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Die Erde ist ruiniert und die Menschheit sucht eine neue Heimat. Gleich fünf Planeten wirken vielversprechend und sind das Ziel unabhängiger Kolonialflotten. Jedoch verbirgt sich auf jedem eine neue Herausforderung für die Siedler. Oder sollte man die einfallenden Menschen eher Eroberer nennen?

Eines Tages wird die Erde für den Menschen unbewohnbar sein. Wir wissen nicht wann und aufgrund welcher Ursache. Möglicherweise ist die Expansion unserer Sonne oder eine Naturkatastrophe der Auslöser. Allerdings könnte auch die Menschheit selbst dafür verantwortlich sein. Letzteres Szenario treibt unsere Spezies in der Reihe Conquest hin zu einer drastischen Entscheidung: die Erde zu verlassen und neue geeignete Planeten zu besiedeln.

In fünf unabhängigen Bänden fokussieren sich französische Comic-Autoren auf Geschichten über die Eroberung des Weltraums durch unsere Nachfahren. Jede Graphic Novel legt ihren Fokus auf einen anderen Planeten mit neuen Protagonisten und Geschichten.

Wir haben die ersten beiden Bände unter die Lupe genommen. Ist die Aufbruchsstimmung ansteckend?

Conquest Bd. 1: Islandia

Nach 30 Jahren Kälteschlaf erreicht die Flotte Islandia. Der eisige Planet ist zwar kein Paradies, aber besser als die zurückgelassene Erde. Doch der Aufbau einer neuen Kolonie erfordert Disziplin und Zusammenarbeit. Für Oberleutnant Kirsten König sind das Werte, die in ihrer militärische Laufbahn an erster Stelle stehen.

Bald muss sie jedoch feststellen, dass selbst fern der Erde ethische Fragen nicht lange auf sich warten lassen. Als seltsame Explosionen die Kolonien erschüttern, ist der Feind schnell identifiziert: die Einheimischen Islandias. Ein friedliches Zusammenleben scheint ausgeschlossen, obwohl Kirsten sich dafür einsetzt. Zu allem Überfluss wird sie seit ihrer Ankunft auf dem Planeten von seltsamen Visionen geplagt. Für welche Seite soll sie sich entscheiden?

Conquest Bd. 1: Islandia ist wie alle Bände der Reihe eine in sich geschlossene Geschichte. Erfreulicherweise gelingt es dem Team, auf knapp 80 Seiten eine unterhaltsame und abwechslungsreiche Handlung zu erzählen. Zugegebenermaßen erfindet Islandia das Rad nicht neu. Autor Jean-Luc Istin bedient sich vieler Elemente, die in anderen Science-Fiction-Medien bereits genutzt wurden. Dazu gehört beispielsweise der Konflikt der aggressiven Menschen mit den harmonieliebenden Einwohnern. Ebenso entsprechen die Charaktere gängigen Stereotypen wie dem eiskalten General oder dem verschmähten Liebhaber der Heldin.

Dennoch funktioniert die Handlung von Islandia. Die Charaktere sind zwar eindimensional, aber glaubhaft. Zudem sorgen Wendungen im letzten Drittel des Bandes für frischen Wind. Dadurch verliert die Geschichte ihre bisherige Vorhersehbarkeit und der Spannungsbogen zieht merklich an. Conquest Bd. 1: Islandia gelingt kurzweilige Unterhaltung im Stile eines guten Action-Films.

Die prächtige visuelle Umsetzung unterstützt diese Atmosphäre. Besonders die glaubwürdige Mimik der Charaktere hinterlässt Eindruck. Die von Zeichner Zivorad Radivojevic kreierten ausdrucksstarken Augen vermitteln Emotionen der Akteure hervorragend. Zusätzliche Hingucker sind vereinzelte Panels, die sich über zwei Seiten erstrecken. Diese inszenieren wichtige Ereignisse wie den Beginn der Kolonialisierung Islandias.

Das Storytelling profitiert von der deutlichen farblichen Abhebung der Szenerien. Die Flotte der Menschheit wirkt durch ihre dunklen Farben beinahe bedrohlich. Paradoxerweise erscheint die eisige Oberfläche Islandias freundlicher. Dieses Kunststück gelingt Kolorist Eber Evangelista durch den sorgfältigen Einsatz warmer Farben und cleverer Akzentuierung.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Jean-Luc Istin
  • Zeichner: Zivorad Radivojevic, Eber Evangelista
  • Seitenanzahl: 80
  • Preis: 18,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Conquest Bd. 2: Deluvenn

Der zweite Band der Reihe spielt dem ersten Anschein nach in einer angenehmeren Umgebung. Deluvenn ist bis auf Ausnahme weniger Landmassen von einem gigantischen Ozean bedeckt. Einige Siedler mögen ein Paradies voller Strände und die Chance auf einen Neuanfang erwartet haben.

Idris gehört nicht dazu. Der zynische Arbeiter hat schon vor der Ankunft die Nase voll von allem. Seine Ex-Frau datet einen Offizier, und sein Kontakt zu seinen beiden Kindern wird immer seltener. Darüber hinaus ist er der festen Überzeugung, dass die Menschheit auch diesen Planeten ruinieren wird.

Allerdings wird bald klar, dass die Kolonisten diese Chance gar nicht bekommen könnten. Ruinen einer untergegangen Zivilisation lassen vermuten, dass Deluvenn bereits einmal bewohnt war. Doch was hat die früheren Bewohner vernichtet? Die Antwort auf diese Frage stellt die wenigen Menschen vor eine enorme Herausforderung gegen eine Macht, die auf dem Wasserplaneten voll in ihrem Element ist.

Conquest Bd. 2: Deluvenn hat ähnliche Stärken und Schwächen wie Islandia. Die Charaktere entsprechen klassischen Stereotypen und haben kaum Tiefgang, sind auf ihre Weise aber glaubhaft. Zugegeben ist Idris der Charakter, der am meisten in Erinnerung geblieben ist. Unter seiner rauen Schale verbirgt sich ein goldener Kern. Darüber hinaus liefert er eine willkommene Abwechslung zu den sonst im Vordergrund stehenden Soldaten, Kapitänen und Wissenschaftlern.

Die Geschichte von Nicolas Jarry ist keine Offenbarung, jedoch unterhaltsam und weitestgehend gut geschrieben. Der größte Unterschied zum ersten Band liegt im Spannungsbogen. Während Islandia ein dramatisches Finale gelingt, drückt Deluvenn zu sehr aufs Gaspedal. Nach dem sorgfältigen Aufbau des Spannungsaufbaus überschlagen sich am Ende die Ereignisse. Die Auflösung der Geschichte wirkt dadurch zu plötzlich und unbefriedigend.

Visuell ist auch dieser Band ein echter Hingucker. Die Charaktere wirken einen Hauch überzeichneter als in Islandia, aber immer noch realitätsnah. Seitenübergreifende Panels finden sich nicht, aber einige Szenen stechen definitiv hervor. Zu diesen gehören beispielsweise die Entdeckung der Spuren der untergegangenen Zivilisation. Zeichner Bertrand Benoit gelang bei deren Design die Schaffung einer erhabenen und gleichzeitig beängstigenden Atmosphäre.

Die Kolorierung weist ein breiteres Spektrum auf als im ersten Band. Generell ist Conquest Bd. 2: Deluvenn überwiegend in warmen Farbtönen gehalten. Dadurch entfalten die Unterwasserszenen aufgrund ihres kalten Blaus noch deutlichere Wirkung. In diesen Momenten inszeniert das künstlerische Duo aus Zeichner Benoit und Kolorist Olivier Héban die volle Wirkungskraft des titelgebenden Planeten.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Nicolas Jarry
  • Zeichner: Bertrand Benoit, Olivier Héban
  • Seitenanzahl: 64
  • Preis: 16,00 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Gesamteindruck

Abgeschlossene Einzelbände sind ein Risiko, besonders bei der Seitenanzahl von Islandia und Deluvenn. Autoren haben nur begrenzt Platz für die Etablierung von Charakteren und die Schaffung spannender Geschichten. Diese Herausforderung haben die ersten beiden Bände von Conquest allerdings gemeistert. Zugegebenermaßen erfinden die Geschichten das Rad nicht neu oder verfügen über die originellsten Charaktere. Doch sie funktionieren als losgelöste Handlungen eines größeren Konzeptes und können dabei unterhalten.

Unterstützt wird dies durch eine hochwertige visuelle Gestaltung beider Bände. Die jeweiligen Künstlerteams verstehen sich besonders auf die Inszenierung glaubhafter Charaktere und die Darstellung der entsprechenden Mimik.

Letztendlich hinterlässt Conquest Bd. 1: Islandia einen leicht besseren Gesamteindruck als Conquest Bd. 2: Deluvenn. Dies liegt an der Entwicklung der Spannungsbögen zum Finale hin. Während die Dramaturgie bei Islandia den Endspurt bravourös trägt, wirkt sie bei Deluvenn überhastet.

Insgesamt überzeugt das Konzept von Conquest. Die Geschichten sind abwechslungsreich und unterhalten auch eigenständig. Der nächste von insgesamt fünf Bänden folgt den Abenteuern der japanischen Kolonisten. Conquest Bd. 3: Decornum soll im Juni 2020 erscheinen.

 

 

mit Tendenz nach unten

 

Artikelbilder: Splitter, Bearbeitet von Verena Bach
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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