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Im Shanghai der 1930er Jahre entdeckt eine Gruppe Ermittler unverhofft ein uraltes Übel. Bis dieses in seine Schranken verwiesen werden kann, müssen sie allerdings noch Assassinen und Monster bekämpfen, eine junge Dame retten und der Liebe zu ihrem Durchbruch verhelfen. Das sollte ja wohl kein Problem sein, oder?

Wer alte Kung-Fu-Filme mag, wird die Atmosphäre dieses Oberweltabenteuers für Hollow Earth Expedition (HEX) lieben: In Die fünf Krallen des Jadedrachen müssen es die Charaktere mit finsteren magischen Kräften und exotischen Kampfkünsten in Shanghai aufnehmen.

Die Story

Eine Gruppe furchtloser Ermittler wird vom englischen Botschafter in Shanghai gebeten, seinen verschwundenen Sohn zu suchen, der mit einer Chinesin durchgebrannt sein soll. Im Laufe ihrer Nachforschungen wird den Charakteren jedoch bald klar, dass viel mehr hinter der Sache steckt und der junge Engländer sich durch seine Liebschaft einen mächtigen Feind gemacht hat. Und da dieser für die ganze Stadt eine Bedrohung darstellt, muss er aufgehalten werden. Der Autor empfiehlt, entweder schon länger gespielte oder mit mindestens 30 zusätzlichen Erfahrungspunkten erstellte Charaktere zu verwenden. Als besonders geeignet schlägt er auf Ermittlung ausgelegte Archetypen wie Gesetzeshüter, Reporter oder Okkultisten vor. Letztere bieten sich schon deshalb an, da sich hinter dem Fall natürlich ein dunkles Geheimnis verbirgt.

Auch ein bis zwei Soldaten oder andere Kämpfercharaktere schaden einer Gruppe hier keineswegs, denn es gilt, viele Gegner der zwei- oder mehrbeinigen Variante zu besiegen, um mit heiler Haut aus der Geschichte herauszukommen. Gleich auf der zweiten Seite – neben der Warnung, dass es sich hier nicht um ein Szenario für Startcharaktere handelt – bietet der Autor auch Tipps, wie man die Konfrontationen HEX-regelkonform auf eine weniger kämpferische Gruppe anpassen kann. Dadurch wird sichergestellt, dass das Abenteuer auch ohne große Eingriffe vom Spielleiter für viele Charaktere spielbar bleibt.

Auftakt

Die Charaktere sind zum Abendessen beim britischen Botschafter in Shanghai geladen, einem wohlbeleibten Bonvivant, der aber offenbar auf Diät gesetzt wurde und deshalb nur Rohkost bekommt, während die anderen Anwesenden Köstlichkeiten schlemmen. Nach dem ersten Kennenlernen erteilt der Diplomat ihnen ohne viele Umschweife den Auftrag, seinen nichtsnutzigen Sohn Arthur zu suchen, der sich in eine Einheimische verliebt haben soll – eine absolut unmögliche Verbindung in den Augen eines englischen Lords. Zudem ist der Knabe verschwunden, und die Eltern machen sich langsam Sorgen, dass er kriminellen Elementen in die Hände gefallen sein könnte. So weit, so gut. Dann aber nimmt das Dinner eine dramatische Wendung.

Spoiler

Nachdem sich die Frau des Botschafters, die streng über die Einhaltung der Diät ihres Gatten wacht, zurückzieht, greift dieser zum voll beladenen Teller seines abwesenden Sohnes. Wenig später platzt ein Schwarm Riesentausendfüßler aus seinem Bauch, der von der Gruppe bekämpft werden muss.

Ein wenig Ermittlungsarbeit macht den Charakteren klar: Der Botschafter ist einem Mordanschlag zum Opfer gefallen, der für seinen Sohn gedacht war – Arthur schwebt in Lebensgefahr!

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Wenn Spieler und Spielleitung den eingangs erwähnten Empfehlungen für die passende Charakterauswahl gefolgt sind, sollte die Gruppe jetzt ausreichend motiviert sein, den Botschaftersohn zu suchen und herauszufinden, wer hinter seinem Verschwinden steckt.

Auf der Suche nach dem verlorenen Sohn

Ohne zu viel zu verraten, folgt nun ein wenig Recherche auf den Straßen Shanghais, was die Charaktere schlussendlich in eine verrufene Opiumhöhle führt. Es ist dem Autor des Abenteuers zugutezuhalten, dass er verschiedene mögliche Herangehensweisen der Charaktere berücksichtigt hat und selbst für den Fall, dass die Ermittlungen stecken bleiben, eine Lösungsmöglichkeit anbietet. Die chinesische Handelsmetropole Shanghai hat natürlich, wie alle großen Hafenstädte, etliche eher zwielichtige Ecken, durch die sich die Helden navigieren müssen. In den 1930er Jahren, in denen das Szenario angesetzt ist, rivalisieren hier die Regierung, kommunistische Gruppen, Verbrecherbanden und die verschiedensten ausländischen Mächte um Geld und Einfluss. Dies bietet der Spielleitung für Gruppen, die atmosphärisches Spiel lieben, eine Menge Gelegenheit, die Suche nach dem verlorenen Sohn spannend auszuschmücken – und natürlich, denn es ist HEX, kann man den genannten Gruppen auch noch beliebige Geheimgesellschaften und okkultistische Zirkel hinzufügen.

Schließlich aber finden die Charaktere Arthur in der besagten Opiumhöhle, wo sie allerdings direkt auch in den ersten „richtigen“ Kampf des Abenteuers verwickelt werden: Ein Kung-Fu-fähiger Assassine und zwei Riesenskorpione greifen die Gruppe an. Dies kann für nicht besonders kämpferische Gruppen schon äußerst haarig werden, allerdings lässt sich das Problem recht einfach verkleinern, wenn der Spielleiter dem Schurken nur einen Skorpion als Unterstützung mitgibt.

Spoiler

Der Assassine wurde vom Vater von Arthurs Geliebter, einem gewissen Dr. Xiang, losgeschickt, um Arthur auszuschalten. Dieser war auch schon für den Anschlag verantwortlich, der Arthurs Vater zum Verhängnis wurde. Dr. Xiang ist in Wahrheit ein uralter Nekromant, der plant, die noch junge chinesische Republik wieder in ein Kaiserreich zurückzuführen – natürlich mit ihm selbst als Kaiser.

Seine Tochter möchte er lieber mit einem einflussreichen Chinesen als mit einer englischen „Langnase“ verheiratet sehen.

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Nachdem die Charaktere den Diplomatensohn vor den Kampfkünsten des Auftragsmörders und den Stacheln seiner Haustiere gerettet haben, bringt Arthur sie dankbar zu einem Bekannten, der eventuelle Wunden heilen und generell weiterhelfen kann: Onkel Yu, einem wunderlichen Kauz der „verrückter-alter-Chinese“-Variation. In seinem Krämerladen findet sich allerlei Nützliches und Unnützes, Seltsames und noch Seltsameres. Arthur ist aufgelöst, da er in der Opiumhöhle auf seine Geliebte gewartet hat, diese aber nicht aufgetaucht ist. Er befürchtet das Schlimmste.

Es steckt mehr dahinter!

Onkel Yu gibt derweil bereitwillig zu, vor Kurzem Eier von Riesentausendfüßlern, Riesenskorpionen, -spinnen, -schlangen und -kröten an einen reichen Kunden verkauft zu haben. Er beteuert aber, nicht zu wissen, wofür man so etwas brauchen könnte, und verliert kein Wort darüber, woher er sie bezieht (der geneigte HEX-Spieler darf genau einmal raten). Wenn sich die Charaktere ein bisschen Zeit dafür nehmen, können sie in Yus alten Büchern mehr darüber herausfinden, was es mit den Biestern auf sich hat und was eigentlich gerade los ist.

Spoiler

Dabei stellt sich nicht nur heraus, dass in letzter Zeit Angehörige verschiedener politischer Fraktionen und ausländischer Mächte in Shanghai spurlos verschwunden sind, sondern auch, dass solch riesiges Ungeziefer für ein ganz spezielles Ritual benötigt wird. Bei diesem wird ein Monster beschworen, in dessen Macht es liegt, alle Feinde des Beschwörers auszulöschen. Dieser kann nur der Käufer der Eier sein: der bereits erwähnte Dr. Xiang. Zudem finden sie noch die Einladung zu einer Gala, bei der ebendieser die Hand seiner Tochter einem würdigen chinesischen Junggesellen anbietet. Dort muss es doch möglich sein, mehr herauszufinden!

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Es sollte nun endlich auch dem letzten Zweifler klar sein, dass es hier um mehr geht als nur eine verbotene Liebschaft. Und je weiter die Charaktere von hier aus in die Intrige einsteigen, desto klarer wird es ihnen werden, dass es hier um Leben und Tod geht, für die Gruppe selbst, aber auch für eine ganze Menge unschuldiger Mitmenschen. Es gilt, den Nekromanten Dr. Xiang aufzuhalten. Der aber hat nicht nur einen großen Einfluss auf die Shanghaier Triaden, sondern eben auch seine ganz eigenen Assassinen – die sich „die fünf Krallen“ nennen, daher der Name des Abenteuers – und aus der Hohlwelt exportierte Ungeheuer.

Die Gruppe muss von nun an bis zum Ende der Geschichte einen Kampf nach dem anderen überstehen: gegen mit Kung-Fu und Feuerwaffen ausgestattete Gangster, gegen Brandanschläge mit Molotov-Cocktails, Riesenspinnen und Riesenkröten sowie einen Meister der Kampfkunst, der zudem noch Schlangen beschwört. Wenn die Spieler intelligent vorgehen, lässt sich zwar die eine oder andere dieser Konfrontationen vermeiden, generell handelt es sich aber um ein äußerst kampflastiges Szenario.

Abschluss

Der Endkampf ist entsprechend ebenfalls kein Zuckerschlecken.

Spoiler

Dabei muss nicht nur Dr. Xiang (dessen Tochter sich mittlerweile den Spielercharakteren sowie ihrem Geliebten Arthur im Kampf gegen ihren Vater angeschlossen hat) die Stirn geboten, sondern auch das von ihm beschworene Monster bekämpft werden. Nur falls die Charaktere wirklich gut im Kämpfen sind oder sehr viel Glück haben, können beide Endgegner getötet werden.

Doch sobald sich das Blatt gegen sie wendet, nehmen beide Reißaus, was einen eventuellen Anknüpfungspunkt für spätere Abenteuer bietet.

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Der Kampf ist selbst für eine erfahrene Gruppe gefährlich, aber dennoch durchaus zu überstehen. Wer ihn überlebt, dürfte nicht nur um Erfahrungspunkte, sondern auch eine ganze Menge okkultes Wissen reicher sein. Ein Weg in die Hohlwelt ergibt sich hieraus zwar nicht, aber es ist durchaus vorstellbar, dass die Helden dafür bei Onkel Yu noch einmal nachfragen.

Download/Bonuscontent

Everybody was Kung-Fu fighting! Der Abenteuerband enthält einen Anhang, in dem die Regeln für Kampfkünste in Hollow Earth Expedition, die schon in Geheimnisse der Oberwelt angerissen wurden, näher erklärt werden. Dies wird wohl nicht alle Spieler interessieren, aber Fans von Bruce Lee dürften eine Menge Spaß daran haben, Charaktere zu erstellen, die der alten Kunst des Kung-Fu oder anderen Formen der Selbstverteidigung folgen. Die Regeln sind kompatibel mit dem bereits etablierten Kampfsystem, es ist nur ein wenig schade, dass sie nicht schon in einem der Quellenbücher vorkamen. Besonders witzig: Den verschiedenen Tierkampfstilen sind nicht nur passende Talente zugeordnet, sondern auch ein an Schnick-Schnack-Schnuck erinnerndes System, nach dem ein Stil jeweils einem anderen über- und einem wieder anderen unterlegen ist. Im Abenteuer kommen einige dieser Stile schon bei diversen NSC vor.

Erscheinungsbild

Der Abenteuerband ist ein dünnes Heftchen (nur 31 Seiten) in DIN-A4-Format, außen mit schöner Coverart, die schon auf den fulminanten Abschluss des Abenteuers hinweist. Innen finden sich hin und wieder Illustrationen in Schwarzweiß, doch allgemein ist der Band textlastig gehalten. Die Gestaltung ist übersichtlich. Kapitel und Unterkapitel gliedern das Abenteuer, schwarz hinterlegte Kästen enthalten Informationen für den Spielleiter, während Vorlesetexte grau umrandet sind. Die Schrift ist groß und gut lesbar, Kampfwerte von Gegnern deutlich abgesetzt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk-Verlag
  • Autor: Eloi Lasanta
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Druck, PDF
  • Seitenanzahl: 31
  • ISBN: 978-3-942012-62-1
  • Preis: 6,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeister

 

Fazit:

Kung-Fu, Rieseninsekten, düstere Geheimnisse und verbotene Liebe – keine Frage, dieses Abenteuer bietet viel Schönes. Es ist atmosphärisch schön beschrieben, gut durchdacht und bietet sowohl auf Kampf wie auf Ermittlung ausgelegten Charakteren für mindestens zwei bis drei Spielabende anspruchsvolle Unterhaltung. Während die Geschichte einigermaßen stark vorgegeben ist, sind an vielen Stellen unterschiedliche mögliche Reaktionen von Spielern eingeplant. Das bewahrt den Spielleiter davor, allzu viel zu verändern, um die Gruppe auf der „Spur“ zu halten, und verhindert andererseits Frust auf Spielerseite. Zudem macht es das Szenario zu einem Abenteuer, das man ohne viel vorzubereiten (vorausgesetzt der Spielleiter kennt die Regeln) auch mal spontan „vom Blatt“ spielen kann. Was allerdings die Zielgruppe ein wenig einschränkt, ist ähnlich wie beim Wunderstein vom Amazonas die Tatsache, dass das Abenteuer nur Teil einer länger angelegten Oberweltkampagne sein kann.

Spieler, die es vornehmlich in die Hohlwelt zieht, kommen hier nicht wirklich auf ihre Kosten. Für eine Gruppe, die sich erst langsam an die Hohle Erde herantasten will, ist das Szenario allerdings eine schöne, in sich logische und an sich sehr gut in die Welt von Hollow Earth Expedition passende Geschichte. Dabei stellt sich nur die Frage: Was sonst kann solche Charaktere an der Oberfläche noch erwarten? Ein etwas deutlicherer Hinweis, der eine derart fortgeschrittene Gruppe nun (endlich) ins Innere führt, wäre hierbei schon wünschenswert gewesen. Trotz dieser Einschränkung erhält das Gesamtwerk aber das Prädikat: lohnenswert!

Artikelbilder: Uhrwerk Verlag, bearbeitet von Roger Lewin
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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