzten sich die Umstrukturierungen auch in der Programm- wie Location-Planung fort. Viele der alten Bereiche wurden beibehalten, jedoch ihr Bereich optimaler genutzt und klarer umrissen. Man wusste sofort, was vor Ort passiert, ohne die verschwommenen Schnittstellen, an denen Bereiche aufeinander trafen und man nie sicher war, was genau geboten wurde.

Natürlich mussten, um solche Verbesserungen zu ermöglichen, auch teils harte Entscheidungen gefällt werden. So wurden zum Beispiel die Händlerplätze und -tische im Kreativmarkt reduziert, um die Platzsituation im Seitenfoyer und im Gartensaal zu entspannen. Damit wurde die Chance, einen der heiß begehrten Plätze zu ergattern, um einiges verringert, doch diejenigen, denen das Losglück hold war, konnten sich über mehr Platz und Luft freuen.

Das neue Team Germany für den WCS 2020
Das neue Team Germany für den WCS 2020

Ebenso wurde ein paar Bereiche von ihrem Stammplatz verlegt, um neue Fokusbereiche zu schaffen, die die Orientierung erleichterten – so wurden Workshops, Connichi-Couch und Japanforschung im ruhigeren Bereich im ersten Stock des Kolonnadensaals gebündelt. In der Konferenzetage des H4 Hotels wurde der Bereich Games unplugged mit TCG, RPG, Go und einem Escape Room eingerichtet.

Das beliebte Matsuri ist nun auch in einen eigenen Bereich gezogen, welcher vom rückwärtigen Hof des Kongress Palais zugänglich war. Hier reihten sich auf über 2000 qm Buden mit japanischen Leckereien, traditionellen Spielen sowie Yukata, Furin (Windspiele) und anderen schönen Sachen stilecht unter Leinen voller Lampions aneinander. Ebenfalls gab es Purikura-Automaten und ein Maid Café. Durch den Aufbau und die vielen Inseln mit Sitzplätzen und Tischen kam schon tagsüber wahres Matsuri-Feeling auf, welches sich am Abend mit hunderten erleuchteten Lampions nur verstärkte. Krönender Abschluss war das allabendliche Feuerwerk, welches sogar die Anwohner begeisterte, die den Lichtzauber von ihren Balkonen aus betrachteten.

Durch den Wegfall der Matsuri-Buden war der Außenbereich im Innenhof nicht überfüllt und bot Platz zum Sitzen und Durchatmen. Zum Beispiel wenn man auf die Benutzung einer der sieben liebevoll ausgestatteten Themenfotoecken wartete, die im überdachten Säulengang aufgebaut waren. Hier gab es von einer buch- und kräuterlastigen Alchemiestube über einen goldenen Thron bis hin zu einem romantischen Platz unter einem Kirschblütenbaum für jedes Kostüm die passende Kulisse. Helfer teilten die Interessenten ein und achteten auf die Zeit, so dass jeder eine Chance hatte, die Bereiche ausreichend zu nutzen.

Die andere Seite des Hinterhofes nahm das Zelt des Bring & Buy mit eigenem Anstellbereich ein. Dieses Jahr wurden die Warenabgabe und -abholung sehr genau geplant, was zu einem entspannten und reibungslosen Ablauf für Teilnehmer wie Helfer führte. Besucher, die beim Bring & Buy einkaufen wollten, mussten je nach Andrang manchmal etwas warten, um in das Zelt gelassen zu werden, so dass jeder genug Platz hatte, um sich in Ruhe umzusehen.

Das Einzige, worauf die Organisatoren keinen Einfluss haben, ist die Parksituation rund um die Halle. Parkplätze in Kassel sind rar und oft schon besetzt, weshalb seit Jahren gebeten wird, das Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel, das im Eintrittsticket für die Con selbst enthalten ist, zu nutzen. Vor allem Samstags herrscht regelrechter Krieg um die begehrten Stellplätze, der meist schon um halb Zehn Uhr morgens sein resigniertes Ende fernab der Halle findet. Dazu kommt, dass das Connichi-Wochenende fast jedes Jahr sehr beliebt bei anderen Veranstaltungen in der Stadt ist.

Sei es die lange Nacht der Museen, die documenta oder der Kassel Marathon: Die Plätze werden noch knapper, und man lässt das Auto am besten gleich am Hotel oder einem Park & Ride außerhalb – die Bahnen fahren einen ja direkt vor die Halle. Und das im Normalfall ohne geschundene Nerven oder Kratzer im Lack.

Die Sache mit den Tickets

Bereits im Oktober 2018 kündigte das Organisatorenteam einige ticketspezifische Änderungen an. So gab es diverse Preisanpassungen aufgrund höherer Veranstaltungskosten, die transparent dargelegt wurden, sowie den Wegfall des 2-Tages-Tickets und die Einführung von Ticketkontingenten zu sogenannten Early-Bird-Preisen bei den 3-Tages-Tickets.

Dass diese Kontingente innerhalb weniger Minuten ausverkauft waren, sorgte für viel Unmut in der Community, dem das Kommunikationsteam der Connichi sich jedoch souverän stellte. Tageskarten waren trotzdem im Vorverkauf und an den Tageskassen der jeweiligen Tage erhältlich.

Generell sind gewisse Anpassungen mittlerweile leider notwendig, um die Durchführung einer Convention zu gewährleisten, da sich über die Jahre eine gewisse Kaufträgheit im Ticketbereich eingestellt hat. Viele kaufen die Tickets kurz vor knapp oder besuchen die Veranstaltung ganz ohne. Dies führte bei kleineren Conventions schon dazu, dass sie abgesagt oder ganz aufgegeben wurden. Hier hat die Connichi zwar noch Glück, dass die Kontingente verkauft werden, doch ist es sicherlich nicht unklug, vorzusorgen, ehe man in die Bredouille kommt.

Besucher ohne Ticket hatten dieses Jahr zum ersten Mal auch keinen Zugang mehr zu Händlerräumen oder dem Bring & Buy, was ebenfalls zu einem gespaltenen Meinungsbild führte. Allerdings gab es wie die Jahre zuvor im Park und vor dem Palais eine Handvoll Verkaufsstände für Essen und Getränke sowie Garderobencontainer (gegen Gebühr). Dazu buchten die Organisatoren die Toiletten im Erdgeschoss des H4 Hotels, welches direkt an den Kongress Palais anschließt, für die Benutzung auch ohne Ticket, was auch auf dem Gelände ausgeschildert war. Hier herrschte dadurch natürlich viel Andrang, dafür waren die Räumlichkeiten dennoch meistens sehr sauber.

Der Park war wie immer, als öffentliche Grünfläche, der beliebteste Treffpunkt für die meisten Besucher. In den Vorjahren führte dies leider dazu, dass viele der Bepflanzungen und Bäume niedergetrampelt, abgebrochen oder unpfleglich behandelt wurden, weil in den Beeten Fotos geschossen oder sie als Abkürzungen genutzt wurden. Im Vorfeld hat das Connichi-Team auf Social Media aufgerufen, die Grünanlagen nicht zu vandalieren und den Müll einzusammeln – der Sonntagabend zeigte: Es hat funktioniert. Genauso funktioniert hat das Verbot, Pavillons oder Zelte im Park aufzustellen, was die Platzsituation merklich entzerrt hat.

Ein Herz für die Szene

Bei allen Neuerungen wurde auch die Familie nicht aus den Augen gelassen. Viele Szenegänger haben mittlerweile eigenen Nachwuchs, den sie natürlich an ihren Hobbys teilhaben lassen möchten. Anstatt die jungen Eltern alleine zu lassen, hat die Connichi einen neuen Familienbereich eingerichtet. Ruhig gelegen im Aschrottflügel ist der Raum ausgestattet mit allem, was man braucht, um die Sprösslinge und auch Eltern zufrieden zu stellen. Möglichkeiten, Fläschchen oder Gläschen zu erhitzen, ein Wickelbereich, Spielzeug, Sitzmöglichkeiten, und das Ganze liebevoll dekoriert.

Ebenso gab es bei verschiedenen Programmpunkten Hinweise, ob sie sich für Kinder und Minderjährige eignen, so wie zum Beispiel das Konzert der japanischen Band FLOW eine zu hohe Lautstärke habe oder die AMV-Nacht leider über Mitternacht hinausgehe und daher nur für Erwachsene besuchbar sei.

Ohne Altersbeschränkung genießbar war auf jeden Fall die neue Ausstellung im ersten Stock des Palais, welche die Einsendungen des neuen Fotowettbewerbes beinhaltete. Die im Vorfeld gewählten Finalisten wurden dabei auf Leinwand präsentiert, während die übrigen Beiträge im Hochglanz als Fotoprint ausgestellt wurden. Hier lohnte sich ein Besuch auf jeden Fall – alleine wenn man bedenkt, wie viel Kunstwerk mittlerweile in der Cosplayfotografie steckt.

Die Nähe zur Szene spiegelte sich auch in einem weiteren neuen Projekt wider, das dieses Jahr Premiere hatte: Pochis Fanprojekt-Förderung. Hier konnten sich im Vorfeld Fanprojekte aus der Szene bewerben, um eine Förderung von 500 Euro für den Ersten und 300 bzw. 200 Euro für den zweiten und dritten Platz zu gewinnen. Zehn Finalisten durften sich vor Ort auf der Connichi-Couch fünf Minuten vorstellen und dann auf Fragen von Jury und Publikum antworten.

Die Finalisten des Fotowettbewerbes in der Ausstellung
Die Finalisten des Fotowettbewerbes in der Ausstellung

Mehr als nur Händeschütteln

In den letzten Jahren sind viele Ehrengäste der Einladung nach Kassel gefolgt, um dort Fans und Interessierte zu treffen, die deutsche Szene kennenzulernen und ihrerseits etwas in Form von Workshops, Vorträgen und Diskussionsrunden sowie Autogrammstunden an die Fans zurückzugeben.

Dieses Jahr war wieder ein breites Spektrum an Gästen aus verschiedenen Bereichen zur Connichi gereist, wie zum Beispiel eine der erfolgreichsten Synchronsprecherinnen Japans: Yui Horie. Eine große Ehre, wenn man bedenkt, dass sie sich in Japan selbst recht bedeckt hält und einige ihrer Fans ebenfalls nach Kassel gereist sind, um hier ein Autogramm von ihr zu erhalten. Mit über 350 Sprechrollen ist es fast unmöglich, sie nicht schon einmal gehört zu haben. Die Bekanntesten im Animebereich sind hierbei sicherlich Charlie aus Fairy Tail, Yuki Cross aus Vampire Knight und Toru Honda aus der Neuauflage von Fruits Basket.

Passend zu ihrem neusten Werk ist der japanische Drehbuchautor Taku Kishimoto ebenfalls zu Gast gewesen. Er war unter anderem bei den Animes Haikyu!!, Magi: Adventures of Sinbad und ebenfalls bei Fruits Basket (2019) federführend.

Aus einer fast schon wissenschaftlichen Richtung nähert sich der Youtuber Super Eyepatch Wolf der Anime- und Mangaszene. Auf seinem Kanal mit fast 680.000 Abonnenten analysiert und rezensiert er alte wie neue Serien, geht auf historische Referenzen ein oder beleuchtet den Werdegang einer Produktion.

Aus der deutschen Mangaszene waren ebenfalls einige Zeichner zu Gast. Tamasaburo, Oroken und Martina Peters sind bei Carlsen Manga beschäftigt, während Horrorkissen und Anike Hage zu Altraverse gehören.

December Wrynn im Interview mit Teilzeithelden
December Wynn im Interview mit Teilzeithelden

Des weiteren gaben sich auch die internationalen Cosplayer December Wynn (US) und Astarohime (RUS) die Ehre, um sich mit Gleichgesinnten und Interessierten über das gemeinsame Hobby und die internationale Szene auszutauschen. Wir haben hierbei ebenfalls die Chance ergriffen, mit den beiden Damen ein Interview zu führen, welches bald in einem eigenen Artikel erscheinen wird.

Für musikalische Unterhaltung war natürlich auch wieder gesorgt: Die japanische Rockband FLOW heizte den Besuchern Samstagabend mächtig ein und traf ihre Fans bei Signierstunden und einem Q&A-Panel am Sonntag. Bekannt ist die Gruppe, die mittlerweile 33 Singles und zehn Alben veröffentlicht hat, vor allem durch diverse Animeopenings und -endings für Serien wie Naruto, Code Geass: Lelouch of the Rebellion, Tales of Zestiria the X und Dragonball Z.

Wer es gerne etwas ruhiger und experimenteller mochte, konnte sich von dem japanischen Quintett Minichestra begeistern lassen. Hier trafen Kammerorchester auf Anime und Game-Musik, um ein absolut hörbares Crossover aus Klassik und Pop zu erschaffen. Visuell ansprechende Showeinlagen gab es oben drauf.

Von Fans für Fans

Auch wenn in diesem Jahr das Wetter oft die Besucher nach innen trieb, so hätte sich die Vielfalt des Angebotes auch gegen strahlenden Sonnenschein durchsetzen können. Facetten- und abwechslungsreich präsentierte die Connichi auch dieses Jahr wieder ein volles Programm, bei dem es für jeden etwas Spannendes zu entdecken gab. Zu finden war alles im Conbuch, welches schick aufgemacht und gut strukturiert bei der Navigation half, oder online, wo man mit Hilfe des Con-Planers sich am Handy eine eigene Tagesplanung mit Terminen zusammenstellen und speichern konnte. Hier wurden Ausfälle und Raumverschiebungen auch in Realzeit eingepflegt, um größeren Verwirrungen vorzubeugen.

Fleißige Notizen bei Vorträgen
Fleißige Notizen bei Vorträgen

Ehrengäste und Fans hielten Vorträge und Workshops in Englisch oder Deutsch über diverse Themen wie Cosplaybau, Special-Effect-Make-up, diverse Szenethemen, z. B. „Animexx e.V.: Der Verein hinter der Con“. Dazu gab es viele Vorträge aus dem Bereich der Japanforschung, die kulturelle Aspekte Japans näher beleuchtete, z. B. „Der Katzen-Boom in der Heisei-Ära“ oder „Japanreise: Kyoto erwartet euch“. Auffällig ist jedoch, dass sich vermehrt auch über Professionalisierung oder politische Themen ausgetauscht wird. Urheberrecht und Fanwork, Connichi & Ehrenamt, LGBTQ+-Repräsentation in Anime oder „How to spread positivity in the cosplay-community“ seien hier als Beispiele genannt.

Auch die Connichi-Couch war fast durchgehend belegt mit den verschiedensten Themen und Teilnehmern, die via Stream oder live vor Ort noch bis spät in den Abend präsentiert oder diskutiert wurden. Im Nachgang werden diese Beiträge vermutlich wieder auf Youtube zu finden sein.

Alle Gewinner des WCS-Vorentscheides
Alle Gewinner des WCS-Vorentscheides

Natürlich dürfen auf keiner Convention Wettbewerbe fehlen. Neben dem Connichi-Cosplay-Wettbewerb und dem deutschen Vorentscheid des World Cosplay Summit gab es noch einige weitere Möglichkeiten, etwas zu gewinnen. Die drei Evergreens: AMV-Wettbewerb, Animequiz und Nudelschlürfcontest waren wie immer gut besucht. Dazu kamen der Poetry Slam, diverse Gaming-Contests sowie die bereits genannte Pochis Fanprojekt-Förderung und der Fotowettbewerb. Hier langweilt sich niemand, der es nicht will.

Gewinner des Poetryslam
Gewinner des Poetryslam

Souverän mit Herz

Neben den wenigen großen Veränderungen hat das neue Organisationsteam hunderte kleine Stellschrauben gedreht und das Profil und Angebot der Connichi scharfgestellt. Mag der ein oder andere mit Vergleichen zu anderen Veranstaltungen bezüglich der Größe der Location oder gewisser Angebotspunkte aufwarten, so läuft die Convention im Kongress Palais dennoch irgendwie außer Konkurrenz.

Sie scheint vollends erwachsen geworden zu sein, zu ihren Problemen zu stehen und das Potenzial der Szene und ihres historischen Heims zu konzentrieren und nutzen. Jedes Jahr merkt man, wie im Hintergrund viel passiert und Herzblut in dieses Projekt gesteckt wird. Wir freuen uns auf das nächste Jahr, wenn es vom 04. bis 06. September 2020 wieder heißt: „Konnichiwa Connichi!“

Fotografien & Logo: © Connichi

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