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Eine uralte Prophezeiung könnte die Grundfesten der bekannten Ordnung erschüttern. Aus diesem Grund ist eine mutige Templerin auf der Suche nach dem Evangelium von Ariathie, das den Schlüssel zu dieser Weissagung enthält. Doch das Schicksal führt in Die Kathedrale des Abgrunds mehrere Personen auf diesen verheißungsvollen und gefährlichen Pfad.

Freunde von Fantasy-Comics sind in den letzten Jahren wahrscheinlich über den Namen Jean-Luc Istin gestolpert. Der französische Autor machte mit eindrucksvollen eigenen Reihen wie Die Druiden, sowie seiner Mitarbeit an Die Elfen oder Orks & Goblins auf sich aufmerksam. Letztens wagte er mit dem ersten Band der Anthologie Conquest einen Ausflug in das Science-Fiction-Genre.

Seine neueste bei Splitter erschienene Reihe bleibt jedoch den Wurzeln des Autors treu. Die Kathedrale des Abgrunds hat alles, was eine phantastische Geschichte interessant macht: Böse Magier, eine ominöse Prophezeiung und tapfere Helden. Wir prüfen in unserem Kurzcheck, ob Istins neuestes Werk überzeugt oder lieber im Abgrund verschwinden sollte.

Die Kathedrale des Abgrunds. Band 1: Das Evangelium von Ariathie

Die ständigen Kriege zwischen den Reichen des Südens und des Nordens erzürnten die Götter. Als Maßnahme trennten sie die Herrschaftsgebiete mit Hilfe eines gewaltigen Grabens. Durch riesige Wächter bewachte Brücken verhindern den Einsatz von Armeen. Der harsche Schritt zeigte Wirkung, und die beiden Reiche erleben mittlerweile eine Zeit des Friedens.

Doch dieser Zustand wird nicht von Dauer sein. Die Prophezeiung des Evangeliums von Ariathie spricht von der Ankunft eines Messias, der die Reiche wieder vereinen wird. Sein Erscheinen soll ein Zeitalter des Wohlstands einleiten, angekündigt durch den Bau einer gewaltigen Kathedrale über dem Abgrund. Natürlich versuchen die Herrscher der beiden Königreiche alles in ihrer Macht stehende, um diesen Verlust ihrer Vormachtstellung zu vermeiden.

Die Templerin Sinead hat ein gegensätzliches Ziel. Seit ihrer Aufnahme in den Templerorden hat sie ihr Leben der Suche nach dem Evangelium gewidmet. Sie ist fest überzeugt, dass ihr Schicksal mit dem des heiligen Textes verbunden ist. Welchen anderen Grund gäbe es sonst für ihre Aufnahme in einer Vereinigung, die normalerweise die Mitgliedschaft von Frauen verbietet?

Von solchen übernatürlichen Sorgen ist der Baumeister Pier de la Vita weit entfernt. Nach der Fertigstellung eines Auftrags für den Magier Ronsfield verweigert dieser die Bezahlung. Pier de la Vita bleibt keine andere Wahl, als vor das hohe Gericht der Stadt Anselm zu ziehen. Doch der Weg dorthin ist weit und Ronsfield reagiert erbost auf den Widerstand seines Dienstleisters.

Wüsste man nicht vom Klappentext über die Prophezeiung, so würde man ihr aufgrund der Ereignisse des ersten Bandes wenig Aufmerksamkeit schenken. Die Kathedrale des Abgrunds. Band 1: Das Evangelium von Ariathie fokussiert sich auf die Etablierung seiner Protagonisten und Gegenspieler. Dabei nutzt Autor Jean-Luc Istin eine kluge Kombination von Rückblenden und aktuellen Ereignissen. Besonders bei der Templerin Sinead erhält man schnell Einblick in ihre Motivation.

Die Probleme von Pier de la Vita liefern einen willkommenen Kontrast zu der Suche der kampfstarken Kriegerin. Sie sind weltlicher und zeigen dem Leser die Gnadenlosigkeit der Fantasy-Welt auf. Die Mächtigen, unter ihnen die Magier, nutzen ihre Position gnadenlos aus und haben kein Interesse an einer Veränderung des Status Quo. Vor dem Hintergrund der Prophezeiung lässt sich bereits erahnen, dass bei der Ankunft des Messias ein gewaltiger Konflikt am Horizont aufziehen wird.

Die Handlung dieses ersten Bandes setzt auf bewährte Konzepte der Fantasy. Dennoch weiß sie zu unterhalten, besonders dank Istins Gespür für die Erschaffung einer glaubhaften Welt. Ebenso ist der hohe Fokus auf Sinead und Pier von Vorteil, um eine tiefere Bindung zu den Charakteren aufzubauen. Nach Ende des ersten Bandes ist man gespannt, wie es weitergeht.

Die visuelle Gestaltung von Sébastian Grenier trägt ihr weiteres zum Aufbau einer phantastischen Atmosphäre bei. Dabei nutzt er einen Stil, der mehr an digitale Artworks als an klassische Comics erinnert. Einen Eindruck der Fertigkeiten des Künstlers kann man auf seinem Artstation-Account gewinnen.

Als Folge der hohen Qualität kann man sich in den Bildern dieser Graphic Novel verlieren. Eine ähnliche Exzellenz habe ich in letzter Zeit nur bei Land of Giants erleben dürfen. Die geschaffenen Bilder vermitteln dem Leser den Eindruck, die einzelnen Szenen eines Films auf Papier gebannt zu bekommen. Die düstere Atmosphäre der Welt und Handlung ist auf jeder Seite spürbar.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Jean-Luc Istin
  • Zeichner: Sébastian Grenier
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 15,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Die Kathedrale des Abgrunds. Band 2: Die Gilde der Assassinen

Der zweite Band legt den Fokus mehr auf die Prophezeiung. Jedoch ist Jean-Luc Istin nach wie vor bedacht, die Entwicklung seiner Charaktere voranzutreiben.

Am deutlichsten ist das bei der Templerin Sinead zu spüren. Nach dem ersten Band dachte man, bereits einen guten Eindruck von ihr gewonnen zu haben. Weit gefehlt: Die Gilde der Assassinen bringt unerwartete Informationen zur jungen Frau ans Tageslicht. Allerdings scheinen die Schritte ihrer Vergangenheit sie bis an den heutigen Tag und auf ihrer Suche zu begleiten.

Der Handlungsbogen von Pier de la Vita lebt dagegen weniger von Enthüllungen, sondern von seiner Tragik. Der Konflikt mit dem Magier fordert von dem einfachen Mann einen hohen Tribut. Doch innerhalb des Bandes verdichten sich die Anzeichen über die gewaltige Rolle, die er in der weiteren Handlung spielen wird.

Der zweite Band von Die Kathedrale des Abgrunds ist eine Fortsetzung, wie man sie sich wünscht. Aufbauend auf seinem Vorgänger entwickeln sich Handlung und Charaktere weiter. Jean-Luc Istin nimmt sich Zeit, seine Geschichte zu erzählen und Akteure glaubhaft zu positionieren. Dem Lesefluss kommt das zugute.

Zudem gewinnt die Welt von Die Kathedrale des Abgrunds an interessanten Facetten. Die Enthüllung der Gilde der Assassinen sorgt für Spannung und visuell hervorragende Szenen. Am imposantesten ist jedoch die Heimat der Druiden, in der sich Sinead in diesem Band aufhält. Deren Enthüllung, auf einer Doppelseite dieses Bandes, konnte bei mir großen Eindruck hinterlassen.

Generell hat man das Gefühl, dass sowohl der Autor, als auch der Künstler bei diesem Band schwerere Geschützte auffahren. Die bereits im ersten Band interessante Handlung nimmt an Dynamik zu. Dieses Gefühl stellt sich ebenso bei der visuellen Gestaltung ein. Die Vielfalt gezeigter Szenerien, Ereignisse und übernatürlicher Wunder übertrifft die des ersten Teils. Sébastian Grenier stellt in diesem Band abermals unter Beweis, welches Talent er für visuelles Storytelling hat.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Jean-Luc Istin
  • Zeichner: Sébastian Grenier
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 15,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Gesamteindruck

Die Kathedrale des Abgrunds erscheint am Anfang wie eine klassische Fantasygeschichte. Hinsichtlich der genutzten Motive trifft das zu. Jean-Luc Istins Handlung erfindet das Rad nicht neu, sondern kombiniert Altbewährtes stimmungsvoll miteinander. Das Besondere dieser Graphic Novel ist die Sorgfalt, mit der sich Charaktere und Handlung entwickeln. Dem Leser werden nach und nach Eindrücke in die Leben der Protagonisten und die Ordnung der Hintergrundwelt gewährt.

Dabei schafft es Autor Jean-Luc Istin die Balance zwischen Kurzweil und einer allmählich entwickelnden Rahmenhandlung zu bewahren. In Folge dessen wirken die Welt und ihre Bewohner authentisch und man bekommt Interesse an ihren Problemen und Herausforderungen.

Die opulenten Bilder von Illustrator Sébastian Grenier tun ihr Übriges zur Schaffung einer packenden Graphic Novel. Sie erinnern nicht an klassische Comiczeichnungen, sondern an digitale Artworks oder Konzeptgrafiken. Besonders Landschaften und imposante Szenerien gelingen dem Künstler hervorragend. Ein Paradebeispiel hierfür sind die Aufnahmen von Städten oder die letzte Szene des zweiten Bandes, die ich nicht verraten möchte. Während der Lektüre habe ich mich mehrfach dabei ertappt, ein paar Momente nur zur Betrachtung der Zeichnungen aufzuwenden.

Dieses harmonische Zusammenspiel zwischen fesselnder Handlung und visueller Exzellenz erfreuen das Herz jedes Graphic Novel-Liebhabers. Aus diesem Grund warte ich mit Spannung auf den dritten Teil. Dieser trägt den Titel Wann kommt der Weise … und markiert die Halbzeit dieser phantastischen Reihe. Der geplante Veröffentlichungszeitraum ist Oktober 2020.

Mit Tendenz nach Oben

Artikelbilder: © Splitter
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Sabrina Plote
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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